Das elfte Kapitel.

[117] Simplex recht wunderlich Danksagen höret,

Drauf er zu heiligen Gedanken sich kehret.


Dieser letztern Aussage machte, daß ich denen zuerst beinahe völligen Glauben zustellete, und bewog meinen Fürwitz, daß ich mich entschloß, den wunderbaren See zu beschauen. Von denen, so neben mir alle Erzählung gehöret, gab einer dies, der ander jenes Urteil darüber, daraus dann ihre unterschiedliche und wider einander laufende Meinungen gnugsam erhelleten. Ich zwar sagte, der teutsche Name Mummelsee gebe gnugsam zu verstehen, daß es um ihn wie um eine Maskarade ein verkapptes Wesen sei, also daß nicht jeder seine Art sowohl als seine Tiefe ergründen könne, die doch auch noch nicht wäre erfunden worden, da doch so hohe Personen sich dessen unterfangen hätten; gieng damit an denjenigen Ort, allwo ich vorm Jahr mein verstorbenes Weib das erstemal sahe und das süße Gift der Liebe einsoff.

Daselbsten legte ich mich auf das grüne Gras in Schatten nieder; ich achtete aber nicht mehr als hiebevor, was die Nachtigallen daherpfiffen, sondern ich betrachtete, was vor Veränderung ich seithero erduldet. Da stellete ich mir vor Augen, daß ich an eben demselbigen Ort den Anfang gemachet, aus einem freien Kerl zu einem Knecht der Liebe zu werden, daß ich seithero aus einem Offizier ein Baur, aus einem reichen Baur ein armer Edelmann, aus einem Simplicio ein Melchior, aus einem Witwer ein Ehemann, aus einem Ehemann ein Gauch und aus einem Gauch wieder ein Witwer worden wäre; item, daß ich aus eines Baurs Sohn zu einem Sohn eines rechtschaffenen Soldaten und gleichwohl wieder zu einem Sohn meines Knäns worden. Da führete ich zu Gemüt, wie mich seithero mein Fatum des Herzbruders beraubet und hingegen vor ihn mit zweien alten, Eheleuten versorget hätte. Ich gedachte an das gottselige Leben und Absterben meines Vatters, an den erbärmlichen Tod meiner Mutter und darneben auch an[117] die vielfältige Veränderungen, deren ich mein Lebtag unterworfen gewesen, also daß ich mich des Weinens nicht enthalten konnte. Und indem ich zu Gemüt führete, wieviel schön Geld ich die Tage meines Lebens gehabt und unnützlich durch die Gurgel gejaget und verschwendet, zumal solches zu bedauren anfieng, kamen zween gute Schlucker oder Weinbeißer, denen die Colica in die Glieder geschlagen, deswegen sie dann erlahmet und das Bad samt dem Saurbrunn brauchten. Die satzten sich zunächst bei mir nieder, weil es eine gute Ruhestatt hatte, und klagte je einer dem andern seine Not, weil sie vermeineten, allein zu sein. Der eine sagte: »Mein Doktor hat mich hieher gewiesen als einen, an dessen Gesundheit er verzweifelt, oder als einen, der neben andern dem Wirt um das Fäßlein mit Butter, so er ihm neulich geschickt, Satisfaktion tun solle; ich wollte, daß ich ihn entweder die Tage meines Lebens niemals gesehen oder daß er mir gleich anfangs in Saurbrunn geraten hätte, so würde ich entweder mehr Geld haben oder gesünder sein als jetzt, dann der Saurbrunn schlägt mir wohl zu.« – »Ach!« antwortete der ander, »ich danke meinem Gott, daß er mir nicht mehr überflüssig Geld bescheret hat, als ich vermag; dann hätte mein Doktor noch mehr hinter mir gewußt, so hätte er mir noch lang nicht in Saurbrunn geraten, sondern ich hätte zuvor mit ihm und seinen Apothekern, die ihn deswegen alle Jahr schmieren, teilen müssen, und hätte ich darüber sterben und verderben sollen. Die Schabhälse raten unsereinem nicht eher an ein so heilsam Ort, sie getrauen dann nit mehr zu helfen oder wissen nichts mehr an einem zu ropfen. Wann man die Wahrheit bekennen will, so muß ihnen derjenige, so sich hinter sie läßt, und hinter welchem sie Geld wissen, nur lohnen, daß sie einen krank erhalten.«

Diese zween hatten noch viel Schmähens über ihre Doctores, aber ich mags darum nicht alles erzählen, dann die Herren Medici möchten mir sonst feind werden und künftig eine Purgation eingeben, die mir die Seele austreiben möchte. Ich melde dies allein deswegen, weil mich der letztere Patient mit seiner Danksagung, daß ihm Gott nicht mehr Geld bescheret, dergestalt tröstete, daß ich alle Anfechtungen und schwere Gedanken, die ich damals des Geldes halber hatte, aus dem Sinn schlug. Ich resolvierte mich, weder mehr nach Ehren noch Geld noch nach etwas anders, das die Welt liebet, zu trachten. Ja, ich nahm mir vor zu philosophieren und mich eines gottseligen Lebens zu befleißen, zumalen meine Unbußfertigkeit[118] zu bereuen und mich zu erkühnen, gleich meinem Vatter sel., auf die höchste Staffeln der Tugenden zu steigen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 117-119.
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