6.
Auff den Tag der vnschuldigen Kindlein. Matth. 2.

[227] Nicht! klage Rachel nicht! ob gleich dir zarte Reben

Die Kinder deiner Brust in Auffgang ihrer Zeit/

Von mehr als grausem Sturm/ der Schwerter abgemäyt!

Es ist so gantz nicht auß! ach traure nicht! sie leben.

Die Lämblein so ihr Blutt fürs wehrte Lamb gegeben/

Sind itzt nach kurtzer Angst/ vnd kaum erkandtem Leid/

In dem besternten Sitz der grossen Herrligkeit/[227]

In dem sie Gottes Rath/ vnd hohes Lob erheben.

O selig/ wer noch eh der Mund kan Christum nennen

Die Glieder vor ihn gibt/ wer auß der Mutter Schoß

Die Marter Kron ergreifft/ vnd tritt ins Himmels Schloß!

O selig/ wer noch/ eh er seinen Feind kan kennen

Schon überwunden hat/ wer/ eh er Sünde spürt/

Vnd eh er weiß was tod/ von beyden triumphirt!

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 227-228.
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