Das einundzwanzigste Kapitel.

[247] Simplex und Zimmermann müssen allein

Sein auf der Insel, und schicken sich drein.


Sobald er sich wiederum erkobert hatte und zu seinen sieben Sinnen kommen war, kniete er vor mir nieder, faltete beide Hände und sagte wohl eine halbe Viertelstunde nacheinander[247] sonst nichts als: »Ach Vatter! ach Bruder! ach Vatter! ach Bruder!« und fieng darauf an, mit Wiederholung solcher Worte so inniglich zu weinen, daß er vor Schluchsen kein verständliches Wort mehr herausbringen konnte, also daß ich mir einbildete, er müßte durch Schröcken und Gestank seines Verstandes sein beraubt worden. Wie er aber mit solcher Weise nicht nachlassen wollte und mich immerhin um Verzeihung bat, antwortete ich: »Liebster Freund, was soll ich Euch verzeihen, da Ihr mich doch Euere Lebetage niemal beleidigt habet? Saget mir doch nur, wie Euch zu helfen sei.« – »Verzeihung,« sagte er, »bitte ich; dann ich habe wider Gott, wider Euch und wider mich selbst gesündiget.« Und damit fieng er seine vorige Klage wieder an, kontinuierte sie auch so lang, bis ich sagte, ich wüßte nichts Böses von ihm, und dafern er gleichwohl etwas begangen, deswegen er sich ein Gewissen machen möchte, so wollte ichs ihm nicht allein, soviel es mich beträfe, von Grund meines Herzens verziehen und vergeben haben, sondern auch, wann er sich wider Gott vergriffen, neben ihn dessen Barmherzigkeit und Begnädigung anrufen. Auf solche Worte fassete er meine Schenkel in seine Arme, küssete meine Knie, und sahe mich so sehnlich und beweglich darauf an, daß ich darüber gleichsam erstummete und nicht wissen oder erraten konnte, was es doch immermehr mit dem Kerl vor eine Beschaffenheit haben möchte. Demnach ich ihn aber freundlich in die Arme nahm und an meine Brust druckte, mit Bitte, mir zu erzählen, was ihm anläge und wie ihm zu helfen sein möchte, beichtete er mir alles haarklein heraus, was er mit der vermeinten Abissinerin vor einen Diskurs geführet und über mich beides, wider Gott, wider die Natur, wider die christliche Liebe und wider das Gesetz treuer Freundschaft, die wir einander solenniter geschworen, bei sich selbst beschlossen gehabt hatte; und solches tat er mit solchen Worten und Gebärden, daraus seine inbrünstige Reue und zerknirschtes Herz leicht zu mutmaßen oder abzunehmen war.

Ich tröstete ihn, so gut ich immer konnte, und sagte, Gott hätte vielleicht solches zur Warnung über uns verhängt, damit wir sich künftig vor des Teufels Stricken und Versuchungen desto besser vorsehen und in stetiger Gottesfurcht leben sollten; er hätte zwar Ursache, seiner bösen Einwilligung halber Gott herzlich um Verzeihung zu bitten, aber noch eine größere Schuldigkeit sei es, daß er ihm um seine Hute und Barmherzigkeit danke, indem er ihn so vätterlich aus des leidigen Satans List und Fallstrick gerissen und ihn vor seinem zeitlichen[248] und ewigen Fall behütet hätte. Es würde uns vonnöten sein, vorsichtiger zu wandeln, als wann wir mitten in der Welt unter dem Volk wohneten; dann sollte einer oder der ander oder wir alle beide fallen, so würde niemand vorhanden sein, der uns wiederum aufhülfe als der liebe Gott, den wir derowegen desto fleißiger vor Augen haben und ihn ohn Unterlaß um Hülfe und Beistand anflehen müßten.

Von solchen und dergleichen Zusprechen ward er zwar um etwas getröstet, er wollte sich aber nichtsdestoweniger nicht allerdings zufrieden geben, sondern bat aufs demütigste, ich wollte ihm doch wegen seines Verbrechens eine Buße auflegen. Damit ich nun sein niedergeschlagnes Gemüt nach Müglichkeit wiederum etwas aufrichten möchte, sagte ich, dieweil er ohnedas ein Zimmermann sei und seine Axt noch im Vorrat hätte, so sollte er an demjenigen Ort, wo sowohl wir als unsere teuflische Köchin gestrandet, am Ufer des Meers ein Kreuz aufrichten. Damit würde er nicht allein ein Gott wohlgefällig Bußwerk verrichten, sondern auch zuwegen bringen, daß künftig der böse Geist, welcher das Zeichen des heiligen Kreuzes scheue, unsre Insul nicht mehr so leichtlich anfallen würde. »Ach!« antwortete er, »nicht nur ein Kreuz in die Niedere, sondern auch zwei auf das Gebürge sollen von mir verfertiget und aufgerichtet werden, wann ich nur, o Vatter, deine Huld und Gnade wieder habe und mich der Verzeihung von Gott getrösten darf!« Er gieng in solchem Eifer auch gleich hin und hörete nicht auf zu arbeiten, bis er die drei Kreuze verfertiget hatte, davon wir eins am Strand des Meers und die andere zwei, jedes besonder, auf die höchste Gipfel des Gebürges mit folgender Inskription aufrichteten:

»Gott dem Allmächtigen zu Ehren und dem Feind des menschlichen Geschlechts zu Verdruß hat Simon Meron von Lissabon aus Portugal mit Rat und Hilfe seines getreuen Freundes Simplici Simplicissimi, eines Hochteutschen, dies Zeichen des Leidens unsers Erlösers aus christlicher Wohlmeinung verfertiget und hieher aufgerichtet.«

Von dar an fiengen wir an, etwas gottseliger zu leben, weder wir zuvor getan hatten; und damit wir den Sabbat auch heiligen und feiern möchten, schnitt ich anstatt eines Kalenders alle Tage eine Kerbe auf einen Stecken und am Sonntag ein Kreuz. Alsdann saßen wir zusammen und redeten miteinander von heiligen und göttlichen Sachen; und diese Weise mußte ich gebrauchen, weil ich noch nichts ersonnen hatte, mich damit anstatt Papier und Tinten zu behelfen, dadurch[249] ich etwas Schriftliches hätte zu unsrer Nachricht aufzeichnen mögen.

Hier muß ich zum Beschluß dieses Kapitels einer artlichen Sachen gedenken, die uns den Abend, als unsre feine Köchin von uns abschied, gewaltig erschröckte und ängstigte, deren wir die erste Nacht nicht wahrgenommen, weil uns der Schlaf wegen überstandener Abmattung und großer Müdigkeit gleich überwunden. Es war aber dieses: Als wir noch vor Augen hatten, durch was vor tausend List uns der leidige Teufel in Gestalt der Abyssinerin verderben wollen und dannenhero nicht schlafen konnten, sonder lang wachend die Zeit, und zwar mehrenteils im Gebet, zubrachten, sahen wir, sobald es ein wenig finster ward, um uns her einen unzähligen Haufen der Liechter in der Luft herumschweben, welche auch einen solchen hellen Glanz von sich gaben, daß wir die Früchte an den Bäumen vor dem Laub unterscheiden konnten. Da vermeineten wir, es wär abermal ein neuer Fund des Widersachers, uns zu quälen, wurden derowegen ganz still und ruhsam, befanden aber endlich, daß es eine Art der Johannesfünklein oder Zintwürmlein (wie man sie in Teutschland nennet) waren, welche aus einer sonderbaren Art faulen Holzes entstehen, so auf dieser Insul wächset. Diese leuchten so hell, daß man sie gar wohl anstatt einer hellbrennenden Kerze gebrauchen kann, maßen ich nachgehends dies Buch mehrenteils dabei geschrieben; und wann sie in Europa, Asia und Afrika so gemein wären als hier, so würden die Liechtkrämer schlechte Losung haben.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 247-250.
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