2.

[26] Frauen, die nie gelächelt zu haben scheinen, Frauen, die immer ernst, thätig und handelnd ins Leben griffen, wird man darum noch nicht männlich zu nennen brauchen. Ihre Frauenart bewahren sie in eigenthümlichen, ihrem Geschlecht allein angehörenden Zügen.

Gräfin Erdmuthe von Salem-Camphausen war eine Norddeutsche, eine geborene Freiin von Hardenberg. Ihr Gatte wählte sie, angezogen von ihrer imponirenden Gestalt und untadelhaften Schönheit. Im lutherischen Glaubensbekenntnisse waren sich beide gleich, wenn auch die strenge Form, in der die Gräfin das ihrige bekannte, vom Grafen nicht getheilt wurde. Auch trat diese Strenge bei der Gräfin erst hervor, als sie, wie Monika damals von sich an Angelika Müller geschrieben, sich selbst zu erziehen anfing. Der Graf lebte meist in Ungarn, wo unter so vielen Protestanten keine Veranlassung gegeben war, sich in der so schwierigen Geisteskraft auszubilden, mit Ueberzeugung in der Minorität zu stehen. Die Gräfin dagegen, die größtenteils allein in Schloß Salem bei Wien lebte, war mehr in der Lage, ihre[27] Besonderheit zu kräftigen, ja zuletzt bedurfte sie eines Anhaltes gegen den General-Feldzeugmeister, ihren Gatten selbst. Nie herrschte eine Verstimmung zwischen ihnen, aber wo fängt die Bildung des Charakters im Menschen an? Von dem Tage, wo man eine Lücke unter seinen Wünschen und Hoffnungen fühlt, von dem Tage, wo man irgend worin eine große Niederlage erlitt. Graf von Salem-Camphausen hatte auf das Zufallen eines Vermögens an seine Gattin gehofft. Diese Hoffnung scheiterte. Kein Wort des Vorwurfs kam über seine Lippen, aber – die Lücke war da, der Zartsinn der Gattin empfand sie und sie mußte sie füllen. Schätze eines frivolen Geistes, die etwa in der Welt blenden konnten, besaß sie nicht; ihre Erscheinung hatte durch ihr erstes Kindbett gewonnen, durch spätere Fehlgeburten verloren; ihr einziger Sohn erforderte eine Erziehung und so schöpfte sie aus sich selbst so viel, als sie eben vorfand. Ein alter Grund von Religion war in sie gelegt worden, eine pietistische Lebensauffassung. Ihre Erzieher waren Herrnhuter gewesen, zu denen sich auch einige Zweige ihrer Familie ganz bekannten. Diese später zurückgedrängte, nicht ganz verklungene Bildung sammelte sich wieder in ihrem Innern und wurde ihr zum Ersatz für die Welt, die die Verlegenheiten des großen Hauses bemerkte, für die Zerstreuungen, die sie nie geliebt hatte, für die Hülfsmittel der Bildung, die man ihr für ihren Sohn anbot und die ihr misfielen, für den Gatten endlich selbst, der trotz seiner hohen Stellung ein sorgloser Lebemann war, einst im Bändigen eines Rosses eine Wette gewinnen wollte, sich[28] überschlug und den Hals brach. Das Entsetzen über dies in weiter Ferne von ihr in Erfahrung gebrachte Unglück schien wie starr auf ihren Gesichtszügen festgeblieben zu sein und die Gräfin versteinert zu haben. Ausdruck für ihre Trauer suchend, fand sie sie nur in den Erinnerungen an die religiöse Bildung ihrer Jugend. Sie fand mit ihnen jenen elegischen Trost, der zwar ausruft: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt in Ewigkeit! der nun aber auch für immer den ganzen Menschen in den Zustand der Entsagung versetzt. Ein Zurückziehen von der Welt, ein starres Festhalten an ihrem Glauben schien der vornehmen Gesellschaft, von der die Gräfin schon längst kalt und schroff genannt worden, jetzt vollkommen gerechtfertigt.

Der Ort, in dem die Gräfin den in Presburg erfolgten Tod ihres Gatten erfuhr, war jenes Schloß Castellungo im Piemontesischen, das sie sich aus ihrem Eingebrachten selbst erkauft hatte, weil ihr die Lage und die rings noch lebende Erinnerung an die alten Waldenser, die Vorläufer der Reformation, gefiel. Sie hatte sich diese Erwerbung aus ihren eigenen Mitteln zugetraut, weil sie damals mit begründeter Hoffnung durch den Tod eines Verwandten vermehrt werden sollten. Die Hoffnung schlug aber durch ein Testament fehl und die Gräfin besaß ein verschuldetes Eigenthum, während der Graf selbst, infolge einer seither mit immer größerer Dringlichkeit gesteigerten Erwartung, früher oder später die großen Güter der Dorste-Camphausen im westlichen Deutschland zu gewinnen, in seinem eigenen Haushalt keine Ordnung mehr hielt. Dennoch hatte er[29] die Verlegenheit seiner Gattin auf sich selbst übernommen. Er brachte den Besitz Castellungos für seine Frau so ins Reine, wie eben sein ganzes übriges Besitzthum stand. Er hieß der Herr und war es nur dem Namen nach. Die Aeltern der kleinen Bettina Fuld waren es von Schloß Salem und auch von Castellungo mehr als sein Sohn Hugo, der, als der Vater in der Blüte seiner männlichen Jahre so unglücklich endete, erst sieben Jahre zählte.

In einem Anfall von Mismuth über die zunehmende religiöse Neigung seiner Frau hatte sich der Graf bedungen, daß sein Sohn unter allen Umständen Soldat werden sollte. Wenn man in einem so entschieden altgläubig regierten Lande, wie bei uns, innerhalb der Gesellschaft vergißt, daß ein Mitglied des Adels zu den Ketzern gehört, hatte er gesagt, so kann das nur geschehen, wenn ihn der Nimbus der Bravour umgibt! Unabänderlich war es, daß Graf Hugo Militär wurde. Die Mutter war in Verzweiflung. Schon ihn aus den Augen zu verlieren, schmerzte sie; nun gar, ihn nicht selbst erziehen, ihn nicht vor den Gefahren der Welt schützen zu können. Graf Hugo besuchte die Militärakademie unter Bedingungen, die ihrer ganzen Stimmung widersprachen. Wenn sie jemals zu einem Lächeln kam, war es in den Augenblicken der Freude, wo Hugo auf einige Zeit der Ihrige sein konnte, nur unter dem Schutze ihrer mütterlichen Liebe stand, bei Ferien, später bei Urlauben, bei einer längeren Pflege, als er einst verwundet wurde in einem Gefecht gegen türkische Grenzer – drei Jahre stand er an der dalmatinischen Küste – und ihr da allein angehörte.[30] Sagten wir, daß an keinem Weibe, wenn wir es auch männlich nennen, Züge fehlen, die allein nur dem Weibe angehören, so ist dies bei der Gräfin Erdmuthe die Liebe zu ihrem Sohne. Diese äußerte sich nicht etwa in der regelmäßigen Form, wie überhaupt die Liebe sich gibt; nicht etwa z.B. in der Strenge, die von der Liebe nicht im mindesten ausgeschlossen ist, sondern in einer blinden Vergötterung. Graf Hugo war ein liebenswürdiger Cavalier, aber auch in vielem nur das, was man eben einen Cavalier nennt. Besten Herzens und namentlich ganz den Gefühlen für Kameradschaft und Freundschaft zugänglich, führte er ein Leben, das die Mutter unbedingt hätte verwerfen müssen. Aber selbst ihre religiöse Strenge, die sie gegen alle ausübte, war für die Beurtheilung der Dinge, die sie von ihrem Sohn erfuhr, nicht vorhanden. Alles, was nur mit dem Geliebten in Beziehung stand, verklärte sich ihr. Traten ihr die Folgen seines Leichtsinns zu deutlich entgegen, so hatte sie hundert Beispiele der Bibel über die Langmuth des Herrn, über seine Geduld mit denen, die er lieb hat, über die Verirrungen David's und Salomo's und die künftige Erleuchtung und Gottwohlgefälligkeit auch dieser heiligen Sünder. In jeder Mehrung der Schuldenlast, die schon lange das Haus Salem-Camphausen drückte, sah sie, was die Veranlassungen derselben betraf, einen Beweis mehr nur für den Satz, daß eben das Gute in dieser Welt sehr schwer zu erringen und zu behaupten wäre. Waren die Ausgaben des Sohnes irgendwie auf andere Veranlassungen zurückzuführen, als auf die, welche sich in der Hoffnung auf den endlichen[31] Gewinn in dem seit dem Tode des Grafen Joseph zu Westerhof geführten Proceß sogar bei allem Mangel wieder doch die Verschwendung gestatteten, so wählte sie gewiß die edelsten. Sie übersah die großen Ausgaben für Pferde, Wettrennen, Spiel, Vergnügungen aller Art, wenn sie die kleinen Ausgaben musterte für Bücher, Kupferstiche und Mildthätigkeitsbeweise. Ließ Graf Hugo ein schönes Mädchen, das er bei einer Kunstreitergesellschaft in einer dalmatinischen Stadt am Ufer des Adriatischen Meeres kennen gelernt hatte, in Wien ausbilden und erziehen, so verschlang diese, nach ihrer Meinung und Auslegung so »edle Handlung«, Tausende. Alles, was in den Rubriken des Leichtsinns stand, übertrug sie auf die Rubrik des guten Herzens. »Selig sind die Barmherzigen«, sagte sie, »denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!«

Vorzugsweise mußte diese mütterliche Schwäche wunder nehmen in der Beurtheilung auch aller der Verhältnisse, die sich mit dem Sohn verbanden. Der schöne junge Mann stieg in seiner Carrière und befehligte bei wenig über dreißig Jahren schon ein Reiterregiment. Jenes schwarzbraune Mädchen, Angiolina genannt, das er hatte erziehen und überraschend ausbilden lassen, war seine Geliebte geworden. Ihr blieb sie nur des Sohnes Pflegkind, sozusagen ihre Enkelin. Sie, die oft Wien mit Sodom und Gomorrha verglich und den Zorn des Herrn noch einst in Gestalt von Schwefel und Pech auf die sündige Stadt herniederregnen sah, nahm Angiolina's Besuche an und ließ sich durch nichts in der Welt das Bild verwischen von dem Findling, den ihr Sohn hatte »einem Leben der Sünde entreißen lassen«. Graf Hugo brauchte[32] ihr dabei nicht einmal zu schmeicheln, brauchte nicht einmal ihr die Hand zu küssen und sie mit chère maman's zu überhäufen. Alles, was ihn betraf, fand sie in der Ordnung. Selbst wenn Graf Hugo erklärt hätte, er wollte Angiolina heirathen, würde sie sich überredet haben, ihr Sohn nütze vielleicht mit diesem Opfer nur sich selbst, jedenfalls jenem schönen Mädchen, das er auf diese Art vor sittlichem Schaden bewahre.

