9.
Threnen in schwerer kranckheit

[34] Ich bin nicht der ich war/ die kräffte sind verschwunden.

Die glider sind verdort/ als ein durch brandter graus.

Mir schauwt der schwartze tod zu beyden augen aus.

Ich werde von mir selbst nicht mehr in mir gefunden.

Der Athem will nicht fort/ die zunge steht gebunden.

Mein hertz empfindet schon den letzt vnd höchsten straus.

Ein jeder der mich siht/ sicht das mein schwaches haus/

Der leib ein brechen wird/ noch inner wenig stunden.

Gleich wie die wiesenblum lebt wen das licht der welt

Hervor bricht/ vndt noch ehr der mittag weggeht/ fält;

So bin ich auch benetzt mitt threnentaw ankommen.

So sterb ich vor der zeitt. O erden gutte nacht!

Mein stündlin laufft zum end/ itzt hab ich ausgewacht

Vnd werde von dem schlaff des todes eingenommen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 34.
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