Das vierte Kapitel.

[93] Simplex und Herzbruder in den Krieg kommen,

Kommen bald los, wie wird deutlich vernommen.


Es gehet wohl seltsam in der veränderlichen Welt her! Man pfleget zu sagen: Wer alles wüßte, der würde bald reich; ich aber sage: Wer sich allweg in die Zeit schicken könnte, der würde bald groß und mächtig. Mancher Schindhund oder Schabhals (dann diese beide Ehrentitul werden den Geizigen gegeben) wird wohl bald reich, weil er einen und andern Vorteil weiß und gebrauchet, er ist aber darum nicht groß, sondern ist und verbleibet vielmals von geringrer Ästimation, als er zuvor in seiner Armut war. Wer sich aber weiß groß und mächtig zu machen, dem folget der Reichtum auf dem Fuß nach. Das Glück, so Macht und Reichtum zu geben pfleget, blickte[93] mich trefflich holdselig an und gab mir, nachdem ich ein Tag oder acht zu Wien gewesen, Gelegenheit genug an die Hand, ohne einzige Verhinderungen auf die Staffeln der Hoheit zu steigen; ich täts aber nicht. Warum? Ich halte, weil mein Fatum ein anders beschlossen, nämlich dasjenige, dahin mich meine Fatuitas leitete.

Der Graf von der Wahl, unter dessen Kommando ich mich hiebevor in Westfalen bekannt gemacht, war eben auch zu Wien, als ich mit Herzbrudern hinkam; dieser ward bei einem Bankett, da sich verschiedene kaiserliche Kriegsräte neben dem Grafen von Götz und andern mehr befanden, als man von allerhand seltsamen Köpfen, unterschiedlichen Soldaten und berühmten Parteigängern redete, auch des Jägers von Soest eingedenk und erzählete etliche Stücklein von ihm so rühmlich, daß sich teils über einen so jungen Kerl verwunderten und bedaureten, daß der listige hessische Obrister S.A. ihm ein Wehbengel angehängt, damit er entweder den Degen beiseits legen oder doch schwedische Waffen tragen sollte. Dann wohlbesagter Graf von der Wahl hatte alles erkündiget, wie derselbige Obrister zu L. mit mir gespielet. Mein treuer Herzbruder, der eben dort stund und mir meine Wohlfahrt gern befördert hätte, bate um Verzeihung und Erlaubnus zu reden und sagte, daß er den Jäger von Soest besser kenne als sonst einen Menschen in der Welt; er sei nicht allein ein guter Soldat, der Pulver riechen könnte, sondern auch ein ziemlicher Reuter, ein perfekter Fechter, ein trefflicher Büchsenmeister und Feuerwerker und über dies alles einer, der einem Ingenieur nichts nachgeben würde; er hätte nicht nur sein Weib, weil er mit ihr so schimpflich hintergangen worden, sondern auch alles, was er gehabt, zu L. hinterlassen und wiederum kaiserliche Dienste gesuchet, maßen er in verwichener Kampagne sich unter dem Grafen von Götz befunden, und als er von den Weimarischen gefangen worden und von denselben sich wieder zu den Kaiserlichen begeben wollen, neben seinem Kamerad einen Korporal samt sechs Musketierern, die ihnen nachgesetzet und sie wieder zurückführen sollen, niedergemacht und ansehenliche Beuten davongebracht, maßen er mit ihm selbsten nach Wien kommen, des Willens, sich abermal wider der Römischen Kaiserlichen Majestät Feinde gebrauchen zu lassen, doch sofern er solche Conditiones haben könnte, die ihm anständig sein, dann keinen gemeinen Knecht begehre er mehr zu agieren.

Damals war diese ansehnliche Kompagnie mit dem lieben Trunk schon dergestalt begeistert, daß sie ihre Kuriosität, den Jäger zu sehen, kontentiert haben wollte, maßen Herzbruder[94] geschickt ward, mich in einer Kutsche zu holen. Derselbe instruierte mich unterwegs, wie ich mich bei diesen ansehenlichen Leuten halten sollte, weil meine Beförderung und künftig Glück daran gelegen wäre. Ich antwortete derhalben, als ich hinkam, auf alles sehr kurz und apophthegmatisch, also, daß man sich über mich zu verwundern anfieng, dann ich redete nichts, es müßte dann sein; und wann ich was redete, so mußte es einen klugen Nachdruck haben. In Summa, ich erschien dergestalt, daß ich jedem angenehm war, weil ich ohnedas vom Herrn Grafen von der Wahl auch das Lob eines guten Soldaten hatte. Mithin kriegte ich auch einen Rausch und glaube wohl, daß ich alsdann auch habe scheinen lassen, wie wenig ich bei Hof gewesen. Endlich war dieses das Ende, daß mir ein Obrister zu Fuß eine Kompagnie unter seinem Regiment versprochen, welches ich dann gar nicht ausschlug; dann ich dachte: »Ein Hauptmann zu sein, ist fürwahr kein Kinderspiel!« Aber Herzbruder verwiese mir den andern Tag meine Leichtfertigkeit und sagte, wann ich nur noch länger gehalten hätte, so wäre ich noch wohl höher ankommen.

Also ward ich einer Kompagnie vor einen Hauptmann vorgestellet, welche, obzwar sie samt mir in prima plana ganz komplett, aber nicht mehr als sieben Schillergäste hatte. Ich sagte zu mir selbsten, als ich solche betrachtete: »Wann ich Feldherr wäre und einen Hauptmann hätte, der nicht mehr Soldaten vermöchte als du, so wollte ich ihn vorn Teufel wegjagen.« Zudem waren meine Unteroffizierer mehrenteils alte Krachwedel, darüber ich mich hintern Ohren kratzte; als ward ich mit ihnen bei der unlängst hernach vorgangenen scharfen Okkasion desto leichter gemartscht, in welcher der Graf von Götz das Leben, Herzbruder aber seine Testiculos einbüßte, die er durch einen Schuß verlor; ich bekam meinen Teil in einen Schenkel, so aber gar eine geringe Wunde war. Dannenhero begaben wir uns auf Wien, um sich kurieren zu lassen, weil wir ohnedas unser Vermögen dort hatten. Ohn diese Wunden, so zwar bald geheilet, ereignete sich an Herzbrudern ein ander gefährlicher Zustand, den die Medici anfänglich nicht gleich erkennen konnten, dann er ward lahm an allen vieren wie ein Cholericus, den die Galle verderbt, und war doch am wenigsten, selbiger Komplexion nach, dem Zorn beigetan. Nichtsdestoweniger ward ihm die Sauerbrunnenkur geraten und hierzu der Grießbacher an dem Schwarzwald vorgeschlagen.

Also veränderte sich das Glück unversehens: Herzbruder hatte kurz zuvor den Willen gehabt, sich mit einem vornehmen[95] Fräulein zu verheuraten und zu solchem Ende sich zu einem Freiherrn, mich aber zu einem Edelmann machen zu lassen. Nunmehr aber mußte er andere Gedanken konzipieren; dann weil er dasjenige verloren, damit er ein neues Geschlecht propagieren wollen, zumalen von seiner Lähme mit einer langwierigen Krankheit bedrohet ward, in deren er guter Freunde vonnöten, machte er sein Testament und satzte mich zum einzigen Erben aller seiner Verlassenschaft, vornehmlich weil er sahe, daß ich seinetwegen mein Glück in Wind schlug und meine Kompagnie quittiert, damit ich ihn in Saurbrunn begleiten und daselbsten, bis er seine Gesundheit wiedererlangen möchte, auswarten könnte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 93-96.
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