Das siebzehnte Kapitel.

[138] Simplex wird wieder auf die Erd gebracht,

Luftgebäu, Grillen, Kalender er macht.


Indessen hatte sich die Zeit genähert, daß ich wieder heim sollte; derhalben befahl der König, ich sollte mich vernehmen lassen, womit ich vermeine, daß er mir einen Gefallen tun könnte. Da sagte ich, es könnte mir keine größere Gnade widerfahren, als wann er mir einen rechtschaffenen medizinalischen Saurbrunn auf meinem Hof würde zukommen lassen. »Ist es mir das?« antwortete der König. »Ich hätte vermeint, du würdest etliche große Smaragden aus dem amerikanischen Meer mit dir genommen und gebeten haben, dir solche auf den Erdboden passieren zu lassen. Jetzt sehe ich, daß kein Geiz bei euch Christen ist.« Mithin reichte er mir einen Stein von seltsamen variierenden Farben und saute: »Diesen stecke zu dir, und wo du ihn hin auf den Erdboden legen wirst, daselbst wird er anfahen, das Zentrum wieder zu suchen und die bequemste Mineralia durchgehen, bis er wieder zu uns kommt und dir unsertwegen eine herrliche Sauerbrunnquelle zuschicket, die dir so wohl bekommen und zuschlagen soll, als du mit Eröffnung der Wahrheit um uns verdienet hast.« Darauf nahm mich der Fürst vom Mummelsee alsbald wieder in sein Geleit und passierte mit mir den Weg und See wieder zurück, durch welchen wir herkommen waren, etc.

Diese Heimfahrt dünkte mich viel weiter als die Hinfahrt, also daß ich auf dritthalb tausend wohlgemessener teutscher Schweizermeilen rechnete; es war aber gewiß die Ursache, daß mir die Zeit so lang ward, weil ich nichts mit meiner Convoy redete als blößlich, daß ich von ihnen vernahm, sie würden bis 3-, 4- oder 500 Jahre alt, und solche Zeit lebten sie ohne einzige Krankheit. Im übrigen war ich im Sinn mit meinem Saurbrunn so reich und groß, daß alle meine Gedanken und Witz genug zu tun hatten, zu beratschlagen, wo ich ihn hinsetzen und wie ich mir ihn zunutz machen wollte. Da hatte ich allbereit meine Anschläge wegen der ansehnlichen Gebäue, die ich darzu setzen müßte, damit die Badgäste auch rechtschaffen akkommodiert sein und ich hingegen ein großes Losamentgelt aufheben möchte.[138] Ich ersann schon, durch was vor Schmiralia ich die Medicos persuadieren wollte, daß sie meinen neuen Wunder-Saurbrunn allen andern, ja gar dem Schwalbacher vorziehen und mir einen Haufen reiche Badgäste zuschaffen sollten. Ich machte schon ganze Berge eben, damit sich die Ab- und Zufahrende über keinen mühesamen Weg beschwereten; ich dingete schon verschmitzte Hausknechte, geizige Köchinnen, vorsichtige Bettmägde, wachtsame Stallknechte, saubere Bad- und Brunnenverwalter, und sann auch allbereits einen Platz aus, auf welchen ich mitten im wilden Gebürge bei meinem Hof einen schönen ebenen Luftgarten pflanzen und allerlei rare Gewächse darin zielen wollte, damit sich die fremde Herren Badgäste und ihre Frauen darin erspazieren, die Kranke erfrischen und die Gesunde mit allerhand kurzweiligen Spielen ergötzen und errammlen können. Da mußten mir die Medici, doch um die Gebühr, einen herrlichen Traktat von meinem Wunderbrunn und dessen köstlichen Qualitäten zu Papier bringen, welchen ich alsdann neben einem schönen Kupferstück, darein mein Baurnhof, im Grundriß entworfen, wollte drucken lassen, aus welchem ein jeder abwesender Kranker sich gleichsam halb gesund lesen und hoffen möchte. Ich ließ alle meine Kinder von L. holen, sie allerhand lernen zu lassen, das sich zu meinem neuen Bad schickte; doch dorfte mir keiner kein Bader werden, dann ich hatte mir vorgenommen, meinen Gästen, obzwar nicht den Rücken, doch aber ihren Beutel tapfer zu schrepfen.

