19.

Deß Herren Begräbnüß

[145] In der Melodie: Geliebten Freund.


1.

Als der betrübte Tag zu Ende kommen/

In dem das Licht der Welt von vns genommen/

Bekümmert sich ein Frommer auß den Reichen

Vmb Jesus Leichen.
[145]

2.

Der gutte Rath dem nie der Rath beliebet/

Krafft dessen man diß Frevelstück verübet/

Lässt Scham vnd Furcht/ vnd wil ohn ferner zagen

Den Anschlag wagen.


3.

Er bittet daß Pilatus Ihm vergönne/

Daß man den Leib vom Creutz abnehmen könne/

Der gantz bestürtzt/ durch sein Geschwind erblassen

sich lencken lassen.


4.

Weil Joseph nun nach Leichen-Tüchern sihet/

Hat sich der Mann vmb Specerey bemühet/

Der vorhin bey geheimer Nächte Stunden

Jesum gefunden.


5.

Nun bringt Er Myhrr' vnd Aloe zu salben/

Bey hundert Pfund getreuer Freundschafft halben/

Sie wollen beyd' auß Gunst nach allen Stücken/

den Leib beschicken.


6.

Der legt beträhnt die halb' erstarten Glieder/

Die Jener salbt/ auff reine Leinwand nieder

Der hilfft in Myhrr' vnd vnbefleckte Binden

Den Cörper winden.


7.

Nah an dem Ort/ an welchem sich das Leben/

Für vnser Heyl ins Creutzes Tod gegeben/

War Josephs Grab/ das im begrünnten Garten

solt auff Ihn warten.


8.

Ein neues Grab sehr köstlich anzuschauen/

In einen Fels durch harten Stahl gehauen/

Daß keine Leich vorhin hat angestecket/

kein Stanck beflecket.


9.

In dieses wird der Erden Fürst getragen/

Weil Fest' vnd Nacht bequemer Ruh' abschlagen/

Sie lassen sich auch keine Müh verdrüssen/

die Grufft zu schlissen.


10.

In dem der Stein wird vor das Grab geweltzet/

Steht Magdalen/ die fast in Thränen schmeltzet/

Die Jungfrau selbst/ die Jesum hat verlohren

den Sie geboren.
[146]

11.

Die Frauen stehn/ die Ihn bißher begleitet/

Vnd sehn wie sein Ruhbette wird bereitet/

Biß sie die Sabbats-Nacht die einher dringet

Nach Hause zwinget.


12.

Der Priester Haß kan doch nicht ende machen/

Man schickt nach Volck/ man lässt das Grab bewachen:

Vnd muß (ob Schwerdter schon den Platz verriegeln.)

den Stein besiegeln.


13.

Der du zu Ruh dich nach der Angst begeben/

Laß meine Seel/ durch dich in Ruhe schweben/

Wann man diß Fleisch nach überstandnen Plagen

Ins Grab wird tragen![147]

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 145-148.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon