Das vierundzwanzigste Kapitel.

[159] Simplex vermeldet, warum er die Welt

Wieder verlassen, weils ihm nicht gefällt.


»Adieu Welt! dann auf dich ist nicht zu trauen, noch von dir nichts zu hoffen: in deinem Haus ist das Vergangene schon verschwunden, das Gegenwärtige verschwindet uns unter den[159] Händen, das Zukünftige hat nie angefangen, das Allerbeständigste fällt, das Allerstärkste zerbricht und das Allerewigste nimmt ein Ende, also daß du ein Toter bist unter den Toten, und in hundert Jahren läßt du uns nicht eine Stunde leben.

Adieu Welt! dann du nimmst uns gefangen und läßt uns nicht wieder ledig; du bindest uns und lösest uns nicht wieder auf; du betrübest und tröstest nicht; du raubest und gibest nichts wieder; du verklagest uns und hast keine Ursache; du verurteilest und hörest keine Partei, also daß du uns tötest ohn Urteil und begrabest uns ohn Sterben! Bei dir ist keine Freude ohn Kummer, kein Fried ohn Uneinigkeit, keine Liebe ohn Argwohn, keine Ruhe ohn Forcht, keine Fülle ohn Mängel, keine Ehre ohn Makel, kein Gut ohn bös Gewissen, kein Stand ohn Klage und keine Freundschaft ohn Falschheit.

Adieu Welt! dann in deinem Palast verheißet man, ohn Willen zu geben; man dienet ohn Bezahlen; man liebkoset, um zu töten; man erhöhet, um zu stürzen; man hilft, um zu fällen; man ehret, um zu schänden; man entlehnet, um nicht wieder zu geben; man straft ohn Verzeihen.

Behüte dich Gott, Welt! dann in deinem Haus werden die große Herren und Favoriten gestürzet, die Unwürdige herfürgezogen, die Verräter mit Gnaden angesehen, die Getreue in ein Winkel gestellet, die Boshaftige ledig gelassen und die Unschuldige verurteilt; den Weisen und Qualifizierten gibt man Urlaub und den Ungeschickten große Besoldung; den Hinterlistigen wird geglaubet, und die Aufrichtige und Redliche haben keinen Kredit; ein jeder tut, was er will, und keiner, was er tun soll.

Adieu Welt! dann in dir wird niemand mit seinem rechten Namen genennet: Den Vermessenen nennet man kühn, den Verzagten fürsichtig, den Ungestümen emsig und den Nachlässigen friedsam. Einen Verschwender nennet man herrlich und einen Kargen eingezogen; einen hinterlistigen Schwätzer und Plauderer nennet man beredt und den Stillen ein Narrn oder Phantasten; einen Ehebrecher und Jungferschänder nennet man einen Buhler; einen Unflat nennet man einen Hofmann; einen Rachgierigen nennet man einen Eiferigen und einen Sanftmütigen einen Phantasten, also daß du uns das Gäbige vor das Ungäbige und das Ungäbige vor das Gäbige verkaufest.

Adieu Welt! dann du verführest jedermann: Den Ehrgeizigen verheißest du Ehre, den Unruhigen Veränderung, den Hochtragenden Gnade bei Fürsten, den Nachlässigen Ämter; den Geizhälsen viel Schätze, den Fressern und Unkeuschen[160] Freude und Wollust, den Feinden Rache, den Dieben Heimlichkeit, den Jungen langes Leben, und den Favoriten verheißest du beständige fürstliche Hulde.

Adieu Welt! dann in deinem Palast findet weder Wahrheit noch Treue ihre Herberge! Wer mit dir redet, wird verschamt; wer dir trauet, wird betrogen; wer dir folget, wird verführet; wer dich förchtet, wird am allerübelsten gehalten; wer dich liebet, wird übel belohnet, und wer sich am allermeisten auf dich verläßt, wird auch am allermeisten zuschanden gemachet. An dir hilft kein Geschenke, so man dir gibet, kein Dienst, so man an dir erweiset, keine liebliche Worte, so man dir zuredet, keine Treue, so man dir hält, und keine Freundschaft, so man dir erzeiget; sondern du betreugest, stürzest, schändest, besudelst, drohest, verzehrest und vergißt jedermann; dannenhero weinet, seufzet, jammert, klaget und verdirbt jedermann, und jedermann nimmt ein Ende. Bei dir siehet und lernet man nichts als einander hassen bis zum Würgen, reden bis zum Lügen, lieben bis zum Verzweifeln, handlen bis zum Stehlen, bitten bis zum Betrügen und sündigen bis zum Sterben.

