Das fünfte Kapitel.

[184] Simplex kommt aus seiner Wildnus aufs Meer,

Fährt zwischen England und Frankreich daher.


Indem der Geiz so daherplauderte, sich selbst zu loben und der Verschwendung vorzuziehen, kam ein höllischer Gast dahergefladert, der vor Alter gleichsam hinfällig, ausgemergelt, lahm und buckelt zu sein schiene; er schnaufte wie ein Bär oder als wann er einen Hasen erloffen hätte, weswegen dann alle Anwesende die Ohren spitzeten, zu vernehmen, was er Neues brächte oder vor ein Wildpret gefangen hätte; dann er hatte hierzu vor andern Geistern den Ruhm einer sonderbaren Dexterität. Da sie es aber bei Liecht besahen, war es nihil und ein nisi darhinder, das ihn an seiner Verrichtung verhindert; dann da ihm stattgeben ward, Relation zu tun, verstunde man gleich, daß er Julo, einem Edelmann aus England, und seinem Diener Avaro (die miteinander aus ihrem Vatterland in Frankreich reiseten) vergeblich aufgewartet, entweder beide, oder einen allein zu berücken: dem ersten hätte er wegen seiner edlen Art und tugendlichen Auferziehung, dem andern aber wegen seiner einfältigen Frömmigkeit nicht beikommen mögen; bat derowegen den Luzifer, daß er ihm mehr Sukkurs zu ordnen wollte.

Eben damals hatte es das Ansehen, als wann Mammon[184] seinen Diskurs beschließen und die Verschwendung den ihrigen hätte anfahen wollen; aber Luzifer sagte: »Es bedarf nicht vieler Worte: das Werk lobet den Meister. Einem jeden von euch beiden Gegenteilen sei auferlegt, einen von diesen Engländern vor die Hand zu nehmen, ihn anzuwenden, zu versuchen, zu hetzen und durch seine Kunst und Geschicklichkeit anzufechten, so lang und so viel, bis daß ein oder ander Teil den seinigen angefesselt, in seine Stricke gebracht und unserm höllischen Reich einverleibt habe; und welches Teil den seinigen alsdann am gewissesten und festesten anherschaffet oder heimbringet, der soll den Preis gewonnen und die Präeminenz vor dem andern haben.« Diesen Bescheid lobten alle höllische Geister, und die beide streitige Parteien verglichen sich selbst gütlich aus Rat der Hoffart, daß Mammon den Avarum und die Verschwendung den Julum vor die Hand nehmen sollten mit dem ausdrücklichen Geding und Vorbehalt, daß kein Teil dem andern bei dem seinigen den geringsten Eintrag nicht tun, noch sich unterstehen sollte, solchen auf seine anderwärtige Art zu neigen, es sei dann Sache, daß des höllischen Reichs Interesse dasselbige ausdrücklich erfodere. Da sollte man Wunder gesehen haben, wie die andere Laster diesen beiden Glück wünschten und ihnen ihre Gesellschaft, Hülfe und Dienst anbotten. Mithin schied die ganze höllische Versammlung voneinander, worauf sich ein starker Wind erhub, der mich mitsamt der Verschwendung und dem Geiz samt ihren Anhängern und Beiständern in einem Nun zwischen Engeland und Frankreich führete und in dasjenige Schiff niederließ, worin beide Engeländer überfuhren und gleich aussteigen wollten.

Die Hoffart machte sich den geraden Weg zum Julo und sagte: »Tapferer Kavalier, ich bin die Reputation; und weil Ihr jetzt ein fremd Land betrettet, wird mir nicht übel anstehen, wann Ihr mich zur Hofmeisterin behaltet. Hier könnt Ihr die Einwohner durch eine sonderbare Pereleganz sehen lassen, daß Ihr kein schlechter Edelmann, sondern aus dem Stamm der alten Könige entsprossen seid; und wanngleich solches nicht wäre, so würde Euch jedoch gebühren, Euerer Nation zu Ehren den Franzosen zu weisen, was Engeland vor wackere Leute trage.«

Darauf ließ Julus durch Avarum seinen Diener dem Schiffpatron die Fracht in lauter wiewohl groben, jedoch anmutig- und holdseligen Goldsorten entrichten, weswegen dann der Schiffherr dem Julo einen demütigen Bückling machte und ihn gar vielmal einen gnädigen Herrn nannte. Solches machte ihm die Hoffart zunutz und sagte zum Avaro: »Schaue, wie einer[185] geehret wird, der dieser Gesellen viel herberget!« Der Geiz aber sagte zu ihm: »Hättest du solcher Gäste so viel besessen, als dein Herr nur jetzt ausgibet, du solltest sie wohl anders angelegt haben; dann weit besser ist es, der Vorrat und Überfluß werde zu Haus auf ein gewisses Interesse angeleget, damit man künftig etwas davon zu genießen habe, als daß man denselbigen auf einer Reise, die ohndas voller Mühe, Sorge und Gefahr stecket, so unnützlich durchjaget.«

Sobald betratten beide Jünglinge das feste Land nicht, als Hoffart die Verschwendung vertreulich avisierte, daß sie nicht allein einen Zutritt, sondern allen Vermuten nach einen unbeweglichen Sitz auf ihr erstes Anklopfen in des Juli Herzen bekommen, mit angehängter Erinnerung, sie möchte noch mehrer anderwärtlichen Assistenz sich bewerben, damit sie desto sicherer und gewisser ihr Vorhaben ins Werk stellen könnte: Sie wolle ihr zwar nicht weit von der Hand gehen, aber gleichwohl müßte sie ihrem Gegenteil, dem Geiz, ebenso große Hülfe leisten, als sie (die Verschwendung) von ihr zu hoffen.

