1.

[66] 1. Satz.


Wie/ wenn nach langer Angst vnd überstand'nem brausen/

Der Port die Segel streicht:

Wenn nach der Wellen Macht vnd vngestümen sausen/

Ein Schiff das Land erreicht:

Wie die auß Weh' entrückten Hertzen

In Lust vergessen ihrer Schmertzen,

Wie sich die Welt verneuet

Wann Sie den Frühling find:

Wie sich der Schnitter freuet/

Wenn er die Garben bindt:

Wie Feld vnd Städte springen

Wenn nun der Krieg auffhört:

So muß voll Wonne singen/

Mein Geist/ Herr/ der dich ehrt


1. Gegensatz.


Wie eine Mutter sich nach mehr den grimmen Leiden

Ob ihrer Frucht ergetzt;

Wie nach der Kranckheit lacht/ der nun die Pein fühlt scheiden

Die Fleisch vnd Bein verletzt:

Wie den die sanffte Ruh' erquicket/

Den Arbeit/ Hitz vnd Last gedrücket:

Wie ein Gefangner starret/

Vnd schier vor Wollust stirbt;

Wenn er den Tag erharret/

Der Freyheit ihm erwirbt;[67]

Wie der dem Tod entgangen

Sich kaum vor Freuden kennt

So muß die Seele prangen

Wann Gott sich zu ihr wendt/


1. Abgesang.


Halleluja! singt mit mir

Ihr/ die ihr noch den Schein der ersten Jahre zehlet:

Lobt den Höchsten für vnd für/

Ihr/ die ihr euch den Schnee der rauen Zeit vermählet.

Rufft Halleluja! rufft die ihr beginnt zu leben!

Lob sey dem Höchsten Gott!

Ihr keuschen Blumen/ helfft deß Heylands Treu' erheben

Der retten kan auß Noth.

Ihr/ die ihr nicht mehr mit vns streitet/

Rühmt mit mir den/ durch den ihr sigt!

Der euch die Ehren-Kron bereitet

Die ihr von seinen Händen krigt.


2. Satz.


Er fordert in den Kampff/ die/ die sich ihm ergeben/

Er führt sie in den Streit!

Er läst sie eine Last auff ihre Schultern heben

Er prüfft sie durch viel Leid.

Er stellt sich selbst als wolt er hassen;

Als ob er seine Schaar verlassen.

Er Wafnet offt die Regen

Die über sie ergehn

Mit schweren Donnerschlägen

Vnd bleibt von ferne stehn/

Er schleust die schwartzen Grüffte

Deß bleichen Todes auff[68]

Vnd zeigt der Höllen Klüffte

Dem ihm' erwehlten hauff.


2. Gegensatz.


Doch steht er bey/ wenn sie nun in dem Schauplatz ringen/

Vnd krönn't mit schönem Preiß/

Die Bürde muß ihr Fleisch nicht gar zu grunde dringen

Er trucknet ihren Schweiß

Sein Hertz muß auß mitleiden brechen;

Wenn sie in Arbeit ihn ansprechen/

Er trennt das Vngewitter

Durch klaren Sonnenschein/

Vnd tröstet die Gemüter/

Vnd läßt sie nicht allein/

Er heist die Leichen Leben:

Sein Licht vertreibt die Nacht/

Er wil den Himmel geben

Wenn gleich die Höll' auffwacht.


2. Abgesang.


Halleluja! rühmet Gott

Gott vnsern grossen Gott/ den König aller Götter

Der vns reist auß Noth vnd Tod/

Der vnser Schutz vnd Heil vnd Beystand vnd Vertretter/

Er kan/ und wil vnd pflegt vns stets die Hand zu bitten/

Offt ehe man vermeint/

Er lagert sich vmb vns/ hier steht er in der mitten/

Er küsset/ wenn man weint/

Je grösser vnß die Noth vorkommen/

Je näher macht er sich herbey:

Je schwerer Joch wir vmbgenommen/

Je eher spricht der Herr vns frey/


[69] 3. Satz.


