1.

[3] Noch blieb der Winter aus und schon hatte das neue Jahr begonnen …

An einem milden Novemberabend wurde Graf Truchseß-Gallenberg von seinem kirchenfürstlichen Stuhl mit einem Aufgebot zahlreicher Truppen entfernt – in eine ostwärts gelegene Festung geführt – mit ihm Eduard Michahelles …

Keine Hand hatte sich gerührt, die gewaltige Entschließung des Landesherrn zu hindern. Diejenigen, die sich für diesen längst erwarteten Schritt der Regierung zu offnem Widerstande gerüstet hatten, wurden an jenem Septemberabend im Gasthaus zum Roland am Hüneneck aufgehoben und befanden sich seit Monaten im Gefängniß – Stephan Lengenich, Joseph Zapf, ein Arzt, ein Priester, einige Gemeindevorstände, Ackerwirthe, Schreiber, Landleute …

Die fortdauernd milde Witterung begünstigte aber dasjenige, was Dominicus Nück den »Treppenwitz« nannte.

Jeden Abend in den Straßen ein zu spät kommender Protest … Rottirungen, Patrouillen – Zusammenstöße – einzelne Verwundungen –[3]

Die Aufregung hatte sich ganz Deutschland, ja Europa mitgetheilt. Auch im Osten wurde von derselben Regierung ein anderer Erzbischof aufgehoben. Eine wilde Zeit! Sie entfesselte Geister, die der protestantische Fürst nicht geahnt hatte und die nach langem glücklichen Frieden ihm die Ruhe seiner letzten Lebensjahre rauben sollten … Vom Vatican hatte »der Knecht der Knechte« am 10. December in einer Allocution an die Cardinäle Blitze geschleudert. Das kirchliche Leben stockte in den Landen, die zunächst betheiligt waren; wie Bann und Interdict, wie der Fluch auf Feuer und Wasser lag es auf der Ordnung des Lebens, allen Handlungen der Kirche, allen Weihen und Segnungen; der apostolische Stuhl hatte keine Stellvertretung anerkannt, die geweihte Hand des Priesters Immanuel fehlte, sie, die allein die Fasten, Ablässe, Dispense, Consense ertheilen konnte; rings waren die Wege des Heils gesperrt, da niemand die Vollmachten Christi besaß, die allein für diese Zeitlichkeit der Schlüssel Petri unter Verschluß hält. Die, welche nach dem Willen des Landesherrn den entthronten Kirchenfürsten zu ersetzen hatten, die Kapitel, die Administratoren, geriethen in Schwankungen, in Angst und Schrecken über ihr vom Heiligen Vater verwirrtes Gewissen. Die Lämmer flohen vor den Hirten … Nück und die Sporenritter und die Hunnius riefen Feuerjo! daß der rothe Hahn auf allen Palästen und Staatskanzleien drohte und das Vaterland in eine Spaltung gerieth, wie wenn Tilly wieder vor den Thoren Magdeburgs stehen sollte.

Nück's bei alledem von ihm geleiteter »Treppenwitz«, seine zu spät gekommene Antwort auf die kühne That[4] der »Neunmal-Weisen«, hatte sich nur seit den Festtagen etwas gemildert …

Auch hatte am Morgen nach dem heiligen Dreikönigsabend Jodocus Hammaker unter dem Messer der Guillotine geendet.

Der Mörder des Fräuleins Brigida von Gülpen, genannt Frau Hauptmann von Buschbeck, gestand Dinge, die der Herrschaft »der Achselklappen mit den numerirten Knöpfen« und der »Avantgarde des großen Czernebog« verdrießlich sein mußten, denn er zog vor, mit der Kirche, der er nicht minder gedient hatte, im Frieden zu scheiden. Nück vertheidigte ihn. Der Mörder dankte ihm für seine Anstrengung, ihn vor den Assisen durchzubringen, mit manchem schmachtenden Blicke, den er aus seinem so kunstvoll beherrschten, doch verzweiflungsvollen Auge auf ihn warf, mit manchem gen Himmel gerichteten Aufseufzer, und nur einmal, als ihm Nück beim Plaidiren und gerade seine Dose ziehend schaudernd eine Prise verweigerte, die der Freche von ihm zu nehmen begehrte, da zuckten seine weißen Augen unheimlich drohend auf … doch der Agent beherrschte sich, schonte alles, was die eine seiner beiden Schultern getragen hatte, die kirchliche, und nur in seiner letzten Beichte, die er dem neuen jungen Domherrn, Herrn Bonaventura von Asselyn, gesprochen, mochte er Rückblicke gegeben haben auf sein Leben und Enthüllungen auch über den Verdacht, ob er einst einen Mann aufhing, der ihn jetzt noch einmal, wie schon früher vertheidigte.

Nach diesem entsetzlichen Zwischenspiel, das der Armesünder keineswegs durch übergroßen Heldenmuth zum Volksschauspiel »auf Applaus« machte, war es[5] einige Abende recht still geworden … Auch war der Carneval abgesagt. Ihr Theuerstes opferte die Stadt, um zu beweisen, daß der Stellvertreter Christi mit Recht diese Zeit den schlimmsten der Propheten verglichen hatte.

