Fünfter Auftritt.


[142] Lord Tyrconnel, selbst maskiert, mit einer Maske in der Hand, begibt sich zu dem am Fenster träumenden Savage. Dann Miß Ellen.


LORD TYRCONNEL. Hier, mein Freund! Schon sind unsere Gäste im besten Zuge –

SAVAGE. Und mühen sich ab, fröhlich zu sein!

LORD TYRCONNEL. Nehmt die Maske vor! Es lebe die Heiterkeit! Singt. Viva l'allegrezza! Bindet ihm die Maske vor und ergreift seine Hand. Kommt und mischt Euch unter die Fröhlichen! Geht dem Hintergrunde zu.


Miß Ellen, geschmackvoll kostümiert, tritt ihnen entgegen.


MISS ELLEN zu Savage. Was lasest du in den Sternen, Maske?

SAVAGE sie am Tone erkennend. O, daß Savage nicht würdig ist – Miß Ellens Freund zu heißen –! Es ist Eure Stimme, Euer süßer Ton, mit dem Ihr für mich schon Wunder tatet, die ich Undankbarer –

MISS ELLEN. Wunder, die Menschen verrichten, haben meist sich selbst belohnende natürliche Ursachen –

SAVAGE. Aber selten so unnatürliche Folgen wie bei mir! Miß, verzeihen Sie, daß ich Ihre Schritte bei der Königin nicht in jedem Fußtapfen verfolgt und die Blumen meines Dankes daraufgestreut habe. Sie wissen nur zu gut, daß die Freude über die kühne Tat, die Sie mir widmen konnten, für mich mit einer schmerzlich bittern Täuschung verbunden war!

MISS ELLEN. Bin ich nicht längst gewohnt, mein Freund, nur wie ein Wanderer am Wege Ihnen nachzublicken, während Sie[142] wild auf dem Flügelroß Ihres Schicksals vorübersausen? Früher war's die leichte Art, wie Sie das Leben nahmen, die Sie mir entführte; jetzt ist es unter den Frauen jene eine, die Sie unter meinen Mitschwestern – je fesseln konnte.

SAVAGE. Hätten Sie geglaubt, daß die Erfüllung meines einzigen Wunsches auf Erden so in den bittersten Erfahrungen enden würde?

MISS ELLEN. Die stille Sehnsucht, die Sie nach Ihren unbekannten Eltern trugen, hätt' ich nicht nähren sollen. Was waren wir Kinder, wenn Sie von Ihren nächtlichen Träumen sprachen, wenn Ihnen die Mutter erschienen war, wenn Sie kamen und mit fieberhaft rollendem Auge sagten, es wäre Ihnen, als müßten Sie einst noch Ihre unglückliche Mutter an Ihrem Vater rächen?

SAVAGE. Weil ich nur an dies eine dachte, was hab' ich mir da nicht alles entgehen lassen! Das ist das Schmerzlichste, wenn wir jahrelang einer Hoffnung nachjagten und sie zuletzt in nichts zerrinnen sehen, daß wir uns vorwerfen müssen, was wir in dem eiteln Streben versäumten, wie der Frühling kam und wir begrüßten ihn nicht, wie der Sommer lachte und wir genossen ihn nicht, wie die Nachtigall schlug, die Rose duftete und alles, alles ging hin und kommt so – so – nicht wieder –!

MISS ELLEN. Richard, verzweifeln Sie nicht! In der Dichtkunst haben Sie eine Verjüngungsquelle, aus deren urkräftigem Born Sie sich alles selbst schöpfen und schaffen können, was Ihnen die übrigen Menschen, nach ihrer eigenen Schwäche auch Sie beurteilend, bisher vergebens anboten. Trinken Sie von diesem Quell, und die Welt wird Ihnen in einem neuen Licht wieder aufgehen!

SAVAGE. Die Herzen der Menschen schafft man sich nicht. Verschmähte Freundschaft, abgewiesene Liebe ist verloren wie – ein Stelldichein, das man versäumte, und das uns so nicht wieder geboten wird –! Mit ausbrechendem Schmerz. Mußte sich mir auch in diesem einzigen Gedanken an meine Mutter alles vereinigen, worin sonst ein Jünglingsherz seine Seligkeit findet! Alles Herrliche im Leben, alle Schönheit der Natur, allen Adel des Gemüts bezog ich auf sie; von ihr aus kam mir erst Licht und Wärme in meine Gefühle, ihr bracht' ich die Erstlinge meines Daseins, die erlesensten Früchte meiner Einsamkeit, den Stolz der Armut, die Entsagung eines freien Geistes zum Opfer. Hin – alles! Mit dem einzigen Fehler in meiner Rechnung stürzte das ganze Gebäude zusammen –

MISS ELLEN. Und rechnen Sie das äußere Glück, in dem Sie[143] leben Auf den Hintergrund zeigend. diese glänzenden Verhältnisse für nichts?

SAVAGE. Sprechen Sie nicht davon, Miß! Ich bin wie eine abgepflückte Blume, über die einer gekommen, sie Blatt für Blatt zu verunzieren. Er wird sie ansehen, sie zu verdorben finden, um noch in ein Glas frischen Wassers gestellt zu werden – er wird sie – über den Zaun werfen.

MISS ELLEN. Nein, nein! Kommen Sie! Seien Sie heiter! Ich erzähl' Ihnen von Drurylane, von Ihren ältern Stücken, die man neu beleben soll, von unserer letzten Sitzung im Shakespeareklub; halten Sie sich an das, was Ihnen unentreißbar im Reich der Geister bleibt – und einstweilen hier – an diesen Arm! Sie zieht ihn fort. Beide mischen sich unter die übrigen.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 142-144.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Richard Savage, Sohn einer Mutter
Dramatische Werke: Richard Savage; Oder, Der Sohn Einer Mutter Ottfried. Wullenweber. Der Dreizehnte November. Fremdes Glück (German Edition)