7.

Terra vale! Dominum vitæ stat adire Tonantem

[48] 1.

Ade verfluchtes Threnen-Thaal!

Du Schawplatz herber schmertzen.

Du vnglücks Hauß du jammer Saal

Du Folter reiner Hertzen/

Ade mein Kercker bricht entzwey.

Die Kette reißt/ mein Geist wird frey

Die Schlösser sind zusprungen.
[48]

2.

Wilkommen offt gewündschter Todt/

Wo du ein Todt zunennen:

Wilkommen süsser lebens Bott

Wer kan die Frewd' erkennen?

In die vnß GOTT durch dich einführt

Den Schmuck mit welchem IESVS zihrt

Die standhafft hier gerungen.


3.

Mein jrrdisch Hauß der Leib geht eyn

Der Nothstall meiner Seelen/

Der Stock/ die Werckstatt herber pein/

Die enge Marter höhlen

Der werthe Schatz bleibt vnverletzt:

Den wir/ ob schon der Feind nach setzt/

Dem Höchsten widerbringen.


4.

Die Erden schaw' ich vnter mir!

Ist diß worumb wir kämpffen

Mit Schwerd vnd flammen? Welche wir

Mitt Blutt vnd leichen dämpffen?

Die Handvoll Graß/ diß Häufflin Sandt/

Vmb welches Eitelkeit vnd Tandt/

Vnd fluch vnd Laster dingen.


5.

Hilff Gott was laß ich? nichts alß weh!

Alß zetter/ ach! vnd klagen.

Alß eine bittre threnen See?

Vnd Höllen grause plagen?

Heist jhr diß leben die jhr lebt![49]

Vnd zwischen furcht vnd leiden schwebt

Die Angst vnd grimm verzehret.


6.

Dort fällt ein Reich das ander kracht.

Vnd diß wird nicht gefunden.

Dort schluckt die Erd' ein jhre pracht/

Die dar in Rauch verschwunden.

Was nicht der strenge Nord außlescht!

Was nicht die stoltze Well' abwäscht

Wird durch sich selbst verkehret.


7.

Vnd mag noch jemand seyn/ der mich

Mit zähren rufft zu rücke

Denckt liebsten wo jhr vnd wo ich!

Mißgönt man mir mein Glücke:

Ich lach' jhr weynt! ich sieg jhr kriegt!

Ich herrsch jhr dient/ ich steh' jhr liegt

Ich leb' jhr müst verschmachten.


8.

Ihr seyd vmb die man trawren sol;

Ich den die Lust erquicket.

Ihr zagt/ vnd mir ist ewig wol

GOTT hat mich heim geschicket;

Der euch bald ruffen wird zu mir.

In dessen lernt die falsche zier

Der eiteln Welt verachten.


9.

Ade jhr liebsten ich muß fort/

Laßt ab von ewren thränen.

Denckt daß ich auß-steig in den Port

Nach dem sich alle sähnen.[50]

Dort war der Kampff: hier ist der lohn.

Dort war der Kercker: hier der Thron.

Dort wündschen: hier erlangen.


10.

Das reiche Schloß der Ewigkeit

Geht auff. Ich bin ankommen.

Ade Welt/ Hoffen/ Schmertz vnd Streit/

GOTT hat mich eingenommen.

Hier wil ich ewig leben dir/

Hier wil mit jauchzen für vnd für

Ich dich mein GOTT vmbfangen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 48-51.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon