Das einundzwanzigste Kapitel.

[151] Simplex sagt, wies ihm in Moskau ergangen;

Pulver zu machen hat er angefangen.


Von dieser Zeit an ward ich zwar nicht offentlich, sondern heimlich durch etliche Strelitzen verwachet, ohn daß ichs einmal gewußt hätte, und mein Obrister oder die Seinige wurden mir nicht einmal mehr zu sehen, also daß ichs nicht wissen konnte, wo er hinkommen. Damals satzte es, wie leicht zu erachten, seltsame Grillen und ohn Zweifel auch viele graue Haare auf meinem Kopf. Ich machte Kundschaft mit den Teutschen, die sich beides, von Kauf- und Handwerksleuten, in der Moskau ordinari aufhalten, und klagte denselben mein Anliegen, und welchergestalt ich mit Gefährten hintergangen worden; die gaben mir Trost und Anleitung, wie ich wieder mit guter Gelegenheit in Teutschland kommen könnte. – Sobald sie aber Wind bekamen, daß der Zar mich im Land zu behalten entschlossen und mich hierzu dringen wollte, wurden sie alle zu Stummen an mir, ja sie äußerten sich auch meiner, und ward mir schwer, auch nur vor meinen Leib Herberge zu bekommen; dann ich hatte mein Pferd samt Sattel und Zeug bereits verzehret und trennete heut einen und morgen den andern Dukaten aus, die ich hiebevor zum Vorrat so weislich in meine Kleider vernähet hatte. Zuletzt fieng ich auch an, meine Ringe und Kleinodien zu versilbern, als der Hoffnung, mich solang zu enthalten, bis ich eine gute Gelegenheit, wieder in Teutschland zu kommen, erharren möchte. Indessen lief ein Vierteljahr herum, nach welchem oftgemeldter Obrister samt seinem Hausgesind wieder umgetauft und mit einem ansehenlichen adeligen Gut und vielen Untertanen wieder versehen ward.

Damals gieng ein Mandat aus, daß man, gleichwie unter den Einheimischen, also auch unter den Fremden keine Müßiggänger bei hoher unausbleiblicher Strafe mehr leiden sollte, als die den Arbeitenden nur das Brod vor dem Maul wegfräßen, und was von Fremden nicht arbeiten wollte, das sollte das ganze Land in einem Monat, die Stadt aber in vierundzwanzig Stunden raumen. Also schlugen sich unserer bei fünfzig zusammen der Meinung, unsern Weg in Gottes Namen durch Podoliam nacher Teutschland miteinander zu nehmen; wir wurden aber nicht gar zwo Stunden weit von der Stadt von etlichen reußischen Reutern wieder eingeholet mit dem Vorwand, daß Ihre Zarische Majestät ein groß Mißfallen hätte, daß wir uns frevelhafterweise[151] unterstanden, in so starker Anzahl sich zusammenzurotten und ohn Paß unsers Gefallens Dero Landen zu durchziehen, mit fernerm Anhang, daß Ihre Majestät nicht unbefugt wären, uns unsers groben Beginnens halber nach Syberien zu schicken. Auf demselben Zuruckweg erfuhr ich mit großer Betrübnus, wie mein Handel beschaffen war; dann derjenige, so den Troppen Reuter führete, sagte mir ausdrücklich, daß Ihre Zarische Majestät mich nicht aus dem Land lassen würden, sein treuherziger Rat wäre, ich sollte mich nach Dero Allergnädigstem Willen akkommodieren, mich zu ihrer Religion verfügen und, wie der Obrister getan, ein solch ansehenlich adelig Gut nicht verachten, mit Versicherung, wo ich dieses ausschlagen und bei ihnen nicht als ein Herr leben wollte, daß ich wider meinen Willen als ein Knecht dienen müßte; und würden auch Ihr Zarische Majestät nit zu verdenken sein, daß sie einen solchen wohlerfahrnen Mann, wie mich der oftgemeldte Obrister beschaffen zu sein beschrieben, nicht aus dem Land lassen wollten. Ich verringerte mich hierauf und sagte, der Herr Obrister würde mir vielleicht mehr Künste, Tugenden und Wissenschaften zugeschrieben haben, als ich vermöchte. Zwar wäre ich darum ins Land kommen, Ihrer Zarischen Majestät und der löblichen reußischen Nation auch mit Darsetzung meines Bluts wider Dero Feinde zu dienen; daß ich aber meine Religion ändern sollte, könnte ich mich noch nicht entschließen. Wofern ich aber in einzigerlei Wege Ihrer Zarischen Majestät ohne Beschwerung meines Gewissens würde dienen können, würde ich an meinem äußersten Vermögen nichts erwinden lassen.

