10.

[346] Kommen Sie aus der Schweiz? fragte aus dem Dunkel heraus eine heisere rauhe Stimme …

Das menschliche Wesen, dem die Stimme angehörte, entwickelte sich seinem Auge erst allmählich als eine Frau …

Ich will Sie dem Herrn anmelden … lautete die seinem Schweigen folgende Rede …

Ein Schlorren, ein asthmatisches Keuchen … Ein langes Verhallen der Schritte … Diese Räume schienen endlos zu sein …

Es ist geschehen! sprach er zu sich selbst und sagte fast hörbar:

Also nur die aus der Schweiz Kommenden erkennt man an diesem Losungswort, das ich von den Bandiera weiß! …

Benno zog sein Portefeuille, um das Zeichen des Phönix zur Hand zu haben …

Die Flüchtlinge, die sich in Robillante an ihn wandten, um in allerlei Verkleidungen weiter zu kommen, hatten auch ihm ein solches Zeichen entgegengehalten …

Wenn die ohne Zweifel in diesem Augenblick hier[347] versammelte Verschwörung entdeckt – wenn er selbst mit den Mitgliedern derselben aufgehoben wurde! …

Darin sah die Zerrüttung seines Innern, die Hoffnungslosigkeit seiner Seele kein Unglück mehr …

Beim Suchen nach dem Portefeuille fand Benno ein Mittel, sich Licht zu machen … Nach italienischer Sitte führte er ein Streichfeuerzeug bei sich … In den finstern großen Häusern Italiens hilft man sich auf diese Art gegen die überall mangelnde Beleuchtung … Kleine brennende Wachsenden reichen aus für jeden zu erkletternden vierten Stock …

Benno sah nun eine Halle, die in einen gedeckten und überbauten Hof führte … Da hingen alte Bilder an den feuchten Wänden … Sollte hier die Tiber zuweilen so weit austreten, um diese Häuser überschwemmen zu können? …

Die Alte, die mit einer Lampe zurückkam, unterschied er nun … Sie war vom Alter gekrümmt und schien aus dem Reich der Nacht zu kommen …

Mit der Lampe den Fremdling beleuchtend, sagte sie:

Der Herr soll wiederkommen –! …

War dein Losungswort eine Beschwörung, die nicht kräftig genug wirkte? sagte sich Benno …

Jetzt überreichte er sein zweites Creditiv, das Zeichen von Silberblech und eine Karte mit seinem Namen …

Die Alte nahm beides, betrachtete es flüchtig und entfernte sich wieder …

Inzwischen ging Benno in den Hof, der überbaut war … Wieder sah er einen langen Gang … Sessel[348] standen in diesem an den Wänden, ohne Zweifel für die Clienten vom Lande, die an jedem Markttag die Schreibstuben der Advocaten belagern … Er verglich Nück's Lage mit der Bertinazzi's … Jener der leidenschaftliche Freund der Jesuiten und allen Umtrieben derselben ganz wie ein geheimer Verschwörer zugethan; dieser, wie er wußte, ein Angehöriger der Familie jenes Ganganelli, der als Papst die Jesuiten aufgehoben hatte, und im Geist seines Ahnen fortwirkend … Das System der Menschen- und Lebensverachtung mußte bei beiden dasselbe sein …

Die Alte kam zurück und winkte nun schweigend … Sie zeigte nach hinten, kehrte noch einmal in den Hof und zur Pforte um, die sie mit einem eisernen Querbalken verschloß, und bedeutete Benno, der bei einer Stiege angekommen war, diese nicht zu betreten, sondern auf eine Thür zuzugehen, die sie öffnete … Es war eine jener südlichen Matronen, die die Freude eines Balthasar Denner gewesen wäre, des Runzelmalers …

Durch einige mit Büchern und Landkarten gefüllte Zimmer hindurch kam Benno jetzt erst an eine andere Treppe, die er ersteigen mußte, um endlich bei dem unter den Römern hochberühmten Doctor der Rechte Clemente Bertinazzi einzutreten …

Dieser trat ihm lächelnd entgegen …

Benno fand einen langen, hagern Mann … Der Ausdruck seiner Gesichtszüge war der jener fanatischen und träumerischen Beharrlichkeit, die sich zunächst als mathematische, oft pedantische Strenge zu geben pflegt … Ebenso[349] verband sich die Pedanterie mit Schwärmerei bei Luigi Biancchi, dem armen Gefangenen von Brünn; ebenso leidenschaftlich war in seiner träumerischen Welt der trockene und magere Püttmeyer … Diese Menschen wußte Benno unterzubringen … Sie hatten nicht die Schönheit der Willensäußerung, die Grazie der Lebensformen Bonaventura's; aber der feste, beharrliche Sinn war derselbe …

Clemente Bertinazzi hätte in seinem langen Hauskleide, das ihm bequem um die magern Glieder hing, ebenso einen alten Geizhals darstellen können, der über seinen Schätzen wacht und sich nächtlich mit einer alten Dienerin in diesem weitläufigen Hause ängstlich abschließt … Doch die allmählich erglühende Kraft seiner Augen verrieth edlere Eigenschaften … Bald sah Benno, daß dem Mann ein eigenthümlicher Flor über seinen Augen und den untern Anfängen seiner Stirn lag, jener geistige unbestimmte Dämmer, der sich vorzugsweise bei mystischen Naturen findet …

Endlich, endlich, Signore d'Asselyno! sagte der Advocat und streckte die Rechte aus zum traulichen Gruße und zugleich den Eindruck prüfend, den ihm der junge Mann in Gestalt und Haltung machen würde …

Benno d'Asselyn! … erwiderte dieser bestätigend und legte seine zitternde Hand in die des Advocaten …

Warum kommen Sie erst jetzt? Ich weiß von Ihnen schon seit lange über Malta her, wo sich die Brüder Bandiera für Sie verbürgt haben … Man hat Sie dort verdächtigen wollen … Allerdings kann man Ihre Beziehungen zu unsern Tyrannen zweideutig finden …[350] Ich hörte, Sie lernten unsere Machthaber in Wien kennen und da dachte ich: Um so besser, wenn Sie diese Menschen beobachten … Ich vertraue jeder Bürgschaft, die die Bandiera leisten …

Kennen Sie meine Freunde persönlich? sprach Benno noch in Befangenheit und ausweichend …

