Erster Auftritt.


[135] Die Lords Tyrconnel, Winchester und Berwick.


LORD TYRCONNEL. Ganz mein Schicksal! Ganz dieselben Launen und Bitterkeiten, denen zuletzt der Ausbruch eines Vulkans folgt.

LORD BERWICK. Sie hat sich seit einem halben Jahre erstaunlich verändert.

LORD WINCHESTER. Sie will es zwar nicht wahr haben, aber die Angelegenheiten mit ihrem Sohn haben ihre Ruhe, wenigstens ihr Betragen gegen uns und alle Welt gestört. Ich gestehe, daß sie mir oft den Eindruck der Lady Macbeth macht. Gespräche hatt' ich mit ihr, wo sie so abwesend antwortete, als sähe sie Gespenster.

LORD TYRCONNEL. Das Rollen ihrer Augen kann ich mir aus früherer Erfahrung denken!

LORD BERWICK. Ihre Behauptungen sind schneidender denn je, ihre Ansichten paradox, und ihr Stolz vollends fährt so hinaus, als wohnte sie in den hängenden Gärten der Semiramis –

LORD TYRCONNEL lachend. Sie flieht vor den Zumutungen einer allerdings höchst plebejischen Beziehung! Savage war eine Zeitlang in der Lehre bei einem Schuhmacher. Wie nimmt sie die Lage auf, in die ich ihren Sohn seit seiner Freisprechung versetzt habe?

LORD WINCHESTER. Mylord, Sie hatten das Vergnügen, einige Jahre lang ihr nicht zu mißfallen, und gerade von Ihrer Seite aus mußte diese Handlung für sie das verletzendste sein. Sie wollten ohne Tinte und Feder ein Pasquill – der Rache schreiben –

LORD BERWICK. Schreiben lassen, Lord Winchester! Lord Tyrconnel ist der Beherrscher der Presse geworden. Seitdem man Sie nicht mehr auf den Fuchsjagden sieht, pirschen Sie im Revier der Popularität –

LORD WINCHESTER. Steele – war's nicht Steele? – behauptete neulich, Sie sprächen sechs Sprachen –[135]

LORD TYRCONNEL. Fünf sprech' ich auch, Mylords. Unter der sechsten hat er die Sprache der Aufrichtigkeit verstanden. Ich darf Ihnen frei bekennen, daß ich Neigung für jene Partei im Parlamente hege, die in der Verfassung Englands nicht die Garantie unserer Mißbräuche, sondern das Mittel erblickt, ihnen abzuhelfen. Es kostet mich – – einiges Geld.

LORD BERWICK. Doch werden Sie als der Mann des Volks gepriesen.

LORD WINCHESTER. Seit Ihrer Handlungsweise gegen Richard Savage geradezu vergöttert.

LORD TYRCONNEL. Ich wollte dem Genie meine Huldigung bringen und ein Wesen beschützen, das doch nur ein Opfer unserer Standesunterschiede ist. Ich verwerfe die Standesunterschiede an und für sich durchaus nicht; nur sollte man anfangen, dem Volk mit der Zeit einige Konzessionen zu machen; z.B. einen Bürgerlichen bei sich zu Tisch zu laden und dafür wiederum eine Einladung bei einem reichen Bankier in der City anzunehmen – warum nicht?

LORD WINCHESTER. Aber Sie sollen, wie ich höre, bei alledem wenig Freude an ihrem Adoptivsohn erleben.

LORD TYRCONNEL. Er könnte das, was ich an ihm tue, mit ein wenig mehr Dankbarkeit aufnehmen. Allerdings. Aber er ist krank. Das entschuldigt ihn.

LORD BERWICK. Seine Verschwendung soll maßlos sein.

LORD TYRCONNEL. Ich denke mir, er will meine väterliche Liebe auf die Probe stellen. Ich geb' ihm in allen Beweisen seiner adligen Herkunft nach und suche ihn auf die fashionabelste Art zu erheitern. Heute habe ich die Absicht, ihn mit einem Maskenball zu überraschen. Schade, daß Sie nicht bleiben können! Freilich würden Sie bei Lady Macclesfield den Rest Ihrer Gunst verlieren. Ist es denn wahr, daß sie Ihre beiderseitige Bewerbung nur duldet, wenn Sie immer zugleich an die Tür ihres Boudoirs pochen, immer zugleich ihr den Arm bieten, immer zugleich ihr die Hand küssen –? Lacht.

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER blicken verlegen zu Boden.

LORD TYRCONNEL. Hahahaha! Und als Sieger gar, nach dem Abend im Theater, wo Sie Ihre Dame verleugneten, wieder bei ihr erschienen, natürlich immer als Inseparables, obgleich Sie sich beide, glaub' ich, einander gar nicht einmal leiden können –?

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER verlegen. Mylord –

LORD TYRCONNEL. Da wurden Sie beide unter der ausdrücklichen Bedingung wieder zu Gnaden angenommen, daß Sie die[136] Dame in jede öffentliche Gesellschaft, auf jedes Wettrennen, auf jeden Ball führen. Heute werden Sie sie wahrscheinlich auf den maskierten Ball der Herzogin von Sussex begleiten?

LORD BERWICK. Es würde uns in der Tat mehr Vergnügen machen, den Ihrigen zu besuchen –

LORD WINCHESTER. Gewiß, gewiß!

LORD TYRCONNEL. Zumal da die Maske Sie verbirgt –

LORD BERWICK. Glauben Sie das nicht, Mylord, wir haben der Lady unsere vollständige Neutralität angezeigt –

LORD WINCHESTER. Und wie kommen Sie dazu, Mylord, der Herzogin von Sussex die Hälfte ihrer Gäste zu rauben, indem Sie ihr mit Ihrer Maskerade Konkurrenz machen?

LORD TYRCONNEL. Die Herzogin von Sussex ist meine politische Gegnerin und die einzige Dame der Gesellschaft, die noch für Lady Macclesfield Partei nimmt –

LORD BERWICK. Politische Gegnerin? Die Herzogin von Sussex ist die Freimütigkeit selbst. Hat sie nicht auf dem Eingang zur großen Treppe ihres Hotels die Statue Cromwells aufstellen lassen?

LORD WINCHESTER. Apropos! Wie kommen Sie denn –? Zu meinem Erstaunen hab' ich von dieser Statue eine Kopie auf dem Estrich Ihres Hotels gefunden –?

LORD TYRCONNEL. Ich bin der Mann ohne Vorurteile. Ich adoptiere auch gern, wie Sie an Savage sehen, fremdes Eigentum. Aber, Mylords, ich glaube, die Instrumente stimmen schon. Entscheiden Sie sich! Bleiben Sie hier und brechen mit Lady Macclesfield oder –?

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER in Verlegenheit sich empfehlend. Mylord – erlauben –

LORD BERWICK. Wir behalten uns vor –

LORD WINCHESTER. Unsere Verpflichtung –

LORD BERWICK. Das einmal gegebene Wort –

LORD WINCHESTER. Das der Herzogin von Sussex gegebene Wort –

LORD TYRCONNEL. Ich wünsche den Herren viel Vergnügen und im übrigen – sans rancune

LORD BERWICK, LORD WINCHESTER. Sans rancuneBeide ab zur Seite.

LORD TYRCONNEL allein. Ihr Spatzenköpfe, ihr sollt euch wundern –! Eine Erinnerung an Cromwell soll noch niemals so den rechten Weg bezeichnet haben, der allein in England zum Ziele führt, als heute – Er klingelt.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 135-137.
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