1.

[3] Jenseits der Tiber, hoch auf dem Janiculus, liegt in Rom das Kloster San-Pietro in Montorio …

Eine der schönsten Aussichten über die Siebenhügelstadt genießt man dort auf dem Platz vor einer Kirche, deren erste Anlage zu den urältesten gehört. In ihrer spätern Erneuerung verräth sie nicht ganz jenen mehr prächtigen, als schönen Geschmack, in welchem fast alle Kirchen Roms gebaut sind …

Pinien und Cypressen bezeichnen die Stätte, von wo das Auge die im Abendroth verschwimmenden violetten Contouren des Horizonts bis zu den Sabiner- und Albanergebirgen verfolgen kann. In nächster Nähe schwimmt, von Abendnebeln durchzogen, das unermeßliche Häusermeer, durchschnitten von den Krümmungen der Tiber. Zahllose Kirchen ragen auf, zahllose Paläste, das Capitol mit seinen Trümmern aus der eisernen Römerzeit, die Engelsburg mit ihrem sein Schwert senkenden Sanct-Michael auf der Zinne … Ein Bild, groß und herrlich wie die Vision einer Verheißung …

Der erste Gedanke jedes Pilgers, der in Rom ankommt,[3] ist die welthistorische Macht der christlichen Idee … Die Schauer der Erinnerung an die blutige Märtyrerzeit begleiten ihn schon vom Fuß der Alpen … In Rom angekommen, sieht er die Triumphe des Kreuzes … Kein Tiber, kein Nero, kein Domitian beherrschen mehr das Universum … Die Vexillen und blutigen Fasces der Imperatoren, unter denen der christliche Bekenner verspottet, gefoltert, den wilden Thieren vorgeworfen wurde, sind zerrissen und zerbrochen … Der capitolinische Jupiter stürzte selbst vom tarpejischen Felsen; den Rand seines zurückgebliebenen Sessels ziert das Kreuz … Das Kreuz triumphirt über Cicero, Cato, August, Seneca … Es triumphirt ohne Rache … Sanct-Michael auf der Engelsburg hält sein Schwert nicht drohend empor, sondern senkt es versöhnt zur Erde …

So kann man fühlen, wenn Hunderte von Glocken nach San-Pietro in Montorio hinauf das Angelus tragen … Der nächste Gruß kommt links aus San-Onofrio, von Tasso's Eiche herüber; zur Rechten von Santa-Cecilia über die botanischen Gärten aus Trastevere … Hier oben bei den reformirten Franciscanern wird es später Nacht, als im Thal da unten, wo schon Hunderte von Lichtern aufblitzen … Die Mönche sitzen soeben im Refectorium – essen Polenta – köstlichen jungen Salat aus ihrem eignen Garten … Salz und Pfeffer, nicht Asche darauf gestreut, wie Petrus von Alcantara, der Stifter dieser – »Reformation« – mit seinem Salat es zu halten pflegte …

Der fromme Pater Vincente, für den Bonaventura[4] jetzt in Robillante Bischof ist, fehlt heute unter den Brüdern der braunen Kutte …

Er liegt in seiner Zelle und erbittet sich von Gott Kraft und Sammlung zu dem harten Weg, für den gerade ihn heute ein Loos getroffen …

Alle Klöster der von Almosen lebenden Orden sind eingeladen, heute in der Nacht auf Villa Rucca zu erscheinen, um dort die Gaben des jungen, heute vermählten fürstlichen Paars, die Abfälle der köstlichen Tafel zu empfangen …

Der alte Fürst Rucca, Generalpächter der Steuern an der Nordküste des Kirchenstaats, will zeigen, daß das Sprüchwort falsch ist: »Unrecht Gut gedeiht nicht!« – Was kann gedeihlicher sein, als Almosen an Klöster und Bettler …

