Das dreizehnte Kapitel.

[214] Simplex erzählet, was vor eine Kunst

Er seinen Gastwirt gelehrt vor die Gunst.


Ich hatte den Abend zuvor eine Spezifikation verloren aller meiner gewissen Künste, die ich etwan hiebevor geübet und aufgeschrieben hatte, damit ich solche nicht so leichtlich vergessen sollte; es stund aber darum nicht dabei, welchergestalt und durch was Mittel solche zu praktizieren. Zum Exempel setze ich den Anfang solcher Verzeichnus hieher:[214]

»Lunten oder Zindstrick zuzurichten, daß sie nicht rieche, als durch welchen Geruch oft die Musketierer verraten und dero Anschläg zunicht werden.

Lunten zuzurichten, daß sie brenne, wanngleich sie naß wird.

Pulver zuzurichten, daß es nicht brenne, wanngleich man einen glühenden Stahl hineinstecket, welches den Festungen nützlich, die des gefährlichen Gastes eine große Quantität herbergen müssen.

Menschen oder Vögel allein mit Pulver zu schießen, daß sie eine Zeitlang vor tod liegen bleiben, hernach aber ohn allen Schaden wieder aufstehen.

Einem Menschen eine doppelte Stärke ohn Eberswurzel und dergleichen verbottene Sachen zuwegen zu bringen.

Wann man in Ausfällen verhindert wird, dem Feind seine Stücke zu vernaglen, solche in Eil zuzurichten, daß sie zerspringen müssen.

Einem ein Rohr zu verderben, daß es alles Wildbret damit zu Holz scheußt, bis es wiederum mit einer andern gewissen Materi ausgeputzt wird.

Das Schwarze in der Scheibe ehender zu treffen, wann man das Rohr auf die Achsel leget und der Scheibe den Rücken kehret, als wann man gemeinem Gebrauch nach aufleget und anschläget.

Eine gewisse Kunst, daß dich keine Kugel treffe.

Ein Instrument zuzurichten, vermittelst dessen man, sonderlich bei stiller Nacht, wunderbarlicherweise alles hören kann, was in unglaublicher Ferne tönet oder geredet wird (so sonst unmenschlich und unmüglich), den Schildwachten und sonderlich in den Belägerungen sehr nützlich etc.«

Solchergestalt waren in besagter Spezifikation viel Künste beschrieben, welche mein Gastherr gefunden und aufgehaben hatte; derowegen trat er selber zu mir in die Kammer, wiese mir die Verzeichnus und fragte, ob wohl müglich sei, daß diese Stücke natürlicherweise verrichtet werden könnten: er zwar könnte es schwerlich glauben, doch müsse er gestehen, daß in seiner Jugend, als er sich knabenweise bei dem Feldmarschall von Schauenburg in Italia aufgehalten, von etlichen wäre ausgeben worden, die Fürsten von Savoya sein alle vor den Kuglen versichert. Solches hätte gedachter Feldmarschall an Prinz Thomae versuchen wollen, den er in einer Festung belägert gehalten; dann als sie einsmals beiderseits eine Stunde Stillstand beliebet, die Tode zu begraben und Unterredung miteinander zu pflegen, hätte er einem Korporal von seinem[215] Regiment, der vor den gewissesten Schützen unter der ganzen Armee gehalten worden, Befelch geben, mit seinem Rohr, damit er auf fünfzig Schritte eine brennende Kerze unausgelescht butzen können, gedachtem Prinzen, der sich zur Konferenz auf die Brustwehre des Walls begeben, aufzupassen und, sobald die bestimmte Stunde des Stillstandes verflossen, ihme eine Kugel zuzuschicken. Dieser Korporal hätte nun die Zeit fleißig in acht genommen und mehrermeldten Prinz die ganze Zeit des Stillstandes fleißig im Gesicht und vor seinem Absehen behalten, auch, als sich der Stillstand mit dem ersten Glockenstreich geendet und jeder von beiden Teilen sich in Sicherheit retiriert, auf ihn losgedruckt. Das Rohr hätte ihm aber wider alles Vermuten versagt, und sei der Prinz, bis der Korporal wieder gespannt, hinter die Brustwehre kommen, worauf der Korporal dem Feldmarschall, der sich auch zu ihm in den Laufgraben begeben gehabt, einen Schweizer aus des Prinzen Quardi gewiesen, auf welchen er gezielet und denselben dergestalt getroffen, daß er über und über gepurzelt, woraus dann handgreiflich abzunehmen gewesen, daß etwas an der Sache sei, daß nämlich kein Fürst von Savoya von Büchsenschüssen getroffen oder beschädigt werden möge. Ob nun solches auch durch dergleichen Künste zugieng, oder ob vielleicht dasselbe hohe Fürstliche Haus eine absonderliche Gnade von Gott habe, weil es, wie man saget, aus dem Geschlecht des Königlichen Propheten Davids entsprossen, könnte er nicht wissen.

