Das vierzehnte Kapitel.

[127] Simplex noch weiter sehr viel diskuriert,

Als er vom Prinzen wird weitergeführt.


Ich sagte zu dem Fürstlein, weil ich auf dem Erdboden ohndas mehr Gelegenheit hätte, von dieser Materia zu hören, als ich mir zunutz machte, so wollte ich ihn gebeten haben, er wollte mir doch davor die Ursache erzählen, warum zuzeiten ein so groß Ungewitter entstehe, wann man Steine in solche See werfe; dann ich erinnerte mich von dem Pilatussee im Schweizerland ebendergleichen gehört, und vom See Camarina in Sicilia ein solches gelesen zu haben, von welchem die Phrasis entstanden »Camarinam movere«. Er antwortete: »Weil alles, das schwer ist, nicht eher gegen dem Centro terrae zu fallen aufhöret, wann es in ein Wasser geworfen wird, es treffe dann einen Boden an, darauf es unterwegs liegen verbleibe, hingegen diese Seen alle miteinander bis auf das Zentrum ganz bodenlos und offen seind, also daß die Steine, so hineingeworfen werden, notwendig und natürlicherweise in unsere Wohnung fallen und liegen bleiben müßten, wann wir sie nicht wieder zu ebendem Ort, da sie herkommen, von uns hinausschafften; als tun wir solches mit einer Ungestüme, damit der Mutwille derjenigen, so sie hineinzuwerfen pflegen, abgeschreckt und im Zaum gehalten werden möge, so dann eins von den vornehmsten Stücken unsers Geschäfts ist, darzu wir erschaffen. Sollten wir aber gestatten oder gleichsam stillschweigend leiden, daß ohn dergleichen Ungewitter die Steine eingeschmissen und wieder ausgeschafft würden, so käme es endlich darzu, daß wir nur mit denen mutwilligen Leuten zu tun hätten, die uns täglich von allen Orten der Welt her aus Kurzweile Steine zusendeten. Und an dieser einzigen Verrichtung, die wir zu tun haben, kannst du die Notwendigkeit unsers Geschlechts abnehmen, sintemal, da obigergestalt die Steine von uns nicht ausgetragen und doch täglich durch soviel dergleichen unterschiedliche Seen, die sich hin und wieder in der Welt befinden, dem Centro terrae, darin wir wohnen, so viel zugeschickt würden, so müßten endlich zugleich die Gebäude, damit das Meer an die Erde geheftet und befestiget, zerstöret, und die Gänge, dadurch die Quellen aus dem Abgrund des Meers hin und wieder auf die Erde geleitet, verstopft werden, das dann nichts anders als eine schädliche Konfusion und der ganzen Welt Untergang mit sich bringen könnte.«

Ich bedankte mich dieser Kommunikation und sagte: »Weil[127] ich verstehe, daß euer Geschlecht durch solche See alle Quellen und Flüsse auf dem ganzen Erdboden mit Wasser versiehet, so werdet ihr auch Bericht neben können, warum sich die Wasser nicht alle gleich befinden, beides, an Geruch, Geschmack etc. und der Kraft und Würkung, da sie doch ihre Wiederkehrung, wie ich verstanden, ursprünglich alle aus dem Abgrund des großen Oceani hernehmen, darein sich alle Wasser wiederum ergießen. Dann etliche Quellen seind liebliche Saurbrünnen und taugen zu der Gesundheit; etliche sind zwar saur, aber unfreundlich und schädlich zu trinken, und andere seind gar tödlich und vergift, wie derjenige Brunn in Arcadia, damit Jolla dem Alexandro Magno vergeben haben solle. Etliche Brunnquellen seind laulicht, etliche siedent heiß, und andere eiskalt; etliche fressen durch Eisen als Aqua fort, wie einer in Zepusio oder der Grafschaft Zips in Ungarn; andere hingegen heilen alle Wunden, als sich dann einer in Thessalia befinden solle; etliche Wasser werden zu Stein, andere zu Salz und etliche zu Victriol. Der See bei Zirknitz in Kärnten hat nur Winterszeit Wasser, und im Sommer liegt er allerdings trocken; der Brunn bei Aengstlen lauft nur Sommerszeit und zwar nur zu gewissen Stunden, wann man das Viehe tränket; der Schändlebach bei Obernähenheim lauft nicht eher, als wann ein Unglück übers Land kommen solle. Und der Fluvius Sabbaticus in Syria bleibet allezeit den siebenden Tag gar aus, worüber ich mich oftermal, wann ich der Sache nachgedacht und die Ursache nit ersinnen können, zum allerhöchsten verwundern mußte.«