Besonders seltsam war ihre Anhänglichkeit an Wenzel von Terschka. Dieser Abenteurer, denn anders konnte man ihn nicht nennen, tauchte vor einer Reihe von Jahren plötzlich in ihres Sohnes Nähe auf. Durch Bildung und Erziehung fast Italiener, nahm sie ihn doch als das, wofür er sich ausgab, einen Böhmen und Nachkommen der alten Hussiten. War er auch katholisch, so verklärte ihn in ihren Augen die Erinnerung an Hussens Märtyrertod. Wenzel von Terschka war unleugbar böhmisch-deutschen Ursprungs; die Art, wie er früh nach Italien gekommen, blieb dunkel. Anfangs erschrak die Gräfin vor ihm, als sie ihm zum ersten male begegnete als dem intimsten Freund ihres Sohnes, dem er sich durch die trotz der väterlichen Katastrophe auch bei ihm leidenschaftliche Liebhaberei für Pferde genähert hatte. Wenzel von Terschka war ein Meister in allen ritterlichen Künsten. Eine Geistesgewandtheit besaß er, der nur ein innerer Mittelpunkt fehlte. Wenn die Gräfin plötzlich einen solchen gefunden zu haben glaubte, entsetzte sie sich wol, weil es ein ganz specifisch ihr feindseliger war, geradezu ein priesterlicher; aber, so seltsam dies Gefühl mit der Lebensweise Terschka's, die an allen Excessen[33] des Grafen, seines intimsten Freundes, theilnahm, in Widerspruch lag, sie gewöhnte sich an ein stetes Ueberschauertwerden durch ein gewisses Etwas, als müßte sie auf dem rabenschwarzen kurzen Haar des wachsgelben, äußerlich anziehenden und in seinem Wesen klugen, sogar geistvollen jungen Mannes die Tonsur suchen. In Piemont, das damals ganz unter der Herrschaft der Jesuiten stand, hatte sie solche Erscheinungen gesehen, mit ihnen sogar im Kampfe gelegen … Sie hatte alles aufgeboten, auf ihrem Gebiete das Bekenntniß der Nachkommen Peter Waldus', der vor Luther die Kirche zu reformiren suchte, aufrecht zu erhalten; sie hatte einen seltsamen Einsiedler, einen Deutschen, Bruder Federigo, in einer Hütte, die sich dieser in einem ihr angehörenden Eichenwalde gebaut, wo er dem ringsum wohnenden Volk ein Arzt und weiser Rathgeber geworden, geschützt, als die Pfarrer von Cuneo und Robillante ihn vertreiben wollten; sie hatte die Könige von Preußen, von England, Niederland und von Schweden aufgefordert, ihr Beistand zu leisten für den Kampf, den sie ringsum mit Bischöfen und Erzbischöfen begann, ja mit der Regierung in Turin selbst, um gewisse, den Waldensern gegebene Gewährleistungen aufrecht zu erhalten. Damals wurde Wenzel von Terschka von ihrem Sohn zuerst genannt und einen Winter in Wien verlebend, sah sie ihn dann selbst und hätte erst ausrufen mögen bei seinem Anblick: Das ist ja ein Jesuit! Jagte er aber dann mit ihrem Sohne die lieblichen Höhen von Baden-Baden herauf, während ihr Wagen an der »Spinnerin zum Kreuz« stand, wo sie den geliebten Sohn aus Bruck, seiner Garnison, her erwartete,[34] und sah sie Terschka's Sorge für die Rosse, seinen Muth, seine Entschlossenheit, hörte sie seine heitern Reden, beobachtete sie die wilden Unregelmäßigkeiten, die sich die Freunde in einem achttägigen Aufenthalte bei der chère maman erlaubten, so schwand ihr alle Angst und Sorge und sie überredete sich schon bei dem zweiten Besuche, daß Hugo doch schon wieder einen außerordentlichen Takt bewiesen hätte auch in der Wahl dieses seines Gefährten und daß, wenn Sirach sagt: »Ein treuer Freund ist ein Trost des Lebens; wer Gott fürchtet, bekommt einen solchen treuen Freund!« hier vielleicht auch das Umgekehrte eintreffen könnte: Wer einen solchen treuen Freund bekommt, der wird auch lernen Gott fürchten!

