10.
An den Heiligen Geist

[99] Mehr kalt denn Scytisch Eiß ist mein erfrörtes Hertz:

Es weiß vom Leben nichts/ es starrt ohn alles Regen/

Es kan das Blut nicht mehr durch Leib und Glied bewegen;

Und dennoch steckt mich an ein feurig-fressend Schmertz.

Ein wilder kalter Brand/ als wenn die Todten-Kertz

Sich in die Leichen macht/ die Rom auffs Holtz hieß legen;

Als wenn die heisse Seuch' pflegt Gluth im Blut zu hegen/

Durch die das Fleisch verfällt/ wie Schnee bey spätem Mertz.

Es hitzt in mir/ es hitzt ein höllisch-kaltes Brennen/

O Flamme/ die wir Gott und lebend-machen nennen/

O komm und zünd' in mir dein schütternd Feuer an!

Verzehr/ O reine Gluth/ die Zunder meiner Flammen/

Die Fackeln/ die in mir/ mir leuchten zum Verdammen/

Weil vor dir Seuch und Höll und Todt nicht stehen kan.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 99.
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