Guardian und Brüder wußten, daß Pater Vincente einst um einen »Kuß in der Beichte«, den sein Gewissen und seine Phantasie ihm nur vorgespiegelt hatten, hier oben Jahre lang hatte büßen wollen … Büßen zu dem Stachelgürtel, den Barfüßen und den aus drei Brettern bestehenden Betten, die hier Regel sind, noch hinzu! … Ein Trost der Brüder war, daß doch noch nicht ganz gelebt werden mußte, wie der Freund der heiligen Therese, der Beichtvater des Einsiedlers von Sanct-Just (Karl V.), Petrus von Alcantara lebte, in einer Zelle, die kürzer war, als seine Leibeslänge! Ging man über den Hof hinweg, so fand man von Bramante eine Kapelle just über der Stätte erbaut, wo der Apostel Petrus einst mit dem Kopf nach unten gekreuzigt werden wollte – Sanct-Peter wollte nicht die Ehre haben,[5] zu sterben, wie sein Herr und Meister … Der Janiculus ist das zweite Golgatha. Was sagten, solchen Leiden gegenüber, drüben die dunklen Zellen mit eisernen Gittern, in deren einer der selige Bartolomäus von Saluzzo zehn Jahre hinbrachte, ein Priester, der die Dreistigkeit hatte, schon dem Rom seiner Zeit, Päpsten und Cardinälen, zu sagen: Nicht einer unter euch ist ein wahrer Priester! …

Pater Vincente schien kein so wilder Feuerkopf. Ein Schwärmer aus dem Thal von Castellungo, gehörte er ohne Zweifel zu jener dritten Art der Heiligen, den Geschlechtlosen, von denen damals der Onkel Dechant gesprochen … Im Süden sind vollkommen schöne Jungfrauen nicht so häufig, wie diese rein vegetativen, willenlosen, zuweilen bildschönen Jünglinge … Ein Mönch lebte gefangen auf San-Pietro in Montorio, der den Pater Vincente nur einmal sah und sich sagte: »Nun begreif' ich Horaz und Alcibiades, Plato und – Platen –« …

Wer konnte wol hier oben in Rom vom deutschen Dichter Platen sprechen? – – …

Pater Vincente hatte das Loos gezogen, der Hochzeit seines bösen Beichtkindes beizuwohnen … Er sollte die Speisen in Empfang nehmen, die man ihm in seinen Quersack schütten würde, den jedoch ein stärkerer Laienbruder tragen sollte … Dieser Laienbruder war krank … Das Fieber springt in Rom von einem Berg zum andern … Im Monat Mai hockt der unheimliche Dämon auf dem Janiculus … So hatte man beschlossen, einen der beiden deutschen Gefangenen, die hier in Rom auf der Höhe des freien Vogelflugs in[6] strenger Haft saßen, ihm zur Begleitung mitzugeben … Der eine, den die Mönche »den Todtenkopf« nannten, war so stark, daß er im ersten Anfall seiner Ungeduld die verrosteten Eisenstäbe seines Kerkers verbog und fast zerbrach … Jetzt war Bruder Hubertus schon lange ruhiger geworden … Er ließ nach dem letzten Vierteljahr, das er und Pater Sebastus noch für ihre Flucht aus dem Kloster Himmelpfort in Deutschland hier zu büßen hatten, ein nützliches Mitglied der Alcantarinergemeinde erwarten, falls Pater Campistrano, der General der Franciscaner, und der Cardinal-Großpönitentiar ihm und dem nur noch schattenhaft am Leben hängenden Doctor Klingsohr die Bestätigung gaben, daß ihre Absicht, zu den »Reformirten« ihres Ordens überzutreten, auf einem wirklichen Bedürfniß der Seele beruhte …

Als Pater Vincente gehört, er müßte auf das ganz Rom in Bewegung setzende Hochzeitsfest der Gräfin Olympia Maldachini mit dem Sohn des reichsten aller Römer nächst dem Fürsten Torlonia gehen und unter den hundert Bettlern auch für San-Pietro in Montorio seine zarte, weiche, frauenzimmerliche Hand offen halten, die einen Bischofsstab hätte tragen dürfen, wäre er nicht voll Demuth gewesen, war er in seine Zelle gegangen, fastete und betete … Dem »Bruder Todtenkopf« hatte man den Vorschlag gemacht, den voraussichtlich heute überfüllten Zwerchsack zu tragen … Bruder Hubertus sang seit einiger Zeit so viel heitere Lieder, daß man den Versuch glaubte wagen zu dürfen, ihn ins Freie zu lassen, hinaus in eine allerdings fieberschwangere Mainacht … Hubertus hatte erwidert:[7]

Wohlan! Laßt mir aber den Pater Sebastus mit … Es ist zu grausam, in Rom angekommen zu sein und neun Monate lang nichts davon gesehen zu haben, als eine Zelle von zehn Fuß Länge und zehn Fuß Breite … Beim Kreuz des heiligen Petrus drüben, laßt ihn ohne Furcht mit mir gehen! … Schon deshalb, weil er vielleicht ein Fieber mitbringt und ich dann Gelegenheit habe, euch zu zeigen, wie ich in Java das Fieber curiren lernte … Der nimmt die Arznei, vor der ihr euch so fürchtet …

