Das dreiundzwanzigste Kapitel.

[253] Simplex, der Münch, die Histori beschleußt,

Darmit das End seiner sechs Bücher weist.


Mein Kamerad war noch keine Woche tod gewesen, als ich ein Ungeheur um meine Wohnung herum vermerkte. »Nun[253] wohlan«, gedachte ich, »Simplici, du bist allein, sollte dich nicht der böse Geist zu vexieren unterstehen? Vermeinest du nicht, dieser Schadenfroh werde dir dein Leben saur machen? Was fragst du aber nach ihm, wann du Gott zum Freund hast? Du mußt nur etwas haben, das dich übet, dann sonst würde dich Müßiggang und Überfluß zu Fall stürzen; hast du doch ohn diesen sonst niemand zum Feind als dich selbsten und dieser Insul Überfluß und Lustbarkeit. Darum mache dich nur gefaßt, zu streiten mit demjenigen, der sich am allerstärksten zu sein bedünkt. Wird derselbige durch Gottes Hülfe überwunden, so würdest du ja, ob Gott will, vermittelst dessen Gnade auch dein eigner Meister verbleiben.«

Mit solchen Gedanken gieng ich ein paar Tage um, welche mich um ein ziemliches besserten und andächtig machten, weil ich mich einer Rencontra versahe, die ich ohn Zweifel mit dem bösen Geist ausstehen müßte. Aber ich betrog mich vor diesmal selbsten, dann als ich an einem Abend abermal etwas vermerkete, das sich hören ließ, gieng ich vor meine Hütte, welche zu nähest an einem Felsen des Gebürgs stund, worunter die Hauptquelle des süßen Wassers, das vom Gebürg durch diese Insul ins Meer rinnet; da sahe ich meinen Kamerad an der steinern Wand stehen, wie er mit den Fingern in deren Spalt grübelte. Ich erschrak, wie leicht zu gedenken, doch fassete ich stracks wieder ein Herz, befahl mich mit Bezeichnung des heiligen Kreuzes in Gottes Schutz und dachte: »Es muß doch einmal sein! Besser ist es heut als morgen!«; gieng darauf zum Geist und brauchte gegen ihm diejenige Worte, die man in solchen Begebenheiten zu reden pfleget. Da verstund ich alsobald, daß es mein verstorbener Kamerad war, welcher bei seinen Lebzeiten seine Dukaten dorthin verborgen hatte, der Meinung, wann etwan über kurz oder lang ein Schiff an die Insul kommen würde, daß er alsdann solche wieder erheben und mit sich davonnehmen wollte. Er gab mir auch zu verstehen, daß er auf dies wenige Geld, als dadurch er wieder nach Haus zu kommen verhoffet, sich mehr als auf Gott verlassen, wessentwegen er dann mit solcher Unruhe nach seinem Tod büßen und mir auch wider seinen Willen Ungelegenheit machen müssen. Ich nahm auf sein Begehren das Gold heraus, achtete es aber weniger als nichts, welches man mir desto ehender glauben kann, weil ichs auch zu nichts zu gebrauchen wußte. Dieses nun war der erste Schröcken, den ich einnahm, seither ich mich allein befand; aber nachgehends ward mir wohl von andern Geistern zugesetzt, als dieser einer gewesen,[254] davon ich aber weiters nichts melden, sondern nur noch dieses sagen will, daß ich vermittelst göttlicher Hülf und Gnade dahin kam, daß ich keinen einzigen Feind mehr spürete als meine eigne Gedanken, die oft gar variabel stunden. Dann diese seind nicht zollfrei vor Gott, wie man sonst zu sagen pfleget; sondern es wird zu seiner Zeit ihrentwegen auch Rechenschaft gefodert werden.

Damit mich nun dieselbige destoweniger mit Sünden beflecken sollten, befliß ich mich nicht allein auszuschlagen, was nichts taugte, sondern ich gab mir selbst alle Tage eine leibliche Arbeit auf, solche neben dem gewöhnlichen Gebet zu verrichten; dann gleichwie der Mensch zur Arbeit wie der Vogel zum Fliegen geboren ist, also verursachet hingegen der Müßiggang beides, der Seelen und dem Leib, ihre Krankheiten, und zuletzt, wann man es am wenigsten wahrnimmt, das endliche Verderben. Derowegen pflanzete ich einen Garten, dessen ich doch weniger als der Wagen des fünften Rads bedorfte, weilen die ganze Insul nichts anders als ein lieblicher Lustgarten hätte mögen genannt werden. Meine Arbeit taugte auch zu sonst nichts, als daß ich eins und anders in eine wohlanständigere Ordnung brachte, obwohl manchem die natürliche Unordnung der Gewächse, wie sie da untereinander stunden, anmutiger vorkommen sein möchte, und dann, daß ich, wie obgemeldet, den Müßiggang abschaffte. O wie oft wünschte ich mir, wann ich meinen Leib abgemattet hatte und demselben seine Ruhe geben mußte, geistliche Bücher, mich selbst darin zu trösten, zu ergetzen und aufzubauen; aber ich hatte solche darum nicht. Demnach ich aber vor diesem von einem heiligen Mann gelesen, daß er gesagt, die ganze weite Welt sei ihm ein großes Buch, darin er die Wunderwerke Gottes erkennen und zu dessen Lob angefrischet werden möchte, als gedachte ich, demselbigen nachzufolgen, wiewohl ich sozusagen nicht mehr in der Welt war. Die kleine Insul mußte mir die ganze Welt sein, und in derselbigen ein jedes Ding, ja ein jeder Baum ein Antrieb zur Gottseligkeit und eine Erinnerung zu denen Gedanken, die ein rechter Christ haben soll. Also, sahe ich ein stachelecht Gewächs, so erinnert ich mich der Dörnenkrone Christi; sahe ich einen Apfel oder Granat, so gedachte ich an den Fall unserer ersten Eltern und bejammerte denselbigen; gewanne ich Palmwein aus einem Baum, so bildete ich mir vor, wie mildiglich mein Erlöser am Stamm des hl. Kreuzes sein Blut vor mich vergossen; sahe ich das Meer oder die Berge, so erinnerte ich mich des einen oder andern Wunderzeichens und Geschichten, so unser Heiland an dergleichen[255] Orten begangen; fand ich einen oder mehr Steine, so zum Werfen bequem waren, so stellete ich mir vor Augen, wie die Juden Christum steinigen wollten; war ich in meinem Garten, so gedachte ich an das ängstige Gebet am Ölberg oder an das Grab Christi, und wie er nach der Auferstehung Mariae Magdalenae im Garten erschienen etc. Mit solchen und dergleichen Gedanken handierte ich täglich; ich aß nie, daß ich nicht an das letzte Abendmahl Christi gedachte, und kochte mir niemal keine Speise, daß mich das gegenwärtige Feur nicht an die ewige Pein der Höllen erinnert hätte.

Endlich erfand ich, daß mit Brasiliensaft, dessen es unterschiedliche Gattungen auf dieser Insul gibet, wann solche mit Zitronensaft vermischet werden, gar wohl auf eine Art großer Palmblätter zu schreiben seie, welches mich höchlich erfreuete, weil ich nunmehr ordentliche Gebet konzipieren und aufschreiben konnte. Zuletzt als ich mit herzlicher Reue meinen ganzen geführten Lebenslauf betrachtete und meine Bubenstücke, die ich von Jugend auf begangen, mir selbsten vor Augen stellete und zu Gemüt führete, daß gleichwohl der barmherzige Gott unangesehen aller solchen groben Sünden mich bisher nicht allein von der ewigen Verdammnus bewahret, sondern auch Zeit und Gelegenheit geben hatte, mich zu bessern, zu bekehren, ihn um Verzeihung zu bitten und um seine Guttaten zu danken, beschrieb ich alles, was mir noch eingefallen, in dieses Buch, so ich von obgemeldten Blättern gemachet, und legte es samt obgedachten meines Kamerades hinterlassenen Dukaten an diesen Ort, damit, wann vielleicht über kurz oder lang Leute hieher kommen sollten, sie solches finden und daraus abnehmen können, wer etwan hiebevor diese Insul bewohnet. Wird nun heut oder morgen, entweder vor oder nach meinem Tod, jemand dies finden und lesen, denselben bitte ich, dafern er etwan Wörter darin antrifft, die einem, der sich gern besserte, nicht zu reden, geschweige zu schreiben, wohl anstehen, er wolle sich darum nicht ärgern, sondern gedenken, daß die Erzählung leichter Händel und Geschichten auch bequeme Worte erfordern, solche an Tag zu geben. Und gleichwie die Maurraut von keinem Regen leichtlich naß wird, also kann auch ein rechtschaffenes gottseliges Gemüt nit sogleich von einem jedwedern Diskurs, er scheine auch so leichtfertig, als er wolle, angesteckt, vergiftet und verderbet werden; ein ehrlich gesinnter christlicher Leser wird sich vielmehr verwundern und die göttliche Barmherzigkeit preisen, wann er findet, daß so ein schlimmer Geselle, wie ich gewesen, dannoch die Gnade von Gott gehabt, der Welt zu resignieren und in[256] einem solchen Stand zu leben, darin er zur ewigen Glorie zu kommen und die selige Ewigkeit nächst dem heiligen Leiden des Erlösers zu erlangen verhoffet durch ein seliges Ende.


Relation Jean Cornelissen

von Harlem, eines holländischen Schiffcapitains,

an German Schleiffheim von Sulsfort,

seinen guten Freund,

vom Simplicissimo.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 253-257.
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