Im Englischen Hof, in einem der ersten Hotels der Stadt, waren, wie seit einigen Wochen allabendlich, mehrere Fenster erleuchtet. Die Frequenz der Stadt hatte abgenommen. Niemand mochte dem Ansinnen der Loyalität, Feste zu geben, entsprechen und da manche Familie auch ihrerseits wieder vor dem Schein der Demonstration sich fürchtete und lieber auf dem Lande blieb, so fiel es auf, wenn irgendwo sich Leben zeigte in einer Stadt, der die geheimen Lenker in allem und jedem Trauer angesagt hatten.

Aber auch jene Fenster oben im ersten Stock des Englischen Hofes werden bald nicht mehr an jedem Abend erleuchtet sein …

Schon ist ein großer Reisewagen in der Einfahrt sichtbar, der, vorn und hinten bepackt, morgen aufbrechen und die oben wohnende Herrschaft nach Belgien und an den Strand des Meeres entführen wird, von wo aus es dann weiter gehen soll nach England …

Ein Reisecourier ordnet am Wagen. Ein anderer Diener hat die Gräfin von Salem-Camphausen, die Mutter des Grafen Hugo, in einem Miethwagen begleitet, in welchem sie noch einige Abschiedsbesuche macht …

In dem einen der oben von ihr seit zwei Monaten bewohnten Zimmer brennt etwas düster eine große Astrallampe[6] auf einem runden, mit einem Teppich bedeckten Tische. Eine andere, hellere, wenn auch kleinere Lampe bescheint ein kleines Schreibbureau, an welchem eine Dame sitzt und mit Emsigkeit die Feder führt …

Alles still um sie her … Beträte auch ein Fuß das geräumige Zimmer, dem man die einer Abreise vorangehende Unordnung nicht ansieht, der Schritt würde durch einen Teppich gemildert werden … Eine kleine wiener Reiseuhr steht neben der Schreibenden, die zuweilen wie mechanisch auf sie hinblickt und sich flüchtig über den schnellen Lauf der Zeit zu wundern scheint, obgleich sie darum im Schreiben immer noch fortfährt …

Die Dame ist nicht, wie seit dem 20. November alles, was in dieser Stadt der gemeinsamen Stimmung Rechnung trägt, schwarz gekleidet, nur dunkelfarbig … weit ausgebreitet bauscht sich um sie her ein einfacher seidener Stoff … ein Spitzentuch, das den Nacken bedeckt, ist herniedergeglitten … ja an dem zurückgehenden Ausschnitt des Kleides kann man entnehmen, daß die emsige Schreiberin, um die Brust zu schonen, sich's unbewußt bequem gemacht hat … Man sieht die Fülle der Anmuth und der Jugend.

Sie blickt auf und athmet wie erschöpft … Die saubern Octavblättchen, die sie vollgeschrieben, zählt sie und lächelt, da es deren so viele sind … Dies Lächeln sollte uns nicht fremd sein … Es hat Aehnlichkeit mit jener Duldermiene, die das Lächeln Armgart's dem Blick der Madonnen Murillo's so ähnlich macht … An dem seltsamen Glanz der langen Locken, die auf den weißen,[7] durch Zufall entblößten Hals der jetzt Lesenden niedergleiten, erkennen wir Armgart's Mutter, die Oberstin von Hülleshoven, Monika von Ubbelohde.

In der That hat der Winter nie so nahe beim Frühling gewohnt. Nie ist der letzte Schnee in anmuthigerm Neckspiel auf die ersten Blüten eines Gartens gefallen. Nie hat der Sonnenstrahl zur Osterzeit so schnell die letzten Flocken der noch eisigen Lüfte hinweggeküßt. Oder müssen wir von einem Hagelwetter sprechen, das grausam seine Eiskörner zurückgelassen unter Rosen und Lilien? Monika's Locken sind grau.

Monika ist eine Frau mittler Größe, nicht von übervollen, aber runden Formen. Ist ihr Antlitz jetzt nur vom Ueberbeugen so geröthet oder trägt es dies frische Incarnat für immer? Fast möchte man letzteres glauben, wenn man die schwellende Röthe der Lippen vergleicht, die ein wenig sich öffnen, weil sie leise vor sich hin das liest, was sie geschrieben … Ihr Blick ist ernst. Die Hand, weiß und klein, hält die Blätter etwas zu nahe dem Auge. Wer weiß, ob nicht auch diese schönen braunen Augen gelitten haben von viel Thränen, die sie vergossen haben mochte? Bei alledem liegt auf der Stirn ein seltener Friede. Oder ist es nur eine große Klarheit, die ihre Vorstellungen zu einem Lichte hindurchgerungen hat, das nun auch diese Stirn so edel erhellt? Eine Stirn, die unharmonisch ist, entstellt ein ganzes noch so zierliches Antlitz. Die Stirn dieser jungen Frau stieg sanft aus den eingesenkten Schläfen und erhob sich nur oben, dicht an den gescheitelt niedergleitenden grauschimmernden Locken, deren an jeder Seite drei bis auf die[8] in dem Lehnsessel sich aufstemmenden Oberarme fielen, zu einem leisen Hervortreten zweier Flächentheile, die in der Mitte durch eine einzige sanfte Linie getheilt waren. Die Rundung des Kopfes, dessen Hintertheil ein unterm Kinn zusammengebundenes Flortuch von schwarzer Seide bedeckte, war der Ausdruck eines Wesens, das die Harmonie und mit ihr die Gerechtigkeit liebte. Die Augenbrauen waren dunkel, nicht von dem Loose des Haares betroffen. Zitterten die Blättchen in der Hand der Lesenden, so war nur die Haltung der Arme, die sich auf die Lehnen des Sessels stemmten, schuld daran, nicht die bangende innere Aufregung, denn mit Ruhe, Fassung, mit dem Ernst eines Denkers überliest die junge Frau, was sie geschrieben.