Wie die Dinge standen, mußte die ganze Sehnsucht der Gräfin auf die endliche Entscheidung des Processes gerichtet sein, der nicht von dem Kronsyndikus von Wittekind, nicht von Levinus von Hülleshoven im Namen Paula's gegen die Salem'sche Linie angestrengt wurde, sondern von den an der Aenderung der Dorste'schen Verhältnisse erst secundär Beteiligten, vorzugsweise der Geistlichkeit und der Landschaft. Zwei Jahre lang war ihr der Name Nück's ein Bote der höllischen Geister. Sie nannte ihn nicht anders als mit einem Namen aus der Offenbarung Johannis, in die sie sich tief vergrübelt hatte, den Doctor Abadonna, den »Engel aus dem Abgrund«. Als endlich die Hoffnungen immer lichter wurden, immer mehr das Gewölk, das das Antreten eines so großen Besitzes verbarg, verschwand, konnte sie der mächtig wallenden Erregung ihrer Mutterfreude nicht länger widerstehen. Längst schon hatte sie[35] mit der Lady Elliot in England eine Berathung pflegen wollen über die Möglichkeit, in Italien die Reformation zu befördern und Rom durch die Bibel zu stürzen. Mit dem ihre ganze Seele erfüllenden Verlangen, die Kräfte, die England für eine solche Unternehmung in Bereitschaft halten konnte, selbst einmal durch den Augenschein zu prüfen, verband sie nun auch die Reise nach dem Orte, von wo aus sie die Lage des Processes übersehen, den Triumph der günstigen Entscheidung genießen, vielleicht eine Beziehung der Etikette zur Gräfin Paula und ihren Umgebungen anknüpfen konnte. Hätte sich jene die Religionsbedingung betreffende Urkunde gefunden, die seit zwei Jahren in Westerhof, Neuhof, Witoborn, Wien, Schloß Salem und Castellungo gesucht wurde, dann hätte ihre mütterliche Liebe einen andern Rettungsplan aufgreifen müssen, eine Verbindung Hugo's mit der Gräfin Paula – eine Auskunft, die auch in der Familie traditionell eine sich von selbst verstehende Thatsache, ein lautes Geheimniß war – freilich für ihr Gefühl ein entsetzliches Unglück! Denn Paula war in einem fanatischen Geiste für ihren Glauben erzogen worden und Hugo sollte dann scheiden – von seinen Gewohnheiten, sollte brechen mit allen seinen Verbindlichkeiten, sollte »Opfer« bringen, wie sie etwas nannte, was Monika von Hülleshoven eines Tages einmal leise, ganz leise und schüchtern nur der Gräfin eine – sittliche Wiedergeburt genannt hatte?

