Das neunte Kapitel.

[200] Simplex mit Baldanders viel diskurieret,

Bei dem er treffliche Künste verspüret.


Ich spazierte einsmals im Wald herum, meinen eitelen Gedanken Gehör zu geben; da fand ich ein steinerne Bildnus liegen in Lebensgröße, die hatte das Ansehen, als wann sie irgendeine Statua eines alten teutschen Helden gewesen wäre; dann sie hatte ein altfränkische Tracht von romanischer Soldatenkleidung, vorn mit einem großen Schwabenlatz, und war meinem Bedünken nach überaus künstlich und natürlich ausgehauen. Wie ich nun so da stund, das Bild betrachtete und mich verwunderte, wie es doch in diese Wildnus kommen sein möchte, kam mir in Sinn, es müßte irgends auf diesem Gebürg vor langen Jahren ein heidnischer Tempel gestanden und dieses der Abgott darin gewesen sein, sahe mich derowegen um, ob ich nichts mehr von dessen Fundament sehen kunnte, ward aber nichts dergleichen gewahr; sondern dieweil ich einen Hebel fand, den etwan ein Holzhauer liegen lassen, nahm ich denselben und trat an diese Bildnus, sie umzukehren, um zu sehen, wie sie auf der andern Seite eine Beschaffenheit hätte. Ich hatte aber derselben den Hebel kaum untern Hals gesteckt und zu lupfen angefangen, da fieng sie selbst an, sich zu regen und zu sagen: »Laß mich mit Frieden, ich bin Baldanders!« Ich erschrak zwar heftig, doch erholte ich mich gleich wiederum und sagte: »Ich sehe wohl, daß du bald anders bist; dann erst warest du ein toder Stein, jetzt aber bist du ein beweglicher Leib; wer bist du aber sonst, der Teufel oder seine Mutter?« – »Nein,« antwortete er, »ich bin deren keins, sondern Baldanders, maßen du mich selbst so genannt und davor erkannt hast; und konnte es auch wohl müglich sein, daß du mich nit kennen solltest, da ich doch alle Zeit und Täge[200] deines Lebens bin bei dir gewesen? Daß ich aber niemal mit dir mündlich geredet habe, wie etwan Anno 1534 den letzten Julii mit Hans Sachsen, dem Schuster von Nürnberg, ist die Ursache, daß du meiner niemalen geachtet hast, unangesehen ich dich mehr als andere Leute bald groß, bald klein, bald reich, bald arm, bald hoch, bald nieder, bald lustig, bald traurig, bald bös, bald gut, und in Summa bald so und bald anders gemachet habe.« Ich sagte: »Wann du sonst nichts kannst als dies, so wärest du wohl vor diesmal auch von mir blieben.« Baldanders antwortete: »Gleichwie mein Ursprung aus dem Paradeis ist und mein Tun und Wesen bestehet, solang die Welt bleibet, also werde ich dich auch nimmermehr gar verlassen, bis du wieder zur Erde wirst, davon du herkommen, es sei dir gleich lieb oder leid.« Ich fragte ihn, ob er dann den Menschen zu sonst nichts tauge, als sie und alle ihre Händel so mannigfaltig zu verändern. »O ja,« antwortete Baldanders, »ich kann sie eine Kunst lehren, dadurch sie mit allen Sachen, so sonst von Natur stumm sein, als mit Stühlen und Bänken, Kesseln und Häfen etc. reden können, maßen ich solches Hans Sachsen auch unterwiesen, wie dann in seinem Buch zu sehen, darin er ein paar Gespräche erzählet, die er mit einem Dukaten und einer Roßhaut gehalten.« Auch sagte ich: »Lieber Baldanders! wann du mich diese Kunst mit Gottes Hülfe auch lernen könntest, so wollte ich dich mein Lebtag liebhaben.« – »Ja freilich,« antwortete er, »das will ich gern tun«; nahm darauf mein Buch, so ich eben bei mir hatte, und nachdem er sich in einen Schreiber verwandelt, schrieb er mir nachfolgende Worte darein.

»Ich bin der Anfang und das Ende und gelte an allen Orten.

Manoha, gilos, timad, isaser, sale, lacob, salet, enni nacob idil dadele neuavv ide eges Eli neme meodi eledid emonatan desi negogag editor goga nanag eriden, hohe ritatan auilac, hohe ilamen eriden diledi sisac usur sodaled auar, amu salif ononor macheli retoran; Vlidon dad amu ossosson, Gedal amu bede neuavv, aliis, dilede, ronodavv agnoh regnoh eni tatæ hyn lamini celotah, isis tolostabas oronatah assis tobulu, Wiera saladid egrivi nanon ægar rimini sisac, heliosole Ramelu ononor vvindelishi timinitur bagoge gagoe hananor elimitat.«

Als er dies geschrieben, ward er zu einem großen Eichbaum, bald darauf zu einer Sau, geschwind zu einer Bratwurst und unversehens zu einem großen Baurendreck (mit Gunst); er machte sich zu einem schönen Kleewasen und, eh ich mich versahe, zu[201] einem Kühfladen, item zu einer schönen Blume oder Zweig, zu einem Maulbeerbaum und darauf in einem schönen seidenen Teppich etc., bis er sich endlich wieder in menschliche Gestalten veränderte und dieselbe öfter verwechselte, als solche gedachter Hans Sachs von ihm beschrieben. Und weil ich von so unterschiedlichen schnellen Verwandlungen weder im Ovidio noch sonsten nirgends gelesen (dann den mehrgedachten Hans Sachsen hatte ich damals noch nicht gesehen), gedachte ich, der alte Proteus sei wieder von den Toden auferstanden, mich mit seiner Gaukelei zu äffen, oder es sei vielleicht der Teufel selbst, mich als einen Einsiedler zu versuchen und zu betrügen. Nachdem ich aber von ihm verstanden, daß er mit bessern Ehren den Mond in seinem Wappen führe als der türkische Kaiser, item daß die Unbeständigkeit sein Aufenthalt, die Beständigkeit aber seine ärgste Feindin sei, um welche er sich gleichwohl keine Schnalle schere, weil er mehrenteils sie flüchtig mache, veränderte er sich in einen Vogel, flohe schnell davon und ließ mir das Nachsehen.

Darauf satzte ich mich nieder in das Gras und fieng an, diejenigen Worte zu betrachten, die mir Baldanders hinterlassen, die Kunst, so ich von ihm zu lernen hatte, daraus zu begreifen; ich hatte aber nicht das Herz, selbige auszusprechen, weil sie mir vorkamen, wie diejenige, damit die Teufelsbanner die höllischen Geister beschweren und andere Zauberei treiben, maßen sie dann auch ebenso seltsam, unteutsch und unverständlich scheinen. Ich sagte zu mir selber: »Wirst du sie anfahen zu reden, wer weiß, was du alsdann vor Hexengespenst damit herbeilockest? Vielleicht ist dieser Baldanders der Satan gewesen, der dich hierdurch verführen will; weißt du nicht, wie es den alten Einsiedlern ergangen?« Aber gleichwohl unterließ mein Vorwitz nit, die geschriebene Worte stetig anzuschauen und zu betrachten, weil ich gern mit stummen Dingen hätte reden können, sintemalen auch andere die unvernünftige Tiere verstanden haben sollen; ward demnach je länger je verpichter darauf, und weil ich, ohn Ruhm zu melden, ein ziemlicher Zifferant bin und meine geringste Kunst ist, einen Brief auf einen Faden oder wohl gar auf ein Haar zu schreiben, den wohl kein Mensch wird aussinnen oder erraten können, zumalen auch vorlängsten wohl andere verborgene Schriften ausspekulieret, als die Steganographie Trithemii sein mag; als sahe ich auch diese Schrift mit andern Augen an und fand gleich, daß Baldanders mir die Kunst nicht allein mit Exempeln, sondern auch in obiger Schrift mit guten teutschen Worten viel aufrichtiger kommunizieret, als ich ihm zugetrauet. Damit war ich nun wohl zufrieden und[202] achtete meiner neuen Wissenschaft nit sonderlich, sondern gieng zu meiner Wohnung und las die Legenden der alten Heiligen, nicht allein durch gute Beispiele mich in meinem abgesonderten Leben geistlich zu erbauen, sondern auch die Zeit zu passieren.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 200-203.
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