Das siebente Kapitel.

[103] Simplex vertrauter Freund Herzbruder stirbt,

Und er viel liebliche Buhlen erwirbt.


Der Saurbrunn schlug mir je länger je besser zu, weil sich nicht allein die Badgäste gleichsam täglich mehreten, sondern weil der Ort selbst und die Manier zu leben mich anmutig zu sein dunkte. Ich machte mit den Lustigsten Kundschaft, die dahin kamen, und fieng an courtoise Reden und Komplimenten zu lernen, deren ich mein Tage sonst niemal viel geachtet hatte.

Ich ward vor einen vom Adel gehalten, weil mich meine Leute Herr Hauptmann nannten, sintemal dergleichen Stellen kein Soldat von Fortun so leichtlich in einem solchen Alter erlanget, darin ich mich damals befand. Dannenhero machten die reichen Stutzer mit mir und hingegen ich hinwiederum mit ihnen nicht allein Kund-, sondern auch gar Brüderschaft, und war alle Kurzweile, Spielen, Fressen und Saufen meine allergrößte Arbeit und Sorge, welches aber manchen schönen Dukaten hinwegnahm, ohn daß ich es sonderlich wahrgenommen und geachtet hätte; dann mein Säckel von dem Olivierischen Erbgut war noch trefflich schwer.

Unterdessen ward es mit Herzbrudern je länger je ärger, also daß er endlich die Schuld der Natur bezahlen mußte, nachdem ihn die Medici und Ärzte verlassen, als sie sich zuvor genugsam an ihm begraset hatten. Er bestätigte nachmalen sein Testament und letzten Willen und machte mich zum Erben über dasjenige, so er von seines Vatters sel. Verlassenschaft zu empfangen; hingegen ließ ich ihn ganz herrlich begraben und seine Diener mit Traurkleidern und einem Stück Geld ihres Wegs laufen.

Sein Abschied tät mir schmerzlich weh, vornehmlich weil ihm vergeben worden, und obzwar ich solches nicht ändern konnte, so änderts doch mich, weil ich mich von Tag zu Tag mehr und mehr bekümmerte; dann ich flohe alle Gesellschaften und suchte nur die Einsamkeit, meinen betrübten Gedanken Audienz zu geben. Zu dem Ende verbarg ich mich etwan irgends in einen Busch und betrachtete nicht allein, was ich vor einen Freund verloren, sondern auch, daß ich mein Lebtag[103] seinesgleichen nicht mehr bekommen würde. Mithin machte ich auch von Anstellung meines künftigen Lebens allerhand Anschläge und beschloß doch nichts Gewisses. Bald wollte ich wieder in Krieg, und unversehens gedachte ich, es hättens die geringste Bauern in selbiger Gegend besser als ein Obrister; dann in dasselbe Gebürg kamen keine Parteien. So konnte ich mir auch nit einbilden, was eine Armee darin zu schaffen haben müßte, dieselbe Landsart zu ruinieren, maßen noch alle Bauernhöfe, gleich als zu Friedenszeiten, in trefflichem Bau und alle Ställe voll Viehe waren, unangesehen auf dem ebenen Land in den Dörfern weder Hund noch Katze anzutreffen.

Einsmals hatte ich mich zwischen dem Weg und dem Wasser unter einem dicken schattigten Baum ins Gras niedergelegt, den Nachtigallen zuzuhören, welcher Gesang mich dann in meiner Betrübnus am allermeisten belustigte; dann ich hörte dieser lieblichen Melodei nicht nur ohnachtsamlich, sondern mit großem Fleiß zu und erwoge aus angenommener Gewohnheit gleichsam täglich, wie doch eine so helle hohe Stimme und wohllautender Klang aus einem so kleinen Pfeiflein oder Kanälchen kommen könnte. Als ich mich nun mit Anhörung des lieblichsten Vogelgesangs also eine ziemliche Zeit ergötzte und mir einbildete, daß die Nachtigall durch ihre Lieblichkeit andere Vögel banne, stillzuschweigen und ihnen zuzuhören, entweder aus Scham oder ihr etwas von solchem anmutigen Klang abzustehlen, da näherte sich jenseit dem Wasser eine Schönheit an das Gestad, die mich mehr bewegte (weil sie nur den Habit einer Bauerndirne antrug), als eine stattliche Damoiselle sonst nicht hätte tun mögen. Diese hub einen Korb vom Kopf, darin sie einen Ballen frische Butter trug, solchen im Sauerbrunnen zu verkaufen; denselben erfrischte sie im Wasser, damit er wegen der großen Hitze nicht schmelzen sollte; unterdessen satzte sie sich nieder ins Gras, warf ihren Schleier und Bauernhut von sich und wischte den Schweiß vom Angesicht, also daß ich sie genug betrachten und meine vorwitzige Augen an ihr weiden konnte. Da dünkte mich, ich hätte die Tage meins Lebens kein schöner Mensch gesehen, die Proportion des Leibes schien vollkommen und ohn Tadel, Arme und Hände schneeweiß, das Angesicht frisch und lieblich, die schwarze Augen aber voller Feur und liebreizender Blicke. Als sie nun ihre Butter wieder einpackte schrie ich hinüber: »Ach Jungfer! Ihr habt zwar mit Euren schönen Händen Eure Butter im Wasser abgekühlt, hingegen aber mein Herz durch Eure klare Augen ins Feur gesetzt!« Sobald sie mich sahe und hörete, lief sie davon, als ob man sie[104] gejagt hätte, ohn daß sie mir ein Wörtlein geantwortet hatte, mich mit all denjenigen Torheiten beladen hinterlassend, damit die verliebte Phantasten gepeinigt zu werden pflegen.