Ich antwortete: »So weiß ichs auch nicht; aber dies weiß ich gewiß, daß die verzeichnete Künste natürlich und keine Zauberei sein.« Und wann er ja solches nicht glauben wollte, so sollte er mir nur sagen, welche er vor die wunderlichste und unmüglichste halte, so wollte ich ihm dieselbige gleich probieren, doch sofern es eine sei, die nicht längre Zeit und andre Gelegenheit erfodere, als ich übrig hätte, solche ins Werk zu setzen, weil ich gleich fortwandern und meine vorhabende Reise befördern müßte. Darauf sagte er, dies käme ihm am unmüglichsten vor, daß das Büchsenpulver nit brennen soll, wann Feuer darzu komme, ich würde dann zuvor das Pulver ins Wasser schütten. Wann ich solches natürlicherweise probieren könne, so wolle er von den andern Künsten allen, deren gleichwohl über die 60 wären, glauben, was er nicht sehe und vor solcher Prob nicht glauben könne. Ich antwortete, er sollte mir nur geschwind einen einzigen Schuß Pulver und noch eine Materia, die ich darzu brauchen müßte, samt Feuer herbeibringen, so würde er gleich sehen, daß die Kunst just sei. Als[216] solches geschahe, ließ ich ihn der Behör nach prozedieren, folgends anzünden; aber da vermochte er nicht mehr, als etwan nach und nach ein paar Körnlein zu verbrennen, wiewohl er eine Viertelstunde damit umgieng und damit nichts anders ausrichtete, als daß er sowohl glühende Eisen als Lunten und Kohlen im Pulver selbst über solcher Arbeit auslöschete. »Ja,« sagte er zuletzt, »jetzt ist aber das Pulver verderbt.« Ich aber antwortete ihm mit dem Werk und machte das Pulver ohn einzigen Kosten, ehender man 16 zählen konnte, daß es hinbrannte, da ers mit dem Feuer kaum anrührete. »Ach!« sagte er, »hätte Zürch diese Kunst gewüßt, so hätten sie verwichen so großen Schaden nicht gelitten, als das Wetter in ihren Pulverturn schlug.«

Wie er nun die Gewißheit dieser natürlichen Kunst gesehen, wollte er kurzum auch wissen, durch was Mittel ein Mensch sich vor den Büchsenkuglen versichern könnte; aber solches ihm zu kommunizieren war mir ungelegen. Er satzte mir zu mit Liebkosungen und Verheißungen; ich aber sagte, ich bedörfe weder Gelt noch Reichtum. Er wandte sich zu Bedrohungen, ich aber antwortete, man müßte die Pilger nach Einsiedlen passieren lassen. Er ruckte mir vor die Undankbarkeit vor empfangene freundliche Bewürtung; hingegen hielt ich ihm vor, er hätte bereits genug von mir davor gelernet. Demnach er aber gar nicht von mir ablassen wollte, gedachte ich, ihn zu betrügen; dann wer solche Kunst von mir entweder mit Liebe oder Gewalt erfahren wöllen, hätte ein höhere Person sein müssen. Und weil ich merkte, daß ers nicht achtete, obs mit Wörtern oder Kreuzen zugieng, wann er nur nicht geschossen würde, beschlug ich ihn auf den Schlag, wie mich Baldanders beschlagen, damit ich gleichwohl nicht zum Lügner würde und er doch die rechte Kunst nicht wüßte, maßen ich ihm folgenden Zettel davor gab.


»Das Mittel folgender Schrift

Behütet, daß dich keine Kugel trifft.