Mein großgünstiger, hochgeehrter Leser, wann ich eine Histori zu erzählen hätte, so wollte ichs kürzer begreifen und hier nicht so viel Umstände machen. Ich muß selbst gestehen, daß mein eigner Vorwitz von jedem Geschichtschreiber stracks erfodert, mit seinen Schriften niemand lang aufzuhalten; aber dieses, was ich vortrage, ist eine Vision oder Traum, und also weit ein anders. Ich darf nit so geschwind zum Ende eilen, sondern muß etliche geringe Partikularitäten und Umstände mit einbringen, damit ich etwas vollkommner erzählen möge, was ich den Leuten dieses Orts zu kommunizieren vorhabens, welches dann nichts anders ist, als ein Exempel zu weisen, wie aus einem geringen Fünklein allgemach ein groß Feuer werde, wann man die Vorsichtigkeit nit beobachtet. Dann gleichwie selten jemand in dieser Welt auf einmal den höchsten Gradum der Heiligkeit erlanget, also wird auch keiner gähling und sozusagen in einem Augenblick aus einem Frommen zu einem Schelmen; sondern jeder Teil steiget allgemach, sacht und sacht sein staffelweise hinan, welche Staffeln des Verderbens dann in diesem meinem Gesicht billig nicht außer acht zu lassen, damit sich ein jeder zeitlich davor zu hüten wisse, zu welchem Ende ich dann vornehmlich solche beschreibe, maßen es diesen beide Jünglingen gangen wie einem jungen Stück Wild, welches, wann es den Jäger siehet, anfänglich nicht weiß, ob es fliehen oder stehen soll, oder doch ehender gefället wird, als es den Schützen erkennet. Zwar giengen sie etwas geschwinder als gewöhnlich[186] ins Netz, aber solches war die Ursache, daß bei jedem der Zunder bequem war, die Funken des einen und andern Lasters also gleich zu fangen. Dann wie das junge Vieh, wann es wohl ausgewintert ist und im Frühling aus dem verdrießlichen Stall auf die lustige Waide gelassen wird, anfahet zu gumpen, und sollte es auch zu seinem Verderben in eine Spalte oder Zaunstecken springen, also machet es auch die unbesonnen Jugend, wann sie sich nicht mehr unter der Rute der vätterlichen Zucht, sondern aus der Eltern Augen in der lang erwünschten Freiheit befindet, als deren gemeiniglich Erfahrenheit und Vorsichtigkeit manglet.

Das obgemeldte sagte die Hoffart nicht nur vor die Langeweile zu der Verschwendung, sondern wandte sich gleich zu dem Avaro selbsten, bei dem sie den Neid und Mißgunst fand, welche Kameraden der Geiz geschickt hatte, ihm den Weg zu bereiten; derowegen richtete sie ihren Diskurs darnach ein und sagte zu ihm: »Höre du, Avare! bist du nicht so wohl ein Mensch als dein Herr? bist du nicht so wohl ein Engeländer als Julus? Was ist dann das, daß man ihn einen gnädigen Herrn und dich seinen Knecht nennet? hat euch beide dann nicht Engeland, und zwar den einen wie den andern, geboren und auf die Welt gebracht? Wo kommt es her, daß er hier im Land, da er so wenig eignes hat als du, vor einen gnädigen Herrn gehalten, du aber als ein Sklav traktieret würdest? Seid nicht ihr beide, einer wie der ander, über Meer herkommen? hätte er nicht so wohl als du und ihr beide als Menschen zugleich ersaufen müssen, wann euer Schiff unterweges gescheitert? oder wäre er, weil er ein Edelmann ist, etwan wie ein Delphin unter den Wellen der Ungestüme in einen sichern Port entrunnen? oder hätte er sich vielleicht als ein Adler über die Wolken (darin sich der Anfang und die grausame Ursache euers Schiffbruchs enthalten) schwingen und also dem Untergang entgehen können? Nein, Avare! Julus ist so wohl ein Mensch als du, und du bist so wohl ein Mensch als er! Warum aber wird er dir so weit vorgezogen?« Mit dem fiel Mammon der Hoffart in die Rede und sagte: »Was ist das vor ein Handel, einen zum Fliegen anzusporen, eh ihm die Federn gewachsen, gleichsam als wann man nicht wüßte, daß solches das Geld sei, was Julus ist? Sein Geld, sein Geld ist es, was er ist, und sonst ist er nichts! nichts, sage ich, ist er, als was sein Geld aus ihm machet. Der gute Geselle harre nur ein wenig und lasse mich gewähren, ob ich dem Avaro durch Fleiß und Gehorsamkeit nicht ebensoviel Geld, als Julus verschwendet,[187] zuwege bringen und ihn dadurch zu einem solchen Stutzer, wie Julus einer ist, gleichmachen möchte.«

So hatten des Avari erste Anfechtungen eine Gestalt, denen er nicht allein fleißig Gehör gab, sondern sich auch entschloß, denselben nachzuhängen; so unterließ Julus auch nicht, demjenigen mit allem Fleiß nachzuleben, was ihm die Hoffart eingab.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 184-188.
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