Das neunzehnte Kapitel.

[62] Simplex hört an des Oliviers Taten,

Was er zu Lüttich gestiftet vor Schaden.


»Weilen sich meines Vatters Reichtum täglich mehrete, als bekam er auch desto mehr Schmarotzer und Fuchsschwänzer, die meinen guten Kopf zum Studieren trefflich lobten, sonsten aber alle meine Untugenden verschwiegen oder aufs wenigste zu entschuldigen wußten, dann sie spürten wohl, daß derjenige, so solches nicht tät, weder bei Vatter noch Mutter wohl dran sein könnte. Derowegen hatten meine Eltern eine größere Freude über ihren Sohn als die Grasmücke, die einen Guguck aufzeucht. Sie dingten mir einen eigenen Präceptorem und schickten mich mit demselben nach Lüttich, mehr daß ich dort Welsch lernen als studieren sollte, weilen sie keinen Theologum, sondern einen Handelsmann aus mir ziehen wollten. Dieser hatte Befelch, mich beileib nicht streng zu halten, daß ich kein forchtsam knechtisch Gemüt überkäme. Er sollte mich fein unter die Bursch lassen, damit ich nicht leutscheu würde, und gedenken, daß sie keinen Mönch, sondern einen Weltmann aus mir machen wollten, der wissen müsse, was schwarz oder weiß sei.

Ermeldter mein Präceptor aber war dieser Instruktion unbedürftig, sondern von sich selbsten auf alle Büberei geneigt; was hätte er mir dann solche verbieten oder mich um meine geringe Fehler hart halten sollen, da er selbst gröbere begieng? Aufs Buhlen und Saufen war er am meisten geneigt, ich aber von Natur aufs Balgen und Schlagen; daher gieng ich schon bei Nacht mit ihm und seinesgleichen gassatim und lernete ihm in Kürze mehr Untugenden ab als Latein. Soviel das Studieren anbelanget, verließ ich mich auf mein gut Gedächtnüs und scharfen Verstand und war deswegen desto fahrlässiger, im übrigen aber in allen Lastern, Bubenstücken und Mutwillen ersoffen; mein Gewissen war bereits so weit, daß ein großer Heuwagen hindurch hätte fahren mögen. Ich fragte nichts darnach, wann ich in der Kirche unter der Predigt den Bernium, Burchiellum oder den Aretinum lase, und hörete nichts Liebers vom ganzen Gottesdienst, als wann man sagete: ›Ite, missa est.‹ Darneben dünkte ich mich keine Sau zu sein, sondern hielt mich recht stutzerisch. Alle Tage war mirs Martinsabend oder Faßnacht; und weil ich mich dergestalt hielte wie ein gemachter Herr und nicht nur das, so mein Vatter zur Notdurft reichlich schickte, sondern auch meiner Mutter fette Milchpfennige tapfer durchgehen ließe, lockte uns auch das Frauenzimmer an sich,[62] sonderlich meinen Präceptorem. Bei diesen Schleppsäcken lernete ich leffeln, buhlen und spielen; hadern, balgen und schlagen konnte ich zuvor, und mein Präceptor wehrte mir das Fressen und Saufen auch nicht, weil er selbsten gern mitmachte und mit mir schmarotzen mußte. In solchem edlen freien Studentenleben behenkten wir uns mit mehr Huren als die Jakobsbrüder mit Muscheln, wiewohl ich noch ziemlich jung war. Es währete dieses herrliche Leben anderthalb Jahr, eh es mein Vatter erfuhr, welches ihn sein Faktor zu Lüttich, bei dem wir auch anfangs zu Kost giengen, berichtet. Der bekam hingegen Befelch, auf uns genauer Achtung zu geben, den Präceptorn abzuschaffen, mir den Zügel fürterhin nicht mehr so lang zu lassen und mich ferner mit Geldgeben genauer zu halten. Solches verdroß uns alle beide, und obschon er, Präceptor, geurlaubt ward, so staken wir jedoch ein als den andern Weg Tag und Nacht beieinander. Demnach wir aber nicht mehr wie hiebevor spendieren konnten, geselleten wir uns zu einer Bursch, die den Leuten des Nachts auf der Gasse die Mäntel abzwacken oder sie gar in der Maas ersäuften. Was wir dann solchergestalt mit höchster Gefahr eroberten, verschlemmeten wir mit unsern Huren und ließen das Studieren beinahe ganz unterwegen.

Als wir nun einsmals unsrer Gewohnheit nach bei der Nacht herumschlingelten, den Studenten ihre Mäntel hinwegzuvulpinieren, wurden wir überwunden, mein Präceptor erstochen und ich neben andern fünfen, die rechte Spitzbuben waren, ertappt und eingezogen. Als wir nun den folgenden Tag examiniert wurden und ich meines Vatters Faktor nannte, der ein ansehnlicher Mann war, ward derselbe beschickt, meinetwegen befragt und [ich] auf seine Verbürgung losgelassen; doch daß ich bis auf weitern Bescheid in seinem Haus im Arrest verbleiben sollte. Indessen ward mein Präceptor begraben, jene fünf als Spitzbuben, Räuber und Mörder gestraft, mein Vatter aber berichtet, wie mein Handel stünde. Der kam eiligst selbst auf Lüttich, richtete meine Sache mit Geld aus, hielt mir eine scharfe Predigt und verwiese mir, was ich ihm vor Kreuz, Herzeleid und Unglück machte, item daß sich meine Mutter stelle, als ob sie wegen meines Übelverhaltens verzweifeln wollte, bedrohete mich auch, dafern ich mich nicht bessere, daß er mich enterben und vorn Teufel hinwegjagen wollte. Ich versprach Besserung und ritte mit ihm nach Haus; und also hat mein Studieren ein Ende genommen.«[63]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 62-64.
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