Hierauf antwortete der Fürst, diese Dinge alle miteinander hätten ihre natürliche Ursachen, welche dann von den Naturkündigern unsers Geschlechtes mehrenteils aus denen unterschiedlichen Gerüchen, Geschmacken, Kräften und Würkungen der Wasser genugsam erraten, abgenommen und auf dem Erdboden wären offenbaret und bekannt gemacht worden. Wann ein Wasser von ihrer Wohnung an bis zu seinem Auslauf, welchen wir die Quelle nenneten, nur durch allerhand Steine laufe, so verbleibe es allerdings kalt und süß; dafern es aber auf solchem Weg durch und zwischen die Metalla passiere (dann der große Bauch der Erden sei innerlich nicht an einem Ort wie am andern beschaffen), als da sei Gold, Silber, Kupfer, Zinn, Blei, Eisen, Quecksilber etc., oder durch die halbe Mineralia, nämlich Schwefel, Salz mit allen seinen Gattungen, als naturale, sal gemmae, sal petrae, sal nativum, sal radicum, sal nitrum, sal armoniacum, sal petrae, etc. weiße, rote, gelbe und grüne Farben, Victril, marchasita aurea,[128] argentea, plumbea, ferrea, lapis lazuli, alumen, arsenicum, antimonium, risigallum, Electrum naturale, Chrisocolla, sublimatum etc., so nehme es deren Geschmack, Geruch, Art, Kraft und Würkung an sich, also daß es den Menschen entweder heilsam oder schädlich werde. Und ebendaher hätten wir so unterschiedlich Salz; dann etliches sei gut und etliches schlecht. »Zu Cervia und Comachio ist es ziemlich schwarz, zu Memphis rötlich, in Sicilia schneeweiß, das centaropische ist purpurfärbig und das cappadocische gelblecht. Betreffend aber die warme Wasser,« sagte er, »so nehmen dieselbe ihre Hitze von dem Feuer an sich, das in der Erde brennet, welches sowohl als unsere See hin und wieder seine Luftlöcher und Kamine hat, wie man am berühmten Berg Ätna in Sicilia, Hekla in Island, Gumapi in Banda, und andern mehr abnehmen mag. Was aber den Zirknitzer See anlanget, so wird dessen Wasser Sommerszeit bei der Kärntner Antipodibus gesehen und der Aengstlerbrunn an andern Orten des Erdbodens zu gewissen Stunden und Zeiten des Jahrs und Tags anzutreffen sein, ebendasjenige zu tun, was er bei den Schweizern verrichtet. Gleiche Beschaffenheit hat es mit der Obernäheimer Schändlibach, welche Quellen alle durch unsers Geschlechtes Leutlein nach dem Willen und Ordnung Gottes, um sein Lob dadurch bei euch zu vermehren, solchergestalt geleitet und geführet werden. Was den Fluvium Sabbaticum in Syria betrifft, pflegen wir in unsrer Wohnung, wann wir den siebenden Tag feiern, uns in dessen Ursprung und Kanal, als das lustigste Ort unsers ganzen Aequatori, sich zu lägern und zu ruhen, deswegen dann ermeldter Fluß nicht laufen mag, solang wir daselbst dem Schöpfer zu Ehren feierlich verharren.«

Nach solchem Gespräch fragte ich den Prinz, ob auch müglich sein könnte, daß er mich wieder durch einen andern als den Mummelsee auch an ein ander Ort der Erden auf die Welt bringen könnte. »Freilich,« antwortete er, »warum das nicht, wann es nur Gottes Wille ist? Dann auf solche Weise haben unsere Voreltern vor alten Zeiten etliche Kananäer, die dem Schwert Josua entronnen und sich aus Desperation in einen solchen See gesprenget, in Americam geführet, maßen deren Nachkömmlinge noch auf den heutigen Tag den See zu weisen wissen, aus welchem ihre Ureltern anfänglich entsprungen und hervorgekommen.« Als ich nun sahe, daß er sich über meine Verwunderung verwunderte, gleichsam als ob seine Erzählung nicht verwundernswürdig wäre, sagte ich zu ihm, ob sie sich dann nicht auch verwunderten, da sie etwas Seltenes und Ungewöhnliches von uns Menschen sahen. Hierauf antwortete er: »Wir[129] verwundern uns an euch nichts mehrers, als daß ihr euch, da ihr doch zum ewigen seligen Leben und den unendlichen himmlischen Freuden erschaffen, durch die zeitliche und irdische Wollüste, die doch so wenig ohne Unlust und Schmerzen als die Rosen ohn Dörner sind, dergestalt betören lassen, daß ihr dardurch eure Gerechtigkeit am Himmel verlieret, euch der fröhlichen Anschauung des allerheiligsten Angesichtes Gottes beraubet und zu den verstoßenen Engeln in die ewige Verdammnüs stürzet! Ach, möchte unser Geschlecht an eurer Stelle sein, wie würde sich jeder befleißen, in dem Augenblick eurer nichtigen und flüchtigen Zeitlichkeit die Probe besser zu halten als ihr. Dann das Leben, so ihr habet, ist nicht euer Leben; sondern euer Leben oder der Tod wird euch erst gegeben, wann ihr die Zeitlichkeit verlasset; das aber, was ihr das Leben nennet, ist gleichsam nur ein Moment und Augenblick, so euch verliehen ist, Gott darin zu erkennen und ihm euch zu nähern, damit er euch zu sich nehmen möge. Dannenhero halten wir die Welt vor einen Probierstein Gottes, auf welcher der Allmächtige die Menschen, gleichwie sonst ein reicher Mann das Gold und Silber, probieret und, nachdem er ihren Valor am Strich befindet oder nachdem sie sich durchs Feuer läutern lassen, die gute und seine Gold- und Silbersorten in seinen himmlischen Schatz leget, die böse und falsche aber ins ewige Feuer wirft, welches euch dann euer Heiland und unser Schöpfer mit dem Exempel vom Weizen und Unkraut gnugsam vorgesaget und offenbaret hat.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 127-130.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon