Das dreizehnte Kapitel.

[122] Simplex vom Prinzen der Mummelsee höret

Wunderding, dran er sich nicht wenig kehret.


Plinius schreibet im Ende des zweiten Buchs vom Geometra Dionysio Doro, daß dessen Freunde einen Brief in seinem Grab gefunden, den er, Dionysius, geschrieben und darin berichtet, daß er aus seinem Grab bis in das mittelste Zentrum der Erden sei kommen und befunden, daß 42000 Stadia bis dahin sein. Der Fürst über die Mummelsee aber, so mich begleitet und obigergestalt vom Erdboden hinweggeholet hatte, sagte mir vor gewiß, daß sie aus dem Centro terrae bis an die Luft durch die halbe Erde just 900 teutscher Meilen hätten, sie wollten gleich in Teutschland oder zu denen Antipodibus, und solche Reisen müßten sie alle durch dergleichen See nehmen, deren hin und wieder so viel in der Welt als Tage im Jahr sein, welcher Ende oder Abgründe alle bei ihres Königs Wohnung zusammenstießen. Diese große Weite nun passierten wir eh als in einer Stunde, also daß wir mit unserer schnellen Reise des Monden Lauf sehr wenig oder gar nichts bevor gaben; und[122] dannoch geschahe solches so gar ohne alle Beschwerung, daß ich nicht allein keine Müdigkeit empfand, sondern auch in solchem sanften Abfahren mit obgemeldten Mummelseeerprinz allerhand diskurieren konnte; dann da ich seine Freundlichkeit vermerkte, fragte ich ihn, zu was Ende sie mich einen so weiten, gefährlichen und allen Menschen ungewöhnlichen Weg mit sich nähmen. Da antwortete er mir gar bescheiden, der Weg sei nicht weit, den man in einer Stunde spazieren könnte, und nicht gefährlich, dieweil ich ihn und seine Gesellschaft mit dem überreichten herrlichen Stein bei mir hätte; daß er mir aber ungewöhnlich vorkomme, sei sich nichts zu verwundern; sonst hätte er mich nicht allein aus seines Königs Befelch, der etwas mit mir zu reden, abgeholet, sondern daß ich auch gleich die seltsame Wunder der Natur unter der Erde und in Wassern beschauen sollte, deren ich mich zwar bereits auf dem Erdboden verwunderte, eh ich noch kaum einen Schatten davon gesehen. Darauf bat ich ihn ferner, er wollte mich doch berichten, zu was Ende der gütige Schöpfer so viel wunderbarliche Seen erschaffen, sintemal sie, wie mich dünkte, keinem Menschen nichts nutzten, sondern viel ehender Schaden bringen könnten. Er antwortete: »Du fragst billig um dasjenige, was du nicht weißt oder verstehest. Diese Seen sind dreierlei Ursachen willen erschaffen: dann erstlich werden durch sie alle Meere, wie die Namen haben, und sonderlich der große Oceanus, gleichsam wie mit Nägeln an die Erde geheftet; zweitens werden von uns durch diese See (gleichsam als wie durch Teichel, Schläuche oder Stiefeln bei einer Wasserkunst, deren ihr Menschen euch gebrauchet) die Wasser aus dem Abyssu des Oceani in alle Quellen des Erdbodens getrieben (welches dann unser Geschäft ist), wovon alsdann alle Brünnen in der ganzen Welt fließen, die großen und kleinen Wasserflüsse entstehen, der Erdboden befeuchtiget, die Gewächse erquicket und beides, Menschen und Viehe, getränket werden; drittens, daß wir als vernünftige Kreaturen Gottes hierin leben, unser Geschäfte verrichten und Gott den Schöpfer in seinen großen Wunderwerken loben sollen. Hierzu nun seind wir und solche Seen erschaffen und werden auch bis an den Jüngsten Tag bestehen. Wann wir aber gegen derselben letzten Zeit unsere Geschäfte, darzu wir von Gott und der Natur erschaffen und verordnet sind, aus einer oder andern Ursache unterlassen müssen, so muß auch notwendig die Welt durchs Feur untergehen, so aber vermutlich nicht ehender geschehen kann, es sei dann, daß ihr den Mond (donec auferatur luna, Psal. 71), Venerem oder[123] Martem als Morgen- und Abendstern verlieret; dann es müßten die generationes fructuum et animalium erst vergehen und alle Wasser verschwinden, eh sich die Erde von sich selbst durch der Sonnen Hitze entzünde, calciniere und wiederum regeneriere. Solches aber gebühret uns nicht zu wissen, ist auch allein Gott bekannt, außer was wir etwan mutmaßen und eure Chymici aus ihrer Kunst daherlallen.«