Behüte dich Gott, Welt! dann dieweil man dir nachgehet, verzehret man die Zeit in Vergessenheit, die Jugend mit Rennen, Laufen und Springen über Zaun und Stiege, über Weg und Stege, über Berg und Tal, durch Wald und Wildnus, über See und Wasser, in Regen und Schnee, in Hitze und Kälte, in Wind und Ungewitter. Die Mannheit wird verzehret mit Erzschneiden und Schmelzen, mit Steinhauen und Schneiden, Hacken und Zimmern, Pflanzen und Bauen, in Gedanken Dichten und Trachten, in Ratschlägen Ordnen, Sorgen und Klagen, in Kaufen und Verkaufen, Zanken, Hadern, Kriegen, Lügen und Betrügen. Das Alter verzehret man in Jammer und Elend: der Geist wird schwach, der Atem übelrüchend, das Angesicht runzlicht, die Länge krumm, und die Augen werden dunkel, die Glieder zittern, die Nase trieft, der Kopf wird kahl, das Gehör verfällt, der Geruch verliert sich, der Geschmack gehet hinweg, er seufzet und ächzet, ist faul und schwach und hat in Summa nichts als Mühe und Arbeit bis in Tod.

Adieu Welt! dann niemand will in dir fromm sein. Täglich richtet man die Mörder, vierteilet die Verräter, hänget die Diebe, Straßenräuber und Freibeuter, köpft Totschläger, verbrennet Zauberer, straft Meineidige und verjaget Aufrührer.

Behüte dich Gott, Welt! dann deine Diener haben keine[161] andre Arbeit noch Kurzweile als faulenzen, einander vexieren und ausrichten, den Jungfern hofieren, den schönen Frauen aufwarten, mit denselben liebäuglen, mit Würfeln und Karten spielen, mit Kupplern traktieren, mit den Nachbarn kriegen, neue Zeitungen erzählen, neue Fünde erdenken, mit dem Judenspieß rennen, neue Trachten ersinnen, neue List aufbringen und neue Laster einführen.

Adieu Welt! dann niemand ist mit dir kontent oder zufrieden. Ist er arm, so will er haben; ist er reich, so will er viel gelten; ist er veracht, so will er hoch steigen; ist er injuriert, so will er sich rächen; ist er in Gnaden, so will er viel gebieten; ist er lasterhaftig, so will er nur bei gutem Mut sein.

Adieu Welt! dann bei dir ist nichts Beständiges. Die hohe Türne werden vom Blitz erschlagen, die Mühlen vom Wasser hinweggeführet; das Holz wird von den Würmen, das Korn von Mäusen, die Früchte von Raupen und die Kleider von Schaben gefressen; das Viehe verdirbt vor Alter und der arme Mensch vor Krankheit. Der eine hat den Grind, der ander den Krebs, der dritte den Wolf, der vierte die Franzosen, der fünfte das Podagram, der sechste die Gicht, der siebende die Wassersucht, der achte den Stein, der neunte das Gries, der zehende die Lungensucht, der eilfte das Fieber, der zwölfte den Aussatz, der dreizehende das Hinfallen und der vierzehende die Torheit! In dir, o Welt, tut nicht einer, was der ander tut: dann wann einer weinet, so lachet der ander; einer seufzet, der ander ist fröhlich; einer fastet, der ander zechet; einer bankettiert, der ander leidet Hunger; einer reitet, der ander gehet; einer redet, der ander schweiget; einer spielet, der ander arbeitet; und wann der eine geboren wird, so stirbt der ander. Also lebet auch nicht einer wie der ander: der eine herrschet, der ander dienet; einer weidet die Menschen, ein ander hütet der Schweine; einer folget dem Hof, der ander dem Pflug; einer reist auf dem Meer, der ander fährt über Land auf die Jahr- und Wochenmärkte; einer arbeitet im Feuer, der ander in der Erde; einer fischt im Wasser, und der ander fängt Vögel in der Luft; einer arbeitet härtiglich, und der ander stiehlet und beraubet das Land.