Die Blätter lauteten:

»Seit vier Monaten, meine theure Freundin, haben Sie nichts von mir vernommen und vielleicht zu buchstäblich hab' ich mein Wort gehalten, Sie zu verschonen mit den Aufwallungen über halbe und unentschiedene Zustände.

Ich habe nicht in Anschlag gebracht, daß schon seit der Rückkehr des Obersten die Vorbereitungen getroffen sein mußten, Armgart so bald als möglich wieder nach Westerhof zurückzurufen. Unmittelbar nach meinem Briefe suchte ich einzutreffen. Kaum hatt' ich von den Zimmern, die Herr von Terschka für mich bestellte, Besitz genommen, als ich mich in einen Nachen setzte und zur Insel Lindenwerth hinüberfuhr. Ich wiederholte eine der Scenen, deren vor Jahren so viele stattgefunden. Damals, in der seligsten Gewißheit, am[9] Ziele zu sein und mein Kind zu besitzen, es zu überraschen im Schlummer, es entdeckt zu haben in einer Köhlerhütte, bei einem Förster im Walde, hatten mein Schwager und meine ihm verbundene Schwester den Raub, den sie an zwei Aeltern begingen, schon wieder an einen andern Ort geborgen, nur daß ich diesmal nicht die mir tödlichen Worte in einem zurückgelassenen, immer gleichlautenden Briefe fand: ›Dein Platz ist – in der Kaserne beim Olivaer Thor in Danzig; dort wirst du dein Kind finden!‹ Aber ebenso stand ich wieder wie sonst. Muttergefühl und Stolz im Kampf. Nach halbstündigem Warten auf Armgart merkt' ich, daß sie nicht mehr auf der Insel war. Die Englischen Fräulein schienen aufs äußerste bestürzt; eine der Lehrerinnen war im Geheimniß. Als alles geweckt wurde und ich sehr gern den Nonnen eingestand, daß ich sie für unbetheiligt hielt am Verstecken meines Kindes, als die Lehrerin ringsum wirkliche Angst über einen möglichen Unglücksfall bemerkte und gestanden hatte, daß Armgart entflohen war, da hinderte ich selbst, daß man die Schiffer antrieb ihr nachzueilen. Wie sonst aus den Köhler- und Waldhütten ging ich, ich will nicht mehr sagen, mit dem Trotz meiner Jugend, aber doch so vernichtet und auf die erste Hoffnung tief erkältet, daß ich, wie schon oft im Leben, den Eindruck einer Frau ohne Herz zurückgelassen haben mag, als ich schweigend auf meinem Boot zum Ufer fuhr.

Am folgenden Morgen besuchte mich die Lehrerin. Der Armen hatte man, als verdächtig, eine Flucht aus[10] dem Pensionat unterstützt zu haben, sofort gekündigt. Das schon ältliche Mädchen dauerte mich. Sie sprach ihr Leiden nicht aus, das das gewöhnliche verblühender Jugend und des unterrichtgebenden Tagelöhnerns schien, aber ich sah es ihr an und vertraute ihrer Erzählung. Das Mädchen schien mich nicht für würdig zu halten, ganz in ihr Inneres zu sehen. Ich war ihr ›die Mutter, die ihr Kind aufgeben konnte‹. Erst als sie wiederholt auf mein graues Haar und den Ursprung desselben, den sie etwas ungläubig aus dem Kummer herleitete, zurückkam und ich jetzt, lächelnd sogar bei allem Leid, ihr sagen mußte: Liebe, Sie stellen mich viel zu hoch! Dies Erblinden meiner Haare stammt aus einer Lebensgefahr, in die ich mich einst begeben hatte, als ich mich vierzehn Tage lang versteckte, versehen nur mit einem Körbchen Proviant, ohne Wasser und auf den Augenblick harrend, wo ich die Wahnsinnigen, mit denen ich im Kampfe lebte, überraschen wollte – man fand mich endlich fieberkrank und der Typhus raubt oder bleicht uns das Haar –! – da wurde sie mittheilsamer und erzählte mir, was in Armgart's Seele so vorgegangen, als wäre ganz der Geist ihrer Tante Benigna über sie gekommen, dieser Velledennatur, die der Meg-Merilis Walter Scott's nicht unähnlich ist, ohne daß meine Schwester je den Hochlandsdichter gelesen haben mag. Ebenso will das Kind richten über mich und den Vater und setzt sich als Preis für unsere Aussöhnung! Die Lehrerin erbot sich zur Vermittelung mit dem Obersten, der so nahe wohnte und in dessen ganzer Art es liegt, daß er nicht einmal den Versuch[11] machte, sich umzusehen, wo er seinem einzigen Kinde begegnen könnte, geschweige es an sein Herz zu reißen. Ich lehnte die dargebotene Hülfe ab und verwies auf das, was vom Obersten mich immer getrennt hat und was uns ewig trennen wird.

