Das sechsundzwanzigste Kapitel.

[264] Simplex mit Cornelis wohl akkordiert,

Seiner Leut jeder Vernunft wieder spürt.


Nach Vernehmung dieser Meinung wäre uns der Teutsche zwar wohlgesessen gewesen, wann wir nur wieder aus seiner Höhle hätten kommen können, aber solches war uns unmüglich; dann gleichwie wir ohn Liecht es nicht vermochten, also dorften wir auch auf keine Hülfe von den Unserigen hoffen, welche auf der Insul in ihrer Tollerei noch herumraseten. Derowegen stunden wir in großen Ängsten und suchten die allerbesten Worte herfür, den Teutschen zu persuadieren, daß er uns aus der Höhle helfen sollte, welche er aber alle nichts achtete, bis wir endlich, nachdem wir ihm unsern und der Unserigen Zustand gar beweglich zu Gemüt geführet, er auch selbst ermaß, daß kein Teil dem andern von uns ohn seinen Beistand nicht helfen würde können, vor Gott dem Allmächtigen protestierten,[264] daß er uns aus Hartnäckigkeit sterben und verderben ließe, und daß er dessentwegen am Jüngsten Gericht würde Rechenschaft geben müssen, mit dem Anhang: wollte er uns nicht lebendig aus der Höhle helfen, so müßte er uns doch endlich, wann wir darin verdorben und gestorben wären, tod herausschleppen, wie er dann auch besorglich auf der Insul Tode genug finden würde, die ewige Rache über ihn zu schreien Ursache hätten, um willen er ihnen nicht zu Hülfe kommen, eh sie einander vielleicht, wie zu förchten, in ihrem unsinnigen Zustand selbsten entleibten. Durch dies Zusprechen erlangten wir endlich, daß er verspräche, uns aus der Höhle zu führen, jedoch mußten wir ihm zuvor folgende fünf Punkten wahr, stet, fest und unzerbrüchlichen zu halten bei christlicher Treue und altteutschen Biedermannsglauben versprechen:

Erstlich, daß wir diejenige, so wir anfänglich auf die Insul gesendet, wegen dessen, damit sie sich gegen ihm vergriffen, weder mit Worten noch Werken nicht strafen sollten; zweitens, daß hingegen auch vergessen, tod und ab sein sollte, daß er, der Teutsche, sich vor uns verborgen und so lang nicht in unser Bitten und Begehren verwilligen wollen; drittens, daß wir ihn als eine freie Person, die niemand unterworfen, wider seinen Willen nicht müßigen wollten, mit uns wiederum in Europam zu schiffen; viertens, daß wir keinen aus den Unserigen auf der Insul hinterlassen wollten; und fünftens, daß wir niemand weder schrift- noch mündlich, viel weniger durch eine Mappa kund oder offenbar machen wollten, wo oder unter welchem Gradu diese Insul gelegen. Nachdem wir nun solches zu halten beteuret, ließ er sich gleich mit vielen Liechtern sehen, welche aus dem Finstern wie die hellen Sterne hervorglänzeten. Wir sahen wohl, daß es kein Feur war, weil ihm Haar und Bart vollhieng, welches auf solchen Fall verbrannt wäre, hielten es derowegen vor eitel Karfunkelsteine, die, wie man saget, im Finstern leuchten sollen. Da stieg er einen Felsen auf den andern ab und mußte auch an etlichen Orten durchs Wasser waten, also, daß er durch seltsame Krümme und Umwege, welche uns unmöglich zu finden gewesen wären, wanngleich wir wie er mit solchen Liechtern versehen gewesen wären, sich gegen uns nähern mußte. Es sahe alles mehr einem Traum als einer wahren Geschichte, der Teutsche selbst aber mehr einem Gespenst als einem wahrhaftigen Menschen gleich, also daß sich etliche einbildeten, wir wären auch gleich unseren Leuten auf der Insul mit einer aberwitzigen Wahnsucht behaftet.

Als er nun nach einer halben Stunde (dann so lange Zeit[265] mußte er mit Auf- und Absteigen zubringen, eh er zu uns kommen konnte) bei uns anlangte, gab er jedem nach teutschen Gebrauch die Hand, hieß uns freundlich willkommen und bat, wir wollten ihm verzeihen, daß er aus Mißtrauen so lang verzogen hätte, uns wieder an des Tages Liecht zu bringen, reichte darauf jedem eins von seinen Liechtern, welches aber keine Edelgesteine, sondern schwarze Käfer waren in der Größe als die Schröter in Teutschland. Diese hatten unten am Hals einen weißen Flecken so groß als ein Pfenning, der leuchtete in der Finstere viel heller als eine Kerze, maßen wir durch diese wunderbarliche Liechter mit unserm Teutschen wieder glücklich aus der grausamen Höhle kamen.

