Das zweite Kapitel.

[88] Simplex tut Buß, klagt und will frömmer werden,

Als ihm der Satan antät viel Beschwerden.


Solchergestalt langten wir zu Einsiedlen an und kamen eben in die Kirche, als ein Priester einen Besessenen exorzisieret; das war mir nun auch etwas Neues und Seltsams, derowegen ließ ich Herzbrudern knieen und beten, solang er mochte, und gieng hin, diesem Spektakul aus Fürwitz zuzusehen. Aber ich hatte mich kaum ein wenig genähert, da schriee der böse Geist aus dem armen Menschen: »Oho, du Kerl, schlägt dich der Hagel auch her? Ich habe vermeint, dich zu meiner Heimkunft bei dem[88] Olivier in unsrer höllischen Wohnung anzutreffen; so sehe ich wohl, du läßt dich hier finden, du ehebrecherischer, mörderischer Hurenjäger. Darfst du dir wohl einbilden, uns zu entrinnen? O ihr Pfaffen! nehmet ihn nur nicht an, er ist ein Gleisner und ärgerer Lügner als ich, er foppt sich nur und spottet beides, Gott und der Religion.« Der Exorzist befahl dem Geist zu schweigen, weil man ihm als einen Erzlügner ohndas nicht glaube. »Ja ja!« antwortete er, »fraget dieses ausgesprungenen Mönchs Reisgesellen, der wird euch wohl erzählen können, daß dieser Atheist sich nit gescheuet, die Erbsen zu kochen, auf welchen er hieher zu gehen versprochen.« Ich wußte nit, ob ich auf dem Kopf oder Füßen stund, da ich dieses alles hörete und mich jedermann ansahe; aber der Priester strafte den Geist und machte ihn stillschweigen, konnte ihn aber denselben Tag nicht austreiben. Indessen kam Herzbruder auch herzu, als ich eben vor Angst mehr einem Toten als Lebendigen gleichsahe und zwischen Hoffnung und Verzweiflung vor Furcht nicht wußte, was ich tun sollte. Dieser tröstete mich, so gut als er konnte, versicherte darneben die Umstehende und sonderlich die Patres, daß ich mein Tage nie kein Mönch gewesen, aber wohl ein Soldat, der vielleicht mehr Böses als Gutes getan haben möchte, sagte darneben, der Teufel wäre ein Lügner, wie er dann auch das von den Erbsen viel ärger gemachet hätte, als es an sich selbst wäre. Ich aber war in meinem Gemüt dermaßen verwirret, daß mir nicht anders war, als ob ich allbereit die höllische Pein selbst empfände, also daß die Geistlichen genug an mir zu trösten hatten. Sie vermahnten mich zur Beichte und Kommunion, aber der Geist schrie abermal aus dem Besessenen: »Ja ja, er wird fein beichten! er weiß nicht einmal, was beichten ist! Und zwar, was wollet ihr aus ihm machen? Er ist einer ketzerischen Art und uns zuständig, seine Eltern sein mehr wiedertäuferisch als kalvinisch gewesen etc.« Der Exorzist befahl dem Geist abermal stillzuschweigen und sagte zu ihm: »So wird dichs nur desto mehr verdrießen, wann dir das arme verlorne Schäflein wieder aus dem Rachen gezogen und der Herde Christi einverleibet wird.« Darauf fieng der Geist so grausam an zu brüllen, daß es schröcklich zu hören war; aus welchem greulichen Gesang ich meinen größten Trost schöpfte, dann ich gedachte, wann ich keine Gnade von Gott mehr erlangen könnte, so würde sich der Teufel nicht so übel gehaben.

Wiewohl ich mich damals auf die Beichte nicht gefaßt gemachet, auch mein Lebtag nie in Sinn genommen zu beichten, sondern mich jederzeit aus Scham davor gefürchtet, wie der[89] Teufel vorm hl. Kreuz, so empfand ich jedoch in selbigem Augenblick in mir eine solche Reue über meine Sünden und eine solche Begierde zur Buße und mein ärgerliches und recht gottloses Leben zu bessern, daß ich alsobald einen Beichtvatter begehrte, über welcher gählingen Bekehrung und Besserung sich Herzbruder höchlich erfreuete, weil er wahrgenommen und wohl gewußt, daß ich bisher noch keiner Religion beigetan gewesen. Demnach bekannte ich mich öffentlich zu der katholischen Kirche, gieng zur Beichte und kommunizierte nach empfangener Absolution, worauf mir dann so leicht und wohl ums Herz ward, daß ichs nicht aussprechen kann. Und was das verwunderlichste war, ist dieses, daß mich der Geist in dem Besessenen fürterhin zu frieden ließ, da er mir doch vor der Beicht und Absolution unterschiedliche Bubenstücke, die ich begangen gehabt, so eigentlich vorgeworfen, als wann er auf sonst nichts als meine Sünden anzumerken bestellet gewesen wäre: doch glaubten ihm als einem Lügner die Zuhörer nichts, sonderlich weil mein ehrbarer Pilgerhabit ein anders vor die Augen stellete.

Wir verblieben vierzehen ganzer Tage an diesem gnadenreichen Ort, allwo ich Gott um meine Bekehrung dankte und die Wunder, so allda geschehen, betrachtete, welches alles mich zu ziemlicher Andacht und Gottseligkeit reizete. Doch währete solches auch solang, als es mochte, dann gleichwie meine Bekehrung ihren Ursprung nicht aus Liebe zu Gott genommen, sondern aus Angst und Furcht verdammt zu werden, also ward ich auch nach und nach wieder ganz lau und träg, weil ich allmählich des Schreckens vergaß, den mir der böse Feind eingejaget hatte; und nachdem wir die Reliquien der Heiligen, die Ornat und andere sehenswürdige Sachen des Gotteshauses gnungsamen beschauet, begaben wir uns nach Baden, alldorten vollends auszuwintern.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 88-90.
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