Das zehnte Kapitel.

[113] Simplex hört an von den Bauern mit Lust,

Was ihnen vom Mummelsee ist bewußt.


Da ich mich nun solchergestalt wieder in meine erste Freiheit gesetzt befand, mein Beutel aber von Geld ziemlich geläret, hingegen meine große Haushaltung mit vielem Biehe und Gesind beladen, nahm ich meinen Petter Melchior vor einen Vatter, meine Göt, seine Frau, vor meine Mutter und den Bankert Simplicium, der mir vor die Tür geleget worden, vor meinen Erben an und übergab diesen beiden Alten Haus und Hof samt meinem ganzen Vermögen bis auf gar wenig gelbe Batzen und Kleinodien, die ich noch auf die äußerste Not gesparet und hinterhalten; dann ich hatte einen Ekel ab aller Weiber Beiwohnung und Gemeinschaft gefaßt, daß ich mir vornahm, weil mirs so übel mit ihnen gangen, mich nicht mehr zu verheuraten. Diese beide alte Eheleute, welche in re rusticorum nicht wohl ihresgleichen mehr hatten, gossen meine Haushaltung gleich in ein ander Modell; sie schafften von Gesind und Viehe ab, was nichts nutzte, und bekamen hingegen auf den Hof, was etwas eintrug. Mein alter Knän oder neuer Vatter samt meiner alten Meuder vertrösteten mich alles Guten und versprachen, wann ich sie nur hausen ließe, so wollten sie mir allweg ein gut Pferd auf der Streu halten und so viel verschaffen, daß ich je zuzeiten mit einem ehrlichen Biedermann ein Maß Wein trinken könnte. Ich spürete auch gleich, was vor Leute meinem Hof vorstunden: mein Petter bestellte mit dem Gesind den Feldbau, schacherte mit Viehe und mit dem Holz- und Harzhandel ärger als ein Jud, und meine Göttel legte sich auf die Viehzucht und wußte die Milchpfennige besser zu gewinnen und zusammenzuhalten als zehen solcher Weiber, wie ich eins gehabt hatte. Auf solche Weise ward mein Baurenhof in kurzer Zeit mit allerhand notwendigem Vorrat, auch groß und kleinem Viehe genugsam versehen, also daß er in Bälde vor den besten in der ganzen Gegend geschätzet ward. Ich aber gieng dabei spazieren und wartete allerhand Kontemplationen ab; dann weil ich sahe, daß meine Göttel mehr aus den Immen an Wachs und Honig vorschlug, als mein Weib hiebevor aus Rindviehe, Schweinen und anderm eroberte, konnte ich mir leicht einbilden, daß sie im übrigen nichts verschlafen würde.

Einsmals spazierte ich im Sauerbrunn, mehr einen Trunk frisch Wasser zu tun, als mich meiner vorigen Gewohnheit[113] nach mit den Stutzern bekannt zu machen; dann ich fieng an, meiner angenommenen Eltern Kargheit nachzuöhmen, welche mir nicht rieten, daß ich mit den Leuten viel umgehen sollte, die ihre und ihrer Eltern Hab so unnützlich verschwendeten. Gleichwohl aber geriet ich zu einer Gesellschaft mittelmäßigen Standes, weil sie von einer seltenen Sache, nämlich von dem Mummelsee, diskurierten, welcher unergründlich und in der Nachbarschaft auf einem von den höchsten Bergen gelegen sei; sie hatten auch unterschiedliche alte Bauersleute beschickt, die erzählen mußten, was einer oder der ander von diesem wunderbarlichen See gehöret hätte, deren Relation ich dann mit großer Lust zuhörete, wiewohl ichs vor eitel Fabuln hielt, dann es lautete also lügenhaftig und lächerlich in meinen Ohren als etliche Schwänke des Plinii.