Ich ward von den andern abgesondert und zu einem Kaufherrn logieret, allwo ich nunmehr offentlich verwachet, hingegen aber täglich mit herrlichen Speisen und köstlichem Getränk von Hof aus versehen wurde, hatte auch täglich Leute, die mir zusprachen und mich hin und wieder zu Gast luden. Sonderlich war einer, dem ich ohn Zweifel insonderheit befohlen war, ein schlauer Mann; der unterhielt mich täglich mit freundlichem Gespräch, dann ich konnte schon ziemlich reußisch reden. Dieser diskurierte mehrenteils mit mir von allerhand mechanischen Künsten, item von Kriegs- und andern Maschinen, vom Fortifikationwesen und der Artollerei etc. Zuletzt, als er unterschiedlich Mal auf den Busch geklopft, um zu vernehmen, ob ich mich endlich nicht Ihres Zaren Intention nach bequemen wollte, und keine Hoffnung fassen konnte, daß ich mich im geringsten ändern würde, begehrete er und lag mir sehr an, wann ich ja nicht reußisch werden wollte, so sollte ich[152] doch dem großen Zar zu Ehren ihrer Nation etwas von meinen Wissenschaften kommunizieren und mitteilen; ihr Zar würde meine Willfährigkeit mit hohen kaiserlichen Gnaden erkennen. Darauf antwortete ich, meine Affektion wäre jederzeit dahin gestanden, Ihrer Zarischen Majestät untertänigst zu dienen, maßen ich zu solchem Ende in Dero Land kommen wäre, sei auch noch solchergestalt intentionieret, wiewohl ich sähe, daß man mich gleichsam wie einen Gefangenen aufhalte. »Ei nicht so, Herr,« antwortete er, »Ihr seid nicht gefangen, sondern Ihre Zarische Majestät lieben Euch so hoch, daß sie Eurer Person schier nicht wissen zu entbehren!« – »Warum,« sagte ich, »werde ich dann verwachet?« – »Darum,« antwortete er, »weil Ihre Zarische Majestät besorgen, es möchte Euch etwas Leids und Widerwärtiges widerfahren.«

Als er nun meine Offerten verstund, sagte er, daß Ihre Zarische Majestät allergnädigst bedacht wären, in Dero Landen selber Salpeter graben und Pulver zurichten zu lassen; weil aber niemand unter ihnen wäre, der damit umgehen könnte, würde ich der Zarischen Majestät einen angenehmen Dienst erweisen, wann ich mich des Werks unterfienge; sie würden mir hierzu Leute und Mittel genug an die Hand schaffen, und er vor seine Person wolle mich aufs treuherzigste gebeten haben, ich wollte solches allergnädigstes Ansinnen nicht abschlagen, dieweil sie bereits gnugsame Nachricht hätten, daß ich mich auf diese Sachen trefflich wohl verstünde. Darauf antwortete ich: »Herr, ich sage vor wie nach, wann der Zarischen Majestät ich in etwas dienen kann, außer daß Sie gnädigst geruhen, mich in meiner Religion passieren zu lassen, so soll an meinem Fleiß nichts erwinden.« Hierauf ward dieser Reuße, welches einer von den vornehmsten Knesen war, trefflich lustig, also daß er mir mit dem Trunk mehr zusprach als ein Teutscher.

Den andern Tag kamen vom Zar zween Knesen und ein Dolmetsch, die ein Endliches mit mir beschlossen und von wegen des Zaren mir ein köstliches reußisches Kleid verehreten. Also fieng ich gleich etliche Tage hernach an, Salpetererde zu suchen, und diejenige Reußen, so mir zugegeben waren, zu lernen, wie sie denselben von der Erde separieren und läutern sollten, und mithin verfertigte ich die Abrisse zu einer Pulvermühle und lehrete andere die Kohlen brennen, daß wir also in gar kurzer Zeit sowohl des besten Bürsch- als des groben Stückpulvers eine ziemliche Quantität verfertigten; dann ich hatte Leute genug darzu und darneben auch meine sonderbare Diener,[153] die mir aufwarten, oder besser und teutscher zu sagen, die mich hüten und verwahren sollten.

Als ich mich nun so wohl anließ, kam der vielgemeldte Obrister zu mir in reußischen Kleidern und mit vielen Dienern ganz prächtig aufgezogen, ohn Zweifel, durch solche scheinbarliche Herrlichkeit mich zu persuadieren, daß ich mich auch sollte umtaufen lassen. Aber ich wußte wohl, daß die Kleider aus des Zars Kleiderkasten und ihm nur angeliehen waren, mir die Zähne wässerig zu machen, weil solches an dem Zarischen Hof der allergewöhnlichste Brauch ist.