Die Mönche lachten über diese Worte aus zwei Ursachen … Einmal weil sie aus einem Kauderwälsch von allerlei Sprachen bestanden … Holländisch, Deutsch, etwas Meßlatein und so viel Italienisch, als man auf einer Wanderung durch Italien bis hieher und in dem beschränktesten Verkehr mit der Welt erlernen konnte … Dann, als man zum Uebersetzen den Pater Sebastus herbeigerufen, lachte man wieder über die Methode des Fiebercurirens, die nach Hubertus hauptsächlich in einer sonst nicht normalen Anwendung von Theer und Kuhmist bestehen sollte …

Die Stimmung wurde dem Mitgehen des Paters Sebastus günstig … Der Herbeigerufene trat in das Refectorium ein … Er sah schon aus wie ein echter Nacheiferer des heiligen Petrus von Alcantara … Hätte ihn sein General gesehen, er würde gesagt haben: Auch du, mein einst so wilder Kriegsmann, wirst mit der Zeit reif, die Wonne der heiligen Therese zu werden! So mochte einst der edle Ritter Don Quixote de la Mancha ausgesehen haben! So fleischlos hingen auch die Arme des Don Pedro von Alcantara, so voll[8] Schwielen waren seine Kniee! So sah er aus, als er in der schauerlichen Einöde zu Estremadura seinen furchtbaren Tractat über den »Seelenfrieden« schrieb! …

Armes Jammerbild des Wahns! … Aber »doch noch ein Glück dabei!« sagt der gute Bruder Lorenzo in »Romeo und Julia« … Dinte und Papier hatte man dem Pater Sebastus gelassen. Man hatte ihm Bücher gegeben, um sich in der italienischen Sprache zu vervollkommnen. Man hatte gefunden, daß er besser Latein verstand, als der Pater Guardian, der seit diesem deutschen Pflegbefohlenen seine Sprachschnitzer nicht mehr so oft vom General unten im Kloster Santa-Maria corrigirt bekam … Der Gefangene tilgte sie zuvor …

Pater Sebastus, fahl und bleich, mit übergebeugter, hohler Brust, hüstelnd, unsichern Ganges, flößte dem Guardian keine Besorgniß mehr ein, daß er entfliehen und sich dem wahrscheinlich doch nur noch kurzen Rest seiner Strafzeit entziehen könnte … Der Guardian betrachtete seine Collegen, wie der heilige Vater im Consistorium die Cardinäle … Quid vobis videtur? Worauf ein einmüthiges Stillschweigen die jahrtausendalte Regel ist … Zustimmung schien auch hier aus Jedes Auge zu leuchten … Bei dem »Bruder Todtenkopf« versah man sich ja, daß er keinen Schinken, keinen Büffelkäse als zu viel ablehnen, sondern den Sack so vollstopfen würde wie nur möglich – eben um seine Kraft zu zeigen, über die er etwas ruhmredig und plauderhaft war, der alte Polterer … Man beschloß, den Pater Sebastus mitgehen zu lassen und unterrichtete nur noch beide, wie sie es anstellen müßten, um von Koch, Kellner, Haushofmeister des[9] Fürsten Rucca mehr, als alle andern Klöster, besonders die nicht blöden Kapuziner von Ara Coeli, zu bekommen … Das Hauptmittel, begriff schon Hubertus, war auch hier die Faust … Wenn um Mitternacht die große Tafel, die der alte Fürst Rucca seinem Sohn und der »Nichte« des Cardinals Ceccone ausrichtete, zu Ende war, begann die Austheilung … Brachen die Mönche um die zehnte Stunde auf, so kamen sie gerade recht … Wogte es dann schon die ganze Nacht in jenen Straßen, die zur Villa Rucca führten, so ging für sie der Weg durch entlegenere Gegenden, wo sich rascher dahinschreiten ließ …

Die Frate waren, in Hoffnung auf die große Beute, so nachsichtig, daß sie sogar in dem Verlangen des Pater Sebastus nach Siegelwachs heute nichts Sträfliches fanden und ihm die Mittel einer unerlaubten Correspondenz an die Hand gaben; – es sollte alles, was die beiden deutschen Mönche auf die Post gaben, erst hinunter an den General kommen … Heute ging in den Würsten, Schinken, Käsen, den feinern Tafelresten, die man erhoffte, ein Brief unbemerkt hin, den Pater Sebastus fast sichtbarlich seinem Leidensgefährten Hubertus zusteckte, daß er ihn vorher läse und mit unterschriebe … Er wollte noch eine Weile sich ruhen, den Brief dann siegeln, mitnehmen und irgendwie suchen »der Post beizukommen«, – das flüsterte er auf deutsch dem Leidensgefährten …

Klingsohr hatte Rom, sein ewiges, hochheiliges Rom, bisher nur erst aus der Ferne gesehen … Er kannte nur seit drei Vierteljahren diesen magischen Anblick zuweilen vom Fenster des Refectoriums … Nun sollte er[10] im Mondschein zum ersten mal den heiligen Boden betreten … Die Sonne sank in ihrer goldensten Pracht … Diesen Anblick hatte er zuweilen an Festtagen gehabt, durch die Olivenbäume des sich vom Fenster des Refectoriums abdachenden Bergabhangs hindurch … Heute verweilte er länger bei ihm … Sein dumpf gewordener Geist belebte sich … Aus den matten Augen glitt ein Schimmer der Erwartung … An den Bischof von Robillante hatte er geschrieben … Robillante lag ja da, da, wo die Sonne ebenso schön unterging … Er wußte, Bonaventura von Asselyn war jener Bischof dort geworden, der hier oben Pater Vincente hätte sein können, wenn er gewollt … Vincente's Geschichte war das große Wunder, das man auf San-Pietro jedem erzählte, der etwas länger blieb, als nöthig, um die Bilder Sebastian's de Piombo in der Klosterkirche und die alten paolischen Wasserleitungen zu sehen …

Unbeschreiblich ist die Schönheit des letzten Blicks der scheidenden Sonne Italiens, wenn ihre Strahlen sich zuletzt nur noch leise durch die grünen Zweige der Bäume stehlen … Ein Olivenwald vollends ist an sich schon zauberisch … Seine Schatten sind so licht, das Laub ist so seltsam graugrün blitzend … Und wenn seine Stämme hundertjährig sind, so sind die Gestalten der Zweige und über dem Boden herausragenden Wurzeln so phantastisch, daß sie sich im purpurnen Dämmerlicht der Sonne zu bewegen scheinen wie die Bäume in den »Metamorphosen« Ovid's … Ein magischer Sommernachttraum gaukelt durch einen solchen uralten Olivenhain … Sieben, acht Stämme sind zu Einem zusammengewunden …[11] Wie Polypen von Holz sind sie aufgeschnitten, das Mark ist heraus und nur die Rinde noch zurückgeblieben, aber die trägt die graugrünen Blätterkronen mit den blauen kleinen Pflaumen der Frucht ganz so, als wäre Herz und Seele noch drinnen … Diese groteske Welt, voll Fratzen, als hätte sie Höllen-Breughel geschaffen, schwimmt nun im Lichte und wird zu purem Golde; die untergegangene Sonne läßt am Horizont einen riesigen Baldachin der glänzendsten Stickerei zurück … Flimmernde Goldfranzen hängen in Himmelsbreite an violetten und rosa Wölkchen … Während nach der östlichen Seite hin schon die Nacht urschnell und tiefblau, mit sofort sichtbaren Sternen aufleuchtet, steht noch im Westen diese Phantasmagorie der Farbenmischungen eine wunderbare Weile … Endlich wird auch sie röther und röther; die goldnen Franzen, die Stickereien von Millionen von Goldperlen erbleichen; dann wird der westliche Himmel dunkelblauroth … Nun schwimmt der Olivenwald wie in einem Meer von aufgelöstem Ultramarin … Die Nacht im Osten ist schon tiefschwarz … Alles das lehrt – Ewigkeit des Schönen …

In seiner dunkeln Zelle hatte Hubertus heute eine zinnerne Oellampe … Sie war an sich armselig, aber sie konnte doch in Pompeji gestanden haben … Der Docht brennt in der Mitte gleichsam eines Tulpenkelches aus vier Oeffnungen …

Er las jenen Brief, den er mit Pater Sebastus verabredet, um durch Bonaventura's Vermittelung vielleicht für sie beide ein besseres Loos zu erzielen, als das ihrer durch den Spruch aus Santa-Maria da unten[12] harrte und selbst für den Fall harrte, daß sie sich diesem römischen oder sonst einem Kloster der Alcantariner einreihen durften …

Der Brief mußte so geschrieben sein, daß er im äußersten Fall auch in die Hand des Generals gerathen und sie nicht aufs neue compromittiren, nicht zur Fortsetzung ihrer Leiden Anlaß geben durfte …

