Das elfte Kapitel.

[40] Simplex dem Geistlichen ist nicht gar günstig,

Welcher doch suchet sein Wohlfahrt ganz brünstig.


Also hat nun der günstige Leser vernommen, in was vor einer Lebensgefahr ich gesteckt. Betreffend aber die Gefahr meiner Seelen ist zu wissen, daß ich unter meiner Muskete ein recht wilder Mensch war, der sich um Gott und sein Wort nichts bekümmerte: keine Bosheit und schlimmes Stücklein war mir zuviel. Da waren alle Gnaden und Wohltaten, die ich von Gott jemals empfangen, allerdings vergessen; so bat ich auch weder um das Zeitliche noch Ewige, sondern lebete auf den alten Kaiser hinein wie ein Viehe. Niemand hätte mir glauben können, daß ich bei einem so frommen Einsiedel wäre erzogen worden. Selten kam ich in die Kirche und gar nicht zur Beichte, und gleichwie mir meiner Seelen Heil und alle göttliche Sachen nichts anlagen, als betrübte ich meinen Nebenmenschen desto mehr. Ich tadelte die Leute nicht nur heimlich, sondern offendierte sie auch öffentlich, wo ich nur zukommen konnte. Wo ich nur jemand berücken konnte, unterließ ichs nicht, ja ich wollte noch Ruhm davon haben, so daß schier keiner ungeschimpft von mir kam. Davon kriegte ich oft dichte Stöße und noch öfter den Esel zu reiten; ja man bedrohete mich mit Galgen und Wippe; aber es half alles nichts: ich trieb meine gottlose Weise fort, daß es das Ansehen hatte, als ob ich desperat spiele und mit Fleiß der Höllen zurenne. Und obgleich ich keine Übeltat begieng, dadurch ich das Leben verwürkt hätte, so war ich jedoch so ruchlos und lasterhaft, daß man (außer den Zauberern und Sodomiten) kaum einen wüstern Menschen antreffen mögen.

Dies nahm unser Regimentskaplan an mir in acht, und weil er ein rechter frommer Seeleneiferer war, schickte er auf die österliche Zeit nach mir, zu vernehmen, warum ich mich nicht bei der Beichte und Kommunion eingestellet hätte. Ich traktierte ihn aber nach seinen vielen treuherzigen Erinnerungen wie hiebevor den Pfarrer zu L., also daß der gute ehrliche Herr nichts mit mir ausrichten konnte. Und indem es schien, als ob Chrisam und Tauf an mir verloren wäre, sagte er zum Beschluß: »Ach, du elender Mensch! ich habe vermeint, du irrest aus[40] Unwissenheit, aber nun merke ich, daß du aus lauter Bosheit und gleichsam vorsätzlicherweis zu sündigen fortfährest. Ach, wer vermeinest du wohl, der ein Mitleiden mit deiner armen Seele und ihrer Verdammnus haben werde? Meinesteils protestiere ich vor Gott und der Welt, daß ich an deiner Verdammnus keine Schuld habe, weil ich getan und noch ferner gern unverdrossen tun wollte, was zu Beförderung deiner Seligkeit vonnöten wäre. Es wird mir aber besorglich künftig mehrers zu tun nicht obliegen, dann daß ich deinen Leib, wann ihn deine arme Seele in solchem verdammten Stand verläßt, an kein geweiht Ort zu andern frommen abgestorbenen Christen begraben, sondern auf den Schindwasen bei die Cadavera des verreckten Viehs hinschleppen lasse, oder an denjenigen Ort, da man andere Gottsvergessene und Verzweifelte hintut!«

Diese ernstliche Bedrohung fruchtete ebensowenig als die vorige Ermahnungen, und zwar nur der Ursache halber, weil ich mich vorm Beichten schämte. O ich großer Narr! Ich erzählte oft meine Bubenstücke bei ganzen Gesellschaften und log noch darzu; aber jetzt, da ich mich bekehren und einem einzigen Menschen anstatt Gottes meine Sünden demütig bekennen sollte, Vergebung zu empfangen, war ich ein verstockter Stummer! Ich sage recht: verstockt, blieb auch verstockt, dann ich antwortete: »Ich diene dem Kaiser vor einen Soldaten; wann ich nun auch sterbe als ein Soldat, so wirds kein Wunder sein, da ich gleich andern Soldaten (die nicht allezeit auf das Geweihte begraben werden können, sondern irgends auf dem Felde, in Gräben oder in der Wölf und Raben Mägen vorliebnehmen müssen) mich auch außerhalb des Kirchhofs behelfen werde.«

Also schied ich vom Geistlichen, der mit seinem heiligen Seeleneifer anders nichts um mich verdienet, als daß ich ihm einsmals einen Hasen abschlug, den er inständig von mir begehrte, mit Vorwand, weil er sich selbst an einem Strick erhangen und ums Leben gebracht, daß sich dannenhero nicht gebühre, daß er als ein Verzweifelter in ein geweihtes Erdreich sollte begraben werden.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 40-41.
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