8.

Christi Verdammung vor den Priestern/ vnd Petri Verläugnung

[122] In der Melodie deß 91. Psalms.


1.

Was zag Ich! Wenn der Hellen Macht

Mit Lügen auff mich wüttet?

Wenn Mich die gantze Welt verlacht!

Vnd List vnd Trug außbrüttet?

Sie hat deß Höchsten Vaters Sohn

Der Warheit widersprochen/

Die Warheit selbst hat ihren Hohn

Vnd frechen Trotz gebrochen.


2.

Viel falsche Zeugen fochten an

Die über-reine Lippen:

In den man kein falsch finden kan/

Doch wie die feste Klippen

Durch keiner Wellen Sturm zubricht:

Wie scharff die Winde rasen/

So wenig kan diß helle Licht

Ihr Lästermaul außblasen.
[122]

3.

Ihr' Zeugen sti it nicht überein/

Vnd macht sie selbst zu schanden

Auffs letzte bringt man zwey herein/

Die einig noch verhanden

Diß sprechen sie/ diß ist der Mann

Der neulich dorffte sagen/

Ich bin es/ der die Hände kan

An Gottes Tempel schlagen.


4.

In dehm so manche Faust gewerckt/

In vieler Jahr vmblauffen/

Den/ wil eh als ein Mensch vermerckt/

Ich werffen überhauffen.

Vnd wenn der dritte Sonnenschein/

Wird vmb die Erde gehen/

Sol von Grund auff durch mich allein/

Ein neuer Bau darstehen.


5.

Doch weil sie nicht mit einem Mund

Die Lügen können stärcken/

Vnd all' ihr klagen ohne Grund/

Vnd ihr Betrug zu mercken/

Steht Caiphas endlich auff vnd fragt:

Wilst du noch länger schweigen

Zu diesem was man auff dich sagt/

Was von dir all' anzeigen?


6.

Als Jesus noch kein Wort vorbringt/

Da lässt sich Caiphas hören:

Bey Gott/ der alles schafft vnd zwingt/

Den Erd vnd Himmel ehren/

Beschwer Ich dich/ red' auß vnd sag

(Damit wir's klar erkennen)

Ob du der Christus? Ob man mag

Deß Höchsten Kind dich nennen?


7.

Du sagst's/ spricht Jesus: Ja ich bin[123]

Dehn Gott ins Fleisch gesendet:

Ich sag Euch diß noch: wenn Ich hin/

Vnd nun mein Werck vollendet/

Solt ihr an Gottes rechten Hand

Deß Menschen Sohn erblicken.

Der auff den Wolcken Land vnd Land

Sich wird zu richten schicken.


8.

Da sprang der Hoheprister auff/

Vnd riß sein Kleid in Stücken:

Vnd schry: Wil nun der Richter Hauff

Noch viel vmb Zeugen schicken?

Er lästert Gott/ ihr habt gehört

Was ietzt sein Mund verjähet/

Der den/ den Erd' vnd Himmel ehrt/

So grausam hat geschmähet.


9.

Was dünckt Euch? sol man diese That

Den Frevel mehr gestehen?

Nein warlich/ rufft der gantze Rath/

Daß Recht muß vor sich gehen.

Tragt mit der Pest nicht mehr geduld.

Vnd/ wie wir alle schlissen:

Er sterb'! Er sterbe! diese Schuld/

Ist nur durchs Creutz zu büssen.


10.

In dem trifft einer Petrum an/

Vnd spricht: Ich mag wol sagen/

Dir steck' im Hertzen dieser Mann/

Was wil man weiter fragen:

Du bist autz Galileer Land.

Bald kommen mehr gelauffen!

Vnd sprechen du bist Ihm verwand/

Vnd auß der Jünger Hauffen.


11.

Nein spricht Er: Ich weiß von Ihm nicht.

Wilst du diß noch verneinen/

Sagt Ihm ein ander ins Gesicht:[124]

Was denckst du daß wir meinen?

Man kan dich Galileer recht

Auß deiner Sprach erkennen:

Wie? schreit deß Hohenpriesters Knecht:

Sol man dir Zeugen nennen?


12.

Hab Ich dich nicht in dieser Nacht/

Als Jesum wir gebunden/

(Bedencke nur was du gemacht.)

Im Garten selbst gefunden?

Da fangt Er an/ vnd rufft vnd schwer't/

Vnd wüntscht das alle Plagen/

Wo Er deß Menschen ie begehr't/

Auff seinen Kopff einschlagen.


13.

Als Er noch redet/ kreet der Hahn/

In dem sich Jesus wandte/

Er sahe Petrum hertzlich an:

Der seinen Fall erkandte

Mit Ach vnd Reu/ vnd Scham vnd Leid'/

Er eylet nach der Thüren/

Vnd weiß vor höchster Traurigkeit

Schier keinen Trost zu spüren.


14.

Itzt fällt ihm Christi Warnung ein;

Itzt sein so teur versprechen/

Sein Hertze wil vor Angst vnd Pein

In Tausend stücken brechen.

Die Augen rinnen nach vnd nach!

Die heissen Thränen flissen;

Die Thränen/ die gleich einer Bach

Von beyden Wangen schissen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 122-125.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon