3.

[46] Contessina Olympia Maldachini hatte zwar immer die Villa Rucca nach dem runden und geschweiften Rococostyl ihrer Bauart eine »altbackene Brezel« genannt und damit die empfindlichste Seite der Ruccas, ihren – von einem Bäcker herstammenden Ursprung berührt …

Aber die geöffneten Räume der altmodischen marmornen Kommode, das große Oval des Saales mit den kleinen Seitenpavillons und den nach hinten hinausgehenden Terrassen, die fast noch eine Ausdehnung des Saales schienen, boten doch darum einen glänzenden Anblick …

Ein solches Fest, wo das Auge unter Lichtern, Blumen, Statuen nicht mehr herausfindet, ob der Fuß innerhalb oder außerhalb eines Saales, in geschlossenen Räumen oder auf Veranden und Altanen verweilt, kann man nur im Süden feiern … Die Gunst des Himmels muß eine sichere sein; kein Wölkchen darf das Vertrauen auf die Mitwirkung der Natur zur Lust der Menschen stören …

In dem Saal, in den Nebenzimmern, auf den mit blendend weißen, silber- und krystallstarrenden Tafeln geschmückten[47] Terrassen wogten einige Hundert der vornehmsten Gäste mit glänzender Dienerschaft … Männer und Frauen in den reichsten Toiletten … Die Römerinnen der hohen Aristokratie hie und da imposant; aber bei weitem die Mehrzahl doch nur zierliche, kleine, ja nicht selten verkommenere Gestalten, als die majestätischen, die unsre Phantasie in Römerinnen erwartet … Auch die Männer sind nicht das, was wir von den Nachkommen der Scipionen erwarten … Der junge Principe Rucca, in seiner rothen, goldgestickten päpstlichen Kämmerlingsuniform, der glückliche Bräutigam, der wirklich, wie ein Pasquill sie nannte, die »Katze Olympia« leidenschaftlich liebte, braucht dabei nicht mitzuzählen; noch weniger sein Vater, der immer wie ein alter schäbiger, heute einmal ordentlich gewaschener und lächerlich bunt ausgeputzter Bewohner des Ghetto aussieht … Aber selbst Principe Massimo, der Nachkomme des Quintus Fabius Maximus Cunctator, der auf Napoleon's ironische Frage: Stammen Sie wirklich von diesem glücklichen Gegner des Hannibal her? stolz erwiderte: Das weiß ich nicht, Sire, aber man glaubt es von unserm Geschlecht bereits seit eintausendzweihundert Jahren! (eine Antwort, die nach Klingsohr's Auffassung der »Heiligen Treppe«, vor der alles Volk im Vorübergehen knixte, Rom und der römische Glaube auf alle Zweifel an seine Reliquien geben darf – »Sind diese Knochen nicht echt«, schrieb Klingsohr schon zur Zeit des Kirchenstreites, »so ist doch durch sein hohes Alter der Glaube an ihre Echtheit ehrwürdig«) – – Principe Massimo ist ein kleiner, feiner[48] diplomatischer Herr, der mehr der Sphäre der Abbés, als der Imperatoren anzugehören scheint … Da wandeln die Borghese, die Aldobrandini … Gegen frühere Geltung sind es herabgekommene Namen, wenn auch immer noch so stolze, daß sie hier vielleicht nicht anwesend wären, schwebte nicht der Alter Ego des Stellvertreters Christi, Cardinal Don Tiburzio Ceccone, wie ein Apoll von sechzig Jahren durch die Reihen, lächelte bald hier, bald dort, stellte, als wäre er der Wirth, neue Mitglieder des diplomatischen Corps den Damen vor, begrüßte junge Prälaten, die sich eben erst in die Carrière mit einigen Tausend Scudi eingekauft haben, neckte die Damen … Diamanten und Bonmots blitzen … Die seidenen Gewänder streifen sich und die Galanterieen … Das die Gemahlin des Fürsten Doria, eine Engländerin, hoch und stolz, sogar mit einem Orden geschmückt … Dort die Fürstin Chigi, deren Urahnen unter dem wilden Papst Julius II. ihren Gästen bei solchen Gelegenheiten Ragouts von Papagaienzungen vorsetzten und die gebrauchten Silbergeschirre in die Tiber werfen ließen – »Jetzt würden sie vorsichtiger sein«, spottete schon oft Ceccone … Napoleoniden fehlen nicht … Ceccone gibt ihnen mit lächelnder Grazie Andeutungen, wie ihre demokratischen Bestrebungen ihm in Wien Gegenstand empfindlichster Vorwürfe für das Cabinet der gekreuzten Schlüssel gewesen wären … Neulich hatten Räuber den Prinzen von Canino (Lucian Bonaparte) in seiner Villa Rufinella aufheben wollen … Der Cardinal scherzt eben darüber mit ihm und sagt: Wenn man eine Million Lösegeld verlangt hätte, würden Eure Hoheit vielleicht nicht den »Congreß der[49] Naturforscher« in Pisa begründet haben, der ja wol den Anfang der »Einheit Italiens« bilden soll! … Ein scharfes Wort, harmlos vorgetragen, und doch so drohend, daß der Prinz hinter dem Mann im rothen Käppchen und in rothseidnen Strümpfen eine bedenklich ernste Miene macht …

Saht ihr diese Miene? Ihr Piombino, Ludovisi, Odescalchi, Ruspigliosi –? … Alle diese Namen, die freilich in den Listen des »jungen Italien« fehlten, fehlten doch nicht bei dem Widerspruch, den das Priesterregiment Roms seit tausend Jahren bei den Adelsgeschlechtern findet … Den Gesprächen zufolge hätte niemand an die Stadt der sieben Hügel denken sollen … Sie betrafen Theater, Concerte, Moden – aber doch auch Räuber, die nächsten Segnungen des heiligen Vaters, die reservirten Plätze bei den großen Kirchenfesten …

Die lebhafteste Conversation führten die Offiziere und die Geistlichen … Letztere, Roth- und Violettstrümpfe, sind gegen die Damen fast noch zuvorkommender, als die erstern, die vorzugsweise der Nobelgarde Sr. Heiligkeit angehören – schlanke hohe Gestalten, jüngere Söhne der Aristokratie; nur ihrer achtzig; aber Schooskinder der römischen Gesellschaft, Tonangeber aller offenen Freiheiten, die sich noch unter dem Priesterregiment gestatten lassen – der geheimen gibt es genug – die Begleiter Sr. Heiligkeit auf Reisen, die Anführer seiner öffentlichen Aufzüge – ein Graf Agostino Sarzana darunter – in goldstrotzender zinnoberrother Uniform mit blauem Kragen, weißen Beinkleidern, den schönen Römerhelm, mit schwarzen hängenden Roßhaaren[50] und dem kleinen weißen Seitenbüschel daneben, schon in der Hand … Das Souper war zu Ende … Alles drängte dem Garten und dem Feuerwerk zu …

Graf Agostino Sarzana war es, der eine Dame verfolgte, die sich nach dem Ausspruch Sr. Eminenz des regierenden Cardinals heute ausnahm wie eine »Tochter der Luna« … Die Dame verschwamm im blauen Aetherlicht wie ein Gedanke voll Ahnung … Sie tauchte auf, da und dort – und verschwand wieder in den dunkelgrünen und blauen Schatten wie die Luft … Ihre Toilette war der Anlaß dieser Vergleichung des Cardinals, der sie gleichfalls mit Feueraugen verfolgte, wenn er sie auch nicht vor den vielen andern anwesenden, die seinem Herzen und – Beutel theuer waren, allein auszeichnete …

Die Tochter der Luna, der Keuschen, deren heidnischen Ruf Ceccone als Priester der Christenheit nicht zu schonen brauchte, indem er ihr eine Tochter gab, trug ein blaßblaues Kleid von Donna-Maria-Gaze, einem durchsichtigen, damals neu erfundenen Seidenstoff, übersäet mit kleinen silbernen Sternchen … Das Kleid war nicht ausgeschnitten; es verhüllte, der keuschen Luna schon entsprechend, Formen, die sich dennoch verriethen … Als einziger Schmuck blinkte im dunklen Haar ein einfaches Diadem von blankem Silber, in Gestalt eines Halbmonds … Es war ein Kopf, der sich mit seinem glattliegenden Scheitel und dem kräftig gewundenen Knoten im Nacken wie eine lebendig gewordene Statue aus den ägyptischen Sälen des Vatican ausnahm … Um[51] die dunkeln Augen lag eine gewisse erhitzte Röthe, wie sie bei leidenschaftlichen Naturen vorkommt … Die Stirn war schmal; die Wange ebenso etwas zusammengehend, aber sanft zum spitzen Kinn niedergleitend; die untere Lippe trat mit Muth und Trotz hervor … Es gibt plastische Gesichtsformen, die nicht altern … Das Schönste war die Länge der Gestalt … Die Dame war pinienhaft schlank …

