Das vierundzwanzigste Kapitel.

[257] Jan Cornelisen, ein Schifscapitain,

Kommt an das Ort, wo war Simplex allein.


Es weiß sich ohn Zweifel Derselbe noch wohl zu erinnern, wasmaßen ich bei unsrer Abreise versprochen, Ihm die allergrößte Rarität mitzubringen, die mir in ganz India oder auf unsrer Reise zustehe; nun hab ich zwar etliche seltsame Meer- und Erdgewächse gesammlet, damit der Herr wohl seine Kunstkammer zieren mag; aber was mich am allermeisten verwunderungs- und aufhebenswert zu sein bedünket, ist gegenwärtiges Buch, welches ein hochteutscher Mann, in einer Insul gleichsam mitten im Meer allein wohnhaftig, wegen Mangel Papiers aus Palmblättern gemachet und seinen ganzen Lebenslauf darin beschrieben. Wie mir aber solches Buch zuhanden kommen, auch was besagter Teutscher vor ein Mann sei und was er vor ein Leben führe, muß ich dem Herrn ein wenig ausführlich erzählen, obzwar er selbst solches in gemeldtem seinem Buch ziemlichermaßen an Tag gegeben.

Als wir in denen Molukkischen Insulen unsre Ladung völlig bekommen und unsern Lauf gegen dem Capo Bonae Esperanzae zu nahmen, spüreten wir, daß sich unsre Heimreise nicht beschleinigen wollte, wie wir wohl anfangs gehoffet, dann die Winde mehrenteils contrari und so variabel giengen, daß wir lang umgetrieben und aufgehalten wurden; wessentwegen dann auf allen Schiffen der Armada wir merklich viel Kranken bekamen. Unser Admiral tät einen Schuß, steckte eine Flagge[257] aus und ließ also alle Capitains von der Flotte auf sein Schiff kommen; da ward geratschlaget und beschlossen, daß man sich die Insul St. Helenae zu erlangen und daselbsten die Kranke zu erfrischen und anständiges Wetter zu erwarten bemühen sollte; item, es sollten, wann die Armada vielleicht durch Ungewitter, dessen wir uns nicht vergebens versahen, zertrennet würde, die erste Schiffe, so an bemeldte Insul kämen, eine Zeit von vierzehn Tagen auf die übrige warten, welches dann wohl, ausgesonnen und beschlossen worden, maßen es uns ergieng, wie wir besorget hatten, indem durch einen Sturm die Flotte dergestalt zerstreuet ward, daß kein einziges Schiff bei dem andern verblieb. Als ich mich nun mit meinem anvertrauten Schiff allein befand und zugleich mit widerwärtigem Wind, Mangel an süßem Wasser und vielen Kranken geplaget ward, mußte ich mich kümmerlich mit Lavieren behelfen, womit ich aber wenig ausrichtete, mehrbesagte Insul Helenae zu erlangen (von deren wir noch vierhundert Meilen zu sein schätzelen), es hätte sich dann der Wind geändert.

In solchem Umschweifen und schlechten Zustand, in dem es sich mit den Kranken ärgerte und ihrer täglich mehr wurden, sahen wir gegen Osten weit im Meer hinein unsers Bedünkens einen einzigen Felsen liegen; dahin richteten wir unsern Lauf, der Hoffnung, etwan ein Land der Enden anzutreffen, wiewohl wir nichts dergleichen in unseren Mappen angezeiget fänden, so der Enden gelegen. Da wir sich nun demselben Felsen auf der mitternächtigen Seite näherten, schätzten wir dem Ansehen nach) daß es ein steinechtes, hohes, unfruchtbares Gebürge sein müßte, welches so einzig im Meer läge, daß auch, an derselben Seite zu besteigen oder daran anzuländen, unmüglich schiene; doch empfanden wir am Geruch, daß wir nahe an einem guten Geländ sein müßten. In bemeldten Gebürge saß und flogs voller Vögel; und indem wir dieselbe betrachteten, wurden wir auf den höchsten Gipfelen zweier Kreuzen gewahr, daran wir wohl abnehmen konnten, daß solche durch menschliche Hände aufgerichtet worden, und dannenhero das Gebürge wohl zu besteigen wäre. Derowegen schifften wir oft hinum und fanden auf der andern Seite des gemeldten Gebürges ein zwar kleines, aber solches lustiges Geländ, dergleichen ich mein Tag weder in Ost-noch Westindien nicht gesehen. Wir legten sich zehn Klaftern tief auf den Anker in gutem Sandgrund und schickten einen Nachen mit acht Männern zu Land, um zu sehen, ob daselbsten keine Erfrischung zu bekommen.