Offt scheint es auß mit vns/ wir schätzen vns verlohren:

Weil Trost vnd Rath verzeucht.

Wir bilden vns nur ein/ daß wir zu Weh geboren/

Die Hoffnung selber fleucht/

Denn wündschen wir stracks zu vergehen/

Vmb nicht mehr Elend außzustehen/

Wir neiden die/ so schlaffen

Die Tod vnd Grab verdeckt/

Die keiner Jammer Waffen

Kein Sturm der Angst erschreckt/

Denn fluchen wir dem Tage

Der vnß der Welt gewehrt/

Vnd zagen/ daß die Plage

So langsam vns verzehrt/


3. Gegensatz.


Ach aber! dieses muß zu vnserm besten dienen

Was man so schrecklich nenn't/

Deß Herren Beystand ist viel schöner denn erschienen

Wenn man kein Mittel kenn't/

Er würcket vnser Glück vnd Leben/

Wann vns der Martter Glut umbgeben/

Er läst in Bande führen

Wenn er befreyen wil.

Er heisset was verlieren

Vnd gibt vnendlich viel:

Er leidet daß man schmähe

Die/ den er Throne macht

Vnd in Verachtung sehe

Die schon die Ehr anlacht.


3. Abgesang.


Halleluja! Lobt vnd preist

Den Gott/ der wunderbar/ in wundern Wunderwercken

Der den gantz verschmachten Geist/

Durch diß was Creutze scheint (dafern er wil) kan stärcken[70]

Die heisse Flamme muß auff sein befehl nicht brennen.

Er hemm't der Sonnen Raad:

Der harte Fels muß sich in frische Quellen Trennen/

Wann man kein Wasser hat.

Er führet trucken durch die Wellen

Sein Feind versincket auff der Erd:

Wann er der Stoltzen Trotz wil fällen

Schlägt ein Stab schärffer denn ein Schwerdt.


4. Satz.


Er kenn't die beste Zeit/ vnd die bequemste Stunde

Er weiß die rechte Bahn/

Wir Armen bitten offt mit halb erstarrtem Munde/

Was vns verterben kan.

Doch sein stets Seegen-reich Gemüthe/

Die Brunquell vnerschöpffter Güte

Trägt väterlich mitleiden

Mit vnserm Vnverstand/

Wie man der Schwerdter Schneiden

Reißt auß der Kinder Hand.

Die/ welche nicht erlangen

Was sie von ihm begehrt/

Die werden diß empfangen

Was mehres Danckes wehrt.


4. Gegensatz.


Betrübte stelt ihm heim/ stelt heim ihm eure Sachen:

Vertraut ihm was euch quält.

Er einig weiß diß wol/ was niemand weiß zu machen/

Dem es an Macht nicht fehlt.

Der wird auff steiffer Ruh sich finden

Der auff ihn kan sein Hoffen Gründen.

Kein Donner wird erwecken/

Auch keiner Plitzen Trutz[71]

Kein Sturm wird wieder schrecken

Den der in seinem Schutz.

Lasst falsche Zungen stechen!

Setzt Speer vnd Sebel an!

Lasst Tod vnd Höll einbrechen!

Wenn Jesus retten kan.


4. Abgesang.


Halleluja! pocht auff ihn

Der allen/ die vns feind/ ist viel zu hoch gesessen!

Vor dem/ Ach vnd Elend flihn'/

Der vnser Schulden wil/ nicht seiner Gunst vergessen.

Was kan der Erden Bau/ was kan der Himmel geben

Daß seiner Güte gleich?

Den Vorschmack gönnt er vns in dem so engen Leben

Die waare Freud' im Reich!

Das/ wenn die Welt der Lust zu enge

Er vns von Anbegin gestifft/

Voll vnerschöpffter Wolthat Menge

Die alles Dancken übertrifft.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 66-72.
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