Graf Sarzana will unserer »Creolin« Unterricht im Italienischen geben? scherzte der Cardinal so laut, daß es alle Umstehenden hörten … Die »Creolin« war wieder ein neues Stichwort für die »Tochter der Luna« und diesmal kam es vom Monsignore Bischof Camuzzi, dem ersten Secretär des Cardinals, der als Missionar Westindien bereist hatte …

Eminenz, sagte Graf Sarzana, der schlanke junge Mann mit athletisch breiten Schultern, auf denen bei jeder seiner Bewegungen die goldenen Epaulettes hin- und herflogen, und strich sich den martialisch gezogenen Schnurrbart, Eminenz haben die Absicht, die ganze Welt zu reformiren! Auch die Garde Sr. Heiligkeit! Wenn ich noch länger in diesen Fesseln schmachte und nicht erhört werde, geh' ich nach San-Pietro in Montorio, nach dem die Dame mich soeben gefragt hat …

Auf diese scharf betonte Lokalität und überhaupt auffallend grell gesprochenen Worte des Ritters Sr. Heiligkeit fistulirte ein Stimmchen nebenan:

Ja, in der That! Pater Vincente ist ja da! …

Dies Stimmchen gehörte dem Bräutigam, der den Namen des bezeichneten Klosters gehört hatte und eben von der[52] Pforte kam, wo er den seiner Person so schmeichelhaften Volksjubel und die Ausspielung der silbernen Uhren hatte controliren wollen …

Wir werden das meiner Frau sagen müssen! fuhr er, vom Champagner erhitzt mit Lebhaftigkeit fort … Erführe sie die Anwesenheit des Paters und dieser ginge, wie er gekommen, so wäre sie im Stande, mir die erste Gardinenscene zu machen …

Die Abbés und Prälaten lachten über die Wonne, mit der jeder junge Ehemann von zwölf Stunden fortwährend den Begriff: »Meine Frau« im Munde führt …

Inzwischen stiegen immer mehr Leuchtkugeln auf und das Feuerwerk schien seiner Entfaltung nahe zu sein … Draußen riefen Tausende von Stimmen und klatschten bereits im voraus Beifall und die Musik fiel mit schmetterndem Tuschblasen ein …

Der alte Rucca und die Fürstin Rucca Mutter – die jedoch noch keineswegs Matrone sein wollte und ihren Cavaliere servente aufsuchte, um ihm eine Strafrede für Vernachlässigung zu halten – schossen hin und her, sahen nach der Ordnung, sahen nach dem Aufbewahren der Speisereste – »für die Armen« – Der Schwiegervater Olympiens war bis zum Exceß ökonomisch … Der kleine Mann mit einer orientalischen Habichtnase und dem Band des Gregoriusordens über der Brust klagte allen Prälaten über seine Domäne, die Zölle der adriatischen Küste … Man nannte ihn gewöhnlich den »Blutsauger« … Dies war ein Titel, der ihm gerade vor andern, die ihn ebenso verdienten, keinen Vorzug gab … Nie aber hätte sich allerdings gerade der alte Fürst Rucca auf der[53] Küste von Comacchio bis Ferrara sehen lassen können, ohne Gefahr zu laufen, von den Schmugglern und seinen eigenen Zollbedienten todt geschlagen zu werden …

Aber auch dieser alte Herr horchte mit dem schalkhaftesten Lächeln seines Nußknackerkopfes sowol nach der Erwähnung des Pater Vincente wie nach dem Unterricht der »Creolin« hin – er wußte ja, daß es eine Deutsche war … Seinem Sohn rief er gelegentlich ein heimliches: Asino! nach dem andern ins Ohr, besonders wenn dieser die Monsignori vom Steuerwesen, den Finanzminister Roms, den Cardinal Camerlengo, nicht genug zu honoriren schien … »Maulesel« nannte er ihn sogar, wenn er zu wild um Olympien her »trampelte« … Klagte nun der junge Ehemann über die »schlimme Laune« seiner Frau, so schrieb der Alte das mit eigenthümlichem Meckern auf Rechnung aller Bräute am Hochzeitstag … Dies Meckern machte, daß seine Nase und sein Kinn sich küßten und die Mundwinkel zurückgingen fast in die Ohren … Der Cardinal Camerlengo, düster brütend wie Judas Ischarioth, der auch zuweilen nicht wissen mochte, wie er den Seckel für den ersten Kirchenstaat von dreizehn Personen füllen sollte, scherzte jetzt: Sie sind so guter Laune, Fürst? Im nächsten Jahr verlang' ich eine Million mehr! Die Zeiten werden schlechter und schlechter! Wir müssen aufschlagen, Hoheit Generalpächter! …

Der alte Fürst drückte sein »Wie kommen Sie mir vor?« mit einer charakteristischen Geberde aus, die zwar stumm war, aber das ganze anwesende geistliche Ober-Finanz-Personal des Kirchenstaates lachen machte …[54]

Der Vielseitigkeit seines Geistes entsprach sein Sohn keineswegs … Ercolano Rucca war von Wien beschränkter als je zurückgekommen … Er konnte überhaupt immer nur Einen Gegenstand im Kopf haben … War dieser erledigt, erst dann kam er auf den zweiten … Oft aber dauert es bekanntlich Tage und Wochen, bis in dieser sublunaren Welt unter hundert Sachen Eine gründlich durchgesetzt ist … Principe Ercolano sprach dann tage- und wochenlang nur von dieser Einen Sache, z.B. von der Kunst, Handschuhe zu verfertigen aus Rattenleder, was eine Idee war, die der Verwaltung des Steuerwesens Muth geben sollte, die nördliche Generalpacht im Hause der Rucca's erblich zu lassen … Jetzt suchte er nur noch nach der Herzogin von Amarillas, die wegen Pater Vincente um Rath gefragt werden sollte … Graf Sarzana hatte soeben noch mit der Herzogin gesprochen … Auch die alte Fürstin suchte die Herzogin – wie deren Cavaliere servente, Herzog Pumpeo, versicherte – Dieser Herzog Pumpeo wollte in gerader Linie von Pompejus abstammen; auch er war ein armer Nobelgardist, aber ein Crösus an guter Laune und für Se. Heiligkeit selbst ein Spaßmacher, wenn gerade an ihn der Dienst im Vorzimmer oder bei der kleinen Garçontafel des Stellvertreters Christi kam … Se. Heiligkeit ließ übrigens damals den Cardinal Ceccone schalten und walten – und um nichts zu verschweigen, sagen wir es offen und aufrichtig: Der »Zauberer von Rom« war bitter krank … Der »Träger der Himmelsschlüssel«, der »Patriarch der Welt«, der »Vater der Väter«, der »Erbe der Apostel«, der »Hirt[55] der Heerde«, war ein armer Mensch; er fürchtete den Gesichtskrebs zu bekommen1 ...

Heda, Kamerad! ruft bei alledem champagnerberauscht Herzog Pumpeo dem Grafen Sarzana zu. Ich sehe die blaue Eidechse da, wo die Schwärmer prasseln! … Hu, wie sie erschrickt! … Dort huscht sie zu den Mönchen hinüber, von denen sie einer vielleicht in seinen Sack steckt und nach Santa-Maria trägt … Sie ist eine »Beate« (Frömmlerin) … Alle Eure Mühe, sie zu bekehren, scheint mir vergebens, Bruder – oder soll's vielleicht heißen:


Freut Euch, ihr Jungen!

Die Alten bezahlen!

