Das dritte Kapitel.

[14] Simplex einen Komödianten abgibt,

Macht, daß viel Jungfern sich in ihn verliebt.


Gleichwie Monsigneur Canard mehr Wildpret hinwegzuwerfen als mancher zu fressen hatte, der eine eigne Wildbahne vermag, und ihm mehr zahmes verehrt ward, als er und die Seinigen verzehren konnten; also hatte er täglich viel Schmarotzer, so daß es bei ihm gleichsam einen ansahe, als ob er eine freie Tafel gehalten hätte. Einsmals besuchten ihn des Königs Zeremonienmeister und andere vornehme Personen vom Hof, denen er eine fürstliche Kollation darstellete, weil er wohl wußte, wen er zum Freund behalten sollte, nämlich diejenige, so stets um den König waren oder sonst bei demselbigen[14] wohl stunden. Damit er nun denselben den allergeneigtesten Willen erzeigte und ihnen alle Lust machen möchte, begehrte er, ich wollte ihm zu Ehren und der ansehnlichen Gesellschaft zu Gefallen ein teutsch Liedlein in meine Laute hören lassen. Ich folgte gern, weil ich eben in Laune war, wie dann dir Musici gemeiniglich seltsame Grillenfänger sind, befliß mich derhalben, das beste Geschirr zu machen, und kontentierte demnach die Anwesende so wohl, daß der Zeremonienmeister sagte, es wäre immer schade, daß ich nicht die französische Sprache könnte, er wollte mich sonst trefflich wohl beim König und der Königin anbringen. Mein Herr aber, so besorgte, ich möchte ihm aus seinen Diensten entzuckt werden, antwortete ihm, daß ich einer von Adel sei und nit lang in Frankreich zu verbleiben gedächte, würde mich demnach schwerlich vor einen Musikanten gebrauchen lassen. Darauf sagte der Zeremonienmeister, daß er seine Tage nicht eine so seltne Schönheit, eine so klare Stimme und einen so künstlichen Lautenisten an einer Person gefunden; es sollte ehist vorm König im Louvre eine Comödia gespielet werden; wann er mich darzu gebrauchen könnte, so verhoffte er, große Ehre mit mir einzulegen. Das hielt mir Mons. Canard vor; ich antwortete ihm, wann man mir saget, was vor eine Person ich präsentieren und was vor Lieder ich in meine Laute singen sollte, so könnte ich ja beides, die Melodeien und Lieder, auswendig lernen und solche in meine Laute singen, wannschon sie in französischer Sprache wären; es möchte ja leicht mein Verstand so gut sein als eines Schülerknabens, die man hierzu auch zu gebrauchen pflege, unangesehen sie erst beides, Worte und Gebärden, lernen müßten. Als mich der Zeremonienmeister so willig sahe, mußte ich ihm versprechen, den andern Tag ins Louvre zu kommen, um zu probieren, ob ich mich darzu schickte. Also stellete ich mich auf die bestimmte Zeit genommener Abrede nach ein. Die Melodeien der unterschiedlichen Lieder, so ich zu singen hatte, schlug ich gleich perfekt auf dem Instrument, weil ich das Tabulaturbuch vor mir hatte, empfieng demnach die französische Lieder, solche auswendig und die Aussprache recht zu lernen, welche mir zugleich verteutscht wurden, damit ich mich mit den Gebärden darnach richten könnte. Solches kam mich gar nicht schwer an, also daß ichs eher konnte, als sichs jemand versahe, und zwar dergestalt, wann man mich singen hörte (maßen mir Monsigneur Canard das Lob gab), daß der tausendste geschworen hätte, ich wäre ein geborner Franzos. Und da wir, die Comödia zu probieren, das erstemal zusammenkamen, wußte ich mich[15] so kläglich mit meinen Liedern, Melodeien und Gebärden zu stellen, daß sie alle glaubten, ich hätte des Orphei Person mehr agiert, als den ich damals präsentieren und mich um meine Euridice so übel gehaben mußte. Ich habe die Tage meines Lebens keinen so angenehmen und lieblichen Tag gehabt, als mir derjenige war, an welchem diese Comödia gespielet ward. Monsigneur Canard gab mir etwas ein, meine Stimme desto klärer zu machen, und da er meine Schönheit mit Oleo Talci erhöhern und meine halbkrause Haare, die von Schwärze glitzerten, verpudern wollte, fand er, daß er mich nur damit verstellte. Ich ward mit einem Lorbeerkranz bekrönet und in