Einer sagte, wann man ungerad, es sein gleich Erbsen, Steinlein oder etwas anders, in ein Nastüchlein binde und hineinhänge, so verändere es sich in gerad; also auch wann man gerad hineinhänge, so finde man ungerad. Ein anderer, und zwar die meiste, gaben vor und bestätigten es auch mit Exempeln: wann man einen oder mehr Steine hineinwürfe, so erhebe sich gleich, Gott gebe, wie schön auch der Himmel zuvor gewesen, ein grausam Ungewitter mit schröcklichem Regen, Schloßen und Sturmwinden. Von diesem kamen sie auch auf allerhand seltsame Historien, so sich darbei zugetragen, und was sich vor wunderbarliche Spektra von Erd- und Wassermännlein darbei hätten sehen lassen und was sie mit den Leuten geredet. Einer erzählete, daß auf eine Zeit, da etliche Hirten ihr Viehe bei der See gehütet, ein brauner Stier herausgestiegen, welcher sich zu dem andern Rindviehe gesellet, dem aber gleich ein kleines Männlein nachgefolget, ihn wieder zurück in See zu treiben; er hätte aber nicht parieren wollen, bis ihm das Männlein gewünscht hätte, es sollte ihn aller Menschen Leiden ankommen, wann er nicht wieder zurückkehre, auf welche Worte er und das Männlein sich wieder in den See begeben hätten. Ein ander sagte, es sei auf eine Zeit, als der See überfroren gewesen, ein Baursmann mit seinen Ochsen und etlichen Blöchern, daraus man Dielen schneidet, über den See gefahren ohn einzigen Schaden; als ihm aber sein Hund nachkommen, sei das Eis mit ihm gebrochen und der arme Hund allein hinuntergefallen und von selbiger Zeit an nicht mehr gesehen worden. Noch ein ander behauptete bei großer Wahrheit, es sei ein Schütze auf der Spur des Wildes bei der See vorübergangen, der hatte auf demselben ein Wassermännlein[114] sitzen sehen, das einen ganzen Schoß voll gemünzte Goldsorten gehabt und gleichsam damit gespielet hätte; und als er nach demselbigen Feur geben wollen, hätte sich das Männlein geduckt und diese Stimme hören lassen: »Wann du mich gebeten, deiner Armut zu Hülf zu kommen, so wollte ich dich und die Deinige reich genug gemachet haben. Auf solche Weise aber wirst du und deine Nachkömmlinge wohl in der Armut verbleiben müssen.« Das Allerfabelhaftigste aber, das sie erzählten, war dieses: Es seie vor Jahren ein kleines Männlein auf einen späten Abend zu einem Bauren auf die Heidenhöf kommen mit Bitt, er wollte ihn doch über Nacht behalten; der Baur hätte sich entschuldiget, daß er keine übrige Bette vermöchte; wollte er aber in der Stube auf der Bank oder in der Scheur im Heu vorliebnehmen, so wollte er ihme die Nachtherberg gern gönnen. Darauf hätte das Männlein gebeten, er sollte ihm nur erlauben, in seiner Hanfräzen zu schlafen, die ihm lieber sei, als wann er ihn in das beste Bett legte. »Meinethalben,« hätte der Bauer geantwortet, »wann dir damit gedienet ist, so magst du wohl gar in den Weihr oder Brunnentrog schliefen.« Auf solche Bewilligung hätte sich das Männlein in Gegenwart des Bauren in die Hanfräzen begeben und zwischen das binzechtig Grasgewächs im Wasser und Morast hineingewühlet wie ein Frosch, oder als einer, der sich zu kalter Zeit ins Heu vergräbet, darinnen über Nacht zu schlafen. Demnach nun der Bauer des Morgens früh am Tag aufgestanden, sein Gesind zur Arbeit aufzuwecken, da seie das bemeldte Männlein auch aus dem Wasser hervorkommen und vor dem Bauern allerding mit trucknen Kleidern erschienen, wie er sich damit ins Wasser gelegt, dessen sich dann der Bauer nicht unbillig verwundert und gesagt: »Du mußt mir wohl ein seltsamer und wunderbarlicher Gast sein!« – »Ja,« hätte das Männlein geantwortet, »es kann wohl sein, daß meinesgleichen in etlich 100 Jahren hier nicht übernachtet.« Von solchen Reden sei das Männlein mit dem Bauren endlich so weit ins Gespräch kommen, daß es ihme vertrauet, wasmaßen er ein Wassermännlein seie, welches sein Gemahl verloren und in den Mummelsee wollte, dasselbe darinnen zu suchen mit Bitt, er, der Bauer, wollte ihme so viel zu Gefallen sein und ihme den Weg dahin weisen, worzu sich dann der Bauer gern bewegen lassen, weil er bereits an seinen Kleidern gesehen, daß etwas Seltnes an der Person selbst sein müßte, und daß noch mehr verwunderliche Sachen an ihm zu sehen sein würden. Unterwegs hätte der Kleine dem Bauren viel wunderliche Sachen[115] erzählet, wie es hin und wieder in den Seen, darinnen er sein entführtes Weib bereits gesuchet und nicht gefunden, beschaffen, vornehmlich, daß es viel Ungeziefer und sonderlich im Schwarzen See Krotten gebe so groß als ein Bachofen. Als sie aber zum Mummelsee kommen, hätte sich das Männlein hinuntergelassen, doch zuvor den Bauren gebeten, er wollte darbei bis zu seiner Wiederkunft oder bis er ihme ein Wahrzeichen schicke, verziehen. Wie er nun ohngefähr ein paar Stunden bei dem See aufgewartet, seie der Stecken, den das Männlein gehabt, samt ein paar Handvoll Bluts mitten im See durchs Wasser heraufkommen und etliche Schuh hoch in die Luft gesprungen, darbei der Bauer wohl hätte abnehmen mögen, daß dieses das Wahrzeichen gewesen, welches das Männlein zu geben versprochen, auf welche Geschicht dann der Bauer den See wieder quittiert und sich nacher Hause begeben hätte.

