Das zwanzigste Kapitel.

[64] Simplex hört, wie der Olivier wird

Im Krieg befördert nach seiner Begierd.


»Da mich mein Vatter heimbrachte, befand er, daß ich in Grund verderbt wäre. Ich war kein ehrbarer Domine worden, als er wohl gehofft hatte, sondern ein Disputierer und Schnarcher, der sich einbildete, er verstehe trefflich viel und sei superklug! Ich war kaum ein wenig daheim erwarmet, als er zu mir sagte: ›Höre, Olivier, ich sehe deine Eselsohren je länger je mehr herfürreichen; du bist eine unnütze Last der Erden, ein Schlingel, der nirgends zu mehr taug! Ein Handwerk zu lernen, bist du zu groß; einem Herrn zu dienen, bist du zu flegelhaftig, und meine Hantierung zu begreifen und zu treiben, bist du nichts nutz. Ach, was habe ich doch mit meinem großen Kosten, den ich an dich gewendet, ausgericht? Ich habe gehofft, Freude an dir zu erleben und dich zum Mann zu wachen; so habe ich dich hingegen jetzt aus des Henkers Händen kaufen müssen, und nun sehe ich mit höchster Betrübnus dich vor meinen Augen herumbgehen, faulenzen, als wann du zu keinem andern End da wärest, als mir mein Kreuz größer zu machen. Pfui der Schande! Das beste wird es sein, daß ich dich in eine Kelmüßmühl tue und Miseriam cum aceto schmelzen lasse, bis dir ohndas ein besser Glück aufstößt, wann du dein übel Verhalten abgebüßt haben würdest.‹

Solche und dergleichen Lectiones mußte ich täglich hören, bis ich zuletzt auch ungedultig ward und zu meinem Vatter sagte, ich wäre an allem nicht schuldig, sondern er und mein Präceptor, der mich verführet hätte; daß er keine Freude an mir erlebe, wäre billig, sintemal seine Eltern sich auch seiner nicht zu erfreuen, als die er gleichsam im Bettel verhungern lasse. Er aber ertappte einen Prügel und wollte mir um meine Wahrsagung lohnen, hoch und teur sich verschwörend, er wollte mich nach Amsterdam ins Zuchthaus tun. Da gieng ich durch und verfügte mich selbige Nacht auf seinen unlängst erkauften Meierhof, sahe meinen Vortel aus und ritte seinem Meier den besten Hengst, den er im Stall hatte, auf Köln zu.

Denselben versilberte ich und kam abermal in eine Gesellschaft der leichtfertigsten Schelmen, Spitzbuben und Diebe, wie ich zu Lüttich eine verlassen hatte. Diese erkannten mich gleich am Spielen und ich sie hinwieder, weil wirs beiderseits so wohl konnten. Ich verfügte mich gleich in ihre Zunft und half bei Nacht einfahren, wo ich zukommen möchte. Demnach aber[64] kurz hernach einer aus uns ertappt ward, als er einer vornehmen Frau auf dem Alten Markt ihren schweren Beutel toll machen wollte, zumal ich ihn einen halben Tag mit einem eisern Halskragen am Pranger stehen, ihm auch ein Ohr abschneiden und mit Ruten aushauen sahe, erleidet mir das Handwerk, ließ mich derowegen vor einen Soldaten unterhalten, weil eben damals unser Obrister, bei dem wir vor Magdeburg gewesen, sein Regiment zu verstärken, Knechte annahm. Indessen hatte mein Vatter erfahren, wo ich hinkommen, schrieb derhalben seinem Faktor zu, daß er mich auf das genaueste auskündigen sollte. Dies geschahe eben, als ich bereits Geld auf die Hand empfangen hatte; der Faktor berichtete solches meinem Vatter wieder, der befahl, er sollte mich wieder ledig kaufen, es koste auch, was es wolle. Da ich solches hörete, förchtete ich das Zuchthaus und wollte einmal nicht ledig sein. Hierdurch vernahm mein Obrister, daß ich eines reichen Kaufherrn Sohn wäre, spannete derhalben den Bogen gar zu hoch, daß mich also mein Vatter ließe, wie ich war, der Meinung, mich im Krieg eine Weile zappeln zu lassen, ob ich mich vielleicht bessern möchte.

Nachgehends stund es nicht lang an, daß meinem Obristen sein Schreiber mit Tod abgieng, an dessen Statt er mich zu sich nahm, maßen du mich in solchem Stand bei ihme angetroffen. Damal fieng ich an, hohe Gedanken zu machen, der Hoffnung, von einer Staffel zur andern höher zu steigen und endlich gar zu einem General zu werden. Ich lernete von unserm Secretario, wie ich mich halten sollte, und mein Vorsatz, groß zu werden, verursachete, daß ich mich ehrbar und reputierlich einstellete und nicht mehr wie hiebevor meiner Art nach mich mit Lumpenpossen, Buben und Bärnhäutern schleppete. Es wollte aber gleichwohl nicht hotten, bis unser Secretarius starb; da gedachte ich: Du mußt sehen, daß du dessen Stelle bekommst. Ich schmierte und spendierte, wo ich konnte; dann als meine Mutter erfuhr, daß ich anfienge, gutzutun, schickte sie mir noch immer Geld. Diese Mutterpfennige wandte ich überall an, wo ich vermeinte, daß es etwas fruchten möchte. Weil aber der junge Herzbruder meinem Obristen gar ins Hemd gebacken war und mir vorgezogen ward, trachtete ich, ihn aus dem Weg zu räumen, vornehmlich da ich inward, daß der Obrister gänzlich gewillet, ihm die Sekretariatstelle zu geben. In Verzögerung solcher meiner Beförderung, die ich so heftig suchte, ward ich so ungedultig, daß ich mich von unserm Profos so fest als Stahl machen ließ des Willens, mit dem Herzbruder[65] zu duellisieren und ihn durch die Klinge hinzurichten. Aber ich konnte niemals mit Manier an ihn kommen. So wehrete mir auch unser Profos mein Vorhaben und sagte: ›Wanngleich du ihn aufopferst, so wird es dir doch mehr schäd- als nützlich sein, weil du des Obristen liebsten Diener würdest ermordet haben‹; gab mir aber den Rat, daß ich etwas in Gegenwart des Herzbruders stehlen und ihm solches zustellen sollte, so wollte er schon zuwege bringen, daß er des Obristen Gnade verliere. Ich folgte, nahm bei des Obristen Kindtauf seinen übergöldten Becher und gab ihn dem Profos, mit welchem er dann den jungen Herzbruder abgeschafft hat, als du dich dessen noch wohl wirst zu erinnern wissen, als er dir in des Obristen großen Zelt die Kleider auch voll junger Hündlein gaukelte.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 64-66.
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