ein antiquisch meergrün Kleid angetan, in welchem man mir den ganzen Hals, das Oberteil der Brust, die Arme bis hinter die Ellenbogen und die Knie von den halben Schenkeln an bis auf die halbe Waden nackend und bloß sehen konnte. Um solches schlug ich einen leibfarben-taffeten Mantel, der sich mehr einem Feldzeichen vergliche. In solchem Kleid leffelte ich um meine Euridice, rufte die Venus mit einem schönen Liedlein um Beistand an und brachte endlich meine Liebste davon; in welchem Actu ich mich trefflich zu stellen und meine Liebste mit Seufzen und spielenden Augen anzublicken wußte. Nachdem ich aber meine Euridicen verloren, zog ich einen ganz schwarzen Habit an, auf die vorige Mode gemacht, aus welchem meine weiße Haut hervorschien wie der Schnee. In solchem beklagte ich meine verlorne Gemahlin und bildete mir die Sache so erbärmlich ein, daß mir mitten in meinen traurigen Liedern und Melodeien die Tränen herausrucken und das Weinen dem Singen den Paß verlegen wollte. Doch langte ich mit einer schönen Manier hinaus, bis ich vor Plutonem und Proserpinam in die Hölle kam; denselben stellete ich in einem sehr beweglichen Lied ihre Liebe, die sie beide zusammen trügen, vor Augen und erinnerte sie, dabei abzunehmen, mit was großem Schmerzen ich und Euridice voneinander wären geschieden worden; bat demnach mit den allerandächtigsten Augen und Gebärden, und zwar alles in meine Harfe singend, sie wollten mir solche wieder zukommen lassen. Und nachdem ich das Jawort erhalten, bedankte ich mich mit einem fröhlichen Lied gegen ihnen und wußte das Angesicht samt Gebärden und Stimme so fröhlich zu verkehren, daß sich alle anwesende Zuseher darüber verwunderten. Da ich aber meine Euridice wieder unversehens verlor, bildete ich mir die größte Gefahr ein, darein je ein Mensch geraten könnte, und ward davon so bleich, als ob mir ohnmächtig werden wollen. Dann weil ich damals allein auf der[16] Schaubühne war und alle Spectatores auf mich sahen, befliß ich mich meiner Sachen desto eiferiger und bekam die Ehre davon, daß ich am besten agieret hätte. Nachgehends satzte ich mich auf einen Fels und fieng an, den Verlust meiner Liebsten mit erbärmlichen Worten und einer traurigen Melodei zu beklagen und alle Kreaturen um Mitleiden anzurufen. Darauf stelleten sich allerhand zahme und wilde Tiere, Berge, Bäume und dergleichen bei mir ein, also daß es in Wahrheit ein Ansehen hatte, als ob alles mit Zauberei übernatürlicherweise wäre zugerichtet worden. Keinen andern Fehler begieng ich als zuletzt, da ich allen Weibern abgesagt, von den Bacchis erwürget und ins Wasser geworfen war (welches zugerichtet gewesen, daß man nur meinen Kopf sahe; dann mein übriger Leib stund unter der Schaubühne in guter Sicherheit), da mich der Drache benagen sollte, der Kerl aber, so im Drachen stak, denselben zu regieren, meinen Kopf nicht sehen konnte und dahero den Drachenkopf neben dem meinigen grasen ließ; das kam mir so lächerlich vor, daß ich mir nicht abbrechen konnte, darüber zu schmollen, welches die Dames, so mich gar wohl betrachteten, in acht nahmen.

Von dieser Comödia bekam ich neben dem Lob, das mir männiglich gab, nicht allein eine treffliche Verehrung, sondern ich kriegte auch einen andern Namen, indem mich forthin die Franzosen nicht anders als Beau Alman nannten. Es wurden noch mehr dergleichen Spiele und Ballett gehalten, dieweil man die Faßnacht zelebrierte, in welchen ich mich gleichfalls gebrauchen ließ, befand aber zuletzt, daß ich von andern geneidet ward, weil ich die Spectatores und sonderlich die Weiber gewaltig zog, ihre Augen auf mich zu wenden; tät michs derowegen ab, sonderlich als ich einsmals ziemlich Stöße bekam, da ich als ein Hercules gleichsam nackend in einer Löwenhaut mit Acheloo um die Deianiram kämpfete, da man mirs gröber machte, als in einem Spiel der Gebrauch ist.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 14-17.
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