12.

[24] 1.

Noch hab' ich den tag erlebet!

Den so offt gewünschten tag!

An dem der/ der oben schwebet/

Der die Welt vmbfassen mag/

Hatt meiner schmertzẽ strenge macht

Vnd seinen werthen eydt bedacht!

Nun hat ehr mir was ich begehret;

Vom Himmel

el vnversehns gewehret.


2.

Alles Hoffen wolte schwinden;

Kein erretten war zue sehn/

Mittell wahren nicht zue finden;

Ja es war vmb mich geschehn/

Der vngewitter grimme noth/

Der auff mich ausgerüste todt/

Des donners schwefel-lichte flammen

Die schlugen vber mir zu sammen.


3.

Wie ein Schiffer bebt vnd zaget/

Wen die vmbgekehrte See

Sich bis an die sterne wagett/

Vndt den grundt sprützt in die höh/

Wẽ sich das schwache schif fast trent;

Vndt vber klip auff klippen rent;

Wen nun die seiten bretter knacken/

Wen er den mast selbst vmb mus hacken:


4.

Wen er west vnd ost verlohren:

Vnd schier keinen windt mehr kent:

Vnd die sich auff ihn verschworen/

Mit nicht rechten namen nent:

Wen ihm die nacht den tag wegnimbt;

Wen ihn das brausen überstimbt;[25]

Wen er nuhmehr nicht kan entgehẽ;

Vndt schon den todt siht vor sich stehen:


5.

Eben so war mir zu mutte:

Eben so war ich erstart:

Ach! dacht ich/ ist dis das gutte

Drauf ich jeder zeit gehart/

Mein hertz erstarb/ mein mundt erblich/

Die kraft verging/ der geist entwich/

Der mund erstumbt; die augen stundẽ:

Die süße wahren als gebundẽ.


6.

Kein trost möchte mich erquickẽ:

Aller anspruch ward zur pein:

Weil die bürd' auff meinem rücken:

Weil mich dieser schwere stein/

Biß auff die erden niederbog:

Vnd in den abgrundt mit sich zog.

Nun/ dacht ich/ nun mus ich verterben:

Hier ist nichts vbrig mehr den sterben.


7.

Ihr bestirnten Himmels-bogen/

Rief ich trawrig; gutte nacht!

Der hatt mir sein licht entzogen/

Der das licht vndt euch gemacht!

O erd! ô schaw-platz meiner pein!

Ade! es mus geschiden sein!

Ade! ihr hellen bäch? ihr wälder?

Ade! ihr blumen-reiche felder.


8.

In dis seh' ich meine Sonne/

Meiner Seelen zuversicht:

Meines matten hertzen wonne.

Meiner todten augenlicht:

Mitt ihrer güldnen stralen macht;

Vor brechen durch die trübe nacht.

Schaw vnverhofft ist sie erschinen.

Der alle Seraphinen dienen.
[26]

9.

Itzund mus was dunckel weichẽ:

Nuhmehr legt sich sturm vnd windt.

Seht die finsternis erbleichen:

Schawt doch wie mein schmertz verschwindt.

Mein Geist wacht auff/ das Hertze springt

Die Seele jauchtzt/ die Zunge singt:

Der leib begint aufs new zu leben;

Mein sinn mus Gottes trew erheben.


10.

Trew ist er/ vnd fast zu hertzen/

Was ein weinendt auge klagt.

Er hört/ was/ von grimmen schmertzen

Ein entbrandter Geist ansagt.

Er beut vns die hülffreiche handt

Die segenquell/ der liebe pfandt.

Die wischt die threnen von den wangen/

Vndt trent die angst die vns vmbfangen.


11.

Die handt kan vnd mag nichts binden:

Sie thut vberflüssig woll.

Sie kan weg vnd mittell finden/

Vndt weis wen sie helffen soll.

Sie stützt den grossen baw der welt:

Vndt richtet aus was Gott gefält.

Gott der die seelen die ihn lieben/

Vnd mich hat in die hand geschribẽ.


Ende.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 24-27.
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