Von Herrn von Terschka erfuhr ich dann alle nähern Umstände dieser Flucht. Sie kennen seine unermüdete Gefälligkeit. Ich erfuhr die kleinsten Details. Begleitet von zwei ihr bekannten jungen Männern war das wahnbethörte Mädchen nach einer nächtlichen Fahrt auf die Station einer großen Postroute gebracht worden, wo sie die Diligence bestieg und nach Witoborn fuhr.

Ich konnte ihr nicht folgen. Die Nähe so vieler Feindseligkeit beängstigte mich auch bei Lindenwerth. Ich schrieb einige Worte an den Dechanten und begab mich nach Belgien und Ostende, wo ich die Gräfin erwarten wollte, um sie, wie früher gehofft, mit Armgart, nun vielleicht allein nach England zu begleiten. Die Ankunft derselben verzögerte sich. Ich wartete wochenlang und sah das Meer in allen seinen wechselnden Launen, in seiner Größe und Gefahr, unheimlich und selbst im Sonnenschein und bei Windstille dem Menschen nicht wohlwollend. Die Jahreszeit wurde rauher, die Stürme tobten, die See ging hohl – eine Welle, die schon von weither rollt und über dem gefurchten Spiegel sichtbar wird wie eine glattgeschliffene riesige Sichel, immer näher kommt, immer mächtiger in ihrem weißen Gischt anwächst und dann sich auf den Strand wirft, hat etwas so unbarmherzig Unerbittliches, daß ich selbst vom schützenden Leuchtthurm aus nicht mehr diesem Spiele zusehen mochte.[12] Ich reiste der Gräfin entgegen, die endlich in Frankfurt angekommen war.

Aber schon in der Residenz des Kirchenfürsten begegneten wir uns und haben wir hier die stürmischen Tage der Gefangennahme desselben erlebt. Die Gemüther waren und sind noch in einer Aufregung, die den Verkehr mit ihnen peinlich macht, zumal wenn man mit einer Protestantin auftritt, die so entschieden wie die Gräfin an ihrem Bekenntnisse festhält und hier überall mehr Mistrauen und Feindschaft, als Entgegenkommen findet. Die Rechte ihres Sohns auf die Dorste'schen Besitzungen sind unantastbar; die Processe, die man dagegen aufbrachte, sind in drei Instanzen zu Gunsten des Grafen Hugo entschieden worden. Terschka ist schon nach Westerhof, um die Uebernahme der Güter und die Verständigung über Paula's Zukunft zu beschleunigen. Sie kennen meine Verehrung vor der hoheitsvollen Gesinnung dieser ehrwürdigen strengen Matrone. Schon mit ihrem Erscheinen entwaffnet Gräfin Erdmuthe jede Feindseligkeit; selbst der gefährlichste ihrer Gegner, der Procurator Nück, windet sich vor ihr, als wenn schon ihr Blick etwas Zähmendes und Bändigendes hätte; gerade ihm gegenüber thut die sittliche Macht des festen Willens und der reinen Ueberzeugung auch noth, da er noch bis zur Stunde, obschon alles für seine Clienten, die Geistlichen, die Klöster, die Stifte, die Landschaft, verloren ist, sich dem Unvermeidlichen nicht fügen will, zumal seit dem 10. December, wo von Rom aus hier alles wie mit unsichtbaren Schwertern bewaffnet ist.

Eine freundliche Erscheinung waren mir die beiden[13] jungen Männer, die an jenem für mich so schmerzlichen Sonntage Armgart auf ihrer Flucht begleitet hatten. Benno von Asselyn arbeitet bei Herrn Nück und mußte sich leider als ein Gegner der Gräfin einführen. Doch verständigte die würdige Frau sich bald mit dem jungen unterrichteten Manne, der für einen Neffen des Dechanten gilt, aber nur ein Adoptivsohn seines Bruders ist und eine Spanierin zur Mutter haben soll. Der andere ist ein junger reicher Kaufmann, Namens Thiebold de Jonge, eine heitere, lebensfrohe Natur, etwas beschränkt, aber desto reicher ausgestattet mit jenem Enthusiasmus, der bei allen Dingen immer präsent ist, was man bei den blasirten jungen Männern dieser Tage nur noch selten findet. Herr de Jonge gestand mir in aller Offenheit, daß er mich nur mit großem Mistrauen betrachte, denn sein Herz gehöre dem Obersten, der ihm vor einigen Jahren in Canada das Leben gerettet. In Wahrheit aber gehört sein Herz nur Armgart. Sie scheint schon früh das Talent zu haben, die Männer zu verwirren. Herr von Asselyn und dieser junge Kaufmann lieben sie beide und ich weiß nicht, wem sie den Vorzug gibt. Wenigstens scheinen sich die jungen Männer resignirt zu haben, sich ihrem eignen Ausspruch zu unterwerfen.

Natürlich war ich auch ihnen eine ganz herzlose Mutter. Erst seitdem sie zufällig in Erfahrung brachten, daß ich damals, als ich mich von meiner Krankheit erhob und im Spiegel mein graues Haar erblickte (allerdings in der Verzweiflung – weiblicher Eitelkeit!) mit allem brach und zu Ihnen in ein Kloster reiste, wo man, wie hier bei den Karmeliterinnen, nicht etwa[14] Näharbeiten fertigt, höchstens ein paar Unterrichtsstunden gibt und die übrige Zeit im Müßiggang vertändelt, sondern in ein Krankenhaus, in dessen stündlichem Geschäftsgang ich die Vergangenheit vergessen wollte, da milderte sich auch hier ein wenig das Mistrauen und ich muß schon über mich wachen, nicht etwa mich mit Lorbern zu schmücken, wenn ich von Ihnen und meinem Tode in Ihrem Kloster spreche.