Nein … erwiderte Bertinazzi und zog, um das Bild eines alten Garçon zu vervollständigen, eine Tabacksdose … Aber ich habe Ursache von Ihnen das Beste zu denken … Ja auch sonst hab' ich das Princip gehabt, fuhr er schnupfend und von unten her Benno musternd fort, nicht zu weise sein zu wollen … Die Verschwörer, die überall Spione wittern, haben nie mein Vertrauen gehabt … Haben Sie noch ein drittes Erkennungszeichen außer dem Gruß und dem Phönix? …

Benno verneinte …

So gehören Sie den Vertrauten an, nicht den Wissenden …

Die Zahl dieser Vertrauten, wußte Benno, war in Italien so groß, wie bei uns die der Freimaurer …

Sind die Wissenden die oberste Spitze? fragte er …

Die oberste noch nicht! entgegnete Bertinazzi … Sie haben durch den Phönix den zweiten Grad – einen vorbereitenden – und vielleicht gar ohne Schwur … Die Wissenden sind erst der dritte … Der vierte sind die Leitenden … Erst der fünfte ist der höchste … Das ist der Grad der Namenlosen … Zu diesem gehör' ich nicht einmal selbst und weiß kaum, ob in Rom ein »Namenloser« existirt …

Diese Organisation kann sich halten und wird nicht[351] verrathen? … fragte Benno – unwillkürlich der Worte Ceccone's – über seinen Mörder gedenkend …

Sie kann an einzelnen Theilen verrathen werden und wird es auch, antwortete Bertinazzi … Aber die Theile sind nicht das Ganze … Einer kennt den andern auch noch nicht auf dem Standpunkt der Wissenden … Derjenige, der wie ich den Grad der »Leitenden« hat, kennt immer nur zwölf Wissende … Diese, die eine Loge bilden, sind sich untereinander selbst völlig unbekannt … Die Gruppe, zu der Sie gehören, ist groß und an Vertrauten mögen wir wol in Rom allein dreitausend haben … Der erste Grad vollends, derjenige, der die Losung kennt, ist dem Verrath am meisten ausgesetzt … Sie werden genug Priester und Verdächtige in diesen Reihen finden … Ich würde Ihnen auch noch auf den Phönix nicht Gehör gegeben haben in so später Stunde, wenn ich nicht glaubte, daß Sie irgendeine wichtige Sache zu mir führte … Weiß man in den hohen Kreisen, daß in diesen Tagen – …

Der Advocat hielt forschend inne …

Ich beunruhige mich über das Schicksal der Gebrüder Bandiera, sagte Benno … Man erwartet ihren Einfall … Wann findet er statt? …

Bertinazzi's Miene drückte eine Verlegenheit über diese Frage aus … Er sagte:

Für solche Dinge haben Sie den Grad nicht …

Dann aber, und gleichsam, um seine Ablehnung zu mildern, kam er auf Benno's Lebensverhältnisse …

Seltsam – Sie werden, hör' ich, von der kleinen Fürstin Rucca gefesselt … Der Unseligen! … Nun, nun –[352] Sie sind jung und pflücken die Kirschen, wo sie reif sind! … Von Geburt sind Sie ein Deutscher …

Meine Mutter ist eine Italienerin …

Gut – gut –! Und Sie bringen nichts, was mit Ceccone – Fefelotti – Rucca oder irgendeinem unserer Tyrannen zusammenhängt? …

Benno schwieg …

Einige Zimmer weiter schien laut gesprochen zu werden …

Ohne Zweifel hatte Benno die Loge unterbrochen und störte Bertinazzi …

Dieser nahm auch eine Lampe vom Tisch und sagte aufhorchend und mit ausweichender Miene:

Ich habe mich gefreut – Sie besuchen mich wieder? …

Auf Benno's Lippen brannten die Fragen: Befindet sich hinter jenen Wänden nicht jetzt die Loge –? … Wer war jener schwarze Todtenbruder? … Was hab' ich zu thun, um die Stunde des beabsichtigten Aufstands zu erfahren? …

Natürlich, daß seine Stimmung diese Fragen unterdrückte …

Aber sein Zögern gab dem Advocaten Veranlassung zu den leicht hingeworfenen Worten:

Treten Sie doch in den dritten Grad! … Sie schwören nur, die Unabhängigkeit und Freiheit Italiens mit jedem Mittel zu fördern, das von den Führern Ihnen vorgeschrieben wird …

Mit jedem Mittel –? … Auch mit dem Mord? – sagte Benno nach einiger Ueberlegung …

Das ist der vierte Grad …

Zu dem Sie gehören? … wallte Benno auf …[353]

Der vierte Grad anerkennt nur zuweilen die Nothwendigkeit des Todes für Verräther und Tyrannen … Erst der fünfte Grad vollzieht ihn … Ich sagte schon, ein »Namenloser« befindet sich vielleicht in diesem Augenblick weder in Rom noch in Italien …

Ceccone weiß, daß ihn ein Verschworener tödten soll … sagte Benno …

Bertinazzi horchte auf, schüttelte dann aber den Kopf und sagte:

Das spricht aus ihm die Furcht … Sein Tod ist von niemand beschlossen worden … Er hat Feinde, die der sonst Allwissende vielleicht an seinem eigenen Busen nährt … In Italien sterben die Menschen zuweilen, etwa wie bei der Cholera, aus gelegentlichem Versehen … Ja, er soll sich in Acht nehmen … Aber nun bitt' ich – mich in der That zu entschuldigen … Ich habe mich gefreut, daß Sie an uns dachten –! Wirken Sie in Ihrem Kreise durch die Gesinnung, soviel es geht und – verweilen Sie nicht zu lange in ihm! … Man könnte Sie falsch beurtheilen wie schon einmal in Malta …

Benno's Blut ließ sich nicht mehr beruhigen …

Wann landen die Gebrüder Bandiera –? sprach er mit drängender Hast …

Bertinazzi zuckte die Achseln und erwiderte:

Darüber – muß ich schweigen …

Die Landung wird in Porto d'Ascoli stattfinden …

Haha! erwiderte Bertinazzi … Das erwartet Ceccone –? …

Der Advocat stand von plötzlichem Zorne geröthet … Ein krampfhaftes Zucken glitt über seine Züge …[354]

Doch Sie verstehen meinen Unwillen nicht – beruhigte er Benno und sich selbst … Die Loge erwartet mich … Bleiben Sie der Gesinnung treu, deren mich zwei edle Menschen über Sie versichert haben … Und in allem Ernst – theilen Sie mir aufrichtig die Gefahren mit, die uns von den Tyrannen drohen, wenn Sie dergleichen durchschauen … Für heute nun – gute Nacht! …

