Das achtzehnte Kapitel.

[141] Simplex verzettet am unrechten Ort

Seinen Saurbronnen und geht weiter fort.


Also kamen wir miteinander ins Gespräch, und ich genoß so vieler Höflichkeit von ihnen, daß sie mich hießen zum Feur niedersitzen und mir ein Stück Schwarzbrot und magern Kühkäs anboten, welches ich dann alle beide acceptierte. Endlich wurden sie so verträulich, daß sie mir zumuteten, ich sollte ihnen als ein fahrender Schüler gute Wahrheit sagen. Und weil ich mich sowohl auf die Physiognomiam als Chiromantiam um etwas verstund, fieng ich an, einem nach dem andern aufzuschneiden, was ich meinete, daß sie kontentieren würde, damit ich bei ihnen meinen Kredit nicht verliere; dann es war mir bei dieser wilden Waldbursche nicht allerdings heimlich. Sie begehreten, allerhand fürwitzige Künste von mir zu lernen, ich aber vertröstete sie auf den künftigen Tag und begehrete, daß sie mich ein wenig wollten ruhen lassen. Und demnach ich solchergestalt einen Zigeiner agiert hatte, legte ich mich ein wenig beiseits, mehr zu horchen und zu vernehmen, wie sie gesinnet, als daß ich großen Willen (wiewohl es am Appetit nit mangelte) zu schlafen gehabt hätte. Je mehr ich nun schnarchte, je wachtsamer sie sich erzeigeten; sie stießen die Köpfe zusammen und fiengen an, um die Wette zu raten, wer ich doch sein möchte. Vor keinen Soldaten wollten sie mich halten, weil ich ein schwarz Kleid antrug, und vor keinen Burgerskerl konnten sie mich nicht schätzen, weil ich zu einer solchen ungewöhnlichen Zeit so fern von den Leuten in das Mückenloch (so heißet der Wald) angestochen käme. Zuletzt beschlossen sie, ich müßte ein lateinischer Handwerksgeselle sein, der verirret wäre, oder meinem eigenen Vorgeben nach ein[141] fahrender Schüler, weil ich so trefflich wahrsagen könnte. »Ja«, fieng dann ein ander an und sagte: »Er hat darum nicht alles gewußt; er ist etwan ein loser Krieger und hat sich so verkleidet, unser Viehe und die Schliche im Wald auszukündigen. Ach, daß wir es wüßten, wir wollten ihn schlafen legen, daß er das Aufwachen vergessen sollte. Es ist nit jeden zu trauen: Eier in die Pfanne, so werden keine Jungen daraus.« Geschwind war ein ander da, der diesem Widerstand hielt und mich vor etwas anders ansahe. Indessen lag ich dort und spitzte die Ohren; ich gedachte: »Werden mich diese Knollfinken angreifen, so muß mir zuvor einer oder drei ins Gras beißen, eh sie mich mitnehmen und aufopfern.«

Demnach nun diese so ratschlagten und ich mich mit Sorgen ängstigte, ward mir gähling, als ob einer bei mir läge, der ins Bett brunzte; dann ich lag unversehens ganz naß. 0 mirum! da war Troja verloren, und alle meine treffliche Anschläge waren dahin, dann ich merkte am Geruch, daß es mein Saurbrunn war. Da geriet ich vor Zorn und Unwillen in eine solche Raserei, daß ich mich beinahe allein hinter die sechs Baurn gelassen und mit ihnen herumgeschlagen hätte. »Ihr gottlose Flegel,« sagte ich zu ihnen, als ich mit meinem schröcklichen Prügel aufgesprungen war, »an diesem Sauerbrunn, der auf meiner Lägerstatt hervorquillet, könnet ihr merken, wer ich sei. Es wäre kein Wunder, ich strafte euch alle, daß euch der Teufel holen möchte, weil ihr so böse Gedanken in Sinn nehmen dörfen!« machte darauf so bedrohliche und erschröckliche Mienen, daß sie sich alle vor mir entsatzten. Doch kam ich gleich wieder zu mir selber und merkte, was ich vor eine Torheit begieng. »Nein,« gedachte ich, »besser ist es, den Saurbrunn als das Leben verloren, das du leicht einbüßen kannst, wann du dich hinter diese Limmel und Knollfinken machest«; gab ihnen derhalben wieder gute Worte und sagte, eh sie sich etwas anders entsinnen konnten: »Stehet auf und versuchet den herrlichen Saurbrunn, den ihr und alle Harz- und Holzmacher hinfort in dieser Wildnus meinetwegen zu genießen haben werdet!« Sie konnten sich in mein Gespräch nicht richten, sondern sahen einander an wie lebendige Stockfische, bis sie sahen, daß ich sein nüchtern aus meinem Hut den ersten Trunk tät. Da stunden sie nacheinander vom Feuer auf, darum sie gesessen, besahen das Wunder und versuchten das Wasser, und anstatt daß sie mir darum hätten dankbar sein sollen, fiengen sie an zu lästern und sagten, sie wollten, daß ich mit meinem Saurbrunn an ein ander Ort geraten wäre; dann sollte ihre Herrschaft dessen innwerden, so[142] müßte das ganze Amt Dornenstet frönen und Wege darzu machen, welches ihnen dann eine große Beschwerlichkeit sein würde. »Hingegen«, sagte ich, »habet ihr dessen alle zu genießen, euere Hühner, Eier, Butter, Viehe und anders könnet ihr besser aus Geld bringen!« – »Nein, nein,« sagten sie, »nein! die Herrschaft setzt einen Wirt hin, der wird allein reich, und wir müssen seine Narren sein, ihm Wege und Stege erhalten und werden noch keinen Dank darzu davon haben!« Zuletzt entzweiten sie sich, zween wollten den Saurbrunn behalten und ihrer vier muteten mir zu, ich sollte ihn wieder abschaffen, welches, da es in meiner Macht gestanden wäre, ich wohl ohn sie wollte getan haben, es wäre ihnen gleich lieb oder leid gewesen.