Die Alten bezahlen,

Nur müßt ihr nichts sehen –

Nur müßt ihr nichts hören –


Weiter kam diese Lästerung auf Ceccone nicht … Nun war die »Tochter der Luna« und die »Creolin« auch die »blaue Eidechse« und sogar eine »Frömmlerin« …

Der Graf und der Herzog wandten sich armverschränkt beide dem linken Flügel der »Brezel« zu, wo erstens die Champagnerströme reichlicher flossen, zweitens die alte Fürstin Rucca, zornig mit den Augen runzelnd, auf Pumpeo, ihren Ritter, wartete und drittens eine wahre Batterie von Schwärmern losplatzte … Das gab ein Angstgeschrei, bei dem die muthgebenden Soldaten nicht fehlen durften …

Der Bräutigam kam inzwischen mit einer Dame zurück, die heute nicht zu den freudestrahlenden gehörte …[56] Auch die Toilette der Herzogin von Amarillas verrieth ihre Trauer … Die Veilchen sind eine Blume, vor der bekanntlich jede Römerin, obgleich an Blumenduft gewöhnt, eine bis zur Ohnmacht gehende Abneigung hat; dennoch war das schwarzseidene Kleid der Herzogin ganz von blauen Veilchen durchwirkt; schwarze Spitzen saßen am Leibchen und am Rock … Auch die grauen Haare waren in schwarze Spitzen eingehüllt … Und nur um den Cardinal nicht zu sehr zu einem jener Blicke zu reizen, die ihm zuweilen bis zum Tod verwundend zu Gebote standen – seit einiger Zeit war er in dieser Art gegen sie wie ein Skorpion – hatte sie dem Anlaß der Freude, die zur Schau getragen werden sollte, das Opfer gebracht, Hals und Arme mit dunkelrothen Korallen und die Spitzen, die das graue Haar verhüllten, mit frischen Granatenblüten zu schmücken … Warum soll sie erfahren, sagte sie in ihrem bei alledem stolzen und festen Tone, daß Pater Vincente zugegen ist? …

Sie ist so verdrießlich … fiel der besorgte junge Ehegatte ein … Wir müssen es ihr auf alle Fälle sagen … Durchaus …

Die Herzogin erwiderte nicht minder mismuthig:

Sie kennen die Bescheidenheit des heiligen Mannes … Olympia wäre fähig, ihn in die Gesellschaft zu rufen und mit ihm – zu kokettiren! … Das letzte Wort unterdrückte sie freilich …

Sie will ihn zum Cardinal machen … Ehe es Fefelotti ohnehin thut … Wir müssen ihn aufsuchen …

Thun Sie das nicht! sagte die Herzogin. Ich werde es ihr selbst sagen und dann hören, was sie etwa wünscht …[57] Die Ernennung zum »Cardinal« überraschte sie nicht … Sie kannte die Maxime der ehrgeizigen Cardinäle, für die Papstwahl entweder sich selbst in Bereitschaft zu halten oder, falls sie unterliegen sollten, irgendeine unschädliche, ihnen verpflichtete Puppe … Pater Vincente's Geschichte war dem Klerus ganz Italiens bekannt …

Das Feuerwerk entfaltete sich noch nicht in seinem vollen Glanze … Die Bravis erschollen von nah und fern nur noch wie Ironie über die Verzögerung … Das Gewühl des Volks wurde größer und größer … Dabei gingen die abgetragenen Schüsseln bei den Mönchen und Repräsentanten der Spitäler und Bettlerherbergen um … Schon begannen unter knallenden Champagnerkorken die Austheilungen … Manche der devoten Frauen, der »Beaten«, betheiligten sich selbst an der Uebermittelung der Gaben … Ihre goldbetreßten Diener standen dann zur Seite und überwachten die glänzenden Schmuckgegenstände, die sie trugen …

Olympia, die »Braut von Rom«, besaß entweder die Reizbarkeit aller kleinen Gestalten, im Gewirr vieler Menschen nicht mit den ihnen gebührenden Ansprüchen hervortreten zu können, oder ihre Stimmung war in der That voll äußersten Verdrusses … Sie lief nach rechts und nach links, redete mit diesem und mit jenem und trug auf der Stirn den ersichtlichsten Ausdruck einer leidenschaftlichen Nichtbefriedigung … Ganz so mürrisch, wie sie heute in der Frühe in der Kirche Apostoli den Ceremonien der Trauung beigewohnt hatte, sah sie jetzt das »Bouquet« des Festes, das Feuerwerk herannahen …[58] Schon mahnten die Schwiegerältern, daß es passend wäre, sie führe ganz in der Stille während des Feuerwerks mit ihrem Gatten in das Palais der Stadt, das sie in der Nähe des Pasquino bewohnten – jenes alten Steinbildes, an dessen Fuß seit urältesten Zeiten die Satiren Roms angeklebt werden und von dessen Sockel die Polizei seit einigen Tagen jeden Morgen in erster Frühe Spottverse abgerissen hatte, die den Cardinal ernstlich an die Zeiten mahnen ließen, wo Sixtus der Fünfte solchen Pasquinospöttern die Zunge ausreißen ließ … Gerade vor diesem Augenblick der Abfahrt schien aber Olympia Furcht wie zum Entfliehenmüssen zu haben … Sie stand niemand Rede … Dem Gatten nicht … Dem triumphirenden – »Onkel« nicht …

Ceccone weidete sich an seinem Liebling, dessen Bewegungen und Erscheinen sich wenigstens durch das Rauschen des schweren Seidentaffetkleides ankündigten, das sie unter ihrer Brautrobe von Spitzen trug … Noch wehte ihr wie bei der Trauung und der ersten Messe, die das junge Paar anhören mußte, wie bei den conventionellen Andachten, die den Tag über an gewissen großen Altären und bei dem Besuch Sr. Heiligkeit, um den Segen des armen mit Tüchern umwundenen Mannes zu bekommen, gemacht werden mußten, der kostbare Spitzenschleier im Haar – statt der Myrte war er jetzt von einem Kranz von Orangenblüten umgeben … Schon welkte dieser; schon welkten die gleichen Bouquets, die auf dem Kleide in gewissen Zwischenräumen zur Seite saßen; die Hitze des innern Saals, wo Olympia gesessen, war zu groß gewesen; sie riß auch und zerrte an allem,[59] was sie hinderte … Den bronzenen Hals schmückte ein Collier von Diamanten … »Sie ist schön, wenn sie liebt« – hatte im vorigen Jahre die Herzogin gesagt … Olympia liebte heute nicht …

Ein kurzer Augenblick – hinter einer großen von Hortensien gefüllten Marmorvase – und Ceccone konnte Olympien an sich ziehen und sie voll väterlicher Bestürzung fragen:

Aber was hast du denn nur, mein geliebtes Kind? Was ist dir nur heute? …

Jettatore anche voi! zischte Olympia mit rauher Stimme, stampfte den Fuß auf und stieß die weichen Hände des Priesters zurück … Alle Welt will, daß ich sterben soll! setzte sie fast weinend hinzu …

Ein solches Wort – dem »Onkel«! …

Olympia hatte gesagt, Ceccone wäre gleichfalls ein mit dem »bösen Blick« für sie Behafteter, ein Jettatore, »wie alle Welt!« … Das der Dank, daß er der öffentlichen Meinung trotzte und ungeachtet aller vom Pasquino abgerissenen Satiren auf die »Donna Holofernia«, auf die Vermählung derselben mit dem jungen »Judas Ischarioth Seckelträger junior«, und ähnlicher Anspielungen scheinbar heute so sorglos und unbefangen sein Haupt erhob …

Auch er hatte ja der Sorgen genug! Aber ihm genügte im Augenblick vollkommen der lärmende Antheil der ewigen Stadt an seiner Person; ihm genügte die unabsehbare Wagenreihe der hohen Aristokratie und Prälatur, die bis in die dunkelsten Schatten der Landstraße hin sichtbar blieb … Und nun ein Ausbruch solcher Nichtgenüge[60] bei dem geliebten Kinde, das sich zuweilen auch gegen ihn zu empören an fing … Er flüsterte:

Täubchen! Liebchen! … Papagallo! … Fiore di luce! …

Suche dir die »Tochter der Luna«! … erwiderte sie höhnisch und huschte fort …

Der Onkel lachte über die »Eifersucht« seiner Nichte …

Da wandte sie sich noch einmal …

Onkel, sagte sie zornig, lache nicht! Ich möchte in diesem Augenblick sterben! … Ich wünschte, du hättest nur wegen meiner an Pasqualetto geschrieben – nach Porto d'Ascoli – …

