60.
Gebündnis-Sonnet an eine Frauens Person

[124] O Blume dieser Zeit! ist wohl ein Wunsch zu finden

Der recht bequem für euch/ indem die grosse Welt

Sich mit dem Jahr verneut/ und viel auf Wünschen hält/

Und doch nichts wünscht als was mit Zeit und Welt muß schwinden/[124]

Eur ewig hoher Geist verlacht was uns wil binden

Und pocht die Eitelkeit die über morgen fällt/

Er höhnt die rauhe Noth und lacht was nach uns stellt/

Und sucht nicht als durch Gott in Gott sich zu entzünden.

Gott/ den der in der Zeit euch über Zeit bewehrt/

Vergönn euch/ die nunmehr das dritte Jahr beschwert/

Mit diesem so viel Lusst/ als Drangsal euch betrübet.

Er gönne mir/ daß ich an eurem Beyspiel seh

Daß/ wenn er ferne scheint/ er gleichwol in der Näh/

Zu recht- und seiner Zeit auch küsse die Er liebet.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 124-125.
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