Fünfter Auftritt.


[106] Savage tritt schüchtern ein und entfernt sich nur allmählich von der Tür. Lady Macclesfield.


LADY. Mein Herr?

SAVAGE tritt langsam näher.

LADY. Sie haben ein Anliegen?

SAVAGE endlich vorn, aber sie noch von der Seite betrachtend und schüchtern. Beiseite. Anders als ich dachte – und doch – wenn sie's wüßte –! Wie bring' ich's an?

LADY. Ihr Name, mein Herr?

SAVAGE. Richard Savage.

LADY. Besinne – mich – nicht –

SAVAGE schmerzlich. Sie kennen – einen gewissen – Richard Savage nicht?[106]

LADY verlegen. Ah! Ganz recht! Ich hörte allerdings – Sie wollen mich malen, Sie sind ein Künstler – oder was sag' ich, Sie wollen ein Konzert geben – auch das nicht? – Gelesen hab' ich doch schon Ihren Namen – Mein Herr, klären Sie mich auf!

SAVAGE für sich; schmerzlich. Knickt da schon eine meiner Hoffnungsblüten ab! Sie kennt den kleinen Wert dessen nicht, das sie besitzen soll! Laut und schüchtern. Mylady, Richard Savage ist ein junges Talent, das nicht unglücklich in einigen poetischen Versuchen war, einige Stücke aufführen ließ, die eine Wiederholung erlebten –

LADY. Ganz recht. Sie gehören jener neuen Richtung an, die unsern Geschmack wieder für das Studium Shakespeares gefangennehmen will, und wollen mich wahrscheinlich auffordern, teil an den Sitzungen jener Damen zu nehmen, die mit ihrer starken Einbildungskraft und mit jährlichen Geldbeiträgen für die Wiederbelebung jenes veralteten Theaterdichters glauben wirken zu können. Ich ziehe Werke vor, in welchen sich die englische Kraft Mit dem Blick auf ihre Bücher. mit den feinern Gesetzen der französischen Grazie vermählt hat.

SAVAGE. Mylady, eine Britin!

LADY. Noch mehr! Soll man dem wilden Gezänk der Parteien, den Übertreibungen der Presse nicht eine Abneigung entgegenstellen gegen alles, was Sie Literatur nennen? Verworrene Köpfe, die ihren träumerischen Schwindel für die Eingebungen der Gottheit halten und uns mit Gewalt aufzwingen wollen, was sie für edel und gut ausgeben. – Bei uns in England sind die Schriftsteller vollends nichts als junge Leute aus niedern Ständen, denen man verzeihen könnte, wenn sie ihre Ansichten und Begriffe vom Leben auf den Ehrgeiz, in die höhern Kreise einzudringen, begründen, die aber kaum zu ertragen sind, wenn sie den ihnen angeborenen Mangel an Weltton, Sitte, konventioneller Schönheit auf die Beurteilung von Verhältnissen übertragen, die ihnen verschlossen sind und hoffentlich auch verschlossen bleiben werden.

SAVAGE. Mylady, Sie verwunden mein Herz, und doch Für sich. gerade in dieser Sprödigkeit liegt etwas, das mir den Triumph, sie überwinden zu können, doppelt reizend macht. Sich zu ihr wendend, entschlossen. Mylady, betrachten Sie mich!

LADY befremdet. Was wollen Sie?

SAVAGE. Tief, tief in die Augen, in die Mundwinkel, in die kleinen Furchen der Stirn blicken Sie mir und fragen Sie – Ihr Herz![107]

LADY. Ich begreife Sie nicht – –

SAVAGE. Ich hab' Ihnen etwas Großes zu sagen, ein Geheimnis, ein Grab zu öffnen; aber ich sähe so gern, daß die Stimme der Natur mir entgegenkäme und Sie mir, Mylady, Sie selbst das wunderbare Ereignis von meinen Lippen nähmen –

LADY. Sie beängstigen mich, mein Herr! Welch eine Sprache! Was soll das?

SAVAGE. Soll ich denn über tausend Schmerzen erst klimmen, bis ich zu einem Glücke komme, das ich – kaum noch den Mut habe, mir selbst zu erobern! O, wenn der Wärter hinter dem Käfig eines wilden Tieres fortschleicht, so springt es doch auf, schmiegt sich an die Wand und ahnt die Nähe seines Herrn und Gebieters – und hier

LADY ihn mit Befremdung und Angst betrachtend und halb wie zur Flucht gewendet. Ihre Bilder, mein Herr –

SAVAGE. Sind schlecht gewählt. Was quäl' ich Sie und mich! Mylady, hören Sie mich! Sie hatten einen Sohn, nach seinem Vater genannt Richard – Lady Mason, Ihre Mutter, erbarmte sich Ihrer und Richards und ließ ihn zu einem alten ehrlichen Schulmeister in St.-Albans geben –; Lord Rivers starb, Lady Mason starb, Richard kam zu armen Leuten, die ihn erzogen und nicht begruben – nicht begruben, Mylady, Sie brauchen Ihren Richard nicht erst im Jenseits zu begrüßen – er lebt, er liegt zu den Füßen seiner Mutter –! Stürzt ihr zu Füßen.

LADY. Wie? Welche schändliche Betrügerei! Entfernen Sie sich –! Fort, augenblicklich!

SAVAGE. Mutter –

LADY. Sie sind ein unverschämter Betrüger!

SAVAGE. Mutter, die Stimme der Natur!

LADY. Die Stimme der Gesetze werd' ich rufen lassen – Eilt an den Tisch und klingelt heftig.

SAVAGE. Mutter!


Ein Bedienter erscheint an der Tür.


LADY. Ruft das Haus zusammen! Bedienter winkt nach hinten. Was hat man mit mir vor? Die Flügeltüren öffnen sich und mehrere Lakaien treten herein. Zu ihnen. Daß dieser Herr nie wieder meine Schwelle betritt! Zu Savage. Elender! Schnell zur Seite ab.

SAVAGE aufblickend und beide Hände an die Stirn schlagend. Allmächtiger Gott! Ist es denn möglich?


Die Bedienten treten an ihn heran.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 106-108.
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Richard Savage, Sohn einer Mutter
Dramatische Werke: Richard Savage; Oder, Der Sohn Einer Mutter Ottfried. Wullenweber. Der Dreizehnte November. Fremdes Glück (German Edition)

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