Jesu! flüsterte der Cardinal, wurde kreidebleich und sah sich besorgt um … Welchen Namen nennst du da? … Pasqualetto – St! unterbrach er aufs strengste Olympiens Gegenrede …

Der alte Rucca ging eben vorüber, spitzte die Ohren, grinzte seltsam und sagte für sich: Eh! Eh! Eh! …

Vieldeutige Laute … Olympia hatte einen Namen genannt, den er gehört zu haben schien … Er wandte sich halb und halb zum Zuhören und liebäugelte einer Schwiegertochter, deren Hochzeit – mit seinem verlängerten Pachtcontracte zusammenhing – …

Ceccone winkte ihm mit graziöser Handbewegung zu gehen … Noch ist sie mein! sprach er süß und vor allen näher herantretenden Zeugen … Dann legte er die zarten weichen Hände auf das Haupt der kleinen Meduse, zog sie wieder an die Hortensienvase und flüsterte:[61]

Wie kannst du von Pasqualetto reden? … Was soll er? …

Mich stehlen und in die Berge schleppen! … erwiderte Olympia …

Ich beschwöre dich, mein süßer Papagai! fuhr der besorgte Vater fort und wollte Olympia noch weiter ins Dunkel mit sich ziehen, um sie herzinniger zu küssen, vielleicht sie an den Wagen zu führen, den der junge Gatte zu jeder Minute bereit zu halten versprochen hatte … Schon rief er nach dem Mohren, der nach seiner Taufe den frommen Namen Chrysostomo führte …

Statt des Chrysostomo kam aber der ganze Schwarm der Gäste … Die Leuchtkugeln erhellten gerade die Vase mit den Hortensien und wo die Braut war, mußten doch alle sein … Niemand erzürnte gern die wilde Olympia … Es klang ihr jetzt ganz zu Sinn, daß ihr Gatte verspottet wurde über die Verzögerung des Feuerwerks … Die Raketen haben den Schnupfen! hieß es … In die Cascatellen ist Wasser gekommen! … Die »Feuerräder« haben die Achse gebrochen! … Man fürchtet, die »Frösche« werden hüpfen wie die Flöhe! … Flöhe … Wer solche Italienerworte hätte in dieser Sphäre für unziemlich halten wollen, mußte eine deutsche oder französische Bildung haben … Der Südländer kennt keine Scheu der offenen Namengebung dessen, was natürlich ist …

Die Herzogin von Amarillas machte inzwischen einen Versuch, sich Olympien zu nähern … Aber Olympia entzog sich gerade ihr … So beschloß denn die Herzogin, die Nachricht über den Pater Vincente für sich zu behalten … Auch sie floh vor dem endlich beginnenden Feuerwerk[62]  … All dies Knistern und Knattern, all diese Bravis und Ausrufungen waren der Mutter Julio Cäsares nicht zu Sinn … Sie suchte den Garten, den Park, der zwar nicht unbelebt, aber dunkler war und an seiner äußersten Grenze Einsamkeit versprach … In diesem Verlangen nach dem Pater Vincente, das die Braut ausgesprochen, lag für sie ein ihr wohlbekannter Ausdruck des Zorns über Benno's Nichtanwesenheit, über sein gänzliches Verschwundensein nach den beiden Märchenwonnentagen von Wien, lag der Ausdruck der Reue über die allzu schnelle Ernennung Bonaventura's zum Bischof von Robillante … Benno hatte sich im vorigen Jahr nach Rom begeben und war dort nicht länger geblieben, als bis – die Mutter und Olympia ankamen … Da war er nach dem Süden entflohen … Er hatte sich aufs Meer begeben, war über Sicilien, Malta, Genua, Nizza nach Robillante gereist, wo er in diesem Augenblick bei Bonaventura verweilte; er stand mit der Mutter im Briefwechsel, er schrieb ihr unter fremden Adressen – sie hatte die ganze Bürgschaft seiner Liebe und Zärtlichkeit für sich; – aber vor einem Zusammenleben mit Olympien erfüllte ihn ein ahnungsvolles Grauen … Aus dieser Misachtung der ihm so offen in Wien ausgesprochenen Liebe Olympiens war eine Gefahr für die Herzogin selbst, für Benno, für alle seine Beziehungen entstanden … Die Theilnahme, die die Mutter für ihn nicht verleugnen konnte, wurde ihr von Olympien aufs heftigste verdacht … Nun mußte auch noch die Herzogin in Wien ein junges Mädchen gefunden haben, das, der italienischen Sprache[63] vollkommen mächtig, anfangs nur die Vermittelung mit den deutschen Verhältnissen erleichtern sollte … Eine wohlberufene Convertitin, die von einer glühenden Sehnsucht nach Rom verzehrt wurde … Die Herzogin hatte den Auftrag erhalten, die Würdigkeit dieser Empfehlung zu prüfen … Sie sah sie, war von einer auffallenden Aehnlichkeit derselben mit ihrem Kinde Angiolina gerührt – es fehlte nur noch die Bekanntschaft dieses Mädchens mit Benno und Bonaventura, um sie nicht wieder freizulassen … Es war nun aber Lucinde Schwarz selbst, die ihrer Stellung gefährlich zu werden drohte …

Lucinde liebte nicht, ungefragt von ihrer Vergangenheit zu sprechen. Sie war nie in der Stimmung, gern von Schloß Neuhof, vom Kronsyndikus, Jérôme von Wittekind zu berichten … Aber die Erwähnung fand sich zufällig und da stand sie schon in Wien Rede … Die Herzogin horchte voll Erstaunen … Auf die Länge war sie von Lucinden seltsam abgestoßen und wieder angezogen … Man nahm sie mit nach Italien … Erst später zeigte sich die Gefahr dieser »Eroberung«, wie Ceccone, überrascht von Lucindens Geist, sie genannt. Lucinde gewann Einfluß über alle ihre neuen Umgebungen, über den jungen Principe, über Olympien, den Cardinal sogar … Jetzt war sogar schon Olympia eifersüchtig auf »die Tochter der Luna« … Rom hatte Lucinden verjüngt …

Das Boskett, das dicht an die zur Verlängerung des Speisesaals umgewandelte Terrasse stieß, bestand aus einer Pflanzung von Nuß- und Kastanienbäumen … Aus seinem mäßigen Umfang heraus führten Gänge von beschnittenen Buchsbaum- und Cypressenwänden auf kleine[64] Rotunden, in deren Mitte aus Farrenkräutern und Vergißmeinnicht Springbrunnen plätscherten oder Marmorstatuen glänzten, am Fuß von blühenden Cactus, von feurigen Schwertlilien umgeben … Nun kamen die rechts zu den Gärten des Lateran sich ziehenden Beete … Sie folgten sich in Abdachungen, die zu Cascatellen benutzt, von Grotten, von Muschel-, von Marmorverzierungen unterbrochen wurden … Zur Linken, jenseits der großen Platanenallee und des flimmernden Wassersturzes führten riesige Taxuswände zu einer Altane, von welcher sich ein weites Feld von Weinstöcken wie ein einziges grünes Dach auf die Landstraße erstreckte … Dorthinauf, wo sich unter wilden Lorberblättern ausruhen ließ, zog es die von den schmerzlichsten Ahnungen erfüllte Herzogin …

Eine Weile noch wurde sie auf ihrem Wege von einem Naturspiel aufgehalten … Das Licht des Mondes und der Widerschein des Feuerwerks wurden in ihren magischen Wirkungen noch übertroffen von zahllosen Glühwürmern, die bald grün, bald roth aufblitzend die Luft durchschwammen, auf den Sträuchern und Blumen wie Edelsteine funkelten, unwillkürlich die Hand lockten, die Luft zu durchstreifen und nach eitel Funken und Licht zu haschen …

In diesem Augenblick glaubte die Herzogin die »Tochter der Luna« zu sehen, die am äußersten Ende eines der in den Ziergarten einmündenden Heckenwege – von zwei Mönchen verfolgt wurde …

Sie staunte des auffallenden Anblicks … Sollten von den Bettlern an der Pforte zwei so verwegen gewesen sein, sich hierher zu wagen? … Oder konnte sich[65] in falscher Verhüllung Räubervolk eingeschlichen haben? … Eben waren die Mönche und die fliehende Donna Lucinda verschwunden …