Da ich ihn so reden und die Hl. Schrift anziehen hörete, fragte ich, ob sie sterbliche Kreaturen wären, die nach der jetzigen Welt auch ein künftiges Leben zu hoffen hätten, oder ob sie Geister sein, welche, solang die Welt stünde, nur ihre anbefohlene Geschäfte verrichten. Darauf antwortete er: »Wir sind keine Geister, sondern sterbliche Leutlein, die zwar von Gott wie ihr Menschen mit vernünftigen Seelen begabet, welche aber samt den Leibern dahinsterben und vergehen. Gott ist zwar so wunderbar in seinen Werken, daß sie keine Kreatur auszusprechen vermag; doch will ich dir, soviel unsre Art anbelanget, simpliciter erzählen, daß du daraus fassen kannst, wieweit wir von den andern Kreaturen Gottes zu unterscheiden sein. Die heilige Engel sind Geister zum Ebenbild Gottes, gerecht, verständig, frei, keusch, hell, schön, klar, geschwind und unsterblich, zu dem Ende erschaffen, daß sie in ewiger Freude Gott loben, rühmen, ehren und preisen, in dieser Zeitlichkeit aber der Kirche Gottes hier auf Erden auf den Dienst warten und die allerheiligste göttliche Befelche verrichten sollen deswegen sie dann auch zuzeiten Nuncii genennet werden. Und ihrer seind auf einmal so viel hundert tausendmal tausend Millionen erschaffen worden, als der göttlichen Weisheit wohlgefällig gewesen. Nach dem aber aus ihrer großen Anzahl unaussprechlich viel, die sich ihres hohen Adels überhoben, aus Hoffart gefallen, seind erst euere erste Eltern von Gott mit einer vernünftigen und unsterblichen Seele zu seinem Ebenbild erschaffen und deswegen mit Leibern begabet worden, daß sie sich aus sich selbsten vermehren sollten, bis ihr Geschlecht die Zahl der gefallenen Engel wiederum erfülle. Zu solchem Ende nun ward die Welt erschaffen mit allen andern Kreaturen, daß der irdische Mensch, bis sich sein Geschlecht so weit vermehrete, [daß] die angeregte Zahl der gefallenen Engel damit ersetzt werden könnte, darauf wohnen, Gott loben und sich aller anderer erschaffenen Dinge auf der ganzen Erdkugel, als worüber ihn Gott zum Herrn gemachet, zu Gottes Ehren und zu seines Nahrung bedörftigen Leibes Aufenthaltung bedienen sollte. Damals hatte der Mensch diesen Unterscheid[124] zwischen ihm und den hl. Engeln, daß er mit der irdischen Bürde seines Leibes beladen und nicht wußte, was gut und böse war, und dahero auch nicht so stark und geschwind als ein Engel sein konnte, hatte hingegen aber auch nichts Gemeines mit den unvernünftigen Tieren. Demnach er aber durch den Sündenfall im Paradeis seinen Leib dem Tod unterwarf, schätzten wir ihn das Mittel zu sein zwischen den heiligen Engeln und den unvernünftigen Tieren. Dann gleichwie eine heilige entleibte Seele eines zwar irdischen, doch himmlisch gesinnten Menschen alle gute Eigenschaft eines heiligen Engels an sich hat, also ist der entseelte Leib eines irdischen Menschen, der Verwesung nach, gleich einem andern Aas eines unvernünftigen Tiers. Uns selbsten aber schätzen wir vor das Mittel zwischen euch und allen andern lebendigen Kreaturen der Welt, sintemal, obgleich wir wie ihr vernünftige Seelen haben, so sterben jedoch dieselbige mit unsern Leibern gleich hinweg, gleichsam als wie die lebhafte Geister der unvernünftigen Tiere in ihrem Tod verschwinden. Zwar ist uns kundbar, daß ihr durch den ewigen Sohn Gottes, durch welchen wir dann auch erschaffen, aufs allerhöchste geadelt worden, indem er euer Geschlecht angenommen, der göttlichen Gerechtigkeit genuggetan, den Zorn Gottes gestillet und euch die ewige Seligkeit wiederum erworben, welches alles euer Geschlecht dem unserigen weit vorziehet. Aber