Die kleine schöne Frau »mit den silbernen Locken« war erst seit einem Jahre in den Lebenskreis der stolzen, immer nur ernsten und feierlich gestimmten Matrone eingetreten.[36] Sie hatte jahrelang bei einer Jugendfreundin, der inzwischen Oberin der Hospitaliterinnen gewordenen Schwester Scholastika, einer geborenen Freiin von Tüngel-Heide, aus ihrer Heimat, im Kloster gelebt und an den beschwerlichen Mühewaltungen derselben theilgenommen. Ihre Gesundheit, ohnehin erschüttert durch die Folge jenes Verstecks (beiläufig bemerkt in einem chemischen Laboratorium ihres Schwagers auf Schloß Westerhof) und durch die darauf folgende Nervenkrankheit fing zu wanken an in dem täglichen Verkehr mit dem zum Kloster gehörenden großen Spitale. Offen bekannte sie ihrer Freundin Scholastika, da sie kein Gelübde bände, würde sie in die Welt zurückkehren, »denn die Pflicht der Selbsterhaltung ginge über alle Sorge für Fremde, die nicht auf uns allein angewiesen sind«. Es war dies einer der Sätze, die zu einem immer mehr von der jungen Frau ausgebildeten System der Lebensphilosophie gehörten. Sie schied aus dem Kloster und verwarf damit zugleich das Klosterleben in seiner überlieferten Form. Sie sagte schon damals am ersten Abend, wo sie auf der Herrenstraße im Palais der Salem-Camphausen in einem prächtigen Rococozimmer mit Goldleisten und Spiegelwänden neben der Gräfin am Theetisch saß: »Es sollte keine andern Lebenszwecke geben, außerhalb der Bewährung unserer eigenen Kraft und unserer Erziehung zur Vollkommenheit! Eine Institution, die mich auch klein, unbedeutend, sklavisch gebunden, krank brauchen kann, ist des Menschen unwürdig. Nur dem sollen wir uns unterwerfen, was unsere Kraft in ihrer Größe braucht, sie entwickelt, uns die Frische des Willens und[37] der Thatkraft erhält. Daß gewisse Gedanken in der Welt realisirt werden müssen, nur um als solche zu glänzen, während das Einzelwesen, das zur Realisirung derselben beiträgt, dabei gering erscheint, werd' ich nie für gut finden.« Eine Aeußerung, die die Gräfin nachdenken ließ, sie aber zu dem Worte bestimmte: »Ich finde in diesem Ausspruch Wahrheit, aber Sie drücken sie mit zu vielem Menschenstolze aus. Wir ermangeln alle eines andern Ruhmes als dessen, den wir vor Gott haben.« Leicht möglich, daß selbst der Gräfin Bonaventura's Auffassung besser gefallen hätte, die wir damals berichteten, als dieser den Pater Sebastus vor dem Goldnen Lamm unter Bettlern sah – die Unterordnung gerade der stolzesten Individualität unter einen allgemeinen, der Menschheit im großen und ganzen als ein Schauspiel zur Nacheiferung zugute kommenden Begriff. Freilich war Bonaventura von dieser Auffassung schon am Tage darauf nach der Scene beim Kirchenfürsten schmerzlich zurückgekommen.

Trotz dieser Verschiedenheit der Ansichten hatte die Gräfin an Monika ein großes Gefallen gefunden. Sie war ihr ein lebendiger und höchst willkommener Beweis, wie der Katholicismus consequent durchgeführt zur Freigeisterei führen müsse. Sie suchte in ihr eine Proselytin zu gewinnen für die Lehre von der Wiedergeburt lediglich durch den Glauben. Die Bekanntschaft schrieb sich aus dem Briefwechsel her, der zwischen einem wiener Anwalt Monika's und Schloß Westerhof entstehen mußte ihrer Erhaltung wegen. Monika besaß ein kleines Vermögen, das der Oberst unangerührt gelassen hatte, als[38] er nach Amerika ging. Im Kloster bedurfte Monika nichts, sie ließ ihre Zinsen stehen. Jetzt erhob sie Ansprüche auf das, was ihr gehörte und ihr noth that. Bereitwillig stellte ihr der Schwager Levin jedes Gewünschte zur Verfügung, ja Tante Benigna, ihre Schwester, wollte zulegen; letzteres lehnte Monika ab. Der regelmäßige Bezug ihrer Mittel führte sie durch jenen Advocaten mit Terschka zusammen, der der chargé d'affaires aller Finanzsachen seines Freundes war und tagelang mit der Gräfin rechnen konnte – Graf Hugo behauptete, für die Zusammenstellung von Zahlen kein Geistesvermögen zu besitzen. Terschka, angezogen von Monika's interessanter Erscheinung, aufmerksam auf die Namen Ubbelohde und Hülleshoven, die täglich in seinen Correspondenzen mit Westerhof und mit Nück vorkamen, gab der Gräfin Kunde von ihr und nun schien es den künftigen Besitzern der Erblassenschaft des Grafen Joseph standesgebührlich, die Schwester und Schwägerin der beiden Namen, die Paula hüteten und erzogen hatten, an sich zu ziehen. Die Gräfin wollte sogar ein Bewohnen des Palais auf der Herrengasse und bot Monika eine Stellung bei ihr an, die zwischen Freundin und Gesellschafterin die Mitte hielt. Doch auch Graf Hugo und Terschka wohnten zuweilen in diesem Palais und so mußte sie die freundliche Aufforderung ablehnen. Doch blieb ein ganz nahes Verhältniß. Fast täglich, wenn die Gräfin in Wien oder auf Schloß Salem wohnte, leistete ihr Monika Gesellschaft. Nur nach Castellungo, wo die Gräfin das Frühjahr zubrachte, war sie ihr noch nicht gefolgt, hatte das aber für dies laufende Jahr versprechen müssen. Im[39] Grunde hatte diese Beziehung wenig Erhebendes für Monika; ja die Gräfin ließ an ihr, wie an allen Menschen, nur an denen nicht, die zu Hugo's Intimität gehörten, ihren steten Bekehrungs- und Erziehungseifer aus; nie kam ein Scherz, ein Lachen, eine enthusiastische Freude an Kunst oder Natur bei ihr zum Vorschein; das Theater existirte nicht für sie; alles das entsprach glücklicherweise im allgemeinen auch der Stimmung Monika's und so folgte sie der greisen Frau, die sich schon an sie gewöhnt hatte, auf Tritt und Schritt, jetzt auch hierher und vielleicht nach England, obgleich sie für letzteres noch nicht ganz entschlossen gewesen war und vorläufig nur bis Antwerpen hatte mitgehen wollen … Seitdem von Porzia's Onkel Hedemann genannt worden war, fühlte sie sich von räthselhaften Geistern bestürmt, die sie mahnten, ganz zurückzubleiben und die Gräfin morgen allein abreisen zu lassen.