Solche und dergleichen mehr Historien, die mir alle als Märlein vorkamen, damit man die Kinder aufhält, hörete ich an, verlachte sie und glaubte nicht einmal, daß ein solcher unergründlicher See auf einem hohen Berge sein könnte; aber es fanden sich noch andere Baursleute, und zwar alte glaubwürdige Männer, die erzähleten, daß noch bei ihrem und ihrer Vätter Gedenken hohe fürstliche Personen den besagten See zu beschauen sich erhoben, wie dann ein regierender Herzog zu Württenberg etc. einen Floß machen und mit demselbigen darauf hineinfahren lassen, seine Tiefe abzumessen; nachdem die Messer aber bereits neun Zwirnnetz (ist ein Maß, das die Schwarzwälder Baurenweiber besser als ich oder ein ander Geometra verstehen) mit einem Senkel hinuntergelassen und gleichwohl noch keinen Boden gefunden, hätte das Floß wider die Natur des Holzes ansahen zu sinken, also daß die, so sich darauf befunden, von ihrem Vornehmen abstehen und sich aus Land salvieren müssen, maßen man noch heutzutag die Stücken des Floß es am Ufer des Sees und zum Gedächtnus dieser Geschicht das fürstliche württenbergische Wappen und andere Sachen mehr in Stein gehauen vor Augen sehe. Andere bewiesen mit vielen Zeugen, daß ein Erzherzog von Österreich etc. den See gar hätte wollen abgraben lassen, es sei ihm aber von vielen Leuten widerraten und durch Bitte der Landleute sein Vornehmen hintertrieben worden aus Forcht, das ganze Land möchte untergehen und ersaufen. Überdas hätten höchstgedachte Fürsten etliche Lägeln voll Forellen in den See sehen lassen; die sein aber alle eh als in einer Stunde in ihrer Gegenwart abgestanden und zum Auslauf des Sees hinausgeflossen, unangesehen[116] das Wasser, so unter dem Gebürg, darauf der See liege, durch das Tal, so von dem See den Namen habe, hinfleußt, von Natur solche Fische hervorbringe, da doch der Auslauf des Sees in dasselbe Wasser sich ergieße.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 113-117.
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