So hatte denn Dr. Heinrich Klingsohr, weiland göttinger Privatdocent, ganz im gebührenden Ton, wie etwa Pater Vincente gethan haben würde, wörtlich an Bonaventura geschrieben1:

»Vivat Jesus! Vivat Maria! Halleluja! Friede sei mit Ihnen, hochwürdigster Herr und hochgnädigster Herr Bischof! Hat unser Ohr recht gehört, so ist ein Wunder geschehen! Hochgeehrtester Herr, Sie verweilen nicht mehr auf deutscher Erde, wo das Salz dumm geworden ist, Sie führen den apostolischen Stab im Lande der Verheißung! … Hochgnädigster Herr und Bischof! Wir sind die beiden Flüchtlinge aus dem Kloster Himmelpfort, die wir schon einmal Schutz gefunden durch Ihre gnädigste Frau Mutter, als wir lieber unter den Thieren des Waldes und in einer Hütte von Baumzweigen wohnen wollten, als länger in der üppigen Völlerei der entarteten Minderbrüder des heiligen Franciscus. Lieblosigkeit, Zank, Mangel an gottseliger Gesinnung haben uns von einer Stätte getrieben, wo unser allerheiligster Herr Jesus von seinen eigenen Jüngern täglich noch gekreuzigt wird! In dem großen Feldzug, den die Kirche gegen[13] den Belial der Aufklärung gerade in unserm Vaterland zu bestehen hat, sind diese Klöster, in denen sich nichts als der Schein der alten Regeln erhalten hat, nur zu Verschanzungen des bösen Feindes nütze. Provinzial Maurus hat an unsern General eine Liste unserer Verbrechen geschickt und so müssen wir denn, da man uns ohne Richterspruch verurtheilte, unser sehnsüchtiges Verlangen nach der reformirten Regel der Minderbrüder durch eine Gefangenschaft büßen, die hier auf San-Pietro in Montorio bereits drei Vierteljahre dauert; freilich schmachten wir in der Nähe des Kerkers, den der selige Bartolomäus von Saluzzo zehn Jahre lang innehatte … Aber die Krone des Himmels zu gewinnen wird, ach! zu mühselig für die schwache Kraft unsrer Sterblichkeit … Hochgnädigster Herr Bischof! Wir schöpfen wol Muth aus dem Vorbild der Märtyrer und heiligsten Apostel, aber unsere Kräfte schwinden, unsere Hoffnungen auf die Macht der Wahrheit erlöschen, zu schwer für menschliche Schultern ist, was wir seither erlitten! … Von dem unterzeichneten Pater Sebastus, hochgnädigster Herr Bischof, wissen Sie aus einer denkwürdigen Stunde mit dem gefangenen Kirchenfürsten, daß er die Rettung seiner Seele dem ›Bruder Abtödter‹ verdankt, der im Gegentheil im Lebendigmachen sich auch hier schon mannichfach bewährt hat. O daß ich in einem einfachen, schlichten Menschen mehr fand, als in meinen weiland Genossen, Hochgebildeten, die mich durch die sophistische Moral der heidnischen ›glänzenden Laster‹ zum Tödten eines Mitmenschen, Ihres Verwandten, reizen konnten! Hubertus hat mich oft meilenweit Nachts auf seinen Greisesarmen getragen,[14] wenn wir auf unserer Flucht mit nackten Füßen den Häschern zu entrinnen suchten. Vom Düsternbrook, von der verhängnißvollen blitzzerschlagenen Eiche an bis zu den trauernden Cypressen dieses heiligen Sanct-Peter-Kreuzes-Hügels verfolgte uns das Concil von Trident, nach dem ›ein entsprungener Mönch seinem Kloster zurückzuführen ist‹ … Wir lebten von Wurzeln und Beeren, suchten die einsamsten Straßen des Rhöngebirges, des Schwarzwaldes und der Alpen auf … Nie legten wir unser hären Gewand ab, unsers heiligsten Franciscus Ehrenkleid, das ich einst, Sie wissen es, im schnöden Rückfall um jene Lucinde verleugnen konnte … Nie gönnten wir uns eine andere Erquickung, als unsern blutenden Füßen die kühlende Welle des Waldbachs … Auf der Schweizergrenze ergriffen uns die durch Steckbriefe aufgewiegelten Häscher … Nur der Kraft des Bruders Hubertus, die er indessen seinem Gebet zuzuschreiben bittet, gelang es, daß wir aus einer Polizeiwache auf dem Transport entsprangen und uns drei Tage und drei Nächte, dem Verhungern nahe, unter dem Heu einer Scheune verbargen … Zu unserm Uebergang über die Alpen wählten wir die einsamste Straße, die des Großen St.-Bernhard … So verschmachtet und verkommen waren wir, daß wir den Gerippen glichen, die dort von verschütteten Wegwanderern aufbewahrt werden« … (Sebastus ahnte nicht, wie gerade diese Worte auf Bonaventura wirken mußten, wenn er den Brief empfing!) … »Nur die Hoffnung auf Rom belebte uns … Rom! Rom! rief es in unsern Herzen und gestärkt erhoben wir uns, wie verschmachtete Kreuzfahrer einst mit dem Feldruf:[15]

Jerusalem! … Aber auch in diesen heißersehnten Gefilden verfolgte uns die Hand des Paters Maurus. Jedes Kloster unsers Ordens drohte zum Gefängniß für uns zu werden. In den Reisfeldern Pavias, wo wir uns in giftigen Sümpfen verstecken mußten, ergriff mich das Fieber. In der Nähe jener prachtvollen Certosa, einer architektonischen Wunderblume deutscher Baukunst in einer Oede voll Trauer, trauriger als die Fieberkrankheit, glaubte ich zu sterben. Mein zweiter Vater rettete mich und der innere Stern des Morgenlandes schimmerte wieder am Wege … Rom! rief es von unsichtbaren Geistern, in die zuletzt wirkliche Stimmen, die Stimmen der Pilger einfielen, denen wir uns anschlossen … Alle meine Gräber öffneten sich in meiner öden Tannhäuserbrust … Leiche auf Leiche erhob sich … Die Wissenschaft, die Kunst, die Philosophie, die seraphische Liebe – alles wachte auf in dieser Sehnsucht nach Rom! … Ich fühlte unendliches Leben in meinen Adern … Wir kamen ein kahl Gebirge, die Apeninnen, hinauf und sahen das Meer – Zum zweiten male sah ich's und mein Führer kannte es von Indien … Was blieb da noch die Ostsee! Nußschaale gegen einen Bethesdateich! – Dort, dort lagen Afrika, Asien – Hannibal stieg mit uns nieder, Scipio kam von Karthago – Hinan! Hinan! … So wanden wir uns drei Wochen durch Etrurien hindurch nach dem Sanctum-Patrimonium … Mit den Pilgern, mit manchen Verbrechern, mit denen uns die Nachtwanderung vereinigte, hofften wir: Rom ist die Stadt der Gnade! … Ein Pilger rief: Rom ist mit Ablässen gepflastert! Ich verzieh einem Mund, der dem natürlichen[16] Jubel des frommen Entzückens erwiderte: Noch mehr, denk' ich, dein eigen Herz! – Diese Denkerphrase – deutsch gesprochen! Ich verzieh dem Sprecher, weil er ein Greis war« …

Hubertus hielt hier einen Augenblick inne … Dieses greisen deutschen Pilgers hatte er oft gedacht … Auch ihm und Klingsohr war er streng gewesen; aber eine verklärte und wieder andere verklärende Natur bei alledem … Wo mochte wol dieser Reisegefährte weilen! …

Dann fuhr Hubertus zu lesen fort:

»Wir mußten mit den andern oft in den Felsen schlafen, vermieden die großen Städte, deren Zinnen und Domthürme ich nur fernher aufragen sah, wie die Märchenerinnerungen meiner Jugend … Parma! Florenz! Siena! Welche Klänge! … Aber in Höhlen, oft zu Räubern, mußten wir flüchten, bis wir endlich in diesem öden Kesselthal ankamen, das Euch die ›wüste‹ Campagna heißt – Die wüste! Ihr leipziger Nationalökonomen, ein Hirtenland mußt' es ja sein, wo wieder die Krippe des Heiles steht! Hier darfst du ja, verlorene Welt, nur Schafhürden und Ställe suchen! Hier sollst du ja nur der Hirten Lobgesang hören wollen, der dich doch in Correggio's ›Nacht‹ entzückt, warum nicht in Wirklichkeit? … Endlich eines Morgens ging die Sonne auf und wir sahen – die Stadt der Städte! Im Kern einer großen Muschel liegt, nächst Jerusalem, die köstlichste Perle! … Das Auge unterschied die Peterskuppel … Schon hörte das Ohr die Glocken der versunkenen Kirche, die in meiner Brust schon seit dreißig Jahren ›Rom‹ läuten; ich hörte sie – nun von sichtbaren Thürmen niederhallen[17]  – Hosiannah! rief alles um uns her … La capitale du pardon! jauchzte ein Franzose … Da umringen uns wieder die Häscher des Paters Maurus. Die in der Knabenlectüre vielbelachten – ›Sbirren‹ – häßliche Dreimaster von Wachsleinen auf dem Kopf – … Sie wissen, wer wir sind. Sie wissen, woher wir kommen … Sie führen uns über die Tiber zurück, die wir schon hinter uns hatten! … In der Abenddämmerung geleiten sie uns einen jener riesigen Aquäducte entlang, die man nicht sehen kann ohne an Roms ewige Größe, an die fruchtlosen Belagerungen durch Attila, die Hohenstaufen und Beelzebub zu denken, führen uns durch ein entlegen Thor auf einen hohen Berg und hier in ein Gefängniß, das wir seit dieser Stunde nur zuweilen im Umkreis einiger hundert Schritte verlassen haben! … Vor unserm Kloster stürzen sich die Wasser jenes Aquäductes, dem wir folgten, in ein Becken und gleiten nach Rom hinunter, das, sagt man, vom Geriesel der Brunnen und Cascaden wie ein einziger Quell des Lebens rauschen soll! – – Wir hier oben aber verschmachten! Wir müssen uns der Gewalt des Pater Maurus, die bis hieher reicht, ergeben! – … Wohlan, die Ordnung herrsche in der Welt, selbst in den Händen unwürdiger Gotteswerkzeuge! Wir wollen unser Joch-Jahr dulden. Aber die Zukunft! Soll sie denn nur, nur den Tod bergen? … Wenn Ihre große Güte, hochgnädigster Bischof, es übernähme, ein Wort des Zeugnisses für uns beim General zu sprechen! Wenn Sie Ihren Nachbar, den Erzbischof von Coni, Cardinal Fefelotti, der, wie man sagt, die Stelle des Großpönitentiars der Christenheit erhalten wird, für uns gewännen! Das Elend meines Lebens[18] kennen Sie! Sie wissen, was ich dem Kreuz des Erlösers schon alles von Menschenschuld aufgebürdet habe! Sie kennen Klingsohr's Sünden – auch seine verwelkten Rosen – Sie wissen, welche Hand den Lebensfrühling mir zerriß … Ueber Trümmern aber ist das Kreuz erstanden! Ich will meine Fahne nicht mehr lassen, die Fahne des geopferten Lammes! Lassen Sie mich nicht streiten unter sinnlosen Führern! Das ist das Schrecklichste, unter Mitknechten stehen, die nicht wissen, wessen Harnisch sie angethan haben! Müßten wir nach Deutschland zurück, zurück nach Witoborns öden Gassen, zu den dumpfen Wänden Himmelpforts, so würde der letzte Funke unsers Lebenslichtes erloschen sein! Lieber das Grab in Rom, als ein Leben im Leichentuch Deutschlands! Sie, Sie sind glücklich! Sie dürfen reden, hochwürdigster Herr und Bischof! Legen Sie Zeugniß für uns ab! Ein Wort von Ihnen zu unserm General, ein Wort zu Cardinal Fefelotti, und man wirft uns nicht mehr mit denen zusammen, die wie der Tag kommen und gehen. Auch mein guter Führer und Lehrer stürbe so gern in der Stadt der Katakomben. Er hat noch auf dem Amt in Witoborn eine Summe Geldes liegen, ungerecht Gut, das er der Sache der Gerechtigkeit schenken möchte. Er hoffte in Rom einen Erben zu finden, einen Krieger im Heer Seiner Heiligkeit, den zu erkundschaften ihm noch keine Muße geboten ward. Fände er diesen nicht, so würde er das Vermögen dem General seines Ordens anweisen … Laßt ihn eine Weile suchen! Laßt uns doch noch irgend eine schaffende Thätigkeit! Der Trieb zu helfen ist Gradmesser noch vorhandener Lebenslust. Mit dieser[19] neuen schönen Sonne, die wir Gefangenen nur zu spärlich sahen, ist er in uns zurückgekehrt. Ich jage nicht mehr dem Spuk der nordischen Phantome nach. Dieser blaue Himmel, diese göttliche Luft, diese immer gleiche Stimmung der Natur selbst im Blättergrün, das im Winter nicht entschwindet, ach! sie gießen einen so vollen Glanz der Schönheit selbst über unsre bescheidensten Wünsche, daß ich mir vorkomme, als hätte meine seitherige Vergangenheit nur unter meiner unrichtigen Geburt im Norden gelitten. Meine Zweifel schwinden. In einem römischen Sonnenuntergang glaub' ich an das Labarum des Constantin, das ihm in den Wolken erschien! Ich sehe das Tabernakel des Hochamts in jeder bunten Wolke dieses italienischen Himmels! Halleluja! Die Kreuzesfahne voran! In diesem Zeichen Sieg und Hoffnung! Retten Sie uns! Retten Sie uns! Heinrich Klingsohr, genannt Pater Sebastus a Cruce. San-Pietro in Montorio, im Mai 18**.«