O Welt, behüte dich Gott! dann in deinem Haus führet man weder ein heilig Leben noch einen gleichmäßigen Tod. Der eine stirbt in der Wiege, der ander in der Jugend auf dem Bette, der dritte am Strick, der vierte am Schwert, der fünfte auf dem Rad, der sechste auf dem Scheiterhaufen, der siebende[162] im Weinglas, der achte in einem Wasserfluß, der neunte erstickt im Freßhafen, der zehende erworgt am Gift, der eilfte stirbt gähling, der zwölfte in einer Schlacht, der dreizehende durch Zauberei und der vierzehende ertränkt seine arme Seele im Tintenfaß.

Behüte dich Gott, Welt! dann mich verdreußt deine Konversation. Das Leben, so du uns gibest, ist eine elende Pilgerfahrt, ein unbeständiges, ungewisses, hartes, rauhes, hinflüchtiges und unreines Leben, voll Armseligkeit und Irrtum, welches viel mehr ein Tod als ein Leben zu nennen, in welchem wir alle Augenblicke sterben durch viel Gebrechen der Unbeständigkeit und durch mancherlei Wege des Todes. Du lässest dich der Bitterkeit des Todes, mit deren du umgeben und durchsalzen bist, nicht genügen, sondern betreugst noch darzu die meiste mit deinem Schmeicheln, Anreizung und falschen Verheißungen; du gibest aus dem goldenen Kelch, den du in deiner Hand hast, Bitterkeit und Falschheit zu trinken und machest sie blind, taub, toll, voll und sinnlos. Ach! wie wohl denen, die deine Gemeinschaft ausschlagen, deine schnelle, augenblicklich hinfahrende Freude verachten, deine Gesellschaft verwerfen und nicht mit einer solchen arglistigen, verlornen Betrügerin zugrunde gehen. Dann du machest aus uns einen finstern Abgrund, ein elendes Erdreich, ein Kind des Zorns, ein stinkendes Aas, ein unreines Geschirr in der Mistgrube, ein Geschirr der Verwesung voller Gestank und Greuel; dann wann du uns lang mit Schmeicheln, Liebkosen, Drohen, Schlagen, Plagen, Martern und Peinigen umgezogen und gequälet hast, so überantwortest du den ausgemergelten Körper dem Grab und setzest die Seele in eine ungewisse Schanze. Dann obwohl nichts Gewissers ist als der Tod, so ist doch der Mensch nicht versichert, wie, wann und wo er sterben und (welches das erbärmlichste ist) wo seine Seele hinfahren und wie es derselben ergehen wird. Wehe aber alsdann der armen Seele, welche dir, o Welt, hat gedienet, gehorsamt und deinen Lüsten und Üppigkeiten gefolget; dann nachdem eine solche sündige und unbekehrte arme Seele mit einem schnellen und unversehenen Schrecken aus dem armseligen Leib ist geschieden, wird sie nicht wie der Leib im Leben mit Dienern und Befreundten umgeben sein, sondern von der Schar ihrer allergreulichsten Feinde für den sonderbaren Richterstuhl Christi geführet werden. Darum, o Welt, behüte dich Gott, weil ich versichert bin, daß du dermaleins von mir wirst aussetzen und mich verlassen, nicht allein zwar, wann meine arme Seele[163] vor dem Angesicht des strengen Richters erscheinen, sondern auch wann das allerschröcklichste Urteil: ›Gehet hin, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer‹ etc. gefällt und ausgesprochen wird.

Adieu o Welt, o schnöde, arge Welt! O stinkendes, elendes Fleisch! dann von deinetwegen und um daß man dir gefolget, gedienet und gehorsamet hat, wird der gottlose Unbußfertige zur ewigen Verdammnus verurteilet, in welcher in Ewigkeit anders nichts zu gewarten als anstatt der verbrachten Freude Leid ohne Trost, anstatt des Zechens Durst ohne Labung, anstatt des Fressens Hunger ohn Fülle, anstatt der Herrlichkeit und Prachts Finsternus ohn Liecht, anstatt der Wollüste Schmerzen ohne Linderung, anstatt des Dominierens und Triumphierens Heulen, Weinen und Weheklagen ohn Aufhören, Hitze ohne Kühlung, Feuer ahne Leschung, Kälte ohne Maß und Elend ohne Ende.