Benno hielt den Arm des Advocaten, der ihm freundlich hinausleuchten wollte … Ein fernes Geräusch, das wol aus der Loge kam, fesselte seine Aufmerksamkeit …

Warum konnte Bertinazzi so aufwallen über die Erwähnung jenes Hafens an der adriatischen Küste? …

Alle Verwickelungen seines vergangenen, seines künftigen Lebens sah Benno jetzt in einem einzigen Augenblick mit magischer Helle …

Geboren durch ein Verbrechen, geboren ohne einen Vater, auf den er sich mit Ehren berufen konnte, geboren ohne eine Mutter, die er sorglos sein nennen durfte, gehegt, gehütet von Frauen, von Priestern, hatte er eine Einwurzelung im deutschen Leben um so weniger finden können, als auch daheim die Knechtschaft waltete … Alles, was damals in Deutschland rang und zum Lichte strebte, war in diesem Augenblick sein Bundsgenosse … Deutschland wollte frei sein von demselben Geist, dessen Consequenzen Italien gefesselt hielten … Von Italiens Tyrannen gingen die Bannflüche über Freiheit und Aufklärung in die Welt aus … Drei Gestalten traten ihm schon immer aus der Geschichte[355] vors Auge – sie lebten und wirkten gleichzeitig: Friedrich Barbarossa, der Kaiser – Hadrian IV., der Papst – Arnold von Brescia, der Tribun von Rom … Wer sollte nicht die Größe des Hohenstaufenkaisers bewundern – und doch schloß Barbarossa Frieden mit Hadrian, seinem wahren Feinde, und überlieferte ihm zur Besiegelung eines Actes der Falschheit, den der nächste Augenblick zerriß, einen der edelsten Menschen, Schüler Plato's, Petrarca's, einen Weisen, der nach langen Irrfahrten in Frankreich und der Schweiz elf Jahre lang Rom ohne die Päpste regierte, der die Kirche verbesserte, der Vorläufer der Waldenser und der Reformatoren wurde … Barbarossa sah mit seinen bluttriefenden Söldnerscharen den Scheiterhaufen auflodern, mit dem sich unter dem schützenden Banner des deutschen Adlers Hadrian an seinem geistigen Todfeind rächte … Unsere Zeit kann nicht mehr mit Friedrich Barbarossa, sie muß mit Arnold von Brescia gehen … Auch Benno's Vater war kein Ghibelline – Doch war er ein Welf im schlechten Sinne … Wie der Kronsyndikus wollte sich Benno nicht zu Roß schwingen und die eigene Fahne und die Freiheit seiner Hufe wahren im Geist Heinrich's des Löwen, vor dem Barbarossa einst kniete und vergebens um Hülfe die Hände rang … Auch der welfische Geist Klingsohr's war nicht der seine … Er wollte die Vernichtung des Ichs zum Besten des Allgemeinen … Die Form der Freiheitsthat, das lehrten die Bandiera, ist in unsern Tagen die Verachtung der materiellen Welt … Diese, die nur anerkennt, was in Glanz und Würde[356] steht, diese, die den Widerschein der regierenden und mit momentaner Macht ausgestatteten Thatsachen in hohler Gesinnung liebedienerisch auch auf sich zu lenken sucht, diese, die für äußerstes Unglück hält, gehässig gekennzeichnet zu werden durch den Widerspruch mit dem Gegebenen, hatte Benno schon längst verachten gelernt … In diesem einen magischen Augenblick hörte er eine himmlische Musik der Ermuthigung … Voten des Friedens schwebten über die Erde und retteten ihn von allen Folgen seiner falschen Stellung – retteten ihn vor den Schrecken – vielleicht des nächsten Tags … Bonaventura war unter diesen Seligen – Bonaventura, umringt von den Erfüllungen seiner Träume, von den Tröstungen seiner Klagen … Was in so vielen stillen Nächten von Robillante nur von des Freundes beredten Lippen gekommen, schien in himmlischen Gestalten verkörpert zu sein … Bertinazzi's erwartungsvoller Blick sagte: Ich rette dich vor dir – vor Olympien – vor dem geistigen Tode – … Und fändest du auch den wirklichen, wäre der nicht besser als solch ein Leben –? …

Benno entschloß sich, nur noch Italiener zu sein und der Revolution den Schwur des dritten Grades zu leisten …

Wenn Bertinazzi über diese Erklärung lachte, so war es ein Lachen ohne Falsch … Es war das Lachen über einen erwarteten und zutreffenden Erfolg …

Bertinazzi hob von der Wand über seinem Schreibtisch einen Spiegel und stellte ihn auf die Erde … Dann drückte er auf die scheinbar leere Wand … Sie[357] öffnete sich … Benno sah einen Schrank mit verschiedenen Schubfächern …

Das sind die Acten meiner Loge! sagte Bertinazzi und ließ Benno in Papiere einblicken, die mit allerhand mystischen Zeichen beschrieben waren … Ohne Zweifel eine Chiffreschrift, die ohne den dazu gehörigen Schlüssel nicht gelesen werden konnte … Den Schlüssel behauptete Bertinazzi in seinem Kopf zu tragen – nur mit diesem allein würde man seine Geheimnisse entziffern …

Die Handbewegung auf seinen Kopf als Preis der Eroberung seiner Geheimnisse war der Ausdruck höchster Entschlossenheit …

Benno sah in den Fächern einen leeren Raum, der seinem Schicksal bestimmt sein konnte … Bertinazzi schrieb verschiedene Adressen auf, die ihm Benno gab und wieder andere, die dieser für Mittheilungen an ihn empfing … Dann verbrannte er vor Benno's Augen alles, was Benno selbst geschrieben hatte, auch seine Visitenkarte …

Hierauf legte er ihm das Formular eines Eides vor und gab ihm als Erkennungszeichen des dritten Grades einen gußeisernen Ring, den er auf den kleinen Finger der linken Hand Benno's anpaßte mit den Worten:

Ein Stück der gebrochenen Sklavenkette der Welt … Ich werde Sie den Versammelten unter dem Namen Spartakus vorstellen … Auch Spartakus, der zuerst in Italien das Wort: Freiheit! ausgesprochen hat, war ein Fremder … Den Eid müssen Sie in der Loge selbst leisten … Lesen Sie ihn zuvor! …

