12.
Uber die Worte: Sie sind voll süsses Weins

[100] Wer leugnets? sie sind voll/ und wissen selber nicht

Wie ihnen sey geschehn. Der vorhin schier verzaget

Vor einer blossen Magd/ hat sich ins Volck gewaget/

Darunter redend er drey taußend Hertzen bricht.

Der keine Schrifft gelernt versteht was Joël spricht/

Erklärt was David längst von Jesu vor gesaget;

Die Zwölffe freuen sich indem man sie verklaget/

Und über sie die Schul hegt blutig Hals-Gericht.

Sie ringen nach dem Tod und hassen Stand und Leben/

Sie schätzen Schmach für Ehr und Kercker für Palläst/

Sie achten Gold für Koth und Stürtzen für Erheben;

Sind Bürger anderwerts/ im Vaterlande Gäst/

Und sollen/ Solyme, sie denn nicht truncken seyn?

Wo aber keltert man so süß und starcken Wein.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 100.
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