5.

[142] In dieser »Stadt der Wunder« bewohnte die Herzogin von Amarillas einen dem Cardinal gehörenden, äußerlich dunkeln und ganz unansehnlichen Palast in einer der den Corso durchschneidenden Straßen zwischen Piazza Sciarra und der Gegend um Fontana Trevi …

Mit seiner verschwärzten Außenseite stand aber das heitere und bequeme Innere in Widerspruch …

War der Thorweg geöffnet, so sah man wol erst einen kleinen düstern Hof, umgeben von einem hier und da von Marmorkaryatiden geschmückten viereckten Arcadengang von Travertingestein, sah in der Mitte ein kleines blumengeschmücktes Bassin, das ein wasserspritzender Triton aus Bronze dürftig belebte, sah Remise und Stallung kaum von den Arcaden bedeckt; aber die hinteren Fenster des einen Flügels gingen in einen hier ungeahnten kleinen Hausgarten von Rosen, Myrten und Orangen hinaus. Sie hatten ein volles, schönes Licht und gewährten im geräuschvollsten Theil der Stadt ein friedlich beschauliches Daheim. Zudem war in der Einrichtung dieser hohen und geräumigen Zimmer nichts[143] gespart. Es war eine Wohnung, die verlassen zu müssen Schmerz verursachen durfte …

Und doch konnte die Herzogin dies Ende voraussehen … Der Cardinal behauptete seit einiger Zeit, ihre Augen nicht mehr ertragen zu können. Was Olympia von ihm gesagt, das sagte er von der Herzogin … Ihre Augen hätten für ihn die Wirkung des »Malocchio« … Der Italiener hat vor dem »bösen Blick« eine selbst von Aufgeklärten nicht überwundene Furcht …

Diese üble Wirkung ihrer Augen, von der sie hörte, erläuterte die Herzogin nur aus Ceccone's Gewissen. Wol müssen meine Augen einen giftigen Eindruck auf ihn machen, sagte sie ihrem alten Diener Marco, der schon früher im Unglück bei ihr gewesen und nur des Alters wegen nicht damals mit nach Wien gefolgt war … Meine Augen nennen ihn undankbar …

Keineswegs wollte die Herzogin sagen, daß der »böse Blick« eine Fabel ist. Als echte Italienerin glaubte auch sie an Menschen, die »Jettatore« heißen. Diese können Krankheit und Tod »anblicken« … Sie hatte ihre alte Freundin und Gesellschafterin Marietta Zurboni schon lange begraben, aber die Fabel- und Traumbücher derselben waren ihr und dem alten Marco geblieben … Konnte sie doch zittern vor Angst, als eines Tages Olympia, die ebenso dachte wie sie, sagte: »Seh' ich im Leben diesen Signore d'Asselyno wieder und er verräth, daß ich Wahnwitzige ihm in zwei Tagen meine ganze Seele zum Geschenk gegeben, so laß' ich die Erde aus der Stelle ausschneiden, die sein Fuß berührte, und hänge sie – in den Schornstein! …« Um Jesu willen! hatte[144] die Herzogin erwidert, du wirst solche Sünden unterlassen! … Sie wußte, daß ein solcher Zauber einen Abwesenden langsam zum Tod dahinsiechen läßt …

Olympia war nach dem ersten Rausch der Flitterwochen und den vorauszusehenden Zankscenen mit ihren Schwiegerältern ins Sabinergebirg gezogen … Dort und im Albanergebirg besaßen die Ruccas und Ceccone prächtige Villen … Der welt- und menschenkluge Cardinal hatte zur Zähmung des wilden Charakters der jungen Fürstin angerathen, sie zu beschäftigen … Er hatte (schon von der ihm immer vertrauter werdenden Lucinde) einige anonyme Briefe an sie schreiben lassen, in denen von Unterschleifen in der Verwaltung dieser Güter die Rede war … Das wurde dann ein Feld für die erste unruhige Thatenlust der jungen Ehefrau … Einige Wochen hindurch, vielleicht einige Monate konnte man Hoffnung hegen, daß sie sich auf diese Art in ihrer neuen Stellung als Fürstin und Gattin gefallen würde … Bis dahin hatte sie ohne Zweifel mit den Aeltern vollständig gebrochen, hatte das Personal in der Rucca'schen Verwaltung umgewandelt, hatte soviel Scenen des Zanks, soviel angedrohte Dolchstöße, auch Fußfälle und Handküsse erlebt, daß sie vollauf damit beschäftigt war … Lucinde und der Cardinal stimmten ganz in dem Serlo'schen Wort überein: »Die Seele des Menschen will gefüttert werden, wie der Magen« …

Die Herzogin erzürnte den Cardinal immer mehr durch ihre Festigkeit, Lucinden als Mitbewohnerin ihrer Behausung abzulehnen … Lucindens neuliches Wort von ihrem »Briefwechsel mit Benno« war beim Begegnen[145] nicht wiederholt worden … Der Schrecken über den gleichzeitigen Ueberfall durch die Räuber konnte ein Misverständniß veranlaßt haben … Das sagte sie sich zu ihrer Beruhigung … Die »Abenteurerin«, wie sie in der That Benno mehrmals genannt hatte, wurde auch auf Villa Torresani, einem Erbgut der alten Fürstin Rucca, wo die junge Fürstin wohnte, abgelehnt … Lucinde wohnte mit der alten Fürstin beim Wasserfall von Tivoli, in einer andern Rucca'schen Villa, Villa Tibur … Niemand kam nun noch zur Herzogin, da der Cardinal nicht kam … Seltener und seltener kam sie auch selbst aus ihrem Palast heraus, in dem es gespenstisch öde und einsam wurde … Wie mußte sie bereuen, ein Wesen von so gefährlicher Schmiegsamkeit in die Kreise ihres bisherigen Einflusses gezogen zu haben! … Lucinde wurde immer mehr die Seele in dem alten und dem jungen Rucca'schen Kreise … Und wenn sie sich geirrt hätte! Wenn Lucinde wirklich von einem Briefwechsel zwischen ihr und Benno gesprochen! … Dann fehlte nur noch das eine Wort: Benno von Asselyn ist ja dein Sohn! und ihre Niederlage war entschieden … Olympia würde, erfuhr sie das von Lucinden, gesagt haben: Nun versteh' ich alles! Du, du warst es, die den Angebeteten von mir entfernt gehalten hat …

Daß den Cardinal, von dem sich die junge Fürstin nicht minder wie von ihr zu befreien suchte, eine Leidenschaft für die fremde Abenteurerin ergriffen hatte, wurde immer mehr ein öffentliches Geheimniß … Und bei alledem konnte niemand die Huldigung des Grafen Sarzana begreifen … Hätte es sich um eine Scheinehe gehandelt, die die Schulden eines leichtsinnigen Cavaliers[146] decken sollte, so würde man in Rom, in der Stadt der Heiligung des Priestercölibats, dies Benehmen Don Agostino's begriffen haben; denn diese Arrangements kamen hier zu oft vor, um aufzufallen – wenn auch die Contracte nicht in die Archive der Curie niedergelegt wurden … Don Agostino war aber keiner der Leichtsinnigsten unter den »Achtzig« … Da er Kenntnisse besaß und sie zu vermehren liebte, galt er seinen Kameraden für einen Pedanten … Die Wartung seiner Uniform, seines Pferdes, noch mehr seiner kleinen Häuslichkeit war bis in die minutiösesten Dinge sauber und zierlich … Seine Familie war verwildert, das wußten alle, die Umstände hatten die Creaturen geistlicher Würdenträger aus ihr gemacht, deren Unregelmäßigkeiten sie decken mußte … Graf Sarzana würde die Hand keiner Dame auch nur zweiten oder dritten Ranges in Rom haben ansprechen können … Aber eine Geliebte des Cardinals zu nehmen zwang ihn nichts … Noch weniger begriff man seine Leidenschaft, wenn sie eine aufrichtige war. Lucinde konnte die Capricen des ermüdeten Alters reizen, sie konnte die Vorstellung einer Vernunftehe durch eine darum noch nicht ausgeschlossene Möglichkeit jugendlicher Reminiscenzen mildern; was war sie aber einem jungen, noch in Lebensfrische befindlichen Krieger? … Sie besaß freilich Geist, Belesenheit, Koketterie … Fesselte ihn das? … Seine Kameraden pflegten ihn mit seinem Einsiedlerleben, das der Lectüre gewidmet war, zu necken und sein wärmster Freund sogar, der Herzog von Pumpeo, hatte ihm den Beinamen des »Küsters vom Regiment« gegeben …[147]

Bei alledem ließ es sich immer mehr dazu an, daß die Herzogin den Palast würde zu verlassen und – dem jungen Ehepaar Sarzana einzuräumen haben …

Ihrem Julio Cäsare schrieb die Mutter von allen diesen ihren Leiden und Befürchtungen nichts – nichts von den Gefahren, die ihr durch Lucinden drohten … Einestheils wollte sie Benno's bei solcher Mittheilung leicht vorauszusehende Absicht ihr zu helfen nicht früher hervorrufen, als nöthig war; anderntheils vermochte es ihr Stolz nicht, Befürchtungen auszusprechen, die sie mit dem größten Zorn erfüllten, so oft sie nur an sie dachte … Benno hatte ihr die Versicherung gegeben, daß der einzige Vertraute ihres Briefwechsels nur Bonaventura war …

Die Herzogin lag eines Morgens noch in ihren Hauskleidern auf einer Ottomane und blätterte in den französischen Zeitungen, die in Rom verboten sind, vom Cardinal aber gehalten und nach alter Gewohnheit, wenn sie benutzt waren, noch an sie abgeliefert wurden …

Sie las um so lieber in ihnen, als die einheimischen Blätter fast von nichts als von Festen und großen Ceremonieen berichteten, zu denen sie nicht mehr geladen wurde … Auch bei einem großen Ereigniß, das vier Wochen nach Olympiens Hochzeit statthatte, bei der wirklich erfolgten Einkleidung des Paters Vincente – zum Cardinal hatte sie gefehlt … Sie hatte gefehlt bei einem Fest, das wiederum Rom in Bewegung setzte … Bei einem Fest, wo Olympia und Lucinde die üblichen Honneurs des ersten Cardinalempfanges machten … Bei einem Feste, das eine Woche dauerte und alle[148] Zeitungen erfüllte … Der neue Cardinal Vincente Ambrosi fand sich voll Demuth, aber ganz gewandt in seine neue Würde …

Unmuthig warf die Herzogin die einheimischen Blätter fort; wieder auch war im Gebirg eine große Kirchenfestlichkeit gewesen, bei der die junge Fürstin Rucca als erster Stern am Himmel der Gnade und Wohlthätigkeit geglänzt haben sollte …

Schon ergriff sie die Feder und wollte dem Cardinal schreiben, sie bedürfte Unterhaltung … Sie bäte, wollte sie sich in ihrer Bitterkeit ausdrücken, um einige Einlaßkarten für den Tag, wo die Räuber guillotinirt werden würden, deren man als Complicen Grizzifalcone's allmählich viele aufgegriffen hatte – Die Mission des Bruders Hubertus war ihr durch die vorläufig erfolgte Befreiung des Bischofs von Macerata bekannt geworden … Sie wollte ihrem Schreiben hinzufügen, der Cardinal vergäße seine Weine, die in ihrem Keller lagerten; es waren unversteuerte … Sie grübelte Ceccone's Intriguen nach … Benno's letzter Brief lag vor ihr, in dem dieser auf Anlaß des von Lucinden an Bonaventura eingesandten Briefs der beiden deutschen Flüchtlinge und eines inhaltreichen Couverts, das sie hinzugefügt, geschrieben: »O fände sich doch dieser Wanderer nach Loretto! Wäre es der, den mein Freund seit fast dreiviertel Jahren sucht! Er wird es nicht sein … Die Dominicaner haben ihre anderen Gefangenen herausgeben müssen – diesen schickten sie nach Rom, wo ihre Gefängnisse unzugänglicher sind, als hier … Ceccone verweigerte bisjetzt[149] die Genehmigung, die Kerker des heiligen Officiums untersuchen und den Dominicanern einen Beweis von Mistrauen geben zu lassen … Fra Federigo schmachtet in ihren Händen wie Galiläi, Bruno, Pignata und so viele andere Opfer der Unduldsamkeit!« … Daß schreckenvolle Dinge in Rom möglich waren, wußte die Herzogin … Sie wußte, daß Ceccone mit dem Meisten, was er that, eine andere Absicht verband, als die man voraussetzte … Zwischen dem alten Rucca und dem Cardinal war es zu einer andauernden Spannung gekommen, seitdem Hubertus zwar durch eine List den Bischof ans Tageslicht gebracht hatte, aber von einer Entdeckung des Pilgers nichts hören und sehen ließ, ja seit einiger Zeit von sich selbst nichts mehr … Schon war das Gerücht verbreitet, daß die Carabinieri der Grenzwache vorgezogen hätten, statt den römischen Abgesandten in seinen Bemühungen zu unterstützen, ihn – todt zu schlagen …

Sie sah überall Gewalt und Intrigue … Sie kannte Ceccone's Ansichten über die Zeit und die Menschen … Menschenleben kümmerte ihn wenig, wo durchgreifende Zwecke auf dem Spiele standen … Durch einen der Verwandten Sarzana's, eine der von ihm beförderten Creaturen, hatte Ceccone alle Häfen auch der Nordküste in seiner Obhut … Wer konnte wissen, was aus dem Rucca'schen Sendboten geworden war … Jenseits der Apenninen, am Fuß des Monte Sasso, an der Grenze der Abruzzen war jede Controle abgeschnitten … Dorthin hatten sich in der That die letzten Wege des kühnen deutschen Mönches spurlos verloren …[150]

Die Zeitungen waren »mit ihren Lügen«, wie die Herzogin vor sich hin sprach, durchflogen … Es war gegen Mittag … Sie konnte an den Besuch einer Messe denken …

Da bemerkte sie, daß im Hause laut gesprochen wurde …

Sie wollte klingeln … Marco war beim Pantheon auf den Gemüse- und Fleischmarkt, um ein Mittagsessen einzukaufen; die Dienerinnen waren an der Arbeit …

Schon hörte sie Schritte … Schon unterschied sie die Stimme Olympiens … Dann war wieder alles still …

Die Herzogin glaubte sich getäuscht zu haben … Schon öfter war ihr geschehen, daß ihre aufgeregte Phantasie Menschen nicht nur hörte, sondern deutlich vor sich sah, Menschen, die mit ihr sprachen … Sie brauchte nur ihren geheimen Schrank aufzuschließen, brauchte nur Angiolinens blutiges Haar aus einem großen Pastell-Medaillon des Herzogs von Amarillas zu nehmen, dies Haar nur eine Weile vor sich hinzulegen – und sie sah Angiolinen sich langsam an ihren Tisch begeben und hörte sie laut mit ihr sprechen. Benno trat in dieser Art jeden Abend in ihr Zimmer … Sie hatte nach ihm die Sehnsucht einer Braut – eine Sehnsucht voll Eifersucht … Aber kein Madonnenbild mehr konnte sie sehen in dieser madonnenreichen Stadt, ohne voll Zärtlichkeit an Armgart von Hülleshoven zu denken, die ihr Lucinde als ihres Cesare Ideal bezeichnet hatte …

Die Stimmen kamen wieder näher … Diesmal rief wirklich Olympia:[151]

Da nicht! Nein, nein! … Dort geht der Kamin entlang! … Die Hitze ist für ein Bett unerträglich …

Was will – die Mörderin meiner Tochter? fuhr die Herzogin auf … Weiß sie wirklich noch, wo ich wohne? … Will sie wol wieder zu mir ziehen oder was soll – das Bett – von dem sie spricht? …

Man rückte nebenan die Möbel … An einer andern Stelle des Hauses hörte man ein so starkes Hämmern, als sollten Mauern eingeschlagen werden …

Indem öffnete sich die Thür und aus dem Empfangssalon trat die kleine Fürstin, in glänzend outrirter Toilette; Lucinde, nicht minder gewählt gekleidet; die Schwiegermutter, eine noch immer anziehende, jedenfalls gefallsüchtige Frau; Herzog Pumpeo, der für ihren Liebhaber galt; hinter ihnen zwei junge elegante, wohlfrisirte Prälaten; zuletzt auch Graf Sarzana …

Alle schienen überrascht zu sein, die Herzogin zu finden … Sie wollten sogleich, Olympia ausgenommen, wieder zurück … Sie hatten die Herzogin nicht anwesend vermuthet oder thaten wenigstens so … Olympia hielt sie jedoch fest, schritt weiter, achtete nicht im mindesten auf die am Tisch beim Sopha erstaunt Verharrende, sondern rief, das Zimmer durchschreitend:

Hierher würd' ich rathen, von jetzt an das Eßzimmer zu verlegen … Oeffnen wir diesen Balcon, so hat man das beste, was dieser alberne Garten bieten kann, etwas Kühle … Chrysostomo! Wir nehmen hier ein Frühstück! Setzen Sie sich, Lucinde! … Graf, Sie werden hungrig sein! Kommen Sie doch! Wir sind ja, denk' ich, bei uns! …[152]

Mit Widerstreben und in offenbar ungekünstelter Verlegenheit war Graf Sarzana gefolgt, hatte sich stumm der Herzogin, die hier nicht mehr wohnhaft geglaubt wurde, verbeugt und trat in das Balconzimmer zu den übrigen, die unterdrückt kicherten – Lucinde ausgenommen, die von einem der Prälaten geführt wurde und scheu zur Erde blickte …

Die junge Fürstin, die kaum bis zum Thürdrücker, einem schönen bronzenen Greifen-Flügel, reichte, warf zornig die Thür zu …

Im ersten Augenblick hätte die Herzogin ihr nachspringen und sie zerreißen können … Viper, Schlange, Basilisk! zitterte es auf ihren Lippen … Die Worte erstickten … Sie hatte in diesem Augenblick keine andere Waffe, als ein lautes, gellendes Lachen … Hahahaha! schallte es nebenan zur Antwort … Olympia erwiderte in gleichem Tone …

Dabei klirrten Gläser, Messer, Gabeln … Olympia hatte hieher ein Frühstück beordert … Der Mohr Chrysostomo wollte ihr durch eine andre Thür folgen … Schon trug er ein Plateau voll Gläser und silberner Gefäße … Die Herzogin ergriff wenigstens diesen und warf ihn zur Thür hinaus … Dann schloß sie sämmtliche Thüren so hastig, als fürchtete sie, ermordet zu werden …

Nebenan lachte und sprach Olympia mit gellender Stimme fast immer allein … Sie that wie jemand, der hier noch zu Hause war … Demnach wurde die Herzogin, da sie nicht von selbst ging, zum Hause hinausgeworfen … Hatte Olympia vielleicht erfahren, wer[153] Benno war? … Verdankte die Herzogin diese Demüthigung Lucinden? … War diese wirklich in ihr Leben eingedrungen oder woher dieser plötzliche Angriff, diese Scene ohne jede Vorbereitung? …

Die Herzogin besann sich, daß Olympia dergleichen Stücke auch ohne alle Veranlassung auszuführen liebte … Es konnte ein momentaner Einfall sein … Sie hatte sich wahrscheinlich für einige Tage mit ihrer Schwiegermutter ausgesöhnt, hatte von dieser vielleicht eine Anerkennung für einen neuen pariser Kleiderstoff gefunden; daher ein gemeinschaftlicher »Carnevalsspaß« auf Kosten einer Person, »die der Lächerlichkeit zu verfallen« anfing …

Die Herzogin weinte … Sie dachte an die Jahre, die sie an dies Wesen dahingegeben, an die sorgenvollen Stunden, wenn Olympia krank gewesen … Sie hätte, da sie deren Natur entschuldigen und Ceccone dafür verantwortlich machen mußte, diesem an den Hals fahren und ihn erwürgen können … Sogar Lucindens Haß auf sie ließ sie gelten; denn sie hatte abgelehnt, der Deckmantel eines Verhältnisses zum Cardinal zu sein … Aber auch Lucinde wieder versöhnt mit Olympia? … Olympia hatte damals diese Erklärung der Herzogin gebilligt. Die Herzogin hatte geglaubt, von Olympiens Eifersucht auf Lucinden Vortheil ziehen zu können … Nun sah sie das Leben dieser Menschen des Müßiggangs und des Glücks, diese Zerwürfnisse, diese Versöhnungen um nichts … Um irgend ein auf der Villa Torresani gesprochenes Schmeichelwort Lucindens war Olympia im Stande zu sagen: Was ist das nur mit der Herzogin? Ihr Palast soll jetzt bald nur Ihnen und Sarzana gehören![154] Machen wir doch kurzen Proceß! … Oder etwas dem Aehnliches war vorgefallen … Männer waren zugegen, Priester … Graf Sarzana sogar, der sie zwar immer kalt, aber doch höflich behandelt hatte …

Sich aus diesem Zimmer entfernen konnte die Herzogin nicht, da das ganze Haus sich belebt hatte … Von den Köchen der jungen Fürstin war ein Frühstück überbracht worden … Ein Troß von Dienerschaft schien aufgeboten … Dabei arbeitete man im Nebenzimmer zur Linken, klopfte, hämmerte – Es waren Schreiner und Tapezierer … Die Gardinen wurden abgenommen, die Tapeten abgerissen … Das Ganze war eine Unterhaltung des Uebermuths … Wer konnte so schnell hier einziehen wollen? … Die Declaration des Grafen Sarzana war doch wol noch in einiger Entfernung …

Vernichtet sank die mit Gewalt Verjagte auf ihr Kanapee … Ihre Brust hob sich in hörbaren Athemzügen … Sollte sie rufen: Megäre, lade noch deine Mutter zu deinem Gelage, die tolle Nonne drüben aus den Gräbern der »Lebendigbegrabenen«! … Was half das alles! … Sie hatte nicht einmal den Muth, dem alten Marco zu erwidern, der ihr am Schlüsselloch wisperte … Sarzana, Sarzana! sprach sie wiederholt vor sich hin … Auch Er läßt die Mishandlung einer Frau zu und ißt und trinkt und stößt mit dem Teufel in Menschengestalt an! … Sie malte sich das alles wenigstens so aus …

Mit doppelt starker Stimme, damit die Herzogin nebenan nichts davon verlor, rief beim Mahle Olympia und fast immer allein sprechend:[155]

Wie viel Lösegeld würde wol damals Don Pasquale für Sie gefordert haben, Signora Lucinda? …

Wie sagen Sie, Graf? …

Zum Gelde würde es gar nicht gekommen sein? …

Sie hätten sie mit Ihrem Säbel herausgehauen? …

Haha! Ich weiß noch ein anderes Mittel, falls die Herzogin mit gefangen gewesen wäre; ein Mittel, wodurch sie alles in die Flucht geschlagen hätte! … Durch eine ihrer alten Arien …

Schallendes Gelächter …

Gewiß hatte sie auf meiner Hochzeit die Hoffnung, zum Singen aufgefordert zu werden … Darüber vergaß sie den Auftrag meines Mannes, mir die Anwesenheit des Cardinals Ambrosi anzuzeigen …

Jetzt blieb alles still …

Das war der Grund dieses plötzlichen grausamen Einfalls? … Nimmermehr! sagte sich die Herzogin … Oder doch –? … Die Erhebung des Paters Vincente war auffallend genug … Man schrieb sie der Absicht zu, dem neuen Großpönitentiar, Fefelotti, zuvorzukommen, der diesen Mönch zur nächsten Cardinalswahl empfohlen hatte … Ceccone hatte sich rasch des neuen Cardinals selbst bemächtigt … Olympia hatte die Honneurs seiner Ernennung im dazu hergeliehenen Palazzo Rucca gemacht; alle Welt war verliebt in den schönen jungen Cardinal Ambrosi, der wie ein Ganymed, ein David im Purpur aussah; gar nicht unmöglich, daß Olympia ihre erste Untreue als Frau zu einer geistigen machte und wieder in leidenschaftlicher Andacht für einen Priester[156] schwärmte, den sie schon einmal so unglücklich gemacht hatte …

In der That – die Herzogin konnte hören:

Zieht sonst niemand hier ein, den der Onkel lieb hat, so ist das kleine Haus ganz geeignet, von einem so bescheidenen Priester bewohnt zu werden … Ich mache dem Cardinal Ambrosi seine ganze Einrichtung …

Cardinal Ambrosi soll hier wohnen! … Benno's Nachfolger in deinem oberflächlichen Herzen! …

In der That wurde das Gespräch rücksichtsvoller geführt … Die Herzogin verstand nichts mehr …

Herzog Pumpeo machte den Wirth und schenkte ein …

Trinken Sie, Graf Sarzana! rief er … Oder haben Sie noch immer Ihre geringe Meinung über den Champagner, den Sie damals auf unserer Landpartie nach Subiaco – vor drei Jahren – das »Bier der Franzosen« nannten? …

Graf Sarzana, Sie sind überhaupt inconsequent! fiel Olympia ein … Wie konnten Sie je die Deutschen und die Franzosen so hassen! Jetzt lieben Sie – ein deutsches –

Halt, Principessa! unterbrach einer der Prälaten … Wir lieben in diesem Augenblick nichts als die Heiligen … Die Signorina hier kennt alle Gebräuche der Beatification vom Tu es Petrus an bis zur Rede des Advocatus Diaboli …

Wenn nächstens die Seele der Eusebia Recanati heilig gesprochen wird, fiel der andere der Prälaten ein, wer wird da wol die Rolle des Advocaten der Hölle übernehmen? …[157]

Schweigen Sie! Keine Lästerungen, Monsignore! unterbrach Olympia mit energischem Ruf …

Die Herzogin lachte bitter auf und sprach für sich:

Fürchtest du diese »heilige« Eusebia, weil sie dich – an deine Mutter erinnert? … Oder ängstigen dich die Ansprüche, die der Teufel selbst an die Heiligen macht – wie vielmehr an deinesgleichen! …

Graf Sarzana's Stimme, ein voller wohlklingender Baryton, wurde mit den Worten vernehmbar:

Cardinal Ambrosi lebt noch vierzig Jahre … Also erst in 140 Jahren ist es möglich, auf seine Kanonisation anzutragen … Auch bei ihm wird jemand den Auftrag bekommen, geltend zu machen, welche Rechte auf ihn der Teufel hat … Abbate Predari! … Gesetzt, Sie bekämen diese Aufgabe! Wie würden Sie Ihr Thema anfassen? … Halten Sie eine Rede gegen den Cardinal zum Besten der Hölle! … Vergessen Sie dabei nicht diesen schönen Palast! …

Und die nichtswürdige Art, wie er eingeweiht wurde! ergänzte die Herzogin …

Und die zerbrochenen Beine, als die Tribüne einstürzte, auf der die Menschen bei seiner ersten Messe im Sanct-Peter standen! … bemerkte die alte Fürstin …

Die schlechten Plätze, die gewöhnlich der römische Adel bekommt! ergänzte der zweite der Prälaten, ein jüngerer Chigi …

Lassen Sie mich! rief sich räuspernd Abbate Predari … Die Rede halte ich! … Ich kann von Ambrosi's erster Jugend anfangen, von seinen ersten Ketzereien bei den Waldensern … Ich war sein Schulkamerad in Robillante …[158]

Dann wird nur zu sehr die Stimme des Neides aus Ihnen sprechen! unterbrach ihn Olympia, die befürchten mußte, in dieser Rede selbst eine Rolle zu spielen … Genug! Genug! unterbrach sie aufs neue die Ermunterungen zu einer Rede, die durchaus Abbate Predari halten wollte … Gewiß würde er sie nicht so gewandt haben, als Advocat des Teufels zu sagen: Siehe, ich sandte dir einst eine meiner Botinnen in den Beichtstuhl! … Olympia wollte aber nichts von allen diesen »Blasphemieen« hören und erklärte, jetzt denjenigen strafen zu wollen, der dies Thema aufgebracht hätte, den Grafen Sarzana – …

Wissen Sie, Lucinde, wandte sie sich zu dieser, daß ich früher eine Neigung für den Grafen hatte? … Ich will es Ihnen nur gestehen! … In meiner kurzen Geschichte mit Don Pallante, die Sie kennen, machte dieser Herr da den Vermittler und die Vermittler wissen oft die Thränen so gut zu trocknen, daß sie selbst an die Stelle der Ungetreuen treten … Ich liebte Don Agostino, den Boten Pallante's – aber beruhigen Sie sich! – nur drei Tage lang … O mir war er zu gelehrt, zu pedantisch, zu spöttisch, zu eingebildet – er las zu viel … Viel lesen, das beweist, daß man wenig eigenen Geist hat … Graf! Ich rathe Ihnen, sich bei der Entzifferung der Obelisken und Pyramiden anstellen zu lassen … Wenn Sie nicht im nächsten Carneval tanzen, geb' ich Sie zu unsern gelehrten Eminenzen oben am Braccio nuovo im Vatican in die Lehre, zu Angelo Mai und Giuseppe Mezzofanti! …

Die Männer lachten dieser Spöttereien … Die[159] Schwiegermutter rief sogar: Auf das Wohl des Küsters vom Regimente! … Ihr Herzog Pumpeo hatte diesen Witz gemacht … Pumpeo bat um Frieden und brachte das Wohl aller schönen Spötterinnen aus, denen sein Freund bereits vergeben hätte …

Die Empfindungen der völlig ignorirten Herzogin, die zuletzt nur noch das Klappern der Schüsseln und Klingen der Gläser und ein Durcheinander von Witzen und Anekdoten, in denen Pumpeo und die beiden Prälaten excellirten, hörte, lösten sich wieder in Thränen auf … Nur die Stille des präsumtiven Sarzana'schen Ehepaars versöhnte sie …

Als das Frühstück beendet, die Gesellschaft entfernt, die Dienerschaft mit den Resten der Mahlzeit gefolgt war, nahm die Herzogin die Unschuldsbetheuerungen der ihr noch gebliebenen Dienerschaft entgegen, vor allen die Versicherungen des fast weinend eintretenden alten Marco, und suchte noch am selbigen Tage eine andere Wohnung. Sie wollte zu einem Miethbureau und dann in der Runde zur Besichtigung von Wohnungen fahren …

Als sie den Wagen bestellt hatte, erfuhr sie, daß auch Wagen und Pferde auf Befehl der jungen Fürstin Rucca fortgeführt wären …

Auf diese Nachricht sank sie in Ohnmacht … Der »Intendente« des Hauses, der bisher alles für sie bezahlt hatte, zuckte die Achseln; es war ein von Ceccone eingesetzter Koch … Er gestand, daß er schon lange vom Cardinal nur mit Widerstreben die Zahlungen für die Bedürfnisse des Hauses erhalten hatte, packte dann seine Sachen und zog nach Villa Torresani ins Gebirge, wo es[160] hoch und herrlich herging … Die Erklärung hinterließ er, daß sich hier wahrscheinlich das ganze Hauswesen zur Bedienung des Cardinals Ambrosi neugestalten würde …

Marco machte Vorschläge von Wohnungen, die der Bedachtsame schon lange für diesen voraussichtlichen Fall in Augenschein genommen … Noch an demselben Abend und bis in die Mitternacht zog die Herzogin um … Sie nahm ein Stockwerk von mehreren gesund gelegenen und schön möblirten Zimmern auf der Höhe des Monte Pincio … Die dortigen luftreinern Straßen konnte sie als Vorwand der Veränderung nehmen … Um sich nicht als zu tief gefallen darzustellen, setzte sie alle ihre Ersparnisse daran …

Zu alledem läuteten nun die Glocken der dreihundertfünfundsechzig Kirchen Roms – brausten die Orgeln – schmetterte die Janitscharenmusik der Hochämter – wandelten unter Pfauenfederwedeln und Baldachinen die wohlgenährten Pairs der Kirche – rannten die Engländer nach den Katakomben und convertirten – schwärmten die Deutschen von den Bildern des Fiesole – knieten die Franzosen in Trinita di Monti drüben und küßten die Hände einer Gräfin-Aebtissin der hier eingepfarrten »Soeurs grises« aus den ersten Geschlechtern Frankreichs … Rom spielt seine äußere heilige Rolle mit Glanz … Wer kennt das Innere …! …

An Benno schrieb die vernichtete Frau auch noch jetzt nicht alles, was ihr begegnet war … Sie erschien sich zu tief gedemüthigt … Zu lange Jahre hatte sie auch die den Umgang verscheuchende und die Menschen vereinsamende Wirkung des Unglücks kennen gelernt …[161] Dann beredete sie sich, sie wollte lieber erst die Antwort auf einen Brief an Ceccone abwarten, in dem sie von ihren Empfindungen nichts zurückgehalten hatte … Schließlich hatte Benno selbst seit Wochen nicht geschrieben … Sie fing für die Sicherheit ihres Briefwechsels immer mehr zu fürchten an …

Am vierten oder fünften Tage weckte sie aus einem Zustand der Erstarrung, den das fortgesetzte Nichteintreffen eines Lebenszeichens von Benno mehrte, der erste Besuch, den sie in ihrer neuen Wohnung empfing …

Eine glänzende Equipage stand am Hause … Sie kam aus Villa Tibur und brachte Lucinden …

Mit kalter Ruhe und Sammlung führte sich diese bei ihr mit den Worten ein, der Cardinal hätte sie beauftragt, der Herzogin einen Jahrgehalt anzubieten, den er ihr mit Dank für die geleisteten Dienste ausgesetzt hätte … Er bedauerte, fügte sie hinzu, den Einfall der jungen Fürstin, an dem er schuldlos wäre – wie wir alle – sagte sie … Olympia schwärme für den Cardinal Ambrosi und – wollte wol auch alle diejenigen strafen, die dem Bischof von Robillante den Ruf des ersten Priesters der Christenheit gegeben hätten – setzte sie lächelnd hinzu … Cardinal Ceccone, schloß sie, würde selbst gekommen sein – …

Wenn er nicht meine bösen Augen fürchtete! unterbrach die Herzogin und in der That konnte ihr Blick den Tod androhen … Der ausgesetzte Jahrgehalt reichte kaum für die Wohnung und die für Italiens Sitten so nothwendige Equipage aus …

Lucinde zuckte die Achseln …

Zu allzu vielen Erörterungen schien sie nicht aufgelegt …[162] Sie hatte Eile, käme überhaupt selten in die Stadt – ihr ganzes Wesen war voll Unruhe, gemachter Vornehmheit, Uebermuth …

Unter andern war sie eben bei Klingsohr gewesen …

Sie kam von Santa-Maria, dem Mutterkloster der Franciscaner …

Dort hatte sie den glücklich geheilten und zu Gunst und Gnaden angenommenen Pater Sebastus am Sprachgitter gesprochen …

Sie hatte ernste Dinge mit dem vor Schwäche noch an den Händen Zitternden, aber in ihrem Anblick Ueberglücklichen verhandelt …

Nach dem, was sie schon von Hubertus, als dieser von ihr Abschied genommen, über die zweite Gemahlin des Kronsyndikus in Palazzo Rucca erfahren, ließen die jetzt endlich möglichen Mittheilungen Klingsohr's keinen Zweifel, daß diese zweite Gemahlin allerdings eine ehemalige kasseler Sängerin Fulvia Maldachini, dann also die – Herzogin von Amarillas gewesen sein mußte … In dem lateinischen Bekenntniß Leo Perl's hatten die Namen gefehlt und auch noch jetzt bei Verständigung mit Klingsohr hütete sie sich, die Fingerzeige allzu grell zu geben … Sie mußte dann auch den kaum Genesenen schonen … Gab ihm das Wiedersehen einen erhöhten Ausdruck der Spannung und Kraft, so forderte sein todblasses Aussehen, seine gekrümmte Haltung, die der eines Greises glich, zur Schonung auf … Von Benno sprach sie zu Klingsohr nicht, da auch Hubertus nichts von Kindern dieser zweiten Ehe gewußt hatte … Noch war sie schreckhaft erregt von Klingsohr's[163] Hosiannah des Dankes für ihren Beistand, vom Triumphgesang seiner Hoffnungen für eine neue Zukunft in Rom, wo »selbst der Tod mit leichterer Hand abgewehrt würde, als anderswo« … Er hatte ihre ihm durchs Sprachgitter dargereichte Hand krampfhaft festgehalten und sie mit Versen begrüßt, die schon bereit gehalten schienen, wenn er sie wiedersehen würde … Er gab Minerva, die Weisheit, Maria, den Glauben, hin – Sie, sie, die Botin Aphrodite's, gäb' ihm allein die volle Lebenskraft …


Pallas Athene! Wär' ich immer

Gefolgt nur Deinem Schild und Speer –

Ich wäre längst ein Abendschimmer,

Begraben in dem ew'gen Meer!


Was zog mich denn mit Zauberbanden

Hinauf zu Schnee und Alpenhöhn?

Was ließ in fernen, heil'gen Landen

Mich Ziele noch und Wünsche sehn?


Todmatt und krank, gedörrt die Lunge –

Nahst Du dem Auge kaum, dem Ohr,

Raff' ich mich schon mit Löwensprunge

Ein Held zu neuer That empor …


Was komme jetzt? Nur Du gebiete!

Zum Frühling wird des Kerkers Haft!

Maria –? Pallas –? Aphrodite,

Du bist die Lebens- – Liebeskraft!


Sie sagte dem Wahnbethörten, fieberhaft Blickenden, von Reflexionen Umgewirbelten lächelnd, daß ihn der Cardinal bei der Congregazione del' Indice für die Beaufsichtigung deutscher Kunst und Wissenschaft verwenden[164] wollte1 ... Von Hubertus wußte man auch in Santa-Maria noch nichts … Klingsohr versicherte, die Entschlossenheit seines tapfern Freundes würde sich in jeder Lage zu helfen wissen …

Sie wohnen hier sehr hübsch? … fuhr Lucinde, sich im Empfangzimmer der Herzogin umsehend und von ihrer Erschöpfung durch die empfangenen Eindrücke sammelnd, fort …

Hundert Fuß vom Erdendunst entfernter, als an Piazza Sciarra … lautete die Antwort …

Lucinde drückte der Herzogin wiederholt ihr Bedauern über die neuliche Scene mit Olympien aus und versicherte, ihrerseits angenommen zu haben, daß die Herzogin bereits ausgezogen wäre …

Der Cardinal hatte, denk' ich, die Absicht, dies Palais – Ihnen als Aussteuer anzubieten? sagte die Herzogin …

Immer hörte Lucinde von dieser Frau nur gewisse höhnische Betonungen … Immer nur gewisse Zweifel der Ironie …

Graf Sarzana wird den Dienst bei Seiner Heiligkeit nicht aufgeben? fuhr die Herzogin fort … Sie hoffen ein stilles und glückliches Leben führen zu können? … Vergessen Sie nicht, wenn der Cardinal Ambrosi die Wohnung zu beziehen ausschlagen sollte, einige Verbesserungen – des Küchenherdes im Palais vorzunehmen … Sonst ist alles gut im Stande … Schwach sind die Frauen wahrlich nicht, wenn sie ihre Empfindungen aussprechen … Lucinde kannte auch[165] darauf hin ihre Mitschwestern … Aber der »Küchenherd« schien ihr denn doch eine Anspielung geradezu auf die Zeit, wo sie eine Magd war …

Sie sehen mehr, als ich, Hoheit! sagte sie, sich ergrimmt auf die Lippen beißend …

Sind die Verhältnisse noch nicht so weit? … fuhr die Herzogin fort …

Die Verhältnisse! … Welche Verhältnisse? … Eure Hoheit haben mich in diese Verhältnisse empfohlen …

Sie sind auch dankbar dafür … lächelte die Herzogin ironisch …

Sie aber sind nicht großmüthig, Hoheit! sagte Lucinde. Ich höre, daß Sie diese mögliche Zukunft zu verhindern suchen und mich nickt für würdig halten, eine Gräfin zu werden. Ich bin allerdings keine geborene Marchesina von Montalto, wie Sie! Ich bin eine einfache deutsche Bäuerin – das ist wahr! Oder hat man Ihnen aus Robillante anders geschrieben? …

Aus Robillante –? Mir? … So hört' ich – also neulich am Hochzeitstage – doch recht? … Wie kommen – Sie denn – …

Sie stehen im Briefwechsel mit Robillante … unterbrach Lucinde schnell und entschieden …

Mit – Ihrem Bischof –? … entgegnete die Herzogin, noch mit einer gewagten Sicherheit, aber schon erzitternd …

Mit Ihrem Sohne Benno von Wittekind-Neuhof, mein' ich … warf Lucinde wie einen den Sieg verbürgenden Trumpf aus …

Die Herzogin wollte erst auflachen … Dann deutete[166] sie auf Lucindens Stirn, als wenn ihr Verstand nicht in Ordnung wäre …

Lucinde erhielt sich in unbeweglicher Ruhe und wiederholte langsam, was sie soeben gesprochen hatte …

Die Herzogin ergriff Lucindens Arm, starrte sie mit aufgerissenen Augen an und schwankte an die Thüren, um wenigstens diese fester anzuziehen …

Sie litt nicht für sich – was hatte sie zu fürchten! … Sie litt für Benno, der seines zweideutigen Ursprungs nicht froh zu werden schien …

Sie – sind – wirklich – ein Teufel! … hauchte sie, sich halb ohnmächtig niedersetzend …

An diesem »Wirklich«, sagte Lucinde, erkenn' ich die mich betreffenden Stellen Ihres Briefwechsels … Jenseits der Alpen ist man noch immer nicht im Reinen, für welchen Ofen der Dante'schen Hölle ich passe … Aber Ihr Sohn ignorirte mich doch mit einer gewissen mitleidigen Toleranz … Ein vortrefflicher Mensch, nur mit dem Einen Fehler, daß er zu den Männern gehört, die Verstand bei Frauen für Anmaßung halten …

Eine lange Pause des Triumphes trat ein … Die Herzogin raffte sich allmählich empor und suchte, um Luft zu schöpfen, das Fenster …

Ich spreche eine Vermuthung aus, die ich beweisen kann! … fuhr Lucinde ihr nachblickend fort … Leo Perl hieß der Geistliche, der Sie traute … Ein Jude war es und es geschah auf dem Schloß Altenkirchen … Ich kenne viele Folgen dieses abscheulichen Betruges, arme Frau! … Benno von Asselyn ist die beste davon …[167] Ein trefflicher Mensch, sagt' ich, ob er gleich dem Kronsyndikus ähnelt und – Ihnen … Madame, Sie wissen, daß ich nur wenig Freunde im Leben gefunden habe … Lassen Sie mir die, die ich hier gewinne … Ich verspreche Ihnen, Sie werden von mir unbehelligt bleiben … Ich weiß vom Cardinal, daß hier nur die Jesuiten und der General der Franciscaner Ihr vergangenes Leben kennen, Olympia im Allgemeinen … Arme Frau! Aber da die erste Hochzeit falsch war, konnte man Sie nicht der Bigamie anschuldigen, was Ihre und Ceccone's Feinde thun wollten … Sie wurden glorreich gerechtfertigt … Ihr Geheimniß dann mit Benno – das weiß niemand außer mir … Ich werde es zu bewahren wissen, nur – bitt' ich von jetzt an und befehl' es Ihnen, lächeln Sie nicht mehr, wenn mein Name genannt wird – genannt, ob nun in Verbindung mit dem Cardinal oder mit dem Grafen … Lassen Sie sich von Ihrem Sohn nichts über mich erzählen, was Sie veranlassen könnte, etwaigen Hoffnungen, die ich habe, welche es auch sein mögen, schaden zu wollen … Das ist es, was ich Ihnen schon am Hochzeitsfest zu sagen hatte und nur verschob, weil die Räuber uns hinderten und wir im Gebirge kaum zur Besinnung kommen … Noch Eins und in aller Aufrichtigkeit … Erneuern Sie die Warnungen für den Bischof von Robillante! … Schreiben Sie Ihrem Sohn davon! … Man erwartet Fefelotti … Dieser bringt die Einleitung eines Processes auf Absetzung des Bischofs … Das wäre entsetzlich, wenn sich Bischof Bonaventura um eine ketzerische Persönlichkeit so fortreißen, von Gräfin Erdmuthe auf[168] Castellungo so bestimmen ließe … Der Cardinal meinte es aufrichtig, als wir den Pilger zu entdecken suchten … Es ist nicht seine Schuld, daß Hubertus so räthselhaft an der Grenze der Abruzzen verschwunden ist … Hören Sie aus alledem, daß ich der Meinung bin: Wir sind Freunde, Verbundene, Herzogin! … Waffenstillstand, Friede zwischen uns! … Kein Wort an Olympien! Nimmermehr! Verlassen Sie sich auf mich! Das versprech' ich Ihnen … Aber jetzt muß ich auf Villa Tibur zurück … Der Weg ist weit … Achthundert Scudi nur, Herzogin; ich find' es erbärmlich! … Aber – was kann ich thun! … Sagen Sie das Ihrem Sohne – Benno … Sie sind glücklich, einen solchen Sohn zu besitzen! … Wo fanden Sie ihn? Wie erkannten Sie sich? … Sie haben recht; für die Fürstin war er zu gut … Nie, nie darf sie davon erfahren … Ihre Rache würde keine Grenzen kennen … Regen wir uns nicht auf! … Sie kennen jetzt meine Wünsche – meine Befehle! … Auf Wiedersehn! …

Lucinde war verschwunden, wie sie gekommen … Sie hatte, um die Bedienung in Bereitschaft zu halten, selbst geklingelt …

Die Herzogin blieb zurück, erstarrt – gebunden an Händen und Füßen … Sie fühlte ganz die Wirkung, die Lucinde beabsichtigt hatte … Mußte sie »diese Schlange an ihrem Busen erwärmt« – sie selbst nach Rom geführt haben! … Unter diesem Damoklesschwert sollte sie nun leben! … Was thun? Was um Benno's willen unterlassen? … Ihre Correspondenz[169] schien ihr nicht mehr sicher, trotz der Adressen, die an die geringsten Leute hier und in Robillante gingen … Diese Sprache, diese kurze Eröffnung, diese Schonungslosigkeit! … Benno ihr Sohn! … Von Angiolinen, der Lucinde selbst so ähnelte, hatte sie geschwiegen … Wußte sie nichts von ihr? … Sie wußte genug, um sie in ewige Fesseln zu werfen …

Alles das mußte die vereinsamte Frau nun in sich selbst verwinden … Trotz des Vorwands mit der »bessern Luft des Monte Pincio« verließen sie alle ihre Bekannte … Sie hatte ohnehin nie die erste Rolle spielen dürfen, solange sie mit Ceccone und Olympia lebte … Was war sie der Welt! … Jetzt bereuete sie zu klug gewesen zu sein und sagte: Wie viel haben bei alledem die Menschen voraus, die sich allein den Ausbrüchen ihres Temperaments hingeben! Sie erleben immer noch etwas mehr Unglück und Demüthigung, als wir andern, die wir so klug sein wollen, das ist wahr; aber ihre Personen fesseln und lassen ihre Verhältnisse vergessen … Nicht einmal ein paar alte Prälaten hatten das Bedürfniß, bei ihr zu speisen … Von Benno keine Andeutung, wie sie sich verhalten sollte … Seine Briefe blieben aus … Sie war in Verzweiflung …

Ihr Geist hatte seit einem Jahr ganz in dem geliebten Sohn gelebt … Seine Briefe waren wie an ein Ideal gerichtet. Nur einen einzigen Tag hatte er die Mutter gesehen und gesprochen und gerade darum war ihm alles an ihr neu und reizvoll geblieben … Die ganze, seit so lange von ihm beklagte[170] Heimatlosigkeit seines Daseins fand in ihr Ruhe und Sammlung … Und auch sie lebte nur in seinen Mittheilungen und bildete sich aus ihnen, so fragmentarisch sie waren, jetzt ihre Welt … Sie las zitternd alle seine letzten Briefe … Sie waren der einzige beglückende Eindruck, der ihr noch geblieben … Da lag die schöne Alpengegend Piemonts … Da lagen die Thäler, die schattenreichen Kastanien- und Nußbaumwälder, in denen sich der Geliebte mit Bonaventura erging … Da schilderte Benno das rege Leben der Bewohner und die blühendste Seidenzucht … Ort reihte sich an Ort – erkennbar war jeder Weiler an den viereckigen Kirchthürmen mit heitern Glockenspielen … Schlösser standen auf höchster Höhe, gebrochene Zeugen der Wildheit des Mittelalters, tiefer abwärts von diesen Trümmerstätten lagen wohnliche neue Sitze des Adels, darunter Castellungo, erkennbar schon in weiter Ferne am wehenden Banner der Dorstes … Wie oft hatte der Kronsyndikus sie vor Jahren versichert, daß gerade um dieser Dorstes willen seine zweite Ehe noch geheim bleiben mußte … Sie sah Benno hinüber- und herüberreiten zwischen Robillante, einem freundlichen Städtchen, und Castellungo … Die alte Gräfin Erdmuthe bediente sich seiner als Vermittlers zwischen ihr und dem Bischof, den sie seltner sah, obgleich er ganz in ihrem Sinne wirkte und Benno nicht genug von Bonaventura's Muth schreiben konnte, der jenen von der Gräfin beschützten Waldensern ihre Gerechtsame wahrte … Sie sah die Eichen von Castellungo, die verlassene Einsiedlerhütte, die Processionen zur Kapelle der »besten[171] Maria« … Seltsam durchschauerte sie etwas von Geheimnissen, die auf allen diesen Beziehungen liegen mochten … Sie wußte schon so viel, daß dem Bischof jene Gräfin Paula werth gewesen, die inzwischen die Nachfolgerin ihres Kindes geworden … Sie fühlte die Dämmerungsschleier so vieles Zarten und Ahnungsvollen, das auf jenen Gegenden lag, und die sich schon ihr selbst auf Auge und Herz zu legen anfingen … Selbst die Anstrengungen Bonaventura's, jenen Eremiten den Händen der Inquisition zu entreißen, machten ihr einen eigenthümlich persönlichen Eindruck … Wie ein stilles Abendläuten war alles, was von dort herüberklang … Nun sollte sie an Benno die unheimliche Nachricht schreiben: Dein Geheimniß ist in den Händen dieser Lucinde, die mich entwaffnet, versteinert hat – ich konnte ihr nicht widerreden – konnte dich nicht verleugnen! Schien sie doch voll Antheil für unser aller Schicksal! … Die Nachricht, jene düstern Gemäuer von Coni, die erzbischöfliche Residenz würde ihren Souverän, den grimmen Fefelotti entsenden und dieser würde neue Schalen angesammelten Zornes bringen, um sie über die ihr so werthen Menschen auszugießen, war wie das Anrollen eines Gewitters, das – »doch wol auch Benno selbst hören mußte« … Sie wußte nicht, was beginnen … Wenn er nur endlich, endlich selbst schriebe! …

Zunächst mußte die Kraft ihres stillen Liebescultus für den Sohn und die Erinnerung ihr helfen … Sie legte sich schon lange auf, die Plätze zu besuchen, von denen sie wußte, daß Benno bei seinem Aufenthalt in Rom vorzugsweise von ihnen gefesselt worden. Benno[172] hatte an der Ripetta gewohnt, mit der Aussicht auf die Peterskirche. Er hatte seine Betrachtungen an so manches geknüpft, was sie bisher verhindert gewesen, wieder in Augenschein zu nehmen und nach Benno's Weise auf sich wirken zu lassen. Sie staunte nun, alles so zu finden, wie Er ihr geschrieben – in Briefen, die ihr ein Heiligthum wurden und die sie in ihren einsamen Stunden wieder und wieder las. Jetzt sagte sie: Ja, er hat Recht: Die Peterskirche macht keinen gewaltigen Eindruck! Die gelbangestrichenen Säulenarcaden drücken sie zum Gewöhnlichen herab! … Sie sagte: Er hat Recht: Das Innere der Peterskirche ist kalt; man athmet hier nur in der Sphäre des Stolzes und der Vermessenheit der Päpste! … Er hat Recht: Die Engelsburg ist wie ein Reitercircus! … Er hat Recht, wenn er schreibt: Als ich nach Rom kam, erschien mir der Engel auf ihrer Spitze wie ein Lobgesang auf die Idee des Christenthums, jetzt nur noch wie eine Satyre! … Er hat Recht: Die Kirchen sind Concertsäle; nicht eine hat die Erhabenheit eines deutschen Domes! … Er hat Recht, wenn er schreibt: Unter den Bildsäulen der Museen verweilt' ich lieber, als unter den Bildern; sie lehren Vergänglichkeit und Trauer und das Museum auf dem Capitol ist geradezu die heiligste Kirche Roms; nur dort hab' ich Thränen geweint, unter den gespenstischen Marmorgöttern, den Niobiden, den sterbenden Fechtern, den gefangenen Barbarenkönigen! … Er hat Recht: Kein christlicher Sarkophag hat mich so gerührt, wie im Lateran die heidnischen Aschensärge mit den zärtlichsten Inschriften: »Gattin dem Gatten!« … Er hat Recht:[173] Nichts hass' ich wie das Coliseum! Ich kann es nicht mehr sehen … Er hat Recht: Wie wenig kann ich mich mit Michel Angelo befreunden! So oft ich von ihm ein Werk erblicke, hab' ich das Gefühl, er hätte etwas geben wollen, worauf die gewöhnlichen Vorstellungen vom Schönen nicht passen – Raphael hat allein das Einfache und Richtige! Was ein Ding sein muß, das ist es bei Raphael; bei Michel Angelo ist's immer etwas anderes, als das natürliche Gefühl erwartet … Raphael's Bilder betrachtete sie nun stundenlang – die Madonnen waren dann Armgart – süßer heiliger Friede senkte sich auf Augenblicke in ihre Brust – Dann fuhr sie wieder auf und ängstigte sich um die Ahnung, daß sie Benno nicht wiedersehen würde … Nun fehlte ein Brief schon seit Wochen von ihm … Und ihr Herz, ihre ganze Seele war so voll – so übervoll –! …

Es war die Zeit, wo in Rom jeder, der nur irgend kann, auf dem Lande lebt … Die Herzogin mußte sich diesen Schutz gegen die Wirkungen der »Malaria« versagen … Neulich war sie in ihrem vom Schrecken des Gemüths gehetzten »Wiederaufsuchen Roms nach Benno's Anschauungen« beim Kloster der »Lebendigbegrabenen« angekommen … Sie fand da einen schönen, luftreinen Garten … Oefters schon war sie hinübergegangen zu diesen Schwestern der »reformirten« Franciscaner; sie wohnten an Piazza Navona, nahe der Tiber … Sie, die Mitwisserin eines schweren Geheimnisses, blieb dort gut aufgenommen, aber um achthundert Scudi jährlich kauften die Andern ihr Schweigen ab … Sie, sie war es nun, die[174] diesem Kloster die Last Olympiens abgenommen … Nicht alle Gründe hatte sie Benno erzählt, die die fromme Genossenschaft damals bestimmten, eine so gewagte Handlung zu begehen wie die, eine Nonne einzukleiden, die ihnen eine geheime Commission des peinlichen Tribunals als eines Attentats auf den Inquisitor Ceccone verdächtig überwiesen hatte und die schon allein deshalb abzuweisen war, weil sie möglicherweise niederkommen konnte. Nichts seltenes, daß Verbrecher den Klöstern zur Aufbewahrung übergeben werden; aber eine Braut des Himmels, die gesegneten Leibes war – von einem Monsignore, der einen Mordanfall unter Umständen von ihr erlitten hatte, die keine nähere Untersuchung des Frevels wünschen ließen … Das Kind blieb am Leben und wurde nicht aus dem geräumigen Kloster entfernt. Man hatte Gründe für diese Zurückbehaltung. Vorzugsweise fürchtete man, solange man ein pflegbefohlenes Kind lieber selbst hütete, weniger für den Ruf des Klosters, das leicht seine gegenwärtige Auszeichnung, die Pallien weben zu dürfen, verlieren konnte und sie an andere abtreten mußte, die auf diese Ehre und den Gewinn eifersüchtig waren … Außerdem hatte dies Kloster noch eine Ehrenaufgabe, auf welche die jungen Prälaten neulich anspielten … In der zu ihm gehörigen Kirche befand sich eine »Mumie« … Dies war der Leichnam der Stifterin des Klosters, einer Franciscanerin, die im Jahr 1676 die strengere Regel Peter's von Alcantara angenommen hatte. Bei zufälliger Oeffnung ihres Sarges im Beginn dieses Jahrhunderts fand man die Schwester Eusebia Recanati nicht verwest. Der Leichnam hatte sich in seiner[175] ursprünglichen Gestalt erhalten, während die Gewänder, der braune Rock, der schwarze Schleier, das weiße Kopf- und Halstuch zusammenfielen. Ohne Zweifel ein Wunder. Seit dreißig Jahren petitionirte das Kloster um die Heiligsprechung der Eusebia Recanati, die in einer Kapelle der Kirche, in einem verschlossenen Schrank, unter Verglasung, in sitzender Stellung an gewissen Tagen dem Volk gezeigt wurde. Seit dreißig Jahren bestand eine Commission zur Prüfung der Ansprüche, die Eusebia Recanati auf den Schmuck des Heiligenscheines hatte. Dem Kloster wäre die wirklich erfolgte Heiligsprechung und ein unversehrter Heiligenleib zur Quelle des größten Gewinns geworden. Aber die Orden regten sich voll Eifersucht – die schwarzen Oblaten und Ursulinerinnen, die weißen Camaldulenserinnen und Karthäuserinnen, die hellbraunen Olivetanerinnen, die schwarzweißen Philippinen, die schwarzbraunen Augustinerinnen die weißschwarzen Dominicanerinnen, die braunen Karmeliterinnen und Kapuzinerinnen, die blauen Annunciaden, die rothen Sakramentsanbeterinnen und hinter ihnen die entsprechenden Mönchsorden mit allen ihren Generalen. Die geringere bloße »Seligsprechung« der Mumie genügte den »Lebendigbegrabenen« nicht, sie wollten der Christenheit eine heilige Eusebia geben, die in der That dem Kalender noch fehlte. Sie bewiesen, daß diese schrecklich anzusehende, verschrumpfte, braunem Leder gleichkommende Eusebia Recanati, ein Grauenbild, geschmückt mit den glänzendsten Kleidern und mit goldenen Spangen befestigt, Wunder verrichtete, Lahme gesund[176] machte, Blinde sehend. Die Opposition blieb aber zu stark … Dreißig Jahre schmachteten die Nonnen schon nach Entscheidung der Cardinäle! Als einen vorläufigen Ersatz erhielten sie das Pallienweben, in dem sie sich, dreißig an der Zahl, auszeichneten wie Penelope auf Ithaka; Ceccone war es, der sie so in ihren Hoffnungen auf die Heiligsprechung der Mumie, die sie nicht aufgaben, ermunterte. Auch wären sie gewiß schon durchgedrungen, seitdem sie das Meisterstück ihres guten Willens, die Verheimlichung eines Prälatenkindes, durchführten; wenn nur nicht auch Fefelotti und die Jesuiten ihre Feinde geworden wären. Diese beschützten die neuen vornehmen Orden, die Salesianerinnen, die Annunciaden, die Sakramentsanbeterinnen, vorzugsweise die Damen vom Herzen Jesu. Die Jesuiten ließen mit jenem Schein »wahrer Aufklärung«, der ihnen überall an geeigneter Stelle so geläufig ist, alle Wunder, die die Mumie vollzogen haben sollte, ärztlich untersuchen und erklärten sie für null und nichtig. Die Professoren der Jesuiten lehrten auf der »Sapienza« (der Universität Roms) die Heilkunde und Naturwissenschaften. Die Gutachten, die ihre Commission für die Heiligsprechung der Eusebia Recanati übergab, waren von einer Freimüthigkeit, als hätte sie Humboldt verfaßt. Die Waffen der Wissenschaft, die in den Händen der Jesuiten glänzen, senken sie nur dann, wo es gilt höhere Zwecke zu salutiren …

In solchen Klöstern, wo ein Industriezweig getrieben wird, z.B. Blumenmachen, sieht es wie in einer[177] Fabrik aus. Man läßt anderwärts Zöglinge und Kinder zur Mithülfe zu; die »Lebendigbegrabenen« repräsentirten ihr kleines »Manchester« für sich … Ihr Fleiß hielt gleichen Schritt mit der Sterblichkeit unter den Bischöfen von 131 Millionen Seelen. Sie schoren und spannen und webten und die Herzogin von Amarillas konnte einige Uralte unter ihnen nicht anders betrachten, als unter dem Bild der Parzen Clotho, Lachesis und Atropos. Auch Lucrezia Biancchi spann und spann … Dazu sang sie alte Lieder – Freiheitslieder, die sie von ihren Brüdern gelernt hatte, weniger von Napoleone, als von Marco und Luigi … Für einen kleinen Schwestersohn von ihr, den die »schöne Wäscherin« vom Tiberstrand erzog, als sie die neue Judith zu spielen begann, hatte der liebevolle Ceccone großmüthigst gesorgt … Dieser war, als seine Oheime Luigi und Napoleone nur durch die Flucht von den Galeeren freikamen, als Marco sogar zum Tode verurtheilt, dann zu den Galeeren begnadigt, endlich verbannt wurde, erst sieben Jahre alt. Ceccone ließ den kleinen Achille Speroni verschneiden und zum Sopransänger der Sixtina machen …

Die Herzogin besuchte am Abend nach der Schreckensscene mit Lucinden den Garten dieses Klosters … Da saß die Mutter Olympia's, die Mutter eines Kindes, dem ihre Seele fluchte, als sie es empfing, die irrsinnige, magere, hohläugige Lucrezia und spann wie immer … Selbst aufgeschreckt wie ein verfolgtes Wild, erzählte sie ihr von ihres Bruders Luigi Gefangenschaft … Die Spinnerin hielt einen Augenblick inne und zeigte auf die Wolle am Rocken und auf den langen Faden, den sie[178] aufgewickelt hatte … Das ist recht! Er muß Geduld haben! … sagte sie und feuchtete den Faden an …

Ja, sagte die Herzogin, du meinst die Zeit! Schwester Josepha – so war sie beim Einkleiden getauft worden –, der lange Faden ist die Zeit! Auf den müssen wir viel, viel aufreihen! …

Die drei Parzen in der Nähe lächelten und nickten Beifall …

Die Herzogin beneidete fast die Schwester Josepha …

Dies arme Wesen, das einst auf einen Mann, in dessen Arm sie ruhete, ein Messer zücken konnte, wußte nichts von ihrem Kinde, das eine Fürstenkrone trug und Menschen tyrannisirte … Sie hatte die fixe Idee von ausbleibenden Briefen – Briefen, die Gott, Jesus, St.-Johannes, die Heiligen an sie schrieben – es waren die Briefe ihrer verbannten Brüder … Ihrer Brüder, die in den Gefängnissen Roms, unter den Torturen gesessen hatten, die vom Rechtswesen des Mittelalters gerade im Kirchenstaat noch am längsten zurückgeblieben sind …

Als die Herzogin aus dem Klostergarten, von den kleinen Lämmern, von den Webstühlen zurückkam, war sie über ausbleibende Briefe so trostlos wie Schwester Josepha … Nun mußte sie auf alle Fälle Benno den Vorfall mit Lucinden, überhaupt alles berichten, was ihr seit fünf Tagen widerfahren war … Seit Benno's letztem Brief waren Wochen verflossen … Täglich fragte sie bei einem Lotteriecollecteur, der eine große Correspondenz unverfänglich führen durfte, ob nichts für sie[179] angekommen wäre … Endlich, endlich durfte doch wol ein Brief – morgen eintreffen …

Er kam aber auch morgen nicht … Auch nicht am nächsten Tage … Schon fragte die Verzweifelnde und wie auf der Flucht vor sich selbst Dahinwankende das Orakel der Karten, das sie stundenlang vor sich ausgebreitet hatte und bei verschlossenen Thüren durchforschte … Sie nahm eines jener schöngeformten eisernen Gestelle, in die man in Italien die Waschschüssel stellt, und stand wie Pythia am Dreifuß, um an den Wellenschwingungen, die ins Wasser geworfene Kiesel hervorbringen, zu erkennen, ob die Ringe, große oder kleine, Glück oder Unglück bedeutende wären … Sie nahm Asche vom Feuer des Herdes, streute sie Nachts auf den Sims eines vom Wind bestrichenen Fensters und schrieb mit zitterndem Finger die Frage, ob Benno gesund wäre … »Sano?« …

Am Morgen dann las sie mit banger Erwartung, was der prophetische Wind aus den Buchstaben gemacht haben würde … Das Orakel antwortete: Santo …

Wie, dachte sie den Tag über – er ist doch nicht auch in ein Kloster gegangen? … Auch er will uns ein Priester werden? …

Damit quälte sie sich einen Tag … Kein Brief kam … Am Abend schrieb sie wieder: Sano? …

Am Morgen las sie in dem verwehten Aschenstaube: Cane …

Himmel, dachte sie jetzt und raufte sich wie wahnsinnig das Haar, ein toller Hund hat ihn gebissen! …

Am dritten Tage las sie: Caro …

Das machte sie ein wenig ruhiger … So war er[180] vielleicht nur verliebt und vergaß sie um – wessentwillen? … Armgart's? …

Am vierten las sie: Sale – Salz oder Verstand –? …

Die Ironie des Zufalls lehrte sie nicht, daß sie ihre Thorheiten lassen sollte … Sie grübelte, worin Benno's Schweigen gerade jetzt ein besonderer Beweis von Verstand sein konnte …

Als sie am Tage, wo sie Sale gelesen hatte, von einer Corsofahrt nach Hause kam, am Hause des Lotteriecollecteurs wieder nichts für sich gefunden hatte, schleppte sie sich fast zusammenbrechend die Treppe hinauf …

Eben wollte sie ihre Hauskleider anlegen … Da hörte sie von der Straße her einen Wagen anrollen und still halten …

Nach einer Weile klingelte es und Marco kam mit hochaufgerissenen Augen und brachte die Wundermär:

Cardinal – – Fefelotti! …

Die Herzogin traute ihrem Ohr nicht und erhob sich …

Es war in der That der Erzbischof Fefelotti, Cardinal und Großpönitentiar der Christenheit – in eigener Person …

Von solchem Besuch ahnte sie jetzt nichts Uebles … Das »Salz« des Orakels – »Verstand« traf zu …

Nicht besonders älter war Fefelotti geworden, seitdem die Herzogin ihn zum letzten male gesehen … Im Gegentheil, die Ruhe in Coni, die Sicherstellung seiner Unternehmungen durch die Jesuiten, die Nothwendigkeit, die gottseligste Miene zu zeigen, hatte die sonst sehr lebhaften Verzerrungen seiner unschönen Gesichtszüge gemildert …[181] Sind die Hunde aus den Wölfen entstanden, so stellte Fefelotti jenen Uebergang dar, wo möglicherweise die Wölfe zuerst anfingen sich in den Gewohnheiten des Hausthiers zu versuchen … Seine runde Nase, seine buschigen Augenbrauen, sein von Pockennarben zerrissenes Gesicht war dasselbe wie sonst, aber eine heilige, gesättigte Ruhe lag auf seinen Mienen … Konnte er doch wahrlich lächeln über seinen neuesten Sieg … Konnte er doch lächeln über seine Rückkehr aus einer Verbannung – wo er für den »schlechtesten Christen« hatte gelten sollen, dem man den »besten« zur »Versöhnung der Gottheit« gegenübergestellt! … Konnte er doch lächeln über Ceccone's ohnmächtiges Schnauben, von dem er sogleich andeutete, daß es sich jetzt schon an Frauen auszutoben anfinge … Das war nun jene Dame, zu der Fefelotti sonst als Prälat so gern gegangen war, die aber seine Intrigue mit der »kleinen Wölfin« bei den »Lebendigbegrabenen« und die Verhinderung der Cardinalserhebung Ceccone's so eiligst gekreuzt hatte …

An ein Verschleiern seiner Empfindungen denkt in solchen Fällen kein Italiener … Fefelotti lachte sich weidlich aus … Sowol über die Höhe der Treppen, die er hatte ersteigen müssen, wie über die Möbel, wie über die Dienerschaft und – ein »Sommerlogis« auf dem Monte Pincio …

Sie kluge Frau, sagte er, ich habe Sie immer so gern gehabt! Wie konnten Sie sich nur von meiner Fahne entfernen! … Sie haben sechzehn Jahre Ihres Lebens verloren … Wie hoch ist die Pension, die Ihnen mein alter Freund Don Tiburzio zahlt? …[182]

Die Herzogin hatte die Schule der Leiden in einem Grade durchgemacht, daß sie sich weder über Fefelotti's Besuch allzu erstaunt zeigte, noch auch Ceccone's Undankbarkeit ganz nach den Empfindungen schilderte, die sie darüber hegte … Sie wünschte dem Großpönitentiar Glück zu seiner neuen Erhebung, ließ die von ihr betonte wahrscheinlich nahe bevorstehende Papstwahl nicht ohne Bezüglichkeit für die Hoffnungen des ehrgeizigen Priesters – sie klagte aber Ceccone keineswegs allzu heftig an …

Fefelotti sah die Schlauheit der weltgewandten Frau … Sich mäßigend schlug er die Augen nieder, beklagte die Leiden Seiner Heiligkeit und gestand offen, daß durch die Wiederherstellung des Jesuitenordens, dessen Affiliirter er schon seit lange war, in die schwankenden und von den Persönlichkeiten der Päpste abhängigen Zustände der Kirche endlich Festes und Dauerndes gekommen wäre … Seine eigene Wiederberufung bewiese, daß sich ohne den Rath des Al Gesù nichts mehr in der katholischen Welt unternehmen lasse …

In der Art, wie Fefelotti es sich dann unter den von dem trippelnden Marco inzwischen angezündeten Kerzenbüscheln bequem machte, wie er sogar herbeigeholte Erfrischungen nicht ablehnte, lag das ganze Behagen ausgedrückt, sich bei einer Frau zu befinden, die nach aller Berechnung menschlicher Natur seine Verbündete werden mußte … Von Ceccone's »häuslichen« Verhältnissen ließ er sich erzählen … Er hatte seine Freude an dem kleinsten Verdruß, den »seinem Freunde« das Schicksal bereitet hatte … Er stellte sich wie ein in einem kleinen[183] Landstädtchen begraben Gewesener, nur um recht viel Neues, Ausführliches und pikante kleine Details erfahren zu können … Und die Herzogin war klug genug, trotz ihrer Abneigung gegen den häßlichen Mann, dessen falsche Zähne nach jedem Satz, den er sprach, ein eigenes Knacken der Kinnlade von sich gaben und gegen den Ceccone noch jetzt ein Apoll war, doch dies Verlangen nach Befriedigung seiner Schadenfreude nicht ganz unerfüllt zu lassen … Sie gab eine ungefähre Schilderung der Mühen und Sorgen, unter denen Ceccone's Ehrgeiz allerdings stöhnte und schmachtete …

Fefelotti schlürfte Sorbett … Seine Zähne bekamen vorübergehend einen bessern Duft von den Orangen, aus denen es bereitet war und sie knackten jetzt nur noch von der Berührung mit dem Löffel … Immer mehr gewöhnte sich die Herzogin an das Wiedersehen eines Mannes, der ohne Zweifel doch nur allein der Anstifter der den Jesuiten nicht geglückten Verfolgung gegen sie wegen Bigamie gewesen … Kannte er alle Geheimnisse ihres Lebens? … Kannte er die Existenz Benno's? … Ihr Antheil an seinem Kampf mit Bonaventura, gegen den er vielleicht einen Proceß auf Absetzung instruirte, rüstete sich, ihn möglichst unverfänglich über dies und anderes zu befragen … Sie ließ dem Gefährlichen den Vorschmack der Annehmlichkeiten und Vortheile, die er denn doch durch diesen Besuch gewinnen konnte …

Roms Lage ist schwierig, sagte Fefelotti bei Erwähnung des Ceccone'schen Aufenthalts in Wien … Auf der einen Seite bilden wir das Centrum der Welt, auf der andern das Centrum Italiens … Wir sollen rein geistlich und für[184] die Ewigkeit auf die Gemüther wirken und sind von allen politischen Strudeln des Tags ergriffen … Die neue Zeit hat dem apostolischen Stuhl eine fast unerschwingliche Aufgabe gestellt … Ohne die weltliche Würde kann die geistige Souveränetät des Heiligen Vaters nicht auf die Dauer bestehen … Beides für die Zukunft zu einen, erfordert die äußerste Anstrengung … Ich billige ganz, wenn Ceccone seine kleinen Koketterieen mit den sogenannten »Hoffnungen Italiens« zu unterlassen angefangen hat … Erzählen Sie mir noch mehr – von Wien! …

Die Herzogin bestätigte, daß Ceccone von Wien in seinen politischen Neuerungstrieben bedeutend abgekühlt zurückgekehrt wäre. Der Fürst Staatskanzler hätte ihn belehrt, daß die Tribunen Roms sich immer zuerst am Entthronen der Päpste und am Halsabschneiden der Cardinäle geübt hätten …

Fefelotti lachte mit vollem Einverständniß … Die Herzogin dachte an Benno und seine Freunde … Sie gab der guten Laune des Schrecklichen die gewünschte Nahrung … Sie erzählte: Ceccone hätte beim Nachhausefahren von einer solchen Scene mit dem Staatskanzler immer nur Fefelotti! Fefelotti! gerufen …

Bestia! unterbrach der Cardinal …

Dann hätte Ceccone Olympien geschildert, was »politische Reformen« wären … »Nur Ein Bedienter für dich, monatlich nur Ein Paar neue Handschuhe und die Nothwendigkeit, deine Hemden selbst nähen zu müssen!« …

Fefelotti hielt sich die Seiten vor Lachen …[185]

Ich bin mit Ceccone's politischer Haltung ganz einverstanden, sagte er … Sie ist jetzt streng und fest … Sie läßt sich auf keine Transactionen mehr ein … Rom ist unterwühlt von Verschwörungen … Verbannung nur und Galeere können helfen … Das geringste ist das Verbot aller zweideutigen Schriften … Wissen Sie – apropos – nichts Näheres über – Grizzifalcone –? …

Die Herzogin hörte Gesinnungen, die sie haßte, verbarg jedoch ihre Aufwallung hinter einem Erstaunen über das, was Grizzifalcone mit Roms – Politik gemein haben könnte –? …

Der Cardinal drückte seine kleinen Rattenaugen zu … Ein bedeutsames Knacken seiner Zähne trat wieder an die Stelle seiner Worte … Der Duft der Orangen verflog … Glücklicherweise nahm er eine zweite Schale Sorbett …

Die Herzogin mußte die Geschichte der Gefahr erzählen, die sie an Olympiens Hochzeitstage überstanden hatte … Lucindens Name mußte genannt werden … Dieser war ihm keineswegs unbekannt …

Eine Neubekehrte? warf er ein …

Sie hütete sich ein Wort der Misachtung zu sagen …

Fefelotti kehrte dringender auf Grizzifalcone zurück … Glauben Sie, sagte er, daß Ceccone jene für den Fürsten Rucca bestimmte Liste in den Taschen des Räubers fand und einsteckte? … Ich glaube nicht … Diese Liste besaß Ceccone ohne allen Zweifel schon vorher in Abschriften genug … Er brauchte sie ja – Hm! … Räthselhaft sind die Aufträge, die dem wilden deutschen[186] Franciscanerbruder gegeben wurden … Nun sagt man ja, er wäre spurlos verschwunden … Mit jenem Pilger zugleich … Hörten Sie davon? … Der Pilger und der Mönch sind von den Zollwächtern, die verrathen zu werden fürchteten, ohne Zweifel todt geschlagen worden …

Die Herzogin entsetzte sich … Und warum »brauchte Ceccone die Liste«? …

Eine Weile verzog sich der bisherige heitere Ausdruck der Mienen Fefelotti's, seine schwarzen Brauen senkten sich auf die kleinen Augen, die ein verderbliches wildes Feuer zu verbergen schienen …

Dennoch suchte er die Stimmung des Scherzes zurückzuführen und sprach lieber von Olympien, die er beschuldigte, in der »Argentina« bei allen neuen Opern die Stellen zu beklatschen, die für die Tausende von Carbonaris, die auch in Rom wären, oft ein Losungswort gäben … Das Junge Italien hat allein zwölf Logen in Rom! schaltete Fefelotti ein … Doch erzählen Sie von Olympien! …

Die Herzogin hörte nur und hörte …

Fefelotti sah, daß die Herzogin in politischen Dingen nicht mehr Ceccone's Vertrauen besessen hatte … In die Argentina geht Olympia jetzt seltener, sagte sie mit bitterer Erinnerung an den neulichen Spott Olympiens über ihre Beziehung zur Musik … Sie verlangte von mir, daß ich erklärte: Unsere neuere Musik anhören zu müssen verdiente, daß die Componisten mit den Ohren angenagelt würden …

Diese Strafe trifft in der Türkei die Bäcker, wenn sie[187] schlechtes Brot backen! … Dieser Witz wird den alten Rucca geärgert haben, wenn er ihn hörte … sagte Fefelotti …

In dieser heitern Weise dauerte die Unterhaltung fort … Auch auf den Cardinal Ambrosi kam Fefelotti zu sprechen …

Ich habe ihm, sagte er, sofort eine Amtswohnung anweisen lassen, indem ich ihn zum Vorstand der »Congregation der Reliquien und Katakomben« machte … Vielleicht ist er so galant, Olympien mit der Heiligsprechung der Eusebia Recanati ein Gegengeschenk für seine Erhebung zu machen … Sie wissen doch noch, daß wir einst um die kleine »Wölfin« bei den »Lebendigbegrabenen« auseinander gekommen sind – Sie schlimme Frau, die Sie mir auch in Wien einen noch gottseligeren Priester auf Erden entdeckt haben – Ja Sie! Sie! Ich weiß es – Meinen Nachbar bei Coni – den magnetischen Bischof Bonaventura von Asselyn … Sie haben ihn zuerst Olympien empfohlen … Der Spott dabei auf mich kam allerdings wol nur von dem kleinen Grasaffen …

Die Herzogin spitzte ihr Ohr … Jedes Wort in diesen leichten Scherzen und drohenden Neckreden war bedeutungsvoll … Ihr Palais an Piazza Sciarra stand also noch leer … Cardinal Ambrosi hatte sich Olympiens Verehrungscultus entzogen …

Bonaventura's heiliger Ruf wurde keineswegs von ihr abgelehnt … Mit einem fast schelmischen Trotz berief sie sich auf das Urtheil der deutschen Kirche …

Gut, daß ich mich an diesem Eindringling auf italienischen[188] Boden habe überzeugen können, wie gefahrvoll diese deutsche Kirche wird, erwiderte Fefelotti … Kaum in sein Amt eingeführt, begeht der Freche eine Unthat nach der andern … Der Verbündete einer Ketzerin, die auf dem Schlosse Castellungo haust, wahrt er den durch die Milde der Zeiten übrig gebliebenen Resten einer schismatischen Sekte die Rechte, die sie verbrieft besitzen wollen, bestreitet das ihnen streng eingeschärfte Verbot, Proselyten zu machen, behauptet, die Dominicaner hätten außer diesen gefänglich eingezogenen, dann freigegebenen religiösen Fanatikern noch einen Eremiten eingekerkert, der den Wohlthäter des Volkes machen wollte und nur ein Verbreiter ruchloser Lehren war … Auch dieser Eremit war ein Deutscher! … England und Deutschland! Das wird unser Kampfplatz werden! … In Deutschland ist es schon wieder wie zur Zeit Luther's … Ein Priester ist aufgestanden, der dem Bischof von Trier die Aussetzung des Heiligen Rocks zum Verbrechen am »Geist der Zeit« macht! … Die ketzerischen Bewegungen auf dem Gebiet der Lehre, ja des Cultus nehmen überhand … Erkundigungen, die wir über den Bischof von Robillante eingezogen haben, machen ihn zur Absetzung reif … Und der blinde Wahn dieses Mannes geht so weit, hieher nicht als ein Angeklagter, sondern als ein Richter kommen zu wollen …

Hieher –? Er wird berufen? … fragte die Herzogin erbebend vor Angst und doch auch vor Freude …

Der Bischof behauptet, fuhr Fefelotti in gesteigerter[189] Aufregung fort, die Nachricht, daß man jenen Eremiten in der Mark Ancona als Pilger gesehen hätte, wäre ein absichtlich ausgesprengter Irrthum … Dieser Eremit wäre nach Rom überführt worden und säße hier in irgendeinem Kerker … Der Pilger von Porto d'Ascoli, erklärte er noch kürzlich, wäre ein anderer … Seit man jetzt verbreitet, er wäre ermordet worden, hatte ich eine Scene mit ihm, die zu seiner sofortigen Verhaftung hätte führen müssen, wäre nicht die besonnene Vermittelung eines seiner Verwandten von ihm dazwischen getreten …

Des Signore – Benno –? … fragte die Mutter nach Gleichmuth ringend …

Der Cardinal bestätigte diesen Namen …

Benno lebt denn also noch! … dachte die Mutter und verbarg hinter Bewegungen, die ihr als Wirthin eines so hohen Besuches zukommen durften, das Gemisch ihrer Freude und Besorgniß … Fefelotti sprach Benno's Namen harmlos aus … Er schleuderte nur seinen Bannstrahl über Deutschland und Bonaventura … Dann fragte er wiederholt nach Lucinden … Er wußte, daß sie dem Cardinal nahe stand und Aussicht hatte, Gräfin Sarzana zu werden … Nach den Berichten der kirchlichen Fanatiker Deutschlands nannte er sie eine Hocherleuchtete, der sich nur die eine Schwäche nachsagen ließe, für jenen Bischof von Robillante eine unerwiderte Liebe im Herzen getragen zu haben …

Die Herzogin nahm ihm nichts von allen diesen Vorstellungen … Sie sah, dem Großpönitentiar lag das Leben aller Menschen aufgedeckt … Er fragte wiederholt,[190] was die Herzogin über Donna Lucinde wisse und ob sie gut mit ihr stünde …

Die Herzogin sah, daß Fefelotti bei Ceccone eine Spionin suchte … Vielleicht fand er sie in Lucinden … Sie hütete sich, Lucinden nach ihrer Auffassung und eigenen Erfahrung zu charakterisiren … Eine Vermittelung dieser Bekanntschaft durfte sie aus nahe liegenden Gründen – um Ceccone's willen – ablehnen …

Es war schon halb elf Uhr, als der Cardinal sich endlich erhob … Er hatte ein paar angenehme, höchst trauliche, für ihn mannichfach anregende Stunden verbracht … Er hatte sich schnell wieder in den römischen Dingen orientirt … Er versprach wiederzukommen … Dann küßte er der Herzogin mit aller Galanterie die Hand, sagte ihr die Tage und die Orte, wo er »zum ersten male aufträte« – d.h. die Messe lesen oder sie mit Pomp anhören würde … Das waren Schauspiele, wo sich alles, was zur Gesellschaft gehörte, versammeln mußte … Er versprach ihr die »besten Plätze«, unter andern zu einem morgenden Gebet von ihm in der Sixtina …

Daß ich, sagte er beim Gehen, Ceccone's Feind nicht mehr sein will, beweise ich dadurch, daß ich den Schein von ihm entferne, als könnte er einer Dame, der er sich lebenslang verpflichtet fühlen sollte, wie Ihnen, undankbar gewesen sein …

Mit dieser artigen Wendung empfahl er sich …

Die ganze Dienerschaft, die der alte Marco rasch durch einige Hausgenossen vermehrt hatte, stand in den Vorzimmern … Die Umwohner hatten sich den Schlaf[191] versagt, um dem Schauspiel der Abfahrt eines Cardinals beizuwohnen … Fefelotti's Pferde trugen am Kopfgestell der Zäume die rothen Quasten. Die Kutsche war vergoldet; zwei Lakaien sprangen hinten auf, während ein dritter mit dem Ombrellino an der Hausthür wartete und beim Einsteigen den kleinen stämmigen Priester begleitete, der seinerseits nur einfach, nur mit dem rothen dreieckigen Interimshut erschienen war …

Einige Freude empfand die gedemüthigte Frau denn doch über diesen Besuch … Sah sie auch Gefahren über den Häuptern der ihr allein noch im Leben werthen Menschen sich zusammenziehen, so blitzte doch in solchen Nöthen ein Hoffnungsstrahl auf durch die Beziehung zu einem so mächtigen Mann, der glücklicherweise ihren vollen Antheil an den Schicksalen der Bedrohten nicht ahnte … Benno hatte jener Scene beigewohnt und ihren schlimmen Ausgang gemildert … Sie wollte noch einen Tag warten und dann auf jede Gefahr hin dem Sohn mittheilen, worin sie alles ihre Sorge auf ihn, seinen Rath und seinen Beistand werfen müßte … Die Vorladung Bonaventura's schien noch nicht entschieden zu sein …

Am Abend nach dem Besuch Fefelotti's kam die Herzogin aus der Sixtinischen Kapelle, wo Fefelotti sein »erstes Abendgebet« gehalten hatte … Der kleine Raum war überfüllt gewesen … Der Qualm der Lichter die Atmosphäre so vieler Menschen ließen sie fast ersticken … Fefelotti hatte der Herzogin in aller Frühe schon einen reservirten Sitz zur Verfügung gestellt …

Wie kräftig sprach er sein »Complet« – las den[192] 90. Psalm Qui habitat in adjutorio Domini, sang mit jenem conventionellen Ton, der vom Herzen sanft der Rührung den Weg durch die Nase läßt, sein Gloria Patri, worauf die Kapelle mit Simeon's Lobgesang: Nunc dimittis antiphonisch einfiel … Nicht eine der zu Ceccone's engeren Beziehungen gehörenden Persönlichkeiten war zugegen … Ceccone hatte die ersten Weihen, er nahm vor kurzem auch die letzten; er übte sich täglich im Messelesen, um seinerseits mit den unerläßlichen Bedingungen zur Papstwahl hinter andern nicht zurückzubleiben … Fefelotti's Virtuosität in allen kirchlichen Functionen war ihm ein Gegenstand besondern Neides …

Die Herzogin versank auch hier wieder in die schwärmerischste Sehnsucht nach ihrem Sohn … Gerade diese kleine Kapelle, die für die Hausandacht der Päpste bestimmt ist, enthielt Michel Angelo's »Jüngstes Gericht« … Man sieht nur noch ein wüstes Durcheinander dunkler Farben an den lampenrußgeschwärzten Wänden … Benno hatte ihr geschrieben, der berühmte Gesang in dieser Kapelle hätte ihm nie die mindeste Erhebung gewährt; die unglücklichen Verstümmelten, die zur päpstlichen Kapelle gehörten, hätten im Discant gesungen wie Hühner, die plötzlich den Einfall bekämen, wie die Hähne zu krähen; die Bässe wären küstermäßig roh; die alten Weisen Durante's und Pergolese's kämen in ihrer einfachen Erhabenheit unwürdig zu Gehör … Und für alles das schwärme der deutsche Sinn! Diese Sixtinischen Kapellenklänge allein schon wirkten wie ein Zauber[193] der Sehnsucht nach Deutschland hinüber! Erst der germanische Geist, der schon sonst das Christenthum überhaupt zur weltgeschichtlichen Sache des Gemüths gemacht hätte, hätte auch hier wieder in das Abgestorbenste, in die Kirchenmusik, neues Leben gebracht … Wie klang das alles der Herzogin beim Schlußgebet des Erzbischofs von Coni nach: Omnipotens, sempiterne Deus! …

Gestern Nacht hatte sie in die Asche »Sano?« geschrieben und der Wind hatte in der That an diesem Morgen »Canto« daraus gemacht … Darum war sie mit Hoffnung in die Kapelle gefahren … Sie war im Wagen die Treppe hinauf gekommen an den salutirenden, hanswurstartig gekleideten Schweizern vorüber; sie hatte, vorschriftsmäßig vom schwarzen Schleier verhüllt, zur Menschenmenge nicht aufgeblickt vom kleinen ihr reservirten Plätzchen aus … Die von Michel Angelo in die Hölle geschleuderten Bischöfe und Cardinäle waren ihr heute nicht wie sonst Gegenstände der Zerstreuung, wenn sie in ihnen zum Sprechen ähnlich getroffene noch lebende Würdenträger suchte … Das verschrumpfte Antlitz Achille Speroni's auf dem Singchor sah sie ohne Lächeln … Speroni, der Cousin der jungen Fürstin Rucca, stand in seinem violetten Rock mit dem weißen Spitzenüberwurf und der rothen Halsbinde anfangs wie ein Mann, sang auch eine Zeit lang wie ein Mann: Maria, ad te clamamus exules filii Evae! … Dann aber, bei den für einen exul filius Evae doppelt rührenden Worten: »Maria zu dir seufzen wir auf, weinend und flehend, in diesem Thal der Thränen!« sprang der Unglückliche in die äußerste Kopfhöhe über, fistulirte eine Weile und war zuletzt[194] bei den für einen Entmannten erschütternden Worten: »Zeig' uns, Maria, die gesegnete Frucht deines Leibes!« ein vollständiges Frauenzimmer … Die Herzogin kannte nicht wörtlich den Inhalt dieser für die Trinitatiszeit normalen abendlichen Horengesänge; sie verstand nicht, wie die Worte in schneidender Ironie zur Verstümmelung des Sängers standen; im Geist aber hörte sie Benno's Aeußerung: Schon um diese krähenden Hühner der Sixtinischen Kapelle allein muß die römisch-katholische Kirche, wie sie jetzt ist, untergehen! …

Mancher lächelnde und ironische Blick haftete an der Herzogin … Er sollte ihrem Sturz gelten … Sie dagegen durfte diesen Monsignores, Ordensgeneralen, Uditores und Adjutantes di Camera nicht minder ironisch lächeln … Wie nur eine Hofdame bei einer großen Cour die Geheimnisse all dieser so steif sich verbeugenden Welt von ihrer Reversseite übersieht, so blickte auch sie auf alle diese tonsurirten Häupter, die das Frauenthum aus ihrem Leben ausgeschlossen zu haben schienen und die alle, alle doch gerade vom Frauenthum am meisten abhängig waren – nächst ihrem Ehrgeiz …

Ihren Wagen behielt sie und befahl dem Kutscher, sie heute auf den Corso und in den Park der Villa Borghese zu fahren … Sie kam sich wie wiederhergestellt vor …

Wie sie gegen neun Uhr nach Hause kam, hörte sie, daß ein Fremder nach ihr verlangt hätte … Er wollte morgen zeitig wiederkommen – hieß es …

Dem beschriebenen Wüchse nach war es Benno … Ein dunkler, voller Bart, der das ganze Gesicht beschattete,[195] ein grauer Calabreserhut – das stimmte freilich nicht zu ihrer Erinnerung … Aber – wer konnte es denn anders sein? …

Zu Nacht speiste sie nichts vor Aufregung …

Mit zitternder Hand schrieb sie in ihre Asche: »Sano«?

Kaum, daß sie einige Stunden schlief …

Am Morgen las sie: »Salve!« …

In der That lag sie einige Stunden später in Benno's Armen.

1

Die Stelle Augustin Theiners aus Schlesien.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 8, Leipzig 1860, S. 142-196.
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