43.
Auff den Sontag deß vollkommenen Lehrers/oder VI. Sontag nach dem Fest der H. Dreyeinigkeit/ Matth. 5.

[210] Dein Falscher Heuchel-Schein/ dein Phariseer Leben

Schleust nimmermehr die Burg/ deß grossen Himmels auff/

Wer heiß entbrantem Zorn nicht bricht den tollen Lauff

Gleicht allen/ die zum Mord die grimme Faust erheben.

Wer seinem Bruder flucht/ tracht wie verdorrte Reben[210]

In letzter Schwefel Glutt/ der Hertz-verstockte Hauff/

Der Haß für Freundschafft libt/ thut allzu theuren Kauff

Vnd zwing't Gott/ daß Er muß/ ihm Recht für Gnade geben.

O liebster Mensch verzeih/ eh' als du auff der Bahr

Ehr dein Schiff in den Port deß schnellen Todes fahr:

Daß nicht der Feinde Klag deß Richters Zorn errege/

Die Gottes Vrtheil Spruch dem Kercker zuerkennt?

Die plagt der Straffen Last/ die vnaußsprechlich brennt

Biß daß man auch (O wann!) den letzten Scherff ablege.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 210-211.
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