Statt Armgart soll die Gräfin nun nach England eine Italienerin begleiten, ein junges Mädchen, das die Gräfin aus ihren Besitzungen in Piemont kannte und hier wiederzufinden sich wahrhaft gefreut hat. Die Gräfin ist die Güte selbst und würde alles glücklich machen, wenn sie dazu die Mittel besäße. Sie warnten mich vor ihrem Lutherthum! Freundin, seit den langen Jahren, daß ich an Ihren Krankenbetten lebte, hab' ich über die Religion in jedem Augenblick nachgedacht, nie aber über den Unterschied der Religionen. Auch Sie, theure Freundin, Sie, Aebtissin der Hospitaliterinnen, die Sie noch zu den Barmherzigen Schwestern alten Stils gehören, nicht zu den neuen, mit denen Vincenz von Paula den Jesuiten ein Geschenk machte, Sie haben mir ja selbst – wie oft gestanden, daß Sie die Zumuthung nicht ertragen würden, die Ihnen die Römlinge stellen, in Ihr Kloster neue religiöse Vorschriften einzuführen! Eines kann der Mensch nur vollbringen, entweder Gott in der Erfüllung seiner Pflicht dienen – oder sich ganz der Betrachtung ergeben und ausruhen und phantasiren und träumen. Wenn Sie noch beten und singen sollen, sagten Sie selbst, können[15] Sie nicht die Kranken pflegen. Die wahre Religion ist die Pflichterfüllung und ein ganzes Versenken nur in sie allein. Das beste Gebet ist eine That, die auf Gottes Beistand deshalb rechnet, weil sie gut ist. Ich höre hier zuweilen die Predigten eines neuen jungen Domherrn, eines Verwandten unsers Benno von Asselyn, der einen außerordentlichen Zulauf hat und der noch der Last der an ihn gestellten Zumuthungen, namentlich im Beichtstuhl, erliegen muß, wenn er sich nicht Schonung gönnt. Noch neulich sprach er die Worte, die ich nur gewünscht hätte von ihm weiter ausgeführt und auf die Gegenwart anders gedeutet zu sehen: ›Wir bewundern und fassen es jetzt gar nicht mehr, wie das Christenthum in den alten Zeiten verherrlicht und bekannt wurde! Nicht nur war es die tägliche Ordnung alles Lebens, des öffentlichen wie des gesellschaftlichen und häuslichen, sondern der stündliche Ausdruck jedes Gefühls, jedes Gedankens, der stete Begleiter des Seufzens im Kummer, wie der Begleiter des Jauchzens in der Freude. Festzüge sah man und sie verherrlichten nur die Vorgänge der heiligen Geschichte – er strafte damit den kindischen Kummer um den verbotenen Carneval –; man sah Schauspiele wie jetzt und sie unterhielten durch die Geschichte der Passion; jeder Gedanke der Kunst, der Bildung, der Gelehrsamkeit war zu gleicher Zeit ein christlicher Gedanke.‹ – Nun wohl, flüsterte ich schon nach der Beendigung dieser Predigt der Gräfin zu, die sich entschlossen hatte, diesen Domherrn einmal zu hören (eine merkwürdige Aehnlichkeit desselben mit einer italienischen Bekanntschaft von ihr, auf die sie von der obengenannten[16] jungen Italienerin aufmerksam gemacht worden war, zog sie an und wurde von ihr bestätigt): warum fügte er nicht hinzu, die Kenntnisse haben sich erweitert, die Anschauungen sind umfassender, die Pflichten verwickelter, die Lebensäußerungen mannichfaltiger geworden? Wenn jetzt nicht mehr jede einzelne Lebensthat die christliche Signatur tragen kann, so genügt es ja schon, wenn sie dem Christenthum nicht widerspricht … Freilich hat auch die gute Gräfin ihre Herzensberuhigung nur zu sehr darin gefunden, daß sie nach dem Standpunkte, auf dem sie einmal steht, dem Standpunkt des Grafen Zinzendorf –«

Bis hierher hatte Monika von Hülleshoven geschrieben …

Sie las die Blätter nur deshalb wieder durch, weil sie den Faden ihrer Erzählung verloren hatte, und eben fand sie ihn, wollte eben weiter schreiben, mittheilen, daß sie trotz des fertigen Gepäckes bis zur Stunde noch im Zweifel wäre, ob sie morgen nach England mitgehen sollte, als sie im Nebenzimmer die sanften Accorde einer Guitarre hörte … Sie wußte, daß sie von Porzia Biancchi kamen, die schon zur Reise alle ihre eigenen kleinen Geräthschaften geordnet hatte und vielleicht eben noch ihre Guitarre einpackend sich nicht überwinden konnte, das Instrument, das sie mit Gewandtheit spielte, anzuschlagen …

Allmählich wurde aus den Accorden ein Lied und Monika hörte nun zu schreiben auf … Ob sie wol endlich wahr macht, sagte sie sich, was sie uns so oft versprochen, daß sie einmal singen würde? Ich glaube,[17] sie fürchtet sich immer nur vor der Gräfin, die die menschliche Stimme nur geschaffen erklärt zum Lobe Gottes!

