Das zwanzigste Kapitel.

[147] Simplex von Schwarzwald nach Moskau in Reußen

Reiset; die Reis ist kurzweilig zu heißen.


Denselbigen Herbst näherten sich französische, schwedische und hessische Völker, sich bei uns zu erfrischen und zugleich die Reichsstadt in unserer Nachbarschaft, die von einem engländischen König erbauet und nach seinem Namen genennet worden, blockiert zu halten, deswegen dann jedermann sich selbst samt seinem Viehe und besten Sachen in die hohe Wälder flehnte. Ich machte es wie meine Nachbarn und ließ das Haus ziemlich leer stehen, in welches ein reformierter schwedischer Obrister logieret ward. Derselbe fand in meinem Kabinett noch etliche Bücher, dann ich in der Eil nicht alles hinwegbringen konnte, und unter andern einzige mathematische und geometrische Abrisse, auch etwas vom Fortifikationwesen, womit vornehmlich die Ingenieurs umgehen, schloß derhalben gleich, daß sein Quartier keinem gemeinen Bauer zuständig sein müßte, fieng derowegen an, sich um meine Beschaffenheit zu erkündigen und meiner Person selbsten nachzutrachten, maßen er selbsten durch courtoise Zuentbietungen und untermischte Drohworte mich dahinbrachte, daß ich mich zu ihm auf meinen Hof begab. Daselbst traktierte er mich gar höflich und hielt seine Leute dahin, daß sie mir nichts unnützlich verderben oder umbringen sollten. Mit solcher Freundlichkeit brachte er zuwege, daß ich ihm alle meine Beschaffenheit, vornehmlich aber mein Geschlecht und Herkommen vertraute. Darauf verwunderte er sich, daß ich mitten im Krieg so unter den Bauren wohnen und zusehen möchte, daß ein ander sein Pferd an meinen Zaun binde, da ich doch mit bessern Ehren das meinige an eines andern binden könnte; ich sollte, sagte er, den Degen wieder anhängen und meine Gaben, die mir Gott verliehen hätte, nicht so hinter dem Ofen[147] und bei dem Pflug verschimmlen lassen; er wüßte, wann ich schwedische Dienste annehmen würde, daß mich meine Qualitäten und Kriegswissenschaften bald hoch anbringen würden und ich noch zum vornehmen Cavalier ausschlagen könnte. Ich ließ mich hierzu gar kaltsinnig an und sagte, daß die Beförderung in weitem Feld stünde, wann einer keine Freunde hätte, die einem unter die Arme griffen. Hingegen replizierte er, meine Beschaffenheiten würden mir schon beides, Freunde und Beförderung, schaffen; überdas zweifle er nicht, daß ich nicht Verwandte bei der schwedischen Hauptarmee antreffen würde, die auch etwas gälten, dann bei derselben viel vornehme Schottische von Adel sich befänden. Ihm zwar, sagte er ferner, sei vom Torstenson ein Regiment versprochen; wann solches gehalten würde, woran er dann gar nicht zweifele, so wollte er mich alsbald zu seinem Obristleutenant machen. Mit solchen und dergleichen Worten machte er mir das Maul ganz wässerig, und weilen noch schlechte Hoffnung auf den Frieden zu machen war und ich deswegen sowohl fernerer Einquartierung als gänzlichen Ruins unterworfen, als resolvierete ich mich, wiederum mitzumachen, und versprach dem Obristen, mich mit ihm zu begeben, wofern er mir seine Parola halten und die Obristleutenantstelle bei seinem künftigen Regiment geben und anvertrauen wollte.

Also ward die Glocke gegossen; ich ließ meinen Knän oder Petter holen, dann derselbe war noch mit meinem Vieh zu Bayrischbrunn. Dem und seinem Weib verschrieb ich meinen Hof vor Eigentum, doch daß ihn nach seinem Tod mein Bastart Simplicius, der mir vor die Türe geleget worden, samt aller Zugehörde erben sollte, weil keine eheliche Erben vorhanden. Folgends holete ich mein Pferd und was ich noch vor Geld und Kleinodien hatte; und nachdem ich alle meine Sachen richtig und wegen Auferziehung erstermeldten meines wilden Sohns Anstalt gemachet, ward angeregte Blockada unversehens aufgehoben, also daß wir aufbrechen und zu der Hauptarmee marschieren mußten, eh wir sichs versahen. Ich agierte bei diesem Obristen einen Hofmeister und erhielt mit seinen Knechten und Pferden ihn und seine ganze Haushaltung mit Stehlen und Rauben, welches man auf soldatisch furagieren nennet.

Die Torstensonische Promessen, mit deren er sich auf meinem Hof so breit gemachet, waren bei weitem nicht so groß, als er vorgeben, sondern, wie mich bedünkte, ward er vielmehr nur über die Achsel angesehen. »Ach!« sagte er dann gegen mir, »was vor ein schlimmer Hund hat mich bei der Generalität eingehauen? Da wird meines Verbleibens nicht lang sein.«[148] Und demnach er argwöhnete, daß ich mich bei ihm in die Länge nicht gedulden würde, dichtete er Briefe, als wann er in Livland, allwo er dann zu Haus war, ein frisch Regiment zu werben hätte, und überredete mich damit, daß ich gleich ihm zu Wismar aufsaß und mit ihm in Livland fuhr. Da war es nun auch nobis, dann er hatte nicht allein kein Regiment zu werben, sondern war auch sonsten ein blutarmer Edelmann, und was er hatte, war seines Weibes Habe und zugebrachtes Gut.