Benno nahm ein Papier, das ein Gelöbniß enthielt,[358] dem »Jungen Italien« als ein »Wissender« zu dienen – mit Leib und Seele, mit Wort und That, mit der Spitze des Schwerts im offenen Kampf, mit dem Beistand bürgerlicher Hülfsmittel bis zum Betrag des vierten Theils seines eigenen Vermögens – endlich mit steter Werbung zur Mehrung des Bundes … Alles das auf die Unabhängigkeit Italiens von fremder Herrschaft, Einheit im allgemeinen, Freiheit im besondern … Die republikanische Form blieb unerwähnt … Der Eid wurde auf christliche Symbole geleistet …

Es gibt eine Partei, sagte Bertinazzi, die den Schwur allein auf den Todtenkopf vorziehen möchte …

In Benno's Ohr klang das Wort des alten Chorherrn wieder, der ihm in Wien gesagt: Das Kreuz des Erlösers wird die Reform mittragen müssen! … Auch Bonaventura dachte so … Ihm waren diese Formeln gleichgültig …

Nun erschloß Bertinazzi einen andern Schrank und nahm ein Hemd der Todtenbruderschaft heraus, ein weißes, dazu eine gleichfarbige Kopfverhüllung – nur mit zwei Oeffnungen für die Augen und einer für den Mund …

Nehmen Sie diese Kleidung! sagte er … Legen Sie sie inzwischen an … Wenn Sie eine Klingel hören, treten Sie in diese Thür, durch die ich Sie jetzt verlasse, um in die Loge zu gehen … Sie haben Zeit genug, sich umzukleiden … Niemand wird Sie erkennen … Ich führe Sie unter dem Namen »Spartakus« ein …

Bertinazzi ging und ließ Benno allein …[359]

Benno legte die Tracht an – Sie war ihm – sein Todtenhemd … Der Schlag der Stunden von den Thürmen klang nicht so geheimnißvoll, wie der leise, singende Ton einer Pendeluhr über dem Spiegel, der wieder an seine alte Stelle gehängt war …

Ob du deinen Begleiter von der Tiber finden wirst? dachte Benno und sah seine völlig unerkennbare Gestalt im Spiegel … Es war ihm, als gliche er jetzt erst dem Hamlet, jetzt erst dem Brutus … Er schöpfte Muth – nicht blos für den nächsten Augenblick, sondern für morgen, für alles, was die Zukunft in ihrem Schose trug …

Die Klingel erscholl … Benno öffnete die Thür …

Anfangs nahm ihn ein Gemach auf, das des Advocaten Schlafzimmer schien … Ein grünseidener Vorhang trennte den kleinen Raum in zwei Theile … Eine Lampe zeigte ihm die Thür, die er noch mit seinem flatternden Kleide zu durchschreiten hatte … Vor seinem gespenstischen Bilde, das ihm ein anderer Spiegel zurückwarf, erschrak er selbst …

Nun betrat er einen hellerleuchteten Saal, in welchem um einen Tisch, auf dem sich ein Crucifix, ein Todtenkopf und ein Rosenkranz befanden, auf Stühlen im Kreise eine Anzahl der wunderlichsten Gestalten saß …

Alle, die Benno das Haus hatte betreten sehen; Todtenbrüder, wie er selbst, Mönche in Kutten, einige als Bettler, andere als Kohlenbrenner, die Unverhüllten mit schwarzen Masken …

Bertinazzi war in seiner gewöhnlichen Haustracht geblieben, allen erkennbar …[360]

Schwarze Todtenbrüder erblickte er zwei … Benno konnte den, mit dem er über die Tiber gefahren war, nicht sogleich von dem andern unterscheiden …

Ihn selbst kannte außer Bertinazzi Niemand …

Bertinazzi begann, man möchte das Omen nicht übel deuten, daß sie ihrer dreizehn wären … Der vierzehnte fehle einer Reise wegen … Doch auch unser Spartakus – wandte er sich zu Benno – ist vorurtheilslos genug, einen Aberglauben zu verachten, der nur die Thoren schrecken kann …

Benno konnte sich nicht von dem Eindruck dieser Voraussetzung bei den Genossen des nächtlichen Rathes überzeugen … Ihre Mienen blieben ihm verborgen …

Inzwischen hatte er sich gerade einem Sessel gegenüber gesetzt, auf dem er die äußere Gestalt des Todtenbruders zu erkennen glaubte, mit dem er über die Tiber gefahren …

Dieser selbst konnte nicht im mindesten annehmen, daß sein Mitpassagier ihm gegenüber saß … Bertinazzi hatte Niemand sagen dürfen, wer Spartakus war …

Den Schwur leistete Benno, indem er sich an den Tisch stellte und die ihm schon bekannten Worte, die ihm noch einmal jetzt von Bertinazzi vorgesagt wurden, mit einem Ja! bekräftigte … Das Kreuz war ein Symbol der Leiden, die man für seine Ueberzeugung nicht abzulehnen gelobte; der Todtenkopf drückte die Verachtung jedes Erdenlooses aus, falls die gemeinschaftlichen Hoffnungen scheitern sollten; der Rosenkranz bezeichnete all die Freuden, die im Siege der Freiheit lägen … Auch die Bewillkommnung[361] durch die übrigen sprach Bertinazzi vor und überließ den Anwesenden nur die Bekräftigung durch ein Ja! …

Die nächste Verhandlung knüpfte sich an einen während Bertinazzi's Abwesenheit ausgebrochenen Streit … Diese Männer schienen nicht mehr das volle Bedürfniß zu haben, sich gegenseitig unbekannt zu bleiben, obgleich die Masken und Umhüllungen die Stimme dämpften und veränderten … Man sprach nach dem Act der Aufnahme eines neuen Mitgliedes lebhaft durcheinander … Benno sah, kaum eingetreten, in der Einheit schon die Verschiedenheit … Die schönen italienischen Laute wurden mit Reinheit gesprochen, ein Beweis für die Bildung der Genossen … Der Gedanke an den Fürsten Corsini kehrte Benno zurück … Er erwartete die Stimme zu hören, deren Klang er nicht vergessen konnte …

Aber die schwarzen Todtenbrüder Benno gegenüber enthielten sich ihrerseits des Austauschs der Meinungen, die über manches nicht die gleichen waren, ganz wie schon Bertinazzi angedeutet hatte …

In der That schien man über die Gebrüder Bandiera gesprochen zu haben … Benno glaubte von einer Aenderung der Pläne der Brüder zu hören … Mehrfach wurden die Jesuiten genannt …

Ein wie ein Kohlenbrenner und demnach als alter Carbonaro Gekleideter stieß einen Stab auf den Fußboden und sagte, die Maske nur lose mit der Hand haltend:

Und noch gibt es Stimmen, die das Heil Italiens, ja der Welt von Rom erwarten? … Diese dreifache[362] Tiara soll der Friedens- und Freiheitshut der Völker werden? … Die Schlüssel Petri sollen die Zukunft der Menschheit erschließen? … Ehe nicht der letzte Beichtstuhl der Peterskirche verbrannt ist, kann über die Erde kein Friede kommen …

Wie immer schüttet Ihr das Kind mit dem Bade aus! hieß es unter einer der mehreren, diese Meinung abwehrenden Kapuzen …

Und Ihr könnt Euch nicht trennen von dem Blendzauber Euerer Theorieen! fuhr der Kohlenbrenner fort …

Sagt vielmehr, nicht von den Beweisen der Geschichte! … erwiderte sein Gegner …

Das Vergangene! sprach der Kohlenbrenner erregter … Ha, die Abendröthe ist schön, sie verklärt zuweilen einen stürmischen Regentag; aber sie geht der Nacht voran … Wo Ihr hinseht, leidet die Menschheit an der Macht und dem Einfluß, den sie noch dem römischen Zauberwesen gestattet! Von dem Tag an, wo sich ein einziger Bischof über die Rechte der andern erheben konnte, gestützt auf das alte Ansehen Roms und so manche Fälschung, die der Uebermuth schon damals wagte, hat das Christenthum seine Segnungen für die Menschheit verloren. Was die Christuslehre der Menschheit brachte, ist wie Lesen, Schreiben, Rechnen ein Erforderniß der allgemeinen Bildung geworden; die Institutionen, die uns die Herkunft dieser Bildung, ewig ihre erste Geburt gegenwärtig erhalten wollen, sind das Verderben der Jahrhunderte … Einen Hirten empfehlt Ihr mit Wölfen statt treuer Hunde? Einen Hohenpriester mit Scheiterhaufen und Schaffotten? Wir Römer, wir gerade müssen die Welt[363] zum drittenmal erobern, erobern durch die Vernichtung der Hierarchie! … Durch einen einzigen Messerschnitt müssen wir vollbringen, was Europa durch Tausende von Büchern, Kathedern, Kanzeln nicht hervorbringen konnte! Wir kennen das Papstthum nur als eine weltliche Behörde; als solche muß sie fallen; mit ihr fallen müssen die Cardinäle, die Generale der Orden, die höchsten und mittelsten und untersten Spitzen dieser Anstalten der Verdunkelung – erst dann ist die christliche Welt erlöst! Kommt uns nicht diese Losung von unsern Obern, so ist alle Mühe vergebens! Ihr seht's an der ruchlosen Intrigue von Porto d'Ascoli …

Benno konnte die leidenschaftliche Rede nicht mit der ihm auf der Lippe schwebenden Frage unterbrechen, was in Porto d'Ascoli geschehen wäre …

Mehrere Stimmen riefen durcheinander:

Sie wird kommen! …

Sie wird kommen und ihr Erfolg wird dennoch ausbleiben! sprach zur Widerlegung des Kohlenbrenners mit einer feinen, eleganten Betonung eine andere Maske, deren äußere Tracht einen Kapuziner vorstellte … Ist der Sitz des Papstthums nicht schon einmal in Avignon gewesen? War nicht Napoleon der Schöpfer eines weltlichen Königthums von Rom? … Mit je größerer Demüthigung die dreifache Krone getragen wird, mit desto hellerem Heiligenschein umgibt sich die Theokratie … Die Menschheit sieht nun einmal im Papstthum einen zum ersten Königsrang Erwählten aus dem Volke und kehrt immer wieder darauf zurück … Sie sieht einen Monarchen, den nur seine Tugenden auf den Thron beriefen …[364] Sie hat an ihm einen Beistand gegen die Mächtigen der Erde … Napoleon ras'te gegen Pius und Pius sprach ruhig: Du Komödienspieler! Als Napoleon noch heftiger tobte und mit dem Aeußersten drohte, sagte er noch verächtlicher, wenn auch mit gesteigertem Schmerz: Du Tragödienspieler! … Wenn den Papst der Despotismus tödtet, so bietet er ruhig die offene Brust; der Begriff lebt wieder auf in seinem Nachfolger … Aendert di Gesetze Roms, bessert die Sitten, laßt den apostolischen Stuhl theilnehmen an allen Fortschritten der Zeit, macht unmöglich, daß die Greuel von Porto d'Ascoli die Kunst des Regiments in Italien heißen und wieder ein Segen kann der Menschheit werden, was man jetzt nur zu voreilig ihren Fluch nennt! …

Benno staunte der Dinge, die in Porto d'Ascoli vorgefallen sein mußten … Wenn er nun auch zu fragen gewagt hätte – so war die Aufregung der Streitenden ein Hinderniß … Sie war zu groß geworden …

Ich höre die träumerische Weisheit eures gemäßigten Fortschritts! sprach der Kohlenbrenner von vorhin …

Und von den beiden schwarz verhüllten Leichenbrüdern fiel jetzt der eine, ihn unterstützend, ein:

So habt ihr seit dreißig Jahren für die Freiheit Italiens declamirt, geschrieben, gedichtet, gewinselt, gebetet! … Das sind die frommen Wünsche eurer freisinnigen Barone, eurer aufgeklärten Bischöfe! Da soll das Weihwasser nur von unreinen Bestandtheilen gesäubert, der Katholicismus nur wahrhaft zu einem Liebesbund der Menschheit erhoben werden … Und in dieser[365] Gestalt behaltet ihr alles, was ein Fluch der Menschheit geworden ist! … Ihr behaltet die Gebundenheit der Gewissen, die Gelübde, die Unfreiheit des menschlichen Willens – alles, wovon eine kurze Weile die Praxis einen milden Sonnenschein verbreiten kann, aber auf die Länge wird alles wieder wie die schwarze dunkele Nacht werden! … Ihr wollt die Hierarchie, Rom und die Cardinäle – nur nicht die Jesuiten mehr? Werdet ihr die allein ausrotten können? Wodurch? Durch ein Verbot? Wenn alles übrige bleibt? Hat das Zeitalter der Aufklärung, hat Voltaire sie ausrotten können? Ich spreche nicht von dem Gift, an dem ein Ganganelli starb; ich spreche von jener List, die aus Wölfen Schafe machte, von jener List, die sich der Menschheit so unentbehrlich zu geben wußte, daß sogar die aufgeklärtesten Staaten, Borussia unter Friedrich, Russia unter Katharina, die Jesuiten als Lehrer beriefen! Sie sind unvertilgbar durch das Princip der Wissenschaft, dessen Lüge sie als Fahne aufstecken. Ob sie nun diesen oder jenen Namen tragen, bleiben sie unvertilgbar, solange überhaupt unsere Kirche besteht! … Diese katholische Kirche, unter deren heiligster Oriflamme Menschen wie Grizzifalcone für den Bestand des apostolischen Stuhls wirken durften! …

Der Sprecher war nicht der Mitpassagier von der Tiber gewesen … Nun war es also der, der fortdauernd schwieg … Brütend sah dieser vor sich hin, blieb unbeweglich und zog nur zuweilen seinen Fuß in die schwarze weite Umhüllung zurück und streckte ihn wieder vor …

Letztere Geberde wiederholte sich, je lebhafter der Streit wurde …[366]

Wollt ihr deshalb die katholische Kirche zerstören? riefen mehrere Stimmen auf einmal …

Eine andere setzte hinzu:

Sie ist wenigstens dem Italiener nicht zu nehmen … Schreibt das nach London, wo man glaubt uns protestantisch machen zu können! …

Wer will das? riefen andere Stimmen und unter ihnen aufs heftigste die des Kohlenbrenners …

Der Italiener, fuhr der letzte Sprecher für die Kirche fort, ist und bleibt Katholik … Ich sage nicht: Geht und seht das Volk sich beugen vor einer Mumie, die es anbetet! Geht und seht den Aberglauben, der die Stufen der heiligen Treppe mit den Knieen hinaufrutscht! Seht den Schmerz, der sich einer ganzen Stadt bemächtigen konnte, als ihm ein geliebtes Marienbild abhanden kam! … Ich finde den Aberglauben überall, selbst bei Sokrates, der an seinen Dämon, bei Voltaire, der an sich selbst glaubte ... Nicht an sich selbst zu glauben, das ist der Katholicismus, der unausrottbar ist, so lange das Christenthum die Lehre von einem Mittler zwischen Gott und dem Menschen aufstellt … Hat Italien irgend einen politischen Reformator gehabt, den ihr euch ohne Verehrung vor dem Mysterium der Messe denken könnt? … Selbst Savonarola war kein Huß und kein Luther … Der frostige Gedanke des Zweifels konnte nie die Oberherrschaft über Gemüther gewinnen, die nur Phantasie und Leidenschaft sind … Und wo nun der Katholicismus sich nicht ausrotten läßt, da – …

Ließe sich nicht die Hierarchie ausrotten? riefen andere Stimmen. Das bestreiten wir! …[367]

Rom ist das reine Priesterthum – fuhr der Vertheidiger der Hierarchie fort und ließ sich nicht irre machen … Rom kann der Duft, der höchste Auszug des katholischen Priesterthums bleiben … Alles, was für die schweren Pflichten des katholischen Priesters seine Belohnung, seine Erquickung, sein Entzücken ist, ist der Blick auf die Würden, die er erklimmen kann – auf das letzte Ziel, das ihm vom Tabernakel der Peterskirche in Rom leuchtet … Die Theokratie ist kein Gedanke der Macht, der Herrschaft, kein Gedanke der reinen Aeußerlichkeit und Weltlichkeit – … Sie ist – …

Ein Wahngebilde der Phantasten! Ein Schlupfwinkel der Räuber und Mörder! donnerte der Kohlenbrenner … Wie könnt ihr von einem geläuterten Papstthum sprechen! Wie könnt ihr den Papst an die Spitze unserer Reform stellen! … Das wird vielleicht die Frauen gewinnen, die weichmüthigen Seelen, aber nie gibt es ein Fundament für die Hoffnungen Italiens … Ein Menschenalter verrinnt und wieder tauchen Ceccones und Fefelottis auf – … Sie, die beiden Arme des Papstthums, die sich verschränken konnten in Thaten, wie dieser teuflische Plan gegen die Gebrüder Bandiera war …

Die Bandiera? sprach jetzt Benno laut und vernehmlich dazwischen …

Die streitenden Principien – den Kampf der Lehren Gioberti's und Mazzini's – verstand er, aber die Ursache desselben blieb ihm fremd …

Alle wandten sich …

Benno war es fast, als regte sich sein Gegenüber, der[368] zweite der schwarzen Leichenbrüder, noch lebhafter als bisher …

Aber die stürmende Rede des Kohlenbrenners übertönte alles – auch eine Antwort auf Benno's Frage …

Rom bleibt so lange das Verderben der Welt, fuhr dieser fort, als seine Gestalt nicht eine rein weltliche, der geistliche Hof für immer aufgehoben wird … Ich bin im Princip für die Republik … Doch ich werde gegen sie sein müssen, weil leider sie es ist, die, auf die Massen und deren geringe Bildung gebaut, uns immer und immer wieder in Rom die Macht der Päpste zurückgeführt hat … Ich muß aus praktischen Gründen gegen sie sein … Wir müssen nach Rom ein weltliches Königthum in den Formen der Neuzeit verpflanzen … Ha, die Könige! – … Die, die ich so liebe, und besonders die, die mit der Lüge der constitutionellen Formen gekräftigt sind, die wissen sich auszudehnen und zu befestigen … Das sind Schmarotzerpflanzen, die Boden und Luft brauchen und beides nur zu bald gewinnen werden … Die pflanzen an die Stelle der geistlichen Legitimität ihre weltliche; die sorgen für ihr Geschlecht, für die, die ihm dienen … Wir müssen Rom einem Könige schenken, selbst wenn keiner die Hand danach ausstreckt! Wir müssen ihm den Köder unserer eigenen Freiheit bieten, die wir ihm eine Weile opfern! … Ich gebe Rom an den, der das Meiste bietet und das Wenigste verlangt … Dem Türken, wenn er es begehrt! … Nur nicht einem Volkstribunen, der sich bisjetzt nur noch durch den Aberglauben der Masse hat halten können und zuletzt so regiert, wie die Ceccones regierten – durch[369] die Räuber … In hundert Jahren hat der Italiener eine Bildung und Erziehung gewonnen, dann – …

Zwei Anhänger der Republik – einer darunter hatte deutlich die Stimme eines Buonaparte, den noch vor kurzem Benno an Rucca's Tafel gesehen – stellten diese retrogade Wendung, die auch noch jetzt die Republik nehmen würde, in Abrede …

Die Mehrzahl widersprach aber allen diesen Anschauungen … Sie blieb bei dem Glauben, daß gerade durch die dreifache Krone Italiens Zukunft am ehesten gewinnen würde … Die Fürsten böten keine Bürgschaft … Die Läuterung des Papstthums von seinen unreinen Elementen, die Sicherung einer bessern Wahl der Umgebungen des Heiligen Vaters, die Auflösung des Jesuitenordens schien der Mehrzahl die sicherste Aussicht für die Verwirklichung ihrer Hoffnungen … In der Abwehr der Fremden waren alle einig … Diejenigen, die der Hierarchie überhaupt, dem Priesterwesen und der katholischen Kirche abgeneigt waren, blieben in der Minderzahl … Und jetzt lachten sie selbst darüber, daß in Italien besonders erhebliche Wirkungen durch Volksunterricht, Verbesserung der Schulen, die Verbreitung nützlicher Schriften zu erreichen wären …

Benno sah, daß er sich unter Männern der höheren Gesellschaft befand, die in der Mehrzahl sich noch vor äußersten Schritten hüteten … Die Idee des Papstthums möglichst von weltlichem Einflusse zu reinigen, die nächst bevorstehende Wahl auf einen Italiener voll Nationalgefühl und politischer Aufklärung zu lenken, die Cardinäle, die jetzt den meisten Einfluß hätten, unschädlich[370] zu machen und den Volksgeist so zu beleben, daß er an allem, was zur Erhebung Italiens geschähe, ein Interesse nähme – das blieb die Losung der Majorität … Unter den Hoffnungen für die Papstwahl wurde Cardinal Ambrosi genannt, den freilich wieder andere eine Creatur der Intriguanten und Tyrannen nannten … La morte a Ceccone! La morte a Fefelotti! war die Schlußbekräftigung … Dieser Ausruf kam einstimmig … Er drückte einen Wunsch, eine moralische Verurtheilung, wie unser Pereat! – keine Losung zum Morde aus …

Dennoch folgte Todtenstille …

Jetzt fragte Benno, was den Unwillen der Versammlung in Betreff Porto d'Ascoli's und der Brüder Bandiera veranlaßt hätte …

Er hatte leise, wenn auch nicht verstellt, gesprochen …

Alle horchten dem wohllautenden Klang der Stimme des neuen »Spartakus« …

Bertinazzi nahm das Wort und sagte:

Die Brüder Bandiera werden nicht in den Kirchenstaat einfallen …

Das überrascht mich … sprach Benno voll freudiger Wallung überlaut und vergessend, seine Stimme zu verändern …

Bertinazzi reichte Benno einen Brief Attilio's … Benno übersah ihn … In jeder Zeile bekundete er seine Echtheit …

Lest ihn! sprach Bertinazzi … Ihr seid neu in unserm[371] Kreise und wißt nicht, wie tief Rom und die Welt, die sich noch von Rom beherrschen läßt, gesunken sind …

Benno las mit starrem Auge … Seine Hand zitterte … Ceccone, Olympia entschieden nicht über das Leben der Freunde –? …

Inzwischen ließ Bertinazzi einige Schriften circuliren und theilte jedem Exemplare aus …

Benno war solange seiner fieberhaften Erregung allein überlassen …

Er las, daß die Lenker des Kirchenstaats gemeinschaftlich mit den Jesuiten einen Plan angezettelt hatten, demzufolge die »Verjüngung Italiens« als der Wunsch – nur der Räuber und Mörder erscheinen sollte … Grizzifalcone war ausersehen worden, dies Werk in Ausführung zu bringen1 ... Bis nach London hin verzweigte sich eine falsche Fährte, auf der die Verschwörer in die Lage kommen sollten, Bundsgenossen nur der Schmuggler und der Räuber zu werden … Man hatte vom Vatican aus eine falsche Correspondenz mit Korfu angeknüpft, um das dortige Comité glauben zu machen, an der Küste des Adriatischen Meers, in Porto d'Ascoli, wäre alles reif, eine Invasion zu unterstützen … Während der alte Principe Rucca nur seine Zölle im Auge hatte, richtete Ceccone seine Blicke weiter … Auch ihm war das Erscheinen des Räubers in der Hauptstadt der Christenheit willkommen … Auch seine Verhandlungen mit ihm, die gleichfalls jener Pilger geleitet hatte, bezweckten eine große Anerkennung des Reuigen … Die Liste, deren wesentlichen[372] Inhalt er lange schon vor dem alten Rucca kannte, sollte den Schrecken, den Grizzifalcone's Verrath unter den Zollbedienten und Schmugglern verbreiten mußte, zum Verderben der Revolution ausbeuten … Ceccone ließ die Ortschaften, wo, wie ihm durch londoner Verrath bekannt geworden, die Brüder Bandiera landen sollten, so durch die Anzeigen, die dem Fürsten Rucca gemacht wurden, einschüchtern, daß die Räuber, die Schmuggler, die Zollbediente die Fahne des Aufstands als Hülfe und Rettung begrüßen mußten … Wie diese Elemente die Revolution verstehen würden, lag auf der Hand … Hier konnte nur Mord, Brand, Plünderung im Gefolge der dreifarbigen Fahne gehen … Die reinsten, edelsten Zwecke mußten von Brandschatzungen, lodernden Flammen, Zerstörung der Wohnstätten des Friedens begleitet sein … Dies Mittel, die Revolution zu entstellen, hatte man in Europa schon überall angewandt … Die Bauern Galiziens, entlassene Sträflinge hatten Mord und Brand über Paläste und Hütten verbreitet … Was Szela, der Schreckliche, später in den Eichen und Graswäldern Podoliens wurde, sollte schon Grizzifalcone in der Romagna sein … Den Communismus schürten die Jesuiten, alle Extreme der freien Ideen förderten sie, um die öffentliche Meinung vor den Neuerungen zu erschrecken … Im Kirchenstaat sollten alle, die durch das Strafgericht Rucca's bedroht waren, auf das Signal warten, die Fackel der Anarchie zu schwingen … Fermo, Ascoli, Macerata sollten in Feuer aufgehen … Italien sollte sich mit Schaudern von Freiheitsbewegungen abwenden, die der Welt solche Schrecken brachten …[373]

Aus dem ergreifenden Gemälde dieser von den Cardinälen der Christenheit, von den Rathgebern des Heiligsten der Heiligen angezettelten Intrigue erhob sich der Protest Attilio's Bandiera, wie die Taube weiß und rein am dunkeln Gewitterhimmel aufsteigt – Attilio erklärte, noch zeitig genug gewarnt worden zu sein …