Leise und wie schüchtern erklang zu den angeschlagenen Accorden ein melodischer Gesang … Porzia hatte eine schöne Altstimme … Monika, um die italienischen Worte zu verstehen, lauschte …

Indem meldete der Courier einen Besuch und wollte im Nebenzimmer, wo Porzia sang, gleichfalls mittheilen, daß es Marco Biancchi war, ihr vor vier Monaten aus England gekommener Onkel, der in großer Eile sie zu sprechen begehrte …

Lassen Sie doch! sagte Monika und bedeutete den Meldenden, die Sängerin nicht zu unterbrechen. Sie wollte den Italiener selbst empfangen … Der Sprache desselben war sie mächtig … Sie sagte, sie würde Porzien das Nöthige dann schon mittheilen …

Marco Biancchi kam in großer Aufregung. Er wollte der Gräfin ankündigen, daß er mit ihr zugleich nach England reisen würde, wo er seit Jahren schon heimisch geworden …

Monika wußte, daß er von dieser Stadt aus noch weiter ins Innere Deutschlands wollte, daß er für seine Kunst, Bilder zu restauriren, Aufträge nach Frankfurt und München hatte und zuletzt einen dritten Bruder zu besuchen gedachte, der in Wien lebte und ihr selbst wohlbekannt war als ein dort vielgesuchter Musiklehrer …

Auf ihr Erstaunen, wie er seinen Plan so schnell hatte ändern können, gab Marco ausweichende Antworten und bald bemerkte sie, daß seine Rückkehr nach England keine freiwillige war, ja daß er mit einem längeren[18] Verweilen in dieser Stadt sich einer Gefahr aussetzen würde …

Porzia schien so in ihrem Gesang verloren, daß sie die nicht leise geführte Conversation des Nebenzimmers nicht hörte … sie sang und spielte alle die Lieder, die sie schon im Gasthof Zum goldnen Lamm, auf Befehl ihres längst nach Frankfurt zurückgekehrten Vaters, dem Onkel Marco sogleich nach dem ersten Wiedersehen als Probe ihrer Gaben hatte vortragen müssen …

Theils das angeborene lebhafte Naturell, theils das Gefühl von Sicherheit, das in einer in der vaterländischen Sprache geführten Conversation für ihn lag, veranlaßten das Geständniß des Italieners, Herr Benno von Asselyn hätte ihn aufmerksam gemacht, daß eine der Sicherheitspolizei angehörende einflußreiche Person ihm dringend anriethe, sofort Deutschland zu verlassen. Er würde bereits seit seinem ersten Ankommen beobachtet und gelte für einen Emissär der auf englischem Boden stattfindenden italienischen Conspirationen …

Für Monika war es nach dem ersten Ausdruck des Bedauerns und Erstaunens wohlthuend, in Verbindung mit einem, wie sie bald sah, so wohlangebrachten Rathe den Namen Benno's zu vernehmen, der seit einiger Zeit sie nicht wieder besucht hatte, während Thiebold fast alle Tage kam und längst auch für sie seine gewohnte Schwärmerei zur Schau trug …

O das ist ja brav von Herrn von Asselyn! sagte Monika und forschte teilnehmend: Würden Sie sich denn nicht gegen diesen Verdacht haben rechtfertigen können?[19]

Die Miene des Italieners wurde eigentümlich von dem Gesange seiner Nichte begleitet … Es war ein Ausdruck, der zwar zunächst nur der der Verschmitztheit schien und doch mischte sich ihm etwas Elegisches bei, das Monika vollkommen als die Liebe zum Vaterlande und zur Freiheit erkannte. Ja wäret ihr Italiener wirklich nur fähig, die Freiheit zu ertragen! sagte sie. Ihr seid aber wahrhaft ein Volk von entthronten Königen! Entweder müßt ihr herrschen oder in Ketten gehalten werden. – Deshalb verstand euch Napoleon so gut! Weil nur Er herrschen wollte, hat er euch mehr mit Füßen getreten, als irgendeine andere Nation!

Italia la regina del mondo! rief Marco und begann, sich in die Stimmung des leisen Gesanges nebenan versetzend, eines der vielen Gedichte zu recitiren, an denen für dies Thema seine Nation so reich ist und deren Zahl auch jeder einigermaßen gebildete Italiener durch die Kunst der Improvisation zu vermehren weiß …

Deshalb wollt ihr die Freiheit für euch, unterbrach Monika seinen langen Monolog, um sie wieder den andern Völkern zu entziehen!

Wir wollen nur das Joch der Fremden brechen! rief Marco. Ein Volk von Brüdern, von den Alpen bis zum Meere! Ein einziger Bund von Bruderstaaten! Republik oder Monarchie, nur keine Trennung mehr!

Aber dem Schlüssel Petri gönnt ihr dabei alle Pforten des Himmels, nur am wenigsten die eurer großen Roma! Ihr wollt ihn ganz nur zu einem Heiligen machen und aus der Liste der weltlichen Souveräne streichen! Aber thätet ihr das, so hat ja eure letzte Stunde geschlagen! Alle[20] katholischen Nationen würden sich zu einem neuen Kreuzzuge rüsten und Rom würde, wenn es den Kampf aufnähme, zerstört werden.