Oder hatte sie sich getäuscht? … Hatte das mondlichtfarbene Kleid der Gesellschafterin sie irre geführt? …

Da hörte sie das Lachen des Herzogs Pumpeo … Offiziere kamen und junge Prälaten, die der Champagnerrausch von den alten Damen zu den jungen vertrieb … Einige der schönsten hüpften an ihrem Arm – gleichsam nur auf der Flucht vor den gefährlichen Feuerfröschen …

Die Herzogin blieb stehen … Fast wurde sie umgerannt von dem aus einem andern der Gänge ihr eilend entgegentretenden Conte Sarzana …

Sahen Sie die beiden Mönche, Graf? fragte die Herzogin ängstlich …

Die der Donna Lucinda folgten? antwortete Sarzana mit Theilnahme … Wo sind sie? … Ich habe ihre Spur verloren …

Beide durchkreuzten den Gang, den die übrige Gesellschaft herauskam, und eilten der dunklern Gegend jenseits der Platanenallee zu … Der am Ende derselben funkelnde Wasserfall gab einen Schein von Belebung des Gartens, der sich indessen nicht bestätigte … Alles blieb einsam und gefahrvoll … Jetzt rief der Graf:

Ich sehe sie … Dort beim Aufgang auf die Altane … Was wollen die Frechen? …

Conte Agostino lief mit seinen hohen Reiterstiefeln die nothwendigen fünfzig Schritte voraus und rief schon auf halbem Wege dem nächsten der Mönche ein donnerndes:

[66] Que commande? …

Als er näher gekommen, fand er Donna Lucinda mit geisterhafter Blässe im Gespräch mit den beiden Mönchen, die unausgesetzt wie Eindringlinge von ihm angerufen und für verkappte Gauner erklärt wurden … Ging doch auch durch die Stadt das Gerücht, man hätte heute in einer Herberge am Tiberstrand den berüchtigten Räuber Pasquale Grizzifalcone aus der Mark Ancona gesehen, das Haupt aller Räuber- und Schmugglerbanden der adriatischen Meeresküste … Es konnten seine Genossen sein …

Die lange schlanke Deutsche hielt einen Brief in der Hand und sagte mit zitternder Stimme und im besten Italienisch:

Vergebung, Herr Graf! Es sind – zwei Landsleute von mir … Sie ersuchen mich, eine Bittschrift zu übernehmen … Ich werde sie besorgen, ihr – frommen – Väter –! Lassen Sie sie in Güte ziehen, Herr Graf! … Willkommen in Rom, Pater – Sebastus und Frater – Hubertus! … Wir sehen uns noch … Gewiß! Gewiß! … Felicissima notte! …

Die beiden Mönche standen lichtgeblendet – wie Saulus am Wege von Damascus … Sie konnten sich nicht trennen …

Inzwischen war die Herzogin näher gekommen … Sie erschrak bei dem Anblick Lucindens, die tieferschüttert schien … Noch mehr entsetzte sie sich vor dem Anblick eines dieser Mönche, der mit seinem kahlen und wie fleischlosen Kopf aus seiner niedergefallenen Kapuze geradezu ein Bote des Todes erschien …[67]

Auch die Begleiter des Duca Pumpeo kamen, jetzt ohne die Damen, näher, nahmen die Mönche in die Mitte und geleiteten sie aus dem Garten … Graf Agostino erhielt von Lucinden die Bitte und, als er darum noch immer nicht ging, fast den Befehl, sie zu verlassen …

Die Herzogin sah Lucinden noch wie betäubt an den Sockel einer Statue sich lehnen, von welcher aus man auf die Plateforme jener Altane schreiten konnte … Es war hier ringsum dunkel … Die dichtbelaubten Bäume warfen düstere Schatten … Die Herzogin widerstand nicht, Lucinden zu folgen … Diese drängte auf die Altane hinauf, als fürchtete sie hier unten zu ersticken oder den Mönchen aufs neue zu begegnen …

Sie sind ja auf den Tod entsetzt, mein Kind! sprach sie theilnehmend … Erholen Sie sich … Diese zudringlichen Bettler in Rom! … Die Bittschrift war nur ein Vorwand! …

Lucinde schlich nur langsam die Erhöhung hinauf …

Oben angekommen, sagte sie:

Nein, nein! … Ich kannte sie beide … Ich wußte längst, daß sie in Rom sind – ich hätte sie aber lieber, das ist wahr, vermieden; ich – mag nichts mehr hören von Deutschland … Die Bittschrift ist – an den Bischof – von Robillante … Ich will sie besorgen …

An den Freund meines Cäsar! … staunte die Mutter und hätte nun gewünscht, die Mönche wären nicht vertrieben worden …

Beide Frauen blieben auf der einsamen Altane, auf der sie sich auf Sesseln von Baumzweigen niederließen,[68] unter einem Dach von künstlich gezogenem Lorber … Vor ihnen lag vom Mond beschienen das große stille Meer der Weinstockblätter … In der Ferne Feuerwerk und das lärmende Volk, das jeder Rakete ein Evviva! rief …

Obgleich sich Lucinde allmählich zu fassen schien, kam die Herzogin doch nicht mehr auf die Mönche zurück … Gerade diese durch Benno bedingten Wallungen des Interesses zu verbergen, besaß sie eine volle Gewandtheit … Sie pries die erquickende Erlösung von dem rauschenden Gewühl, das sich nicht verziehen wollte … Sie saßen so, daß sie durch die Büsche zugleich die Künste des Feuerwerks und über die Weingärten hinweg den stiller gebliebenen Theil der Gegend beobachten konnten …

O, hier sind wir sicher vor dieser bunten Posse! sagte die Herzogin. Wenn die Lüge in der Welt so rauschend auftritt, wie sollte erst die Wahrheit sich ankündigen dürfen! …

Die Wahrheit feiert ihre Triumphe in der Stille! entgegnete Lucinde, noch immer athemlos. Diese Triumphe sind die Glühkäfer des Geistes, die uns nur auf einsamen Wegen umschwirren! … Wie heißt denn die Pflanze da, auf der ich vorzugsweise die Thierchen wie die Lichter auf unsern nordischen Weihnachtsbäumen antreffe? …

Lucinde rang nach dem Ton der Gleichgültigkeit …

Die rothen Disteln? Das sind Artischocken! sagte die Herzogin …

Wächst so dummes Gemüse hier so wild und schön! … Carciofoli! Ganz recht! …

Eine kurze Pause trat ein … Beide bewegten ihre Fächer und wehten sich Kühlung zu … Mancher scherzhafte[69] Vorfall des Tages, manche Neckerei an der Tafel, mancher Schmuck, manche überladene Toilette ließen sich besprechen …

Das Gespräch stockte jedoch bald … Es zeigte sich – diese beiden Frauen mußten anfangen eine sich für ein Hinderniß der andern zu halten … Die Herzogin hatte sich längst gesagt: Hier ist meine Zeit um! Olympia ist meiner Führung entwachsen! Selbst den Cardinal, ihren Vater, lehnt sie für ihre neue Einrichtung als täglichen Gast ab – Schon hat sie's ihm angekündigt … Ceccone sucht – eine neue Häuslichkeit! Diese Lucinde – lockt, reizt ihn – Ich sah es heute, er schien ganz außer sich … Lucinde sollte, wie sich gebührt, zu Olympia ziehen … Diese lehnt aber auch sie ab … Soll also ich jetzt –? Ich? … Ich ahne, was Ceccone aus ihr und – mir gestalten will … Um sie »mit Anstand« zur Nachfolgerin – der Herzogin von Fossembrona, der Marchesina Vitellozzo zu machen, soll ich – als Deckmantel? – … Nimmermehr! … Das zu verweigern bin ich – Benno schuldig … Aber Graf Sarzana! … Diese Abenteurerin – wie sie in seinen Briefen Benno schildert – und Sarzana! … Diese armen Teufel freilich – die – Sarzanas! …

So empfand die Herzogin … Klug aber und verstellungssicher, wie sie war, nahm sie das Gespräch nach einer Weile auf …

Es ist wahr, sagte sie, das Leben bringt es mit sich, daß nur zuweilen die Stacheln der Disteln, das sind ja Artischocken, jenen nordischen Weihnachtsbäumen, die ich kenne, gleichen! Die Illumination der Lüge muß[70] uns ermuthigen, an diese kleinen Glühkäfer in der Nacht der Wahrheit, an das hellste Licht, das Aetherlicht des Schmerzes, zu glauben …

Lucinde konnte noch nicht geläufig erwidern …

Eine Bittschrift an den Bischof von Robillante, sagten Sie? … fuhr die Herzogin fort, als Lucinde den Brief träumerisch betrachtete und ihn seufzend in ihrem Busen barg … Ist es wahr, daß dieser Priester eine Gräfin liebte, die seit einigen Monaten die Gattin des Grafen Hugo von Salem-Camphausen geworden ist? …

Lucinde fixirte die Herzogin mit scheuen unheimlichen Augen … Jetzt erst recht antwortete sie nicht … Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie ja mit einer Frau zusammensaß, gegen die sie seit einiger Zeit sich hatte entschließen wollen, einem Serlo'schen Gedanken Gehör zu geben … In Serlo's Denkwürdigkeiten stand: »Wenn ihr doch nur nicht ewig von Pflichten der Dankbarkeit bei Diensten reden wolltet, die Euch gar kein Opfer gekostet haben!« …

Die Herzogin sprach sorglos, der bittern Stimmung ihres Herzens folgend:

Graf Hugo liebte – hört' ich und sah ich in Wien – ein junges Mädchen, das sich aus Verzweiflung – um ihr Schicksal den – Tod gab … Ich sah – ihre – Leiche, ich sah seine Trauer … Er schloß mit dem Leben ab und doch – doch – wie mögen auch bei dieser Vermählung die Raketen gestiegen sein! … Ha, erinnern Sie sich in Wien der schönen Altane, von der wir Abschied nahmen am Tag vor unserer Abreise? … Es lag tiefer Schnee auf den düstern Tannen ringsumher …

Ich erinnere mich … antwortete jetzt Lucinde, die[71] sich von Klingsohr und Hubertus allmählich zurückfand. Sie betonte scharf. Sie hatte der Herzogin heute schon wieder Zurücksetzungen nachzutragen, die sie ihr in Mienen und Worten an der Tafel hatte widerfahren lassen …

Ob wol das junge Paar an derselben Stelle wohnt, wo – die – arme – Geliebte – mit zerschmettertem Haupte lag? … fuhr die Mutter Angiolinens, nichts ahnend fort …

Das – junge – Paar wohnt – in der Stadt … berichtete Lucinde – – von dem wirklich geschlossenen Bunde Paula's und des Grafen Hugo …

Eine lange Pause trat ein … Ein leiser weicher Windhauch kam vom Südmeer … Im Weinberg zitterten die Blätter …

Es ist doch gut, daß wir den Gespensterglauben haben! sagte die Herzogin feierlich … Wir fürchten uns doch noch zuweilen ein wenig vor den Gräbern … Die Alten verbrannten ihre Todten, glaubten aber doch auch an eine strafende Wiederkehr; der Geist des ermordeten Cäsar erschien den Mördern in der Schlacht bei Philippi … Die Christen wollten von den Todten so wiedererstehen, wie sie in ihrer schönsten Lebenszeit aussahen … Angiolina hieß – sie? … Sahen Sie schon die Katakomben drüben? … unterbrach sich die Erinnerungsverlorene … Dort blitzt eine goldene Spitze im Mondlicht auf … Das ist Santa-Agnese … Dort steigen Sie einmal nieder mit einem guten Führer … Philipp Neri, der Heilige, hat da unten wochenlang gewohnt … Die Erde hier ringsum ist durchhöhlt … Christen- und Römergräber in Eins … Ein[72] Leichenfeld! … Das Leben ist's … Wer war der eine dieser Mönche? Er sah ja wie der Tod …

Wie die Auferstehung! hauchte Lucinde für sich … Aber der erste Schrecken war bei ihr nun vorüber … Sie hatte sich wieder in ihre gegenwärtige Lage zurückgefunden … Ihr Auge fixirte die Herzogin immer unheimlicher …

Diese erschrak über die fast schielenden Blicke des Mädchens … Und beim Suchen nach einem gleichgültigen Gespräche schilderte Lucinde die Unzufriedenheit der jungen Fürstin Rucca … Da betonte sie sehr scharf den Namen Benno's …

Lucinde that das seit einiger Zeit in Gegenwart der Herzogin öfters …

Lucinde hatte allerdings bemerkt, daß die Herzogin von Amarillas in einer geheimen Beziehung zu Benno stand … Sie hatte schon in Wien das Interesse beobachtet, das diese Frau an ihrem frühern Aufenthalt in Deutschland, an Witoborn, an Schloß Neuhof nahm … Sie wußte, daß sie eine Sängerin gewesen und – in Leo Perl's Bekenntnissen war ja von einem gewissen Betruge die Rede, den er an einer – nicht genannten Sängerin hatte ausführen helfen … Sie war auf den Gedanken gekommen, ob nicht jene »zweite Frau« des Kronsyndikus, die der vom Wein Aufgeregte und schon an Wahnanfällen Leidende damals in jener Nacht in Kiel mit dem Degen von sich abwehren wollte, diese jetzige Herzogin von Amarillas sein könnte … Ihrer wühlerischen Combination entging nichts von dem, was sich aus auffallenden Daten solcher Art irgendwie verknüpfen ließ … Sie hatte auch schon Benno's ihr hinlänglich bekannte[73] im Familienkreise der Asselyns und der Dorstes oft besprochene »dunkle Herkunft« in den Kreis ihrer Combinationen gezogen und staunte schon lange über Benno's Aehnlichkeit mit dem Kronsyndikus und mit der Herzogin … Sie verfolgte diese Gedanken stets und stets seit dem Augenblick, wo sie bemerkt zu haben glaubte, daß die Herzogin gern über sie lächelte, sie gering behandelte und zurücksetzte … Heute war Graf Sarzana, als er ihr den Arm geboten hatte, von der Herzogin auf eine andere Dame verwiesen worden … Diese Kränkung hatte sie nur vergessen, weil sie später genug von Huldigungen überschüttet wurde … Solche Geringschätzungen konnten sich aber wiederholen … Daher sagte sie mit scharfspähendem Blick und sich aller der Vortheile erinnernd, die sie über die Asselyns hatte:

Der Todtenkopf? Nach dem Sie fragten! Ich lernte ihn in Witoborn kennen, in dessen Nähe ein Kloster liegt … Es ist das Familienbegräbniß jener Wittekind-Neuhof, nach denen Eure Hoheit mich schon so oft gefragt haben … Der vor länger als einem Jahr verstorbene Stammherr, der Kronsyndikus genannt, hat den Vater des andern, des zweiten Mönches, den Sie sahen, in einem Wortwechsel erstochen … Dieser Unglückliche hieß Klingsohr und war des Freiherrn Pächter … Der Todtenkopf aber war des Freiherrn Jäger und hieß Franz Bosbeck … Aus Holland stammt er, war in Java, gewann auf dem Schloß Neuhof eine Stellung durch die Liebe einer bösen Frau, die dort regierte, Brigitte von Gülpen … Da sein Herz an einem andern Wesen hing, rächte sich diese Frau und veranlaßte den Entschluß ihres Verlobten, der seine wahre Liebe durch den Tod[74] verlor, sich in ein Kloster zu flüchten … In Indien soll er von den Gauklern Künste der Abhärtung gelernt haben, weshalb er sich trotz Entbehrungen und Strapazen so rüstig erhält … Der eine der beiden Mönche hatte eine Sehnsucht nach Rom, die der andre aus mir unbekannten Gründen theilte … Beide entflohen, saßen bisher auf San-Pietro in Gefangenschaft und richten nun, wie sie mir sagten, in diesem Schreiben an den Bischof die Bitte, sich zu ihren Gunsten zu verwenden … Sie fürchten sich, wie jeder, der einmal in Rom war, nach Deutschland zurückzukehren – …

Lucinde hielt inne, weil sie die Wirkung ihres Berichtes beobachten wollte …

Die Herzogin folgte mit der höchsten Spannung …

Doch hatte Lucinde in der Kunst der Beherrschung ihre Meisterin gefunden …

Nach dem ersten leisen Zucken der Mienen bei den Worten: »Familienbegräbniß der Wittekind-Neuhof«, trat trotz der aufs äußerste erregten Spannung und der sie blitzschnell durchzuckenden Vorstellung: Diese Schlange kennt dein ganzes Leben! eine Todtenkälte in die geisterhaft vom Mond beschienenen Züge der Herzogin und sie sagte nichts als:

Kommt der Nachtwind so vom Meere? Wovon bewegt sich das Laub in den Weinbergen? … Sehen Sie nur, als wenn eine einzige große Schlange dahinkröche … So hebt es sich hier und dort und sinkt wieder zusammen …

Lucinde hatte nur ihr Auge nach innen gerichtet …

Beide Frauen waren zu tief in ihre Erinnerungen, zu tief in die Rüstung des zunehmenden Hasses gegeneinander[75] verloren, um einer Beobachtung über den Nachtwind längern Spielraum zu lassen …

Die Herzogin ging nach Lucindens Mittheilungen in die Worte über:

Ich würde vorschlagen, lieber die Bitte dem Cardinal, bei dem Sie ja allmächtig zu werden anfangen, mitzutheilen, wenn nicht – allerdings Olympiens Laune zu schwankend wäre … In der That schon oft sprach sie ihre Reue aus, einem Fremdling, wie jenem Bischof, so schnell den Fuß auf italienischem Boden gegönnt zu haben … In ihren Lobpreisungen des Pater Vincente, der jetzt am Thor unter den Bettlern sein soll, erkenn' ich die Gedanken, die in ihrem Innern Gestalt gewinnen wollen …

Lucinde beobachtete, ob wol die Herzogin ihr ganzes Interesse für Bonaventura kannte …

Diese fuhr fort:

Auch ist der Bischof von Robillante in der That nicht vorsichtig … Er hat dem Erzbischof von Coni mehr die Spitze geboten, als einem so ganz den Vätern Jesu angehörenden, jetzt als Großpönitentiar nach Rom zurückkehrenden Prälaten gegenüber gutgeheißen werden kann … Sein Eindringen in San-Ignazio und die Trinita zu San-Onofrio hat die Dominicaner gegen ihn aufgebracht … Die Dominicaner sind in gewissen Dingen mächtiger, als die Jesuiten … Dieser Orden beruft sich auf die Privilegien der Inquisition … Der Bischof ging an die weltlichen Gerichte … Das war ein Beweis von Muth, aber auch eine große Unbesonnenheit … Neun Waldenser, sieben Proselyten, die die Waldenser unerlaubterweise aufgenommen hatten, mußten von den Dominicanern,[76] die sie einzogen, herausgegeben werden … Um Einen, der fehlt, kämpft nun der Bischof noch immer … Wie aber nur möglich, sich und andere um einen ketzerischen Fremden so aufzuregen! … Allerdings einen Deutschen – aber in seiner Stellung gebührte sich gerade gegen seine Landsleute die Vermeidung aller Parteilichkeit – …

Lucinde horchte mit gespanntem Antheil … Sie kannte diese Gefahren Bonaventura's nur aus flüchtigen Andeutungen Ceccone's …

Schreiben Sie ihm doch alles das, wenn Sie den Brief couvertiren sollten … sagte die Herzogin …

»Schreiben Sie ihm doch alles das –« … Das hatte die Herzogin mit einem seltsamen Ton gesagt … Es war der Ton, der etwa sagte: Ich weiß es ja, Sie sind die verschmähte Liebe dieses Bischofs! …

Lucinde sagte, demüthig ihr Haupt senkend und nur im Blick die Fühlfäden verrathend, die sie ausstreckte:

Der Bischof rechnet, denk' ich – auf den Beistand der Gönner, die ihm – hier in Rom ihre alte Neigung – sofort wiederschenken würden, wenn – Herr Benno von Asselyn, sein – Vetter zurückkehrt und – nicht länger eine Furcht verräth, die – für einen Mann doch – kindisch ist …

Welche Furcht? …

Das Muttergefühl wallte auf …

Aus Besorgniß, sich durch Vertheidigung des Sohnes zu verrathen, sagte die Herzogin gezwungen lächelnd:

Dürfen Sie am Hochzeitstag der Fürstin Rucca von der Furcht eines Mannes sprechen, der nicht der beglückte Gegenstand ihrer Liebe zu werden wünscht? …

Alle Umgebungen der Herzogin und Lucindens wußten,[77] wie das Bild der kurzen wiener Bekanntschaft von Schönbrunn und vom Prater immer noch vor Olympiens Seele stand …

Lucinde sah sich in diesem Augenblick um … Es war um sie her ein Geräusch hörbar geworden … Ueber den Fußboden eilte eine jener kleinen Schlangen, deren Augen einen phosphorescirenden Glanz von sich geben … Lucinde zog erschreckt den Fuß zurück, sah die künstliche Ruhe der an südliche Eindrücke gewöhnten und der Schlange nicht achtenden Herzogin und erwiderte nach einiger Sammlung:

Benno von Asselyn fürchtet, an die bestrickende Olympia ein Herz zu verlieren, das – ich will es Ihnen verrathen – einem jungen jetzt in London lebenden Mädchen gehört … Sagen Sie aber nichts davon der Fürstin! …

Die Züge der Mutter konnten sich nicht beherrschen … Sie verklärten sich … In ihrem brieflichen Verkehr hatte sie nie auf eine Frage nach Benno's Herzen deutliche Antwort erhalten …

Wen liebt – Signore – Benno? fragte sie mit einer sich bekämpfenden Theilnahme, deren leidenschaftlichen Ausdruck jedoch ihr ganzes Antlitz verrieth …

Er liebt unglücklich … sagte Lucinde immer forschender und schon mit triumphirenden Blitzen aus ihren dunkeln Augen hervorlugend … Sein bester Freund nächst dem Bischof und dem Dechanten Franz von Asselyn – Die Herzogin schlug ihre Augen nieder – ist ein junger reicher Kaufherr, Thiebold de Jonge … Beide wurden, ohne es zu wissen, zu gleicher Zeit von einer Liebe zu einem Mädchen[78] ergriffen, das damals noch halb ein Kind war … Armgart von Hülleshoven ist ihr Name …

Armgart von –? …

Lucinde mußte den Namen wiederholen … Der Mutter klopfte das Herz …

Armgart von Hülleshoven … sagte die Listige, die sich rüstete, der Herzogin ein für allemal das Geringschätzen ihrer Person zu verderben … Sie ist, hauchte sie, die zärtlichste Freundin jener Gräfin Paula, die die Gattin des Grafen Hugo geworden … Schon einmal geriethen beide Freunde um diese Neigung in Streit … Einer entsagte zu Gunsten des andern … Darüber fand Armgart Zeit, erst eine Jungfrau zu werden, die überhaupt an Liebe denken darf … Ein wunderliches Aelternpaar hat sie aus Witoborn nach England geschickt, wo sie im Hause einer Lady Elliot lebt und ihre Zärtlichkeit für zwei Liebhaber zugleich an dem Widerstand gegen einen dritten prüfen kann … Dieser hat das glücklichere Loos getroffen, jetzt in ihrer Nähe leben zu dürfen … Es ist dies jener Wenzel von Terschka, der, wie man sagt, nur um ihretwillen Priestergelübde und Religion und was nicht alles aufgab – …

Pater Stanislaus? sagte hocherstaunt und sich ganz vergessend die Herzogin …

In der Ferne donnerten Böller und schmetterten rauschende Fanfaren …

Sollten Sie in Ihrem Briefwechsel mit Herrn von Asselyn – … wagte sich jetzt Lucinde ganz keck heraus …

Ich? … Mit wem? … fuhr die Herzogin auf …[79]

Ja Sie, Hoheit, Sie allerdings – mit Benno von Asselyn – … lächelte Lucinde …

Die Herzogin war aufgesprungen … Die Bewegung ihres Schreckens, die der Furcht zunächst vor Olympien galt, war erklärlich … Der Schrecken konnte aber auch von etwas anderm kommen … Die Zweige hatten in nächster Nähe gerauscht, wie unter Berührung eines leise Dahinschleichenden …

Man ist doch sicher hier … konnte noch die Herzogin ihren Schreck maskirend, fragen …

Da deutete sie aber schon mit einem Aufschrei auf die grüne Decke des Weinlaubs, aus der sich spitze Hüte und Männerköpfe erhoben …

Lucinde wollte im selben Augenblick entfliehen … Vergebens … Schon hatten sie von hinten zwei Arme ergriffen …

Eine wilde Physiognomie, die nur die eines Räubers sein konnte, grinste sie an … Ein widerwärtiger, dem gemeinen Italiener eigner, vom Genuß der Zwiebel und des Lauchs kommender Athem nahm ihr die Besinnung … Sie konnte nicht von der Stelle …

Die Herzogin war an den Aufgang der Altane gestürzt und rief:

Räuber! Räuber! Räuber! …

Sie rief diese Worte – sie wußte selbst nicht, ob im Schrecken über den Ueberfall oder in dem über Lucindens Voraussetzung eines Briefwechsels zwischen ihr und Benno … Sie wiederholte sie muthig, trotzdem daß unter dem Weinlaub alles lebendig wurde, wilde Männer in abenteuerlichen Trachten den Rand der Altane erkletterten, Pistolen und Dolche blitzten, Lucinde in die Arme eines Athleten[80] geworfen wurde, der die Mauer schon erklettert hatte, während der erste, der bereits oben war und die im stillen Gespräch Verlorene von hinten überfallen hatte, Miene machte, nun auch die Herzogin zu ergreifen … Die Räuber trugen die Tracht der Hirten, kurze Beinkleider, Strümpfe, Jacken, offene blaue Brusthemden; die Gesichtszüge waren von Bart und künstlichen Farben entstellt; die braunen sehnigen Hände eines dritten, der dem zweiten nachkletterte, stopften Lucinden, die vor Schrecken nicht einen Laut mehr von sich geben konnte, ein buntes Tuch in den Mund …

Während die Herzogin, halb auf der Flucht, halb muthig wieder innehaltend, ihre Hülferufe fortsetzte, sah sich Lucinde schon in den Armen des Riesen, der sich, auf den Rücken zweier andern sich stützend, an die Wand feststemmte und die Beute herunterzog mit den der Situation völlig widersprechenden Beschwichtigungsworten:

Haben Sie doch keine Furcht, schönste Altezza! … Ei, Eure Excellenza sollen so gut schlafen, wie in Ihrem eigenen Schlosse … Es ist nur ein Spaß, Signora Excellenza … Tausend Zechinen … Ei, das wird eine so schöne Dame ihren Freunden schon werth sein …

Da Lucinde den Muth einer Frau sah, die doch von ihr soeben so scharf verwundet worden, ergriff sie Beschämung … Sie hielt sich an einem großen Oleanderstamm, der von draußen her an der Mauer aufwuchs, wühlte sich in dessen schwanke Zweige, die sie nicht lassen wollte, und widerstand um so mehr dem Räuber, als sie hinter sich ein wildes Geschrei hörte, das halb aus deutschen, halb aus italienischen Lauten bestand …

Da ließ der Riese loser und loser … Lucinde[81] hielt sich mit allen Kräften … Hinter sich hörte sie ein Ringen, ein Kämpfen … Eine Ahnung erfüllte sie … Sie krallte sich fester und fester … Da ein Schmerzensschrei wie von einem Verwundeten in der Nähe … Nun ein Pistolenschuß … Jetzt stürzte sie selbst von der Mauer … Der Rauch um sie her, ihr Sturz, die Angst, die Hoffnung – sie verlor die Besinnung …

Als sie wieder zu sich gekommen, lag sie noch auf dem Boden des Weinbergs … Eben ließ man von oben Leitern herab … Die Terrasse oben stand voller Menschen … Waffen klirrten noch immer … Graf Agostino, seiner schweren Reiterstiefeln nicht achtend, stieg von oben hernieder … Neben ihr lag in seinem Blut der gewaltige Riese, den ein Pistolenschuß getroffen hatte von der Hand eines Mönches. Der Muthige kniete neben einem andern Mönche, der verwundet am Boden lag … Da hüllte sich ihr wieder alles in Nacht …

Als sie aufs neue erwachte, befand sie sich in dem großen Saale der Villa …

Wüst durcheinander standen die Tische und Sessel. Das Fest war zu Ende. Die Kronleuchter brannten nur noch dunkel. Die Zahl von Menschen um sie her war geringer geworden … Düsterblickend stand Graf Sarzana … Sein Auge hatte eine Macht, vor dem sie das noch so schwache ihrige niederschlug … Sie hörte Ausbrüche des Erstaunens … Wer hätte sich auch denken können, daß an einem so lebhaften Abend, unter so vielen Tausenden von Menschen Räuber es wagen würden, ihren gewöhnlichen Anschlag – Gefangennehmung von Personen, die sich durch Lösegeld loskaufen mußten –[82] in Ausführung zu bringen … Die Räuber waren unter dem dichten Weinlaubdach hinweggeschlichen, hatten sich der einsamsten Stelle des Gartens genähert und würden ihren Raub wenigstens mit Lucinden ausgeführt haben, wenn nicht die beiden Mönche, freilich auch ihrerseits in unerklärlicher Absicht, den gleichen Weg genommen und so ihr die Freiheit erhalten hätten … Der Mönch mit dem Todtenkopf entriß einem der Banditen ein Pistol und schoß es auf die gewaltige Gestalt ab, die Lucinden schon davontrug … Ihn selbst hatte dann ein leichter Messerstich verwundet … Der jüngere Mönch aber, Pater Sebastus, war lebensgefährlich von einem Stilet verwundet worden … Lucinde blieb unversehrt … Sogar der Brief an Bonaventura war nicht aus ihrer Brust geglitten …

Das gehört zu Italien! sprach eine Stimme … Kommen Sie, wenn Sie können – Ihr Wagen wartet schon … Die Fürstin ist schon lange fort … Graf, Sie begleiten doch die Signora – …

Lucinde sah die Herzogin von Amarillas nicht … Sie hörte aus diesen Worten nur: Diese Signora – die die Tochter eines Schulmeisters vom Lande, eine Abenteurerin ist – die ehemalige Braut des einen dieser Mönche – die Genossin des andern bei gewissen, unenthüllbaren, heimlichen Dingen! – Lassen Sie lieber dies Geschöpf! …

Durch die geöffneten Fenster schimmerten die Sterne … Hätte sich allerdings Lucinde je einen solchen mit Klingsohr noch zu erlebenden Abend träumen lassen können, als sie in ihrem Pavillon auf Schloß Neuhof[83] unter den Ulmen wohnte und H. Heine's Liederbuch las, das ihr Klingsohr geschenkt … Klingsohr – um ihretwillen jetzt vielleicht todt! …

Der Graf erbot sich voll Zuvorkommenheit zur Begleitung … Die Mönche bleiben hier; sagte er … Der eine ist zu schwer verwundet, der andere leichter … Aber Pater Vincente bewacht und pflegt sie beide … Auch ist schon ein Arzt bei ihnen … Sie liegen drüben beim Haushofmeister … Die Villa bleibt die Nacht über bewacht … Der Bargello läßt zehn Mann Wache zurück … Sie werden, denk' ich, ausreichen …

In der That war nun auch alles schon zerstoben und verflogen … Der alte Fürst Rucca war so rasch entflohen, als wenn er sich wirklich an der adriatischen Küste befunden hätte …

Von dem getödteten Räuber versicherte man, es wäre der berüchtigte Pasquale Grizzifalcone selbst gewesen … Cardinal Ceccone hatte sich nach dieser Recognition sofort von Lucindens Ohnmacht losgerissen, war in den Garten geeilt, wo die Leiche lag, und hatte sich jeden Gegenstand verabfolgen lassen, der sich in den Taschen des Gefallenen vorfand … Dann war er eilends in seine glänzende Carrosse gestiegen und mit seinen beiden »Caudatarien« (Schleppträgern) in seine Wohnung gefahren, die mit der Sr. Heiligkeit unter einem Dache lag, nach dem Vatican …

Graf Sarzana lächelte spöttisch bei diesem Bericht und bot Lucinden den Arm … Sie schwankte … Tief erschöpft schritt sie an den Wagen …

Beide fuhren nach dem Palazzo Rucca am Pasquino.

1

Cardinal Wisemann's »Erinnerungen«.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 8, Leipzig 1860, S. 46-84.
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