Wie Benno mit bebenden Lippen diesen Protest las und sah, daß sich die Losung verändert hatte – wie er las, daß eine Schar von entschlossenen Männern den Versuch machen würde, von Calabrien aus nach Neapel vorzudringen – wie er sogar den Silaswald genannt fand – ja wie sich ihm ein Flor vors Auge legte – als die Namen Fra Hubertus – Fra Federigo auf dem Papier wie Irrlichter auf dunkelm Moore tanzten – wie er ein Wort von einem »abgesandten Franciscanerbruder« noch mit den letzten Stunden in San-Pietro in Montorio in Verbindung bringen konnte und – ihn die Aufklärung über alles zu belohnen schien, was Bonaventura's nächste Sorge war, da hörte plötzlich sein Ohr ein dumpfes Murmeln um sich her …

Er blickte auf …

Die Männer waren schon vorher aufgestanden … Jetzt befanden sie sich in einer Gruppe … Der schwarze Todtenbruder stand mitten unter ihnen in heftiger Gesticulation … Bertinazzi bat um Ruhe … Vergebens … Das Durcheinanderflüstern mehrte sich … Timoleon! rief Bertinazzi … Nehmen wir unsere Plätze … Nein, nein! riefen andere … Laßt Timoleon reden! …

Der schwarze Todtenbruder schien ungern lauter zu[374] sprechen … Doch nun mußte er es thun … Alles stand erwartungsvoll …

Ich hatte nur die Absicht – – eine neue Loge zu stiften … sagte er dumpf und hohl …

Benno hörte die Stimme vom Nachen … Die Augen des Sprechers funkelten unheimlich durch die beiden Lücken seiner Kapuze … Sie waren auf Bertinazzi gerichtet, der mit diesem Wunsch einer neuen Logenbildung nicht einverstanden schien und beschwichtigend rief:

Laßt das! Laßt das! …

In diesem Augenblick streifte ein Rockärmel Benno's Wange …

Der Freund der Päpste, der Kapuziner war es, der seine Hand ausgestreckt, Attilio's Brief ergriffen und das Papier in die Flamme eines der Lichter gehalten hatte …

Benno, betäubt noch von dem nicht vollständig überlesenen Inhalt, erbebend vor dem Anblick der Namen, die sein Innerstes erfüllten – vor dem Silaswald, in dessen Nähe jetzt, an Punta dell Allice, die Invasion stattfinden sollte – zu gleicher Zeit mit einer Erhebung in Sicilien und Genua – Benno wollte dies Beginnen, ein Zeichen wol gar des Mistrauens gegen ihn, verhindern und sprach:

Soll ich diesen Brief nicht so gut kennen wie ihr? …

Da hatte die Flamme schon den Brief verzehrt …

Benno sah, daß das Flüstern vorhin, dies Entziehen des Briefes aus dem Erkennen seiner Stimme durch den schwarzen Todtenbruder entstanden war … Er richtete vor Aufregung seine Augen so zu Bertinazzi, daß sie wie Flammen diesem entgegenglühen mußten … Denn[375] auch ihm war der Ton seines Anklägers immer bekannter und bekannter geworden … Es fehlte nur noch ein einziges mal, daß jener sprach, und ein unglaublicher Name, der Name eines offenbaren Verräthers, brannte ihm auf der Zunge …

Bertinazzi hatte sich in der That zu seinem Beistand erhoben …

Wieder drangen die Stimmen in den Leichenbruder, zu reden …

Dumpf sprach dieser:

Wir sind in diesem Augenblick zu dreizehn … Der vierzehnte, unser Franciscaner, fehlt … Wir dürfen eine neue Loge bilden … Ja, dies will ich … Ich thu' es … Die dazu notwendigen Zwölf werd' ich finden – …

Benno starrte den Sprecher an … Er wußte, wer gesprochen – – …

Dann ist Bertinazzi's Loge verpflichtet, Euch eine Hülfe zu geben! … sprach der Kapuziner …

Einer von uns trete zu Timoleon's neuer Loge! riefen mehrere …

Loost! Loost! … erscholl es von anderer Seite …

Warum loosen! erwiderte der schwarze Todtenbruder, der den Namen »Timoleon« führte … Ich nehme jeden von euch, der sich freiwillig dazu erbietet – doch – nicht – Spartakus! …

Wieder sprangen alle von ihren Sitzen … Was vorhin nur schien einzelnen angedeutet worden zu sein, erscholl jetzt vor aller Ohr … Die Verschworenen zogen dichter ihre Hüllen vor die Augen … Sie traten auf Benno[376] zu … Schon streckten sich einige Hände nach seiner Köpfverhüllung …

Zurück! rief Bertinazzi mit einer Stimme, die an den Wänden widerhallte … Ich bürge für Spartakus …

Für einen Verräther?! … Einen Deutschen?! … Einen Spion Osterreichs?! … rief Timoleon …

Verräther –? Ich? … Graf Sarzana! Wer ist hier – der Verräther? …

Sarzana! rief die ganze Loge voll Entsetzen …

Ein Augenblick und vier, fünf Dolche blitzten … Sie blitzten nicht nur Spartakus, sondern auch Timoleon entgegen … Der Name »Sarzana« klang wie: Eine Creatur Ceccone's! … Kaum hatte auch Benno jetzt noch den Beistand des Meisters der Loge … Einen Namen zu nennen war ein Bruch aller Gesetze … Bertinazzi trat den gezückten Dolchen entgegen und rief: Die Loge ist aufgelöst! … Friede! Friede! Friede! …

Die Lichter wurden ausgelöscht …

Eine kraftvolle Hand drängte Benno aus dem wilden Tumult … Eine Thür sprang auf … Mit dem Ausruf: Unglücklicher! stieß ihn sein Retter – der Kohlenbrenner, wie Benno zu erkennen glaubte – in das Dunkel eines engen Corridors …

Ein Augenblick der Besinnung … Benno griff nach einer der kleinen Wachskerzen, die er in der Tasche trug … Damit tastete er vorwärts, um eine Mauer zu finden, an der er das Wachslicht durch Anstreifen entzünden konnte …[377]

Er fand die Mauer … Er hatte Licht … Er blickte um sich … – –

Am Ende des langen Corridors stand ein Trupp Gensdarmen, der mit angeschlagenen Carabinern lautlos sich auf die Loge zu in Bewegung setzte.


Ende des siebenten Buchs.

1

Thatsache.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 8, Leipzig 1860, S. 346-378.
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