Diese kamen bald wieder und brachten einen großen Überfluß[258] von allerhand Früchten, als Zitronen, Pomeranzen, Kokos, Bonanes, Batades, und was uns zum höchsten erfreuete, auch die Zeitung mit sich, daß trefflich gut Trinkwasser auf der Insul zu bekommen; item, obzwar sie einen Hochteutschen auf der Insul angetroffen, der allem Ansehen nach sich schon lange Zeit allda befunden, so laufe jedoch der Ort so voller Geflügel, die sich mit den Händen fangen lassen, daß sie den Nachen voll zu bekommen und mit Stecken todzuschlagen getrauet hätten. Von gemeldtem Teutschen glaubten sie, daß er irgends auf einem Schiff eine Übeltat begangen und dannenhero zur Strafe auf diese Insul gesetzet worden, welches wir dann auch darvor hielten; überdas sagten sie vor gewiß, daß der Kerl nicht bei sich selbst, sondern ein purer Narr sein müßte, als von welchem sie keine einzige richtige Rede und Antwort haben mögen.

Gleichwie nun durch diese Zeitung das ganze Schiffvolk, insonderheit aber die Kranke herzlich erfreuet wurden, also verlangete auch jedermann aufs Land, sich wiederum zu erquicken. Ich schickte derowegen einen Nachen voll nach dem andern hin, nicht allein den Kranken ihre Gesundheit wieder zu erholen, sondern auch das Schiff mit frischem Wasser zu versehen, welches uns beides nötig war, also daß wir mehrenteils auf die Insul kamen. Da fanden wir mehr ein irdisch Paradeis als einen öden unbekannten Ort. Ich vermerkte auch gleich, daß bemeldter Teutscher kein solcher Tor sein müßte, viel weniger ein Übeltäter, wie die Unserige anfangs darvor gehalten; dann alle Bäume, die von Art eine glatte Rinde trugen, hatte er mit biblischen und andern schönen Sprüchen gezeichnet, seinen christlichen Geist dadurch aufzumuntern und das Gemüte zu Gott zu erheben; wo aber keine ganze Sprüche stunden, da befanden sich wenigst die vier Buchstaben der Überschrift Christi am Kreuz, als I N R I oder der Name Jesu und Mariae als irgends nur ein Instrument des Leidens Christi, daraus wir mutmaßeten, daß er ohn Zweifel ein Papist sein müßte, weil uns alles so päbstisch vorkam. Da stund Memento mori auf Latein, dorten Jeschua Hanosri Melech Haijehudim auf Hebräisch, an einem andern Ort dergleichen etwas auf Griechisch, Teutsch, Arabisch oder Mulukkisch (welche Sprache durch ganz Indien gehet) zu keinem andern Ende, als sich der himmlischen göttlichen Dinge dabei christlich zu erinnern. Wir fanden auch seines Kamerades Grabmal, davon dieser Teutsche selbst in seines Lebens Erzählung meldet, nicht weniger auch die drei Kreuzen, welche sie beide miteinander am Ufer des Meers aufgerichtet hatten, wessentwegen dann unser Schiffvolk den Ort (vornehmlich weil[259] gleichsam an allen Bäumen auch Kreuzer eingeschnitten stunden) die Kreuzinsul nannten. Doch waren uns alle solche kurze und sinnreiche Sprüche lauter räterisch und dunkele Oracula, aus denen wir aber gleichwohl abnehmen konnten, daß ihr Autor kein Narr, sondern ein sinnreicher Poet, insonderheit aber ein gottseliger Christ sein müsse, der viel mit Betrachtung himmlischer Dinge umbgehe. Folgender Reim, den wir auch in einem Baum eingeschnitten fanden, bedünkte unsern Siechentröster, der mit mir herumgieng und viel aufschrieb, was er sand, der vornehmste zu sein, vielleicht weil er ihm was Neues war; er lautet also:


»Ach allerhöchstes Gut! du wohnst in solchem Liecht,

Daß man vor Klarheit groß den Glanz kann sehen nicht.«


Dann er, der Siechentröster, welches ein überaus gelehrter Mann war, sagte: »So weit kommt ein Mensch auf dieser Welt und nicht höher, es wolle ihm dann Gott das höchste Gut aus Gnaden mehr offenbaren.«

Indessen durchstrichen meine gesunde Schiffbursche die ganze Insul, allerhand Erfrischungen vor sich und die Kranke zusammenzubringen und bemeldten Teutschen zu suchen, den alle Prinzipalen des Schiffs zu sehen und mit ihm zu konferieren ein großes Verlangen trugen. Sie trafen ihn dannoch nicht an, aber wohl eine ungeheure Höhle voller Wasser im Steinfelsen, darin sie schätzten, daß er sein müßte, weil ein ziemlicher enger Fußpfad hineingieng. In dieselbe konnte man aber wegen des darinstehenden Wassers und großer Finsternus nicht kommen; und wanngleich man Fackeln und Pechringe anzündete, sich damit zu behelfen und die Höhle zu visitieren, so löschte jedoch alles aus, ehe sie einen halben Steinwurf weit hineinkamen, mit welcher Arbeit sie viel Zeit umsonst hinbrachten.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 257-260.
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