Das ist schon oft geschehen! erwiderte Marco mit einiger Ironie. Ja, ich weiß, es gibt Italiener, die unserm Glauben untreu geworden sind! Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich will den wahren christlichen Glauben und ich will, daß er eine große Macht besitzt. Aber ein geistiges verjüngtes Rom soll herrschen! Der Heilige Vater in Wahrheit ein Vater der Menschheit, erhalten von seinen liebenden Kindern, zunächst von den Römern, die durch ihn ihre alte Freiheit und Größe gewinnen müssen! Rom, der Sitz des Lichtes! Rom, die Sonne, deren Strahlen die Erde erleuchten! Einst zitterte die Welt vor den Waffen dieser stolzen Königin, aber schon damals brachten die Imperatoren mit ihren Adlern die milden Sitten und eine Gesetzgebung, die die Freiheit selbst war und das Menschenrecht und die geschriebene Vernunft! Roms Sprache ist die Sprache der Religion, der Wissenschaft, der Denkmäler! In alle Sprachen der Barbaren mußte sie eingeführt werden, wenn sie die Gedanken der Civilisation aufnehmen wollten, für welche diese keinen Ausdruck hatten. Roms Bischöfe wurden die neuen Befreier der Welt! Der Ring des Fischers drückt das Siegel auf alle Freiheitsurkunden, die noch die Nationen den Händen ihrer Henker abtrotzen werden! Roms Hirtenstab hat die Leibeigenen befreit, die Städte gegründet, die Gemeinden geschaffen, die Republiken erleuchtet, sie geschmückt mit Bildern und mit Denkmälern des menschlichen Geistes! Rom, ohne Waffen, Rom,[21] ein Gedanke, hat allein dem treulosen Corsen ins Auge zu sehen gewagt, muthiger, als Könige und Kaiser, die vor ihm im Staube krochen! Durch Rom wird das Christenthum erhalten bleiben als ein linder Balsam, der das Gemüth von seinen Wunden heilt! Nicht, Signora, das jesuitische Rom mein' ich, das ich hasse, weil die Jesuiten die Freiheit hassen und die Unabhängigkeit der Völker und die wahre Größe des Menschen … Ha! Ceccone! Daß Menschen, wie du, dem wahren Rom ein falsches Gewand umhängen durften! Ceccone! Politiker statt Priester, Schergen, die die Patrioten verfolgen, statt sie zu schützen gegen die Feinde Italiens! Signora! Lassen Sie Italien frei sein von seinen Tyrannen, von seinen – Ceccones und die Geschichte wird ein Volk der Größe finden, Republiken, die sich mäßigen, ein Rom, das den katholischen Glauben wieder zur Sehnsucht aller Völker macht, auch der abgefallenen!

Das Auge des Italieners leuchtete. Sein weißes Haar schien sich zu sträuben. Der rechte Arm begleitete seine Worte wie mit den Gesticulationen der Rednerbühne …

Monika folgte mit Aufmerksamkeit und voll prüfender Ueberlegung … Cardinal Ceccone war ein in diesem Augenblick oft genanntes Glied der römischen Curie … Die Arme auf die Lehne des Sessels stemmend und die Locken schüttelnd, sagte sie: Nein, nein! Es gibt andere Italiener, die an diese Siege der katholischen Lehre nicht mehr glauben wollen!

Ich verachte sie! warf ihr Biancchi entgegen.[22]

Sie berufen sich darauf, daß gerade ein Ceccone den Purpur tragen kann!

Noch las Ceccone keine Messe …

Nun gut! Aber aus allem, was Ihr mir von Euren Meinungen verrathet, erseh' ich doch, daß Ihr dem Unbekannten zu danken habt, der Euch rathen ließ, nach England zurückzukehren! Was aber Porzia betrifft, laßt sie nicht zu viel in der schönen Bibel lesen, bei der ich sie zuweilen überrasche und die sie so heilig zu halten scheint, wie ihre Guitarre!

Es ist das Geschenk eines freundlichen Mannes, der schon ein wenig alt ist, sonst würd' ich glauben, daß sie sich schwer von seinem Lande trennt! sagte Marco und wandte sich mit höflicher Verbeugung zu Porzia's Thüre …

Ihr glaubt an die ewige Jugend Roms, das schon so alt ist? Dann müßt Ihr auch dem Geiste und der Liebe eine Verjüngungskraft zuschreiben! Wer ist denn der Verehrer dieser Bibel, in der Porzia so eifrig liest, daß ich fast glaube, sie studirt auch die deutsche Sprache darin, ihm zu gefallen?