Behüte dich Gott, o Welt! dann anstatt deiner verheißenen Freude und Wollüste werden die böse Geister an die unbußfertige verdammte Seele Hand anlegen und sie in einem Augenblick in Abgrund der Höllen reißen; daselbst wird sie anders nichts sehen und hören als lauter erschröckliche Gestalten der Teufel und Verdammten, eitele Finsternus und Dampf, Feuer ohn Glanz, Schreien, Heulen, Zähnklappern und Gottslästern. Alsdann ist alle Hoffnung der Gnade und Milterung aus: kein Ansehen der Person ist vorhanden; je höher einer gestiegen, und je schwerer einer gesündiget, je tiefer er wird gestürzt, und je härter Pein er muß leiden. Dem viel geben ist, von dem wird viel gefodert, und je mehr einer sich bei dir, o arge, schnöde Welt! hat herrlich gemachet, je mehr schenket man ihm Qual und Leiben ein: dann also erforderts die göttliche Gerechtigkeit.

Behüte dich Gott, o Welt! dann obwohl der Leib bei dir eine Zeitlang in der Erde liegen bleibet und verfaulet, so wird er doch am Jüngsten Tag wieder aufstehen und nach dem letzten Urteil mit der Seele ein ewiger Höllenbrand sein müssen. Alsdann wird die arme Seele sagen: ›Verflucht seist du, Welt! weil ich durch dein Anstiften Gottes und meiner selbst vergessen und dir in aller Üppigkeit, Bosheit, Sünde und Schande die Tage meines Lebens gefolget habe! Verflucht sei die Stunde, in deren mich Gott erschuf! Verflucht sei der Tag, darin ich in dir, o arge böse Welt, geboren bin! O ihr Berge, Hügel und Felsen, fallet auf mich und verberget mich vor dem grimmigen Zorn des Lamms, vor dem Angesicht dessen, der auf dem Stuhl sitzet! Ach wehe und aber wehe in Ewigkeit!‹[164]

O Welt! du unreine Welt! derhalben beschwöre ich dich, bitte dich, ich ersuche dich, ich ermahne [dich] und protestiere wider dich, du wollest kein Teil mehr an mir haben. Und hingegen begehre ich auch nicht mehr, in dich zu hoffen, dann du weißt, daß ich mir habe fürgenommen, nämlich dieses: Posui finem curis, spes et fortuna valete!«

Alle diese Worte erwog ich mit Fleiß und stetigem Nachdenken und bewogen mich dermaßen, daß ich die Welt verließ und wieder ein Einsiedel ward. Ich hätte gern bei meinem Saurbrunn im Muckenloch gewohnet, aber die Bauren in der Nachbarschaft wollten es nicht leiden, wiewohl es vor mich eine angenehme Wildnus war. Sie besorgten, ich würde den Brunn verraten und ihre Obrigkeit dahin vermögen, daß sie wegen nunmehr erlangten Friedens Weg und Steg darzu machen müßten; begab mich derohalben in eine andere Wildnus und fieng mein Spesserter Leben wieder an; ob ich aber wie mein Vatter sel. bis an mein Ende darin verharren werde, stehet dahin. Gott verleihe uns allen seine Gnade, daß wir allesamt dasjenige von ihm erlangen, woran uns am meisten gelegen, nämlich ein seliges


Ende.[165]


O wunderbares Tun! O unbeständigs Stehen,

Wann einer wähnt, er steh, so muß er fürter gehen,

O schlipferigster Stand! dem vor vermeinte Ruh

Schnell und zugleich der Fall sich nähert immer zu,

Gleichwie der Tod selbst tut; was solch hinflüchtig Wesen

Mir habe zugefügt, wird hierin auch gelesen;

Woraus zu sehen ist, daß Unbeständigkeit

Allein beständig sei sowohl in Freud als Leid.
[168]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 159-166,168-170.
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