Zu diesem Namen schrieb Bruder Hubertus:

»Eines hochgnädigsten Herrn und Bischofs gehorsamster Kreuzesträger und apostolischer Pilger Frater Hubertus.«

Diesen Brief ganz flüssig zu lesen und dann zu unterschreiben kostete dem »Todtenkopf« einige Mühe … Seine knöcherne Hand kritzelte lange an den wenigen Worten … An der Stelle, wo von seinem Geld die Rede war, hielt er besorgt inne … Er gedachte mismuthig jenes Wenzel von Terschka auf Westerhof, von dem er schon lange ahnte, daß er dessen Versicherungen, er wäre nicht jener Soldat, der einst im römischen Heer gestanden, zu leichtgläubig hingenommen, von dessen Verbleiben aber,[20] Ursprung, späterer Flucht, Uebertritt, gegenwärtigem Aufenthalt in London die Eremiten im winterlichen Walde, die Flüchtlinge durch Deutschland und Italien, die Gefangenen von Rom nichts erfahren hatten. Klingsohr kannte diesen Terschka nicht einmal dem Namen nach … War die Erwähnung seines Geldes praktisch? … Wie würde diese Stelle auf den General wirken, wenn er sie läse? … Vielleicht ganz förderlich! dachte endlich Hubertus mit einiger Pfiffigkeit …

Gegen zehn Uhr erhob er sich von seinem Maisstroh … Aufgeschreckter denn je … Dachte er an Terschka, Picard, sein Geld, so erschienen ihm Eulen und Fledermäuse und Brigitte von Gülpen rang unter ihnen die Hände und Hammaker's blutigen Kopf sah er und Picard hing am brennenden Dachbalken und den Pater Fulgentius, den er »richtete«, indem er ihn ruhig sich selber tödten ließ, sah er am Seile schweben … Der Riegel seines Kerkers wurde klirrend zurückgeschoben …

Der fieberkranke Laienbruder war es selbst, der, sich schüttelnd, den mächtigen Sack brachte … Er geleitete Hubertus an Sebastus' Zelle …

Auch hier fiel die eiserne Klammer … Sebastus stand in erregter Spannung … Rom und die langen Leiden hatten seinem sonst so vornehm verächtlich, so hochmüthig geringschätzend in die Welt und auf andere Menschen blickenden Wesen seit einiger Zeit eine vortheilhafte Veränderung gegeben … Er ergriff den heimlich dargereichten Brief, siegelte ihn, während Hubertus dem Laienbruder, um diesen zu zerstreuen, seine Pillen rühmte und zu größerer Deutlichkeit das Verschwinden[21] des Fiebers mit der Leere des mächtigen Sackes verglich … Dann steckte Sebastus unter der braunen Kutte den Brief zu sich und folgte dem Laienbruder, der beide auf die Terrasse zu den rauschenden Wassern führte …

Hier harrte ihrer Pater Vincente …

Benedictus Jesus Christus! …

In aeternum, Amen! …

Die drei Mönche schritten den Hügel San-Pietro nieder in jene kleinen gespenstischen Schatten der Bäume und Häuser, die ein helles Mondlicht wirft …

Alle drei schritten sie nach Rom hinunter in den gleichen Kutten … Die Kapuze über den Kopf gezogen, um den Leib des heiligen Franz von Assisi fliegende weißwollene Schnur … Die beiden Deutschen noch nach ihrer alten Regel in Sandalen … Pater Vincente mit entblößten Füßen.

1

Vielen dieser Einzelzüge liegen Actenstücke zu Grunde.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 8, Leipzig 1860, S. 3-22.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Zauberer von Rom
Der Zauberer Von ROM (4); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (5); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (1); Roman in Neun Buchern
Der Zauberer Von ROM (9)
Der Zauberer Von ROM (3); Roman in Neun Buchern

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon