Zweiter Auftritt.


[83] Prinzessin Wilhelmine mit einem Briefe in der Hand. Fräulein von Sonnsfeld.


WILHELMINE schüchtern. Sind wir unbelauscht?

SONNSFELD. Wenn nicht die Wände Ohren haben. Ist der Brief schon fertig?

WILHELMINE. Ich wage ihn kaum abzuschicken, liebe Sonnsfeld. Er wird hundert Sprachfehler enthalten.

SONNSFELD. Hundert? Da muß er länger geworden sein, als Ihre Hoheit anfangs beabsichtigten.

WILHELMINE. Ich habe geschrieben, daß ich zwar den Wert der mir angebotenen Dienste vollkommen zu würdigen verstünde, mich aber in einer Lage befände, alles zurückweisen zu müssen, was ich für meine Bildung nicht wenigstens durch die Vermittelung der Königin, meiner Mutter, erlangen kann.

SONNSFELD. Das haben Sie geschrieben? Dafür die hundert Sprachfehler? In diesem Fall sind wir soweit wie bisher. Ich ehre alle Rücksichten, die eine junge Prinzessin von achtzehn Jahren vor der Weltgeschichte zu nehmen hat; aber bei dieser Gewissenhaftigkeit werden Sie zugrunde gehen. Der König wird Sie ewig wie eine Sklavin, die Königin wie ein unmündiges Kind behandeln. Sie sind das Opfer zweier Charaktere, die an sich vielleicht das Beste mit Ihnen bezwecken, die aber beide so entgegengesetzte Naturen sind, daß Sie nimmermehr wissen können, wem Sie es recht machen sollen. Der Kronprinz hat es erreicht, sich zu befreien. Wodurch? Durch Mut und Selbständigkeit. Er hat sich losgerissen von den beengenden Fesseln der Willkür, hat sich die Mittel, die er zu seiner Bildung bedurfte, selbst erworben, und nun sendet er auch Ihnen aus Rheinsberg seinen Freund, den Erbprinzen von Baireuth, um Ihnen und der Königin einen Schutz, einen Anhalt zu geben, damit Sie an einem Hofe, wo den ganzen Tag getrommelt und exerziert wird, nicht aus Verzweiflung am Ende selbst noch die Muskete ergreifen und unter die Potsdamer Garde treten.[83]

WILHELMINE. Viel Humor, liebe Sonnsfeld, wahrhaftig! Mein Bruder hat in Rheinsberg gut Plane machen und Emissäre senden! Er weiß selbst sehr wohl, daß der Weg zur Freiheit, die er jetzt errungen, dicht am Schafott vorüberführte. Ich gehöre dem Geschlechte an, das dulden soll. Der Vater ist gut, herzensgut, in seinem wahren Wesen vielleicht milder als die Mutter, die mich mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Sucht zur Politik oft schroffer zurückstößt, als mütterliche Liebe verantworten kann. Ich bin nun einmal bestimmt, dies Schicksal zu tragen, und frage dich selbst, wie kann ich mich einem abenteuernden Fremdling anvertrauen, den mir der Bruder da aus seinem wilden und genialen Rheinsberger Leben hierhersendet, um mein Ritter und Paladin zu werden? Es ist ein Gedanke, wie er nur unter den Poeten dort hat entstehen können! Und wenn ich auch gern heimlich eingestehe, ich möchte verkleidet und lustiger Dinge in dem Rheinsberger Lärm recht mitten drinnen sein, so hab' ich doch, da wir nun einmal in Berlin sind, mein bißchen Französisch zur Not zusammengenommen und dem Erbprinzen für seine Anerbietungen hiermit Reicht der Sonnsfeld den Brief. mehr abweisend als annehmend gedankt.

SONNSFELD. Und diesen Brief soll ich besorgen lassen? Mit komischem Pathos. Nein, Königliche Hoheit, ich befasse mich nicht mit verbotenen Korrespondenzen.

WILHELMINE. Keinen Scherz, Sonnsfeld! Auf die zärtliche Epistel des Erbprinzen mußt' ich so erwidern ...

SONNSFELD. Nimmermehr – an diesem Hof verwirkt man durch die Besorgung verbotener Korrespondenzen sein Leben –

WILHELMINE. Du machst mich böse ... besorge den Brief ... schnell ...

SONNSFELD. Nein; aber ich weiß ein Mittel, Prinzessin, ein untrügliches, sehr sicheres Mittel, diesen Brief an seine Adresse gelangen zu lassen, es heißt: Sieht auf die Tür des Hintergrundes. geben Sie ihn selber ab! Hüpft nach einer hintern Seitentür ab.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 83-84.
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