Biancchi blickte immer auf die Nebenthür und schien auszuweichen, den Namen zu nennen …

Der deutsche Name wird für Eure Zunge zu schwer sein …

Ein Signore Hedemann ist es! sagte der Italiener festbetonend und verrieth in der prüfenden Schärfe seines Blickes, daß ihm die Beziehung dieses Namens wohlbekannt war zu dem Gatten der freundlichen Dame, die so vertraulich und wohlwollend und offenbar von seinen Aeußerungen angezogen mit ihm plauderte …[23] zugleich wollte er, als guter Anwalt seiner Nichte, die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, über einen Mann Erkundigungen einzuziehen, der die in St.-Wolfgang und Kocher am Fall angeknüpfte Bekanntschaft auch noch in der Residenz des Kirchenfürsten fortgesetzt hatte, als er zum Betrieb seiner Ankäufe hieher gekommen und so lange geblieben war, bis Frau von Hülleshoven von Ostende zurückkehrte, wo die Gräfin von Salem-Camphausen Porzia dann beim Wandeln in der Kathedrale entdeckte. Porzia war nach der Abreise ihres Vaters geblieben, um nach Frankfurt erst mit dem Onkel Marco zurückzureisen.

Welchen Namen nannten Sie? sagte Monika und erhob aufhorchend ihr gebeugtes, in Gedanken verlorenes Haupt …

Remigius Hedemann! wiederholte der Italiener und setzte frank und frei hinzu: Un intendente del Signore Colonello de Hülleshoven!

Bei dieser Bezeichnung schien ihm das italienische Verhältniß zwischen Diener und Freund vorzuschweben, das bei Landbesitzern und großen Adelsfamilien sich dort noch im Sinne der alten römischen Clientel erhalten hat.

Hedemann! sagte Monika erregt und erhob sich …

Statt dem Wunsche des Italieners entgegenzukommen und ihm nun über Hedemann weitere Nachrichten zu geben, winkte sie ihm, er möchte jetzt selbst ins Nebenzimmer treten … aber auch Porzia hatte eben leise ihre Thüre geöffnet und die Stimme des Onkels gehört … der Italiener trat zu ihr ein.

Wie Monika allein war, sammelte sie sich erst langsam von dem Eindruck, den ihr das plötzliche Nennen[24] eines Namens gemacht hatte, der mit ihren ernsten Lebensbeziehungen in so naher Verbindung stand. Hedemann war, solange sie denken konnte, mit ihrer Familie in der unzertrennlichen Verbindung eines sich nie überhebenden Dieners, Rathgebers und Helfers in aller Noth gewesen … Daß er und mit ihm der Oberst schon so in ihre nächsten Kreise eingetreten und daß dies zu ihrer Begleitung und Bedienung bestimmte junge Mädchen mit einem sie so nahe berührenden Manne bekannt war, nahm ihr fast den Athem. Auf und nieder ging sie und konnte zur Beendigung ihres Briefes nicht zurückkehren. Sie schloß die Blätter, die sie zusammenlegte, zuletzt in ein Reiseportefeuille, das sie mit der ihr ohnehin heute stündlich wiederkehrenden Empfindung betrachtete: Solltest du wirklich fliehen? Solltest du diese Reise nach England mitmachen? Was zagst du? Was trittst du nicht mitten in die Kreise ein, wo du dich so gehaßt weißt, und trotzest ihnen – wie der Oberst …? Sie wußte von Benno, daß der Oberst vorhatte, sich in Witoborn anzusiedeln und mit Hedemann sogar einen Industriezweig zu ergreifen.

Voll Erregung klingelte sie dem Courier, ließ die große Lampe heller herrichten, befahl die Vorrichtung zum Thee, da die Gräfin unfehlbar bald zurückkommen würde, und entließ Marco Biancchi, der aufgeregt seiner auf das Klingeln gleichfalls sich einstellenden Nichte folgte, sowol mit dem Rath, dem ihm gegebenen Wink baldmöglichst zu folgen, wie mit dem Erbieten, der Gräfin von dieser Wendung die von ihm gewünschte Anzeige zu machen. Daß Marco Biancchi trotz aller angeborenen[25] Größe und Adelswürde seiner Nation Lust zu bezeugen schien, die Reisegesellschaft der Gräfin zu vermehren und auf deren Kosten wenigstens bis Antwerpen zu fahren, bemerkte die junge Frau noch nicht. Vielleicht erschien auch dem feurigen Patrioten eine Rücksprache mit dem Kurier eine noch geeignetere Maßregel, um zu seinem Ziele zu gelangen. Porzia, sichtlich erschreckt von der vernommenen Gefahr des Onkels, begleitete ihn hinaus.

Inzwischen hörte man einen Wagen anrollen … Monika, den Reiz einer an Porzia zu richtenden Frage nach Hedemann unterdrückend, trat an die vom Regen beschlagenen Fenster, sah in den düstern, von Laternen matt erhellten Abend, und stellte, als sie die Rückkehr der Gräfin erkannt zu haben glaubte, auch noch die kleinere Lampe auf den großen runden Tisch, den sie zum Sopha rückte. Lag dann auch in dem kurzen Blick auf einen Spiegel, in dem sie ihre einfache Toilette ordnete, die Schleifen des Geflechtes, das ihr Haar bedeckte, fester band, die in Verwirrung gerathenen Locken ein wenig aufwickelte, der Ausdruck der Sammlung und der ehrerbietigen Unterordnung unter die hochgestellte Dame, die in der That durch die weitgeöffnete Thüre eintrat, so war sie doch in einer Stimmung, wie Armgart damals, als sie mit Benno und Angelika am luftigen Hüneneck stand und in den Riesenhäuptern der Sieben Berge sieben Propheten sah – ungewiß, dem Gegebenen entrückt, »hangend und bangend in schwebender Pein«.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 4, Leipzig 1859, S. 3-26.
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