Dieser war ein langer, starker, wohlproportionierter Mann mit geraden Gliedern, lebhafter schöner Farbe, korallenroten Lefzen, lieblichen schwarzen Augen, sehr heller Stimme und einem langen schwarzen Haar und Bart, hier und da mit sehr wenigen grauen Haaren besprenget; die Haupthaare hiengen ihm bis über die Hüfte und der Bart bis über den Nabel hinunter; um die Scham hatte er einen Schurz von Palmblättern und auf dem Haupt einen breiten Hut, den er aus Binsen geflochten und mit Gummi überzogen hatte, der ihn wie ein Parasol beides, vor Regen und Sonnenschein, beschüten konnte; und im übrigen sahe er beinahe aus, wie die Papisten ihren Sanctum Onoffrium abzumalen pflegen. Er wollte in der Höhle mit uns nicht reden; aber sobald er herauskam, sagte er uns die Ursache, nämlich daß sie diese Art an sich: wann man darin ein großes Getöse hätte, daß alsdann die ganze Insul davon erschüttere und ein solches Erdbidem erzeige, daß diejenige, so darauf sein, vermeinen, sie würde untergehen, so er bei Lebzeiten seines Kamerades vielmal probieret hätte, welches uns erinnerte an dasjenige Loch in der Erden unweit der Stadt Vieburg in Finnland, davon Johann Rauhe in seiner Cosmographia am 22. Kap. schreibet. Er verwiese uns darneben, daß wir sich so freventlich hineinbegeben, und erzählte zugleich, daß er und sein Kamerad wohl ein ganz Jahr zugebracht, eh sie sich des Wegs hinein erkündiget, welches ihnen aber gleichwohl ohn gedachte Käfer, weil sonst alle Feur darin auslöschen, in vielen Jahren nimmermehr müglich gewesen wäre. Mithin näherten wir sich zu seiner Hütten; die hatten die Unserige spolieret und allerdings ruinieret, welches mich heftig verdroß; er aber sahe sie kaltsinnig an und tät nicht dergleichen, daß ihm ein Leid dardurch widerfahren wäre. Auch tröstete ihn meine Entschuldigung, daß solches wider meinen Willen und Befelch geschehen, Gott gebe, aus was[266] Verhängnus oder Befelch, vielleicht ihm zu erkennen zu geben, wieweit er sich der Gegenwart und Beiwohnung der Menschen, vornehmlich aber der Christen, und zwar seiner europäischen Landsleute zu erfreuen. Die Beut, so die Zerstörer seiner armen Wohnung gemachet hätten, würde über dreißig Dukaten in specie nicht sein, die er ihnen gern gönne; hingegen wäre der größte Verlust, den er erlitten, ein Buch, das er mit großer Mühe von seinem ganzen Lebenslauf, und wie er in diese Insul kommen, beschrieben. Doch könnte ers auch leicht verschmerzen, weil er ein anders verfertigen könnte, wann wir ihm anders die Palmbäume nicht alle abhauen und ihm selbst das Leben lassen würden. Darauf erinnerte er selbst, zu eilen, damit wir denen, so ihre Vernunft in den Pflaumen verfressen hatten, fein zeitlich wieder zu Hülf kommen möchten.

Also gelangten wir zu angeregten Bäumen, dabei die Unserige beides, Kranke und Gesunde, ihr Läger aufgerichtet. Da sahe man nun ein wunderbarliches abenteurliches Wesen: kein einziger unter allen war noch bei Sinnen; diejenige aber, so ihre Vernunft noch hatten, waren zerstoben und von den Verrückten entweder auf das Schiff oder fonstenhin in die Insul geflohen.Der erste, der uns aufstieß, war ein Büchsenmeister; der kroch auf allen vieren daher, krächzete wie eine Saue und fagte immerfort: »Malz! Malz!«, der Meinung, weil er sich einbildete, er wäre zu einer Sau worden, wir sollten ihm Malz zu fressen geben. Derohalben gab ich ihm aus Rat des Hochteutschen ein paar Kernen von denen Pflaumen, darin sie alle ihren Witz verfressen, mit Versprechen, wann er solche würde gessen haben, daß er alsobald gesund werde. Da er nun solche zu sich genommen, also daß sie kaum warm bei ihm worden, richtete er sich wieder auf und fieng an, vernünftig zu reden. Und solchergestalt brachten wir alle ehender als in einer Stunde wieder zürecht. Da kann sich nun jeder wohl einbilden, wie hoch mich solches erfreute und wasgestalten ich mich obgedachtem Hochteutschen verbunden zu sein erkannte, sintemal wir ohne seine Hilfe und Rat mit allem Volk samt dem Schiff und Gütern ohn allen Zweifel hätten verderben müssen.[267]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 264-268.
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