ich rede und verstehe hier nichts von der Ewigkeit, weil wir deren zu genießen nicht fähig sein, sondern allein von dieser Zeitlichkeit, in welcher der allergütigste Schöpfer uns gnugsam beseligt, als mit einer guten gesunden Vernunft, mit Erkenntnüs des allerheiligsten Willens Gottes, soviel uns vonnöten, mit gesunden Leibern, mit langem Leben, mit der edlen Freiheit, mit gnugsamer Wissenschaft, Kunst und Verstand aller natürlichen Dinge; und endlich, so das allermeiste ist, sind wir keiner Sünde, und dannenhero auch keiner Strafe, noch dem Zorn Gottes, ja nicht einmal der geringsten Krankheit unterworfen, welches alles ich dir darum so weitläufig erzählet und auch deswegen der hl. Engel, irdischen Menschen und unvernünftigen Tieren gedacht, damit du mich desto besser verstehen könnest.« Ich antwortete, es wollte mir dannoch nicht in Kopf, da sie keiner Missetat und also auch keiner Strafe unterworfen, worzu sie dann eines Königs bedürftig; item, wie sie sich der Freiheit rühmen könnten, wann sie einem König unterworfen; item, wie sie geboren werden und wieder sterben könnten, wann sie gar keinen Schmerzen oder Krankheit zu leiden geartet wären. Darauf antwortete mir das[125] Prinzlein, sie hätten ihren König nicht, daß er Justitiam administrieren, noch daß sie ihm dienen sollten, sondern daß er wie der König oder Weisel in einem Immenstock ihre Geschäfte dirigiere, und gleichwie ihre Weiber in coitu keine Wollust empfänden, also sein sie hingegen auch in ihren Geburten keinen Schmerzen unterworfen, welches ich etlichermaßen am Exempel der Katzen abnehmen und glauben könnte, die zwar mit Schmerzen empfahen, aber mit Wollust gebären. So stürben sie auch nicht mit Schmerzen oder aus hohem gebrechlichem Alter, weniger aus Krankheit; sondern gleichsam als ein Liecht verlösche, wann es seine Zeit geleuchtet habe, also verschwinden auch ihre Leiber samt der Seelen. Gegen der Freiheit, deren er sich gerühmt, sei die Freiheit des allergrößten Monarchen unter uns irdischen Menschen gar nichts, ja nicht soviel als ein Schatten zu rechnen; dann sie könnten weder von uns noch andern Kreaturen getötet noch zu etwas Unbeliebigem genötiget, viel weniger befängnüst werden, weil sie Feuer, Wasser, Luft und Erde ohn einzige Mühe und Müdigkeit (von deren sie gar nichts wüßten) durchgehen könnten. Darauf sagte ich: »Wann es mit euch so beschaffen, so ist euer Geschlecht von unserm Schöpfer weit höher geadelt und beseligt als das unserige.« – »Ach nein!« antwortete der Fürst, »ihr sündiget, wann ihr dies glaubet, indem ihr die Güte Gottes einer Sache beschuldiget, die nicht so ist; dann ihr seid weit mehrers beseligt als wir, indem ihr zu der seligen Ewigkeit, um das Angesicht Gottes unaufhörlich anzuschauen, erschaffen, in welchem seligen Leben eurer einer, der selig wird, in einem einzigen Augenblick mehr Freude und Wonne als unser ganzes Geschlecht von Anfang der Erschaffung bis an den Jüngsten Tag geneußt.« Ich sagte: »Was haben darum die Verdammte davon?« Er antwortete mir mit einer Widerfrage und sagte: »Was kann die Güte Gottes davor, wann euer einer sein selbst vergisset, sich der Kreaturen der Welt und deren schändlichen Wollüsten ergiebet, seinen viehischen Begierden den Zügel schießen lässet, sich dadurch dem unvernünftigen Viehe, ja durch solchen Ungehorsam gegen Gott mehr den höllischen als seligen Geistern gleichmachet? Solcher Verdammten ewiger Jammer, worein sie sich selbst gestürzt haben, benimmt darum der Hoheit und dem Adel ihres Geschlechts nichts, sintemal sie so wohl als andere in ihrem zeitlichen Leben die ewige Seligkeit hätten erlangen mögen, da sie nur auf dem darzu verordneten Weg hätten wandlen wollen.«[126]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 122-127.
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