Mit solchen reichen Gedanken und überglückseligem Sinnhandel erreichte ich wiederum die Luft, maßen mich der vielgedachte Prinz allerdings mit trockenen Kleidern aus seinem Mummelsee ans Land satzte; doch mußte ich das Kleinod, so er mir anfänglich geben, als er mich abgeholet, stracks von mir tun, dann ich hätte sonst in der Luft entweder ersaufen oder, Atem zu holen, den Kopf wieder ins Wasser stecken müssen, weil gedachter Stein solche Würkung vermochte. Da nun solches geschehen und er denselben wieder zu sich genommen, beschirmten wir einander als Leute, die einander nimmermehr wiederzusehen würden bekommen. Er duckte sich und fuhr wieder mit den Seinigen in seinen Abgrund; ich aber gieng mit meinem lapide, den mir der König geben hatte, so voller Freuden davon, als wann ich das goldene Fell aus der Insel Kolchis davongebracht hätte.

Aber ach! meine Freude, die sich selbst vergeblich auf eine immerwährende Beständigkeit gründete, währete gar nicht lang; dann ich war kaum von diesem Wundersee hinweg, als ich bereits[139] anfieng, in dem ungeheuren Wald zu verirren, weil ich nicht Achtung geben hatte, von wannen her mein Knän mich zum See gebracht. Ich gieng ein gut Stück Wegs fort, eh ich meiner Verirrung gewahr ward, und machte noch immerfort Kalender, wie ich den köstlichen Saurbrunn auf meinem Hof setzen, wohl anlegen und mir dabei einen geruhigen Herrnhandel schaffen möchte. Dergestalt kam ich unvermerkt je länger je weiter von dem Ort, wohin ich am allermeisten begehrete, und was das schlimmste war, ward ichs nicht eher inn, bis sich die Sonne neigete und ich mir nicht mehr zu helfen wußte. Da stund ich mitten in einer Wildnus wie Matz von Dresden, beides ohn Speis und Gewehr, dessen ich gegen die bevorstehende Nacht wohl bedörftig gewesen wäre. Doch tröstete mich mein vortrefflicher Stein, den ich mit mir aus dem innersten Eingeweide der Erden herausgebracht hatte. »Gedult! Gedult!« sagte ich zu mir selber, »dieser wird dich aller überstandenen Not wiederum ergötzen! Gut Ding will Weile haben, und vortreffliche Sachen werden ohne große Mühe und Arbeit nicht erworben. Wer den Nußkern essen will, muß zuvor die harte Schalen aufbeißen, sonst würde jeder Narr ohn Schnaufens und Bartwischens einen solchen edlen Saurbrunn, wie du einen bei dir in der Tasche hast, seines Gefallens zuwege bringen.«

Da ich mir nun solchergestalt zugesprochen, faßte ich zugleich mit der neuen Resolution auch neue Kräfte, maßen ich weit tapferer als zuvor auf die Sohlen trat, obgleich mich die Nacht darüber ereilete. Der Vollmond leuchtete mir zwar sein, aber die hohe Tannen ließen mir sein Liecht nicht so wohl gedeihen, als denselben Tag das tiefe Meer getan hatte. Doch kam ich so weit fort, bis ich um Mitternacht von weitem ein Feuer gewahr ward, auf welches ich den geraden Weg zugieng und von fern sahe, daß sich etliche Waldbauren darbei befanden, die mit dem Harz zu tun hatten. Wiewohl nun solchen Gesellen nicht all zeit zu trauen, so zwang mich doch die Not und riet mir meine eigne Courage, ihnen zuzusprechen; ich hinterschlich sie unversehens und sagte: »Gute Nacht, oder guten Tag, oder guten Morgen, oder guten Abend, ihr Herren! Saget mir zuvor, um welche Zeit es sei, damit ich euch darnach zu grüßen wisse.« Da stunden und saßen sie alle sechse, vor Schrecken zitternd, und wußten nicht, was sie mir antworten sollten; dann weil ich einer von den Längsten bin und eben damals noch wegen meines jüngst verstorbenen Weibleins sel. ein schwarz Trauerkleid anhatte, zumalen einen schrecklichen Prügel in Händen trug, auf welchen ich mich wie ein wilder Mann steurete, kam ihnen meine[140] Gestalt recht abscheulich und entsetzlich vor. »Wie?« sagte ich, »will mir dann keiner antworten?« Sie verblieben aber noch eine gute Weile erstaunt, bis sich endlich einer erholete und sagte: »Wear ischt dan der Hair?« Da hörete ich, daß es eine schwäbische Nation sein müßte, die man zwar (aber vergeblich) vor einfältig schätzet, sagte derowegen, ich sei ein fahrender Schüler, der jetzo erst aus dem Venusberg komme und einen ganzen Haufen wunderliche Künste gelernet hätte. »Oho!« antwortete der älteste Bauer, »jetzt glaube ich gottlob! daß ich den Frieden wieder erleben werde, weil die fahrende Schüler wieder anfangen zu reisen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 138-141.
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