Obzwar nun ich mich zweimal betrügen und soweit hinwegführen lassen, so gieng ich doch auch das drittemal an; dann er wiese mir Schreiben vor, die er aus der Moskau bekommen, in welchen ihm, seinem Vorgeben nach, hohe Kriegschargen angetragen wurden, maßen er mir dieselbige Schreiben so verteutschte und von richtiger und guter Bezahlung trefflich aufschnitte. Und weiln er gleich mit Weib und Kindern aufbrach, dachte ich: »Er wird ja um der Gänse willen nicht hinziehen«; begab mich derowegen voll guter Hoffnung mit ihm auf den Weg, weil ich ohndas kein Mittel und Gelegenheit sahe, vor diesmal wieder zurück in Teutschland zu kehren. Sobald wir aber über die reußische Grenze kamen und uns unterschiedliche abgedankte teutsche Soldaten, vornehmlich Offizierer, begegneten, fieng mir an zu graueln und sagte zu meinem Obristen: »Was Teufels machen wir? wo Krieg ist, da ziehen wir hinweg, und wo es Friede und die Soldaten unwert und abgedankt worden, da kommen wir hin!« Er aber gab mir noch immer gute Worte und sagte, ich sollte ihn nur sorgen lassen, er wisse besser, was zu tun sei als diese verzagte Kerles, an denen nicht viel gelegen.

Nachdem wir nun sicher in der Stadt Moskau ankommen, sahe ich gleich, daß es gefehlet hatte; mein Obrister konferierte zwar täglich mit den Magnaten oder viel mehr mit den Metropoliten als den Knesen, welches mir gar nicht spanisch, aber viel zu pfäffisch vorkam, so mir auch allerhand Grillen und Nachdenkens erweckte, wiewohl ich nicht ersinnen konnte, nach was vor einem Zweck er zielete. Endlich notifizierete er mir, daß es nichts mehr mit dem Krieg wäre, und daß ihn sein Gewissen treibe, die griechische Religion anzunehmen. Sein treuherziger Rat wäre, weil er mir ohndas nunmehr nicht helfen könnte, wie er versprochen, ich sollte ihm nachfolgen. Des Zarn Majestät hätte bereits gute Nachricht von meiner Person und guten Qualitäten; die würden gnädigst belieben, wofern ich mich akkommodieren wollte, mich als einen versuchten Cavalier mit einem stattlichen adeligen Gut und vielen Untertanen zu begnädigen,[149] welches allergnädigste Anerbieten nicht auszuschlagen wäre, indem einem jedwedern ratsamer wäre, an einem solchen großen Monarchen mehr einen allergnädigsten Herrn als einem ungeneigten Großfürsten zu haben. Ich ward hierüber ganz bestürzt und wußte nichts zu antworten, weil ich dem Obristen, wann ich ihn an einem andern Ort gehabt, die Antwort lieber im Gefühl als im Gehör zu verstehen geben hätte, mußte aber den Mantel nach dem Wind hängen, meine Leire anders stimmen und mich nach demjenigen Ort richten, darin ich mich gleichsam wie ein Gefangener befand, weswegen ich dann, eh ich mich auf eine Antwort resolvieren konnte, so lang stillschwieg. Endlich sagte ich zu ihm, ich wäre zwar der Meinung kommen, Ihrer Zarischen Majestät als ein Soldat zu dienen, worzu er, der Herr Obrister, mich daselbst veranlaßt hätte; sein nun Dieselbe meiner Kriegsdienste nicht bedörftig, so könnte ichs nicht ändern, viel weniger Derselben Schuld zumessen, daß ich Ihrentwegen einen so weiten Weg vergeblich gezogen, weil sie mich nicht zu Ihro zu kommen beschrieben; daß aber Dieselbe mir eine so hohe Zarische Gnade allergnädigsten widerfahren zu lassen geruheten, wäre mir mehr rühmlich, aller Welt zu rühmen, als solche alleruntertänigst zu akzeptieren und zu verdienen, weil ich mich, meine Religion zu mutieren, noch zurzeit nicht entschließen könne, wünschende, daß ich wiederum am Schwarzwald auf meinem Baurenhof säße, um niemanden einziges Anliegen noch Ungelegenheiten zu machen. Hierauf antwortete er: »Der Herr tue nach seinem Belieben; allein hätte ich vermeinet, wann ihn Gott und das Glück grüßete, so sollte er beiden billig danken. Wann er ihm aber ja nicht helfen lassen, noch gleichsam wie ein Prinz leben will, so verhoffe ich gleichwohl, er werde davorhalten, ich habe an ihm das meinige nach äußerstem Vermögen zu tun keinen Fleiß gesparet.« Daraufhin machte er einen tiefen Bückling, gieng seines Wegs und ließ mich dort sitzen, ohn baß er zulassen wollte, ihm nur bis vor die Türe das Geleite zu geben.

Als ich nun ganz perplex dort saß und meinen damaligen Zustand betrachtete, hörete ich zween reußische Wägen vor unserm Losament, sahe darauf zum Fenster hinaus und wie mein guter Herr Obrister mit seinen Söhnen in den einen, und die Frau Obristin mit ihren Töchtern in den andern einstieg. Es waren des Großfürsten Fuhren und Liberei, zumalen etliche Geistliche dabei, so diesem Ehevolk gleichsam aufwarteten und allen guten geneigten Willen erzeigeten.[150]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 147-151.
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