Weil dann nunmehr der Tag vorhanden war und ich nichts mehr da zu tun hatte, zumalen besorgen muhte, wir würden, da es noch lang herumgieng, einander endlich in die Haare geraten, sagte ich, wann sie nicht wollten, daß alle Kühe im ganzen Baiersbrunner Tal rote Milch geben sollten, solang der Brunn liefe, so sollten sie mir alsobald den Weg in Seebach weisen, dessen sie dann wohl zufrieden, und mir zu solchem Ende zwei mitgaben, weil sich einer allein bei mir fürchtete.

Also schied ich von dannen, und obzwar dieselbe ganze Gegend einem wüsten Arabien gleich und sehr unfruchtbar war und nichts als Tannzapfen trug, so hätte ich sie doch noch elender verfluchen mögen, weil ich alle meine Hoffnung daselbst verloren. Doch gieng ich stillschweigend mit meinen Wegweisern fort, bis ich auf die Höhe des Gebürgs kam, allwo ich mich dem Geländ nach wieder ein wenig erkennen konnte. Da sagte ich zu ihnen: »Ihr Herren könnet euch euren neuen Saurbrunn trefflich zunutz machen, wann ihr nämlich hingehet und eurer Obrigkeit dessen Ursprung anzeiget; dann da würde es eine treffliche Verehrung setzen, weil alsdann der Fürst selbigen zur Zierde und Nutz des Landes aufbauen und zu Vermehrung seines Interesse aller Welt wird bekanntmachen lassen.« – »Ja,« sagten sie, »da wären wir wohl Narren, daß wir uns eine Rute auf unsern eigenen Hindern machten; wir wollten lieber, daß dich der Teufel mitsamt deinem Saurbrunn holete: du hast genug gehört, warum wir ihn nicht gern sehen.« Ich antwortete: »Ach ihr heillose Tropfen, sollte ich euch nicht meineidige Schelmen schelten, daß ihr aus der Art eurer frommen Voreltern so fern abtrettet? Dieselbige waren ihrem Fürsten so getreu, daß er sich ihrer rühmen dorfte, er getraue, in eines jeden seiner Untertanen Schoß seinen Köpf zu legen und darin sicherlich zu schlafen; und ihr Mausköpfe seid nicht so ehrlich einer besorgenden[143] geringen Arbeit willen, darum ihr doch mit der Zeit wieder ergötzt würdet, und deren all euere Nachkömmlinge reichlich zu genießen hätten, beides, eurem hochlöblichen Fürsten zunutz und manchem elenden Kranken zur Wohlfahrt und Gesundheit, diesen heilsamen Sauerbrunn zu offenbaren. Was sollte es sein, wanngleich etwan jeder ein paar Tage darzu frönte und es ihm sauer werden ließe?« – »Was?« sagten sie, »wir wollten dich, damit dein Sauerbrunn verborgen bleibe, ehender im Fron totschlagen!« – »Ihr Vögel,« sagte ich, »es müßten eurer mehr sein!« zuckte darauf meinen Prügel und jagte sie damit für alle Sankt Velten hinweg, gieng folgends gegen Niedergang und Mittag bergabwärts und kam nach vieler Mühe und Arbeit gegen Abend wieder heim auf meinen Bauernhof, im Werk wahr zu sein befindende, was mir mein Knän zuvor gesaget hatte, daß ich nämlich von dieser Wallfahrt nichts als müde Beine und den Hergang vor den Hingang haben würde.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 141-144.
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