Asa, vitom, rahoremathi, ahe, menalem renah, oremi, nasiore ene, nahores, ore, eldit, ita, ardes, inabe, ine, nie nei, alomade, sas, ani, ita, elime, arnam, asa, locre, rahel, nei, vivet, aroseli, ditan, Veloselas, Herodan, ebi menises, asa elitira, eve, harsari erida, sacer, elachimai, nei elerisa.«

Als ich ihm diesen Zettel zustellete, gab er demselbigen auch Glauben, weil es so kauderwelsche Worte waren, die niemand verstehet, wie er vermeinete. Aber gleichwohl würkte ich mich[217] solchergestalt von ihm los und verdiente die Gnade, daß er mir ein paar Taler auf den Weg zur Zehrung mitgeben wollte; aber ich schlug die Annehmung ab und ließ mich mehr als gern nur mit einem Frühstück abfertigen. Also marschierte ich den Rhein hinunter auf Eglisau zu, unterwegs aber bliebe ich sitzen, wo er, der Rhein, seinen Fall hat und mit großen Sausen und Brausen Teils seines Wassers gleichsam in Staub verwandelt.

Damals fieng ich an zu bedenken, ob ich der Sache nicht zu viel getan, indem ich meinen Gastherrn, der mich gleichwohl so freundlich bewürtet, mit Dargebung der Kunst hinters Liecht geführet. Vielleicht, gedachte ich, wird er diese Schrift und närrische Wörter künftig seinen Kindern oder sonst seinen Freunden als eine gewisse Sache kommunizieren, die sich alsdann darauf verlassen, in unnötige Gefahr geben und darüber ins Gras beißen werden, eh sie zeitig; wer wäre alsdann an ihrem frühen Tod anders schuldig als du? Wollte derowegen wiederum zurücklaufen, Widerruf zu tun; weil ich aber sorgen mußte, wann ich ihm wieder in die Kluppen käme, würde er mich härter als zuvor halten oder mir doch wenigst den Betrug eintränken, als begab ich mich ferner nach Eglisau; daselbst erbettelte ich Speise, Trank, Nachtherberge und einen halben Bogen Papier. Darauf schrieb ich folgends: »Edler, frommer und hochgeehrter Herr! Ich bedanke mich nochmalen der guten Herberge und bitte Gott, daß ers dem Herrn wieder tausendfältig vergelten wolle. Sonst habe ich Sorge, der Herr möchte sich vielleicht künftig zu weit in Gefahr wagen und Gott versuchen, weil er so eine treffliche Kunst von mir wider das Schießen gelernet; als habe ich den Herrn warnen und ihm die Kunst erläutern wollen, damit sie ihm vielleicht nicht zu unstatten und Schaden gereiche. Ich habe geschrieben:


›Das Mittel der folgenden Schrift

Behütet, daß dich keine Kugel trifft.‹


Solches verstehe der Herr recht und nehme aus jedem unteutschen Wort, als welche weder zauberisch noch sonst von Kräften sein, den mittlern Buchstaben heraus, setze sie der Ordnung nach zusammen, so wird es heißen: ›Steh an ein Ordt, da niemant hinscheust, so bistu sicher.‹ Dem folge der Herr, denke meiner zum besten und bezeihe mich keines Betrugs, wormit ich uns beiderseits Gottes Schutz befehle, der allein beschützet, welchen er will. Dat. etc.«

Des andern Tages wollte man mich nicht passieren lassen, weil ich kein Gelt hatte, den Zoll zu entrichten, mußte derowegen[218] wohl zwo Stunden sitzen bleiben, bis ein ehrlicher Mann kam, der die Gebühr um Gottes willen vor mich darlegte. Dasselbe muß mir aber sonst niemand als ein Henker gewesen sein, dann der Zöllner sagte zu ihm: »Wie dunkt Euch, Meister Christian? getrautet Ihr wohl an diesem Kerl einen zeitlichen Feierabend zu machen?« – »Ich weiß nicht,« antwortete Meister Christian, »ich habe meine Kunst noch nie an den Pilgern probieret wie an Euersgleichen Zöllnern.« Davon kriegte der Zöllner eine lange Nase, ich aber trollte fort Zürch zu, allwo ich auch ererst mein Schreiben zurück auf Schaffhausen bestellete, weil mir nicht geheur bei der Sache war.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 214-219.
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