Seufzer unter währender Wienerischen Belagerung

[387] Ach Gott, die gantze Christenheit

Schwimmt izt in Blutt und Thränen;

Der Feinde Schwarm ist schon bereit

Sich einen Weg zu bähnen

In unser armes Vaterland,

Man hört die Post von Raub und Brand

An allen Orten schallen;

Die edle Stadt, der Käyser-Sitz,

Sol durch des Achmets schnellen Blitz

In Asch' und Graus verfallen.


[387] Dort zeucht ein ander Hauffen auf,

Mit hunderttausend Horden,

Und setzet den geschwinden Lauf

Biß an den kalten Norden.

Man greift, o ungeheurer Schmertz!

Uns mit Gewalt biß an das Hertz,

Man spannt das Volck in Ketten

Und wil mit deinem Heiligthum,

O Herr, auch deines Nahmens Ruhm

Mit Macht zu Boden tretten.


Nun müssen wir es wol gestehn,

Es sind verdiente Strafen;

Kommt, last uns nur zurücke gehn,

Wie haben wir geschlafen,

Als uns der Wächter angeruft?

Umbsonst: Der Schall flog in die Luft,

Wir schimpften die Propheten.

Wir scheuten weder Pest noch Tod,

Befahrten uns vor keiner Noth,

Und lachten der Cometen.


Izt geht der Thon des Jammers an,

Der Weh und Ach verkündigt,

Da heißts, wir haben es gethan,

Wir haben so gesündigt;

Da kommt uns erst der Frevel ein,

Wenn mancher unter Lust und Wein,

Und unter tollen Possen,

In die vorhin entbrannte Glutt

Durch seinen stoltzen Frevel-Mutt

Noch heisses Oel gegossen.


Ich bin auch einer aus der Zahl,

Die Holtz zum Feur getragen;

Ich hab' aus toller Narren-Wahl

Den Segen ausgeschlagen,

Und den verdammten Fluch beliebt,

Izt aber, da uns Gott betrübt,

[388] Bereu' ich meine Sünden,

Und ruff' in dieser Krieges-Noth,

Wo sol man unter Glutt und Tod

Gewünschte Rettung finden?


Wird aber auch des Höchsten Huld.

Die späte Reu belieben?

Zwar trägt er jederzeit Gedult,

Und pflegt diß zu verschieben,

Was sein gerechtes Urtheil dräut,

Wenn der bekehrte Sünder schreyt;

Wo aber Falschheit wohnet,

Wo nur Betrug im Schwange geht,

Und Heucheley das Haupt erhöht,

Da hat er nie geschonet.


Izt weinen wir, weil Mechmet wacht,

Sind aber zehnmal schlimmer,

So bald der goldne Friede lacht;

Wie ein verwegner Schwimmer,

Der, wo das meiste Volck ertrinckt,

Sich dennoch durch die Wellen schwingt,

Und mit den Wogen spielet,

Biß er in gleiche Noth versinckt,

Und, wenn ihn Flutt und Tod bezwingt,

Zn spät den Frevel fühlet.


Ach Herr, sol deiner Gnaden-Glantz

Sich über uns erheben;

Sol endlich der Oliven-Krantz

Einst wieder ob uns schweben,

So müssen wir mit ernster Reu

Den Saurteig schlimmer Heucheley

Aus unsern Hertzen fegen.

Wo diß nicht alsobald geschiht,

So wird der Brand, der itzo glüt,

Uns in die Asche legen.


[389] Herr, gönn' uns doch den rechten Geist,

Der uns zum Gutten leite,

Den Geist, der kräftig beten heißt,

Damit er vor uns streite,

Der alles, was nach Sünde schmeckt,

Und unser Feyer-Kleid befleckt,

In tiefsten Abgrund werffe.

Der uns mit Eifer aus der Höh

Beständig an der Seiten steh,

Und unsre Seufzer schärffe.


Erlangen wir nur dieses Pfand,

So wird sich alles geben;

Das izt-betrübte Vaterland

Wird bald sein Haupt erheben.

Des Achmets ungeheurer Schwarm

Wird durch des Höchsten starcken Arm

In einem Hui verfliegen;

Wir werden unter Gottes Schutz

Der ungeheuren Feinde Trutz

Mit starcker Hand besiegen.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band36, Stuttgart [o.J.], S. 387-390.
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