Aber meine Begierden, von dieser Sonne mehr beschienen zu werden, ließen mich drum nicht in meiner Einsamkeit, die ich mir auserwählt, sondern machten, daß ich den Gesang der Nachtigallen nicht höher achtete als ein Geheul der Wölfe. Derhalben trollete ich auch dem Saurbrunn zu und schickte meinen Jungen voran, die Butterverkäuferin anzupacken und mit ihr zu marken, bis ich hernach käme. Dieser tät das seinige und ich nach meiner Ankunft auch das meinige; aber ich fand ein steinern Herz und eine solche Kaltsinnigkeit, dergleichen ich hinter einem Baurnmägdlein nimmermehr zu finden getrauet hätte, welches mich aber viel verliebter machte, unangesehen ich als einer, der mehr in solchen Schulen gewesen, mir die Rechnung leicht machen können, daß sie sich nicht so leicht würde betören lassen.

Damals hätte ich entweder einen strengen Feind oder einen guten Freund haben sollen: einen Feind, damit ich meine Gedanken gegen demselbigen hätte richten und der närrischen Liebe vergessen müssen, oder einen Freund, der mir ein anders geraten und mich von meiner Torheit, die ich vornahm, hätte abmahnen mögen. Aber, ach leider! ich hatte nichts als mein und Herzbruders Geld, das mich verblendete, meine blinde Begierden, die mich verführeten, weil ich ihnen den Zaum schießen ließ, und meine grobe Unbesonnenheit, die mich verderbete und in alles Unglück stürzete. Ich wendete viel auf Kuppler und Kupplerinnen, ob ich vielleicht durch dieselbe meinen Zweck erreichen und durch eine noch größere Sünde meinen sündlichen Begierden Satisfaktion erlangen könnte: aber ich traf nit, wornach ich zielte, sondern fande, daß ein Baurendirne dasjenige verschmähet, was etwan vor diesem andere gewünschet, welches mich schier halb unsinnig machte. Ich Narr hätte ja aus unsern Kleidungen, als aus einem bösen Omen, judizieren sollen, daß mir ihre Liebe nicht wohl ausschlagen würde; dann weil mir Herzbruder, diesem Mägdlein aber ihre Eltern gestorben und wir dahero alle beide in Traurkleidern aufzogen, als wir einander das erstemal sahen, was hätte unsre Buhlschaft vor eine Fröhlichkeit bedeuten sollen? Mit einem Wort, ich war mit den Stricken Veneris oder besser zu sagen mit dem Narrnsail rechtschaffen verstrickt und derhalben ganz blind und ohn Verstand wie das Kind Cupido selbsten, und weil ich meine viehische Begierden nicht anders zu sättigen getrauet,[105] entschloß ich, sie zu heuraten. »Was?« gedachte ich, »du bist deines Herkommens doch nur ein Baurensohn und wirst deine Tage kein Schloß besitzen; diese Revier ist ein edel Land, das ich gleichwohl dies grausame Kriegswesen hindurch, gegen andern Orten zu rechnen, im Wohlstand und Flor befunden; überdas hast du noch Geld genug, auch den besten Baurnhof in dieser Gegend zu bezahlen; du willst dies ehrliche Baurngretlein heuraten und dir einen geruhigen Herrnhandel mitten unter den Bauren schaffen. Wo wolltest du dir eine lustigere Wohnung aussehen können als bei dem Saurbrunn, da du wegen der zu- und abreisenden Badgäste gleichsam alle sechs Wochen eine neue Welt sehen und dir dabei einbilden kannst, wie sich der Erdkreis von einem Säculo zum andern verändert?« Solche und dergleichen mehr tausendfältige Gedanken machte ich, bis ich endlich meine Geliebte zur Ehe begehrete und, wiewohl nicht ohn Mühe, das Jawort erhielt.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 103-106.
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