Dritter Auftritt.


[150] Savage tritt in kahler, schwarzer Kleidung schnell, aber krankhaft in seinem Wesen und hinfällig, herein. Die Vorigen.


SAVAGE blickt gen Himmel und verrät seine dichtende Inspiration. Nach einer Weile. Eine Feder! Einen Streifen Papier, ihr guten Leute!

TOMS schiebt ihm das Verlangte auf den Schneidertisch am Fenster.

KITTY blickt finster hinüber.

SAVAGE schreibt, geht dann mit dem Geschriebenen schnell in den Vordergrund, überliest es und sagt dann, aus überreizter Spannung in Erschöpfung sinkend. Mein Schwanengesang!

TOMS führt ihn auf den Lehnsessel. Erholt Euch, Ihr seid erschöpft! Hier ist ein Brief für Euch angekommen.

SAVAGE greift danach, erbricht, liest und gibt einen einliegenden Zettel an Toms. Nehmt – ein Buchhändler schickt mir für ein Gedicht zwei Pfund; es wird genug sein – mich damit begraben zu lassen.

TOMS. Lieber Herr –!

SAVAGE. Einfach – klein – ein mäßiger Hügel – – Dringend. ein Stein darauf – und auf den mit schwarzen, deutlichen Buchstaben: Richard Savage!

TOMS. Ihr werdet leben – erholt Euch – Kitty, eine Erquickung für ihn!


Kitty ab.
[150]

SAVAGE schüttelt heftig mit Hand und Kopf. Brauche nichts – laßt, laßt – Nur Ruhe! Geht an Eure Arbeit, lieben Leute; nur Ruhe – arbeitet – ich stör' Euch nicht – geht, geht! –

TOMS geht langsam an einen Tisch. Ich weiß von früher, Ihr beschäftigt Euch gern mit Euch selbst; wir sind Eure guten Freunde, lieber Herr; es stürmt draußen, gut, daß Ihr bei uns seid und noch den alten Toms nicht vergessen habt.


Geht allmählich in die Kammer.


SAVAGE für sich. Die Zeit läuft ab – – Ich sehe den Weiser, wie er immer weiter und weiter – weiter fortschleicht bis an die Zahl, wo das Uhrwerk stockt und alle Räder abgelaufen sind. – Leb' wohl, du schöne Erde! – – Die Himmlischen wollten nicht, daß sie ein Kerker wäre, aus dem wir uns zur Freiheit sehnen! Sie gaben ihr das Grün des Feldes, den Gesang der Vögel, die Wärme der Sonne und die Kühle der Gewässer – wir, wir verderben sie uns, wir verpesten sie –! – – O, der einzelne kann es gar nicht fassen, das Weh, das sich zusammenballt und wie eine Lawine uns verschüttet; der Vater hinterläßt es schon dem Sohn, der Sohn dem Enkel – alle arbeiten sie daran, und nur einige wenige sind es, die über sich die aufsteigenden Dünste zusammenziehen und getroffen werden müssen von den Blitzen, damit die übrigen verschont bleiben! Ironisch. Gut gelebt hab' ich! Geboren in der Stille, heimlich, mit bösem Gewissen der Eltern, wie ein Diebstahl begangen wird; geboren so niederträchtig schimpflich wie ein Sprachfehler, über den man rot wird, eine Null, die der Knabe beim Rechnen vorn statt hinten ansetzt; – erzogen im Schmutz, belogen um meine Herkunft, verraten bei jedem Bissen Brots, den ich mir durch knabenhafte gutmütige Vergeßlichkeit, die ich all den erlittenen Mißhandlungen entgegenstellte, erbettelte – Ich entfliehe, ich schieße in wilder Freiheit zum Dichter auf, verständige mich mit meinen Pflegeeltern und entdecke das Geheimnis meiner Geburt. Ach! Wenn leben sich an die Natur und Welt traulich anschmiegen heißt, dann kann ich sagen: Drei Tage hab' ich gelebt! Tückisches Schicksal, drei Tage glücklich – und glücklich – über einen Wahn! Seitdem mich der zwischen Seligkeit und Verzweiflung hin und her schleuderte, bin ich Glied für Glied abgestorben. – – Ich hoffte, Elend und Armut würden mich heilen, und floh meine Freunde, um zu gesunden, aber ich verrechnete mich. – Die Stürme, unter denen ich auf freiem Felde schlief, löschten die Flamme aus, sie ist aus; was noch da ist, ist das letzte Glimmen des verkohlten Dochtes und der Rauch – der wirbelt noch so – bald wird alles still[151] sein – still – still – so still – daß ich die Musik der Sphären höre ... Man hört draußen einen Wagen vorrollen.

TOMS kehrt aus der Kammer zurück. Eine vornehme Karosse –?


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 150-152.
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Richard Savage, Sohn einer Mutter
Dramatische Werke: Richard Savage; Oder, Der Sohn Einer Mutter Ottfried. Wullenweber. Der Dreizehnte November. Fremdes Glück (German Edition)