Und damit der Leser verstehe, wie es damit pfleget herzugehen, will ich ein Exempel von mir selbst erzählen. Ich war einsmals geschäftig auf den Pulvermühlen, die ich außerhalb Moskau an den Fluß bauen lassen, Verordnung zu tun, was einer und ander von meinen zugegebenen Leuten denselben und folgenden Tag vor Arbeit verrichten sollte; da ward unversehens Alarm, weilen sich die Tartarn bereits vier Meilen weit auf 100000 Pferde stark befanden, das Land plünderten und also immerhin fort avancierten. Da mußten ich und meine Leute sich alsobald und unverzüglich nach Hof begeben, allwo wir aus des Zars Rüstkammer und Marstall mondiert wurden. Ich zwar ward anstatt des Kürisses mit einem gestöpften seidenen Panzer angetan, welcher einen jeden Pfeil aufhielt, aber vor keiner Kugel schußfrei sein konnte; Stiefeln, Sporen und eine fürstliche Hauptzierde mit einem Reigerbusch samt einem Säbel, der Haare schur, mit lauter Gold beschlagen und mit Edelgesteinen verseht, wurden mir dargegeben und von des Zarn Pferden ein solches vortreffliches untergezogen, dergleichen ich zuvor mein Lebtag keins gesehen, geschweige beritten. Ich und das Pferdgezeug glänzten von Gold, Silber, Edelgesteinen und Perlen; ich hatte eine stählerne Streitkolbe anhangen, die glitzerte wie ein Spiegel und war so wohl gemacht und so gewichtig, daß ich einen jeden, dem ich eins damit versatzte, gar leicht totschlug, also daß der Zar selbst besser mondiert daher nicht reiten könnte. Mir folgete eine weiße Fahne mit einem doppelten Adler, welcher von allen Orten und Winkeln gleichsam Volk zuschniee, also daß wir, eher zwei Stunden vergiengen, bei vierzig-, und nach vier Stunden bei sechzigtausend Pferde stark waren, mit welchen wir gegen die Tartarn fortruckten. Ich hatte alle Viertelstunden neue mündliche Order von dem Großfürsten, die nichts anders in sich hielten als: ich sollte mich heut als ein tapferer Soldat erzeigen, weil ich mich vor einen ausgeben, damit Seine Majestät mich auch vor[154] einen halten und erkennen könnten. Alle Augenblicke vermehrte sich unser Haufe beides, von Kleinen und Großen, so Troppen als Personen, und ich konnte doch in solcher Eile keinen einzigen erkennen, der das ganze Korpus kommandieren und die Battaglia anordnen sollte.

Ich mag eben nicht alles erzählen, dann es ist meiner Histori an diesem Treffen nicht viel gelegen; ich will allein dies sagen, daß wir die Tartarn, so mit müden Pferden und vielen Beuten beladen, urplötzlich in einem Tal oder ziemlich tiefen Geländ antrafen, als sie sich dessen am allerwenigsten versahen, und von allen Orten mit solcher Furi dareingiengen, daß wir sie gleich im ersten Anfang trenneten. Im ersten Angriff sagte ich zu meinen Nachfolgern auf reußische Sprache: »Nun wohlan! es tue jeder wie ich!« Solches schrieen sie einander alle zu, und damit rannte ich mit verhängtem Zaum an die Feinde und schlug dem ersten, den ich antraf, welcher ein Mirsa war, den Kopf entzwei, also daß sein Hirn, mit Blut untermischt, an meinem stählernen Kolbe hängenblieb. Die Reußen folgeten meinem heroischen Exempel, so daß die Tartarn ihren Angriff nicht erleiden mochten, sondern sich in eine allgemeine Flucht wandten. Ich tät wie ein Rasender oder vielmehr wie einer, der aus Desperation den Tod suchte und nicht finden kann. Ich schlug alles nieder, was mir vorkam, es wäre gleich Tartar oder Reuße gewesen. Und die, so vom Zar auf mich bestellet waren, drangen mir so fleißig nach, daß ich allezeit einen sichern Rücken behielt. Die Luft flog so voller Pfeile, als wann Immen oder Bienen geschwärmt hätten, wovon mir dann einer in Arm zuteil ward; dann ich hatte meine Ärmel hinter sich gestreift, damit ich mit meinem Säbel und Streitkolbe desto unverhinderlicher metzlen und totschlagen könnte. Eh ich den Pfeil auffieng, lachte mirs Herz in meinem Leib an solcher Blutvergießung; da ich aber mein eigen Blut fließen sahe, verkehrete sich das Lachen in eine unsinnige Wut. Demnach sich aber diese grimmige Feinde in eine hauptsächliche Flucht wandten, ward mir von etlichen Knesen im Namen des Jars befohlen, ihrem Kaiser die fröhliche Botschaft zu bringen, wasgestalt wir die Tartarn überwunden. Also kehrete ich auf ihr Wort zurück und hatte ungefähr hundert Pferde zur Nachfolge. Ich ritte durch die Stadt der zarischen Wohnung zu und ward von allen Menschen mit Frohlocken und Glückwünschung empfangen; sobald ich aber von dem Treffen Relation getan hatte, obzwar der Großfürst von allem Verlauf schon Nachricht hatte, mußte ich meine fürstliche Kleider fein sauber wieder ablegen,[155] welche wieder in des Zars Kleiderbehaltnüs aufgehaben wurden, wiewohl sie samt dem Pferdgezeug über und über mit Blut besprengt und besudelt und also fast gar zunicht gemachet waren und ich also nicht anders vermeint hätte, weil ich mich so ritterlich in diesem Tressen gehalten, sie sollten mir zum wenigsten samt dem Pferd zum Rekompens überlassen worden sein; konnte demnach hieraus wohl abnehmen, wie es mit der Reußen Kleiderpracht beschaffen, deren sich mein Obrister bedient, weil es lauter gelehnte Ware ist, die dem Zar, wie auch alle andere Sachen in ganz Reußen, allein zuständig.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 151-156.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon