8.
An den Heiligen Geist

[98] Geist grosser Geist der sich in Feur-getheilten Zungen

Mit Segen-reicher Macht der höchsten Wissenschafft

Und Felsen-fester Stärck' und unerschreckter Krafft

Auf die vor mehr denn blöd' itzt kluge Schaar geschwungen/

Erwecke doch mein Hertz/ wenn ich/ in Angst gedrungen/

Zag ohne festen Trost/ wenn nun kein Rath mehr hafft/

Und mich der Sünden Grimm gleich einer Blum' hinrafft/

Wenn mich der Erden Trotz und Höllen-Angst besprungen.

Was wil mein blöder Mund? wil er sich unterwinden

Den Ländern vorzustehn/ der Fürsten Hand zu binden?

Nein Herr/ die Lipp' erstarrt und zittert und erstirbt.

Ach rede du durch mich/ gib Muth frey auszusprechen/[98]

Wenn mir Bedeckens-Zeit und Wort und Zung gebrechen/

Daß man den Nachdruck schau wenn Gott durch Menschen wirbt.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 98-99.
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