Die hohe Gestalt der Greisin trat ein. Sie war mit einem weiten schweren Pelz bedeckt, den ihr der Diener abnahm. Ihre scharfen mageren Gesichtszüge verhüllte ein einfacher Sammethut, den sie noch nicht abgebunden hatte, als sie schon eine Anzahl Briefe, die sie sich selbst vom Postamte mitbrachte, an den Schirm der Lampe hielt und hastig nacheinander erbrach …

Ohne Brille konnte sie nur mit Schwierigkeit lesen. Sie mußte daher innehalten, ihren Hut abbinden und sich's bequemer machen …

Porzia bediente sie dabei. Monika ordnete die Zurüstungen zum Thee …[40]

Ich komme vom Doctor Abadonna! sagte die Gräfin. Ich wollte nicht verfehlen, vor meiner Abreise dem armen, geschlagenen Sohne der Finsterniß wenigstens diese Aufmerksamkeit zu bezeigen! Dem Herrn sei Lob und Ehre; denn Terschka schreibt ja –

Nun hatte sie das Futteral ihrer Brille geöffnet, das ihr Porzia auf einen stummen Wink Monika's gereicht, hatte den Eckplatz des Sophas eingenommen, den Tisch sich näher rücken lassen, dann auch die Lampe näher gezogen und die Brille auf ihre vom Feuer der Erwartung glänzenden Augen gesetzt und einen der Briefe geöffnet …

Der Courier legte mancherlei inzwischen Angekommenes in ihre Nähe, einige Bücherpackete, einige Einkäufe, die schon vorausgeschickt waren, auch ein großes Papier, in dem sofort Monika, und nicht ohne einen gewissen Anflug von Verlegenheit – die Rechnung des Hotels erkannte …

Alles um die lesende Gräfin her war still und bewegte sich auf den Zehen. Nur sie allein sprach sich laut und mit Interjectionen aus, die ihre Zufriedenheit mit allem ausdrückten, was Terschka und ihre andern Correspondenten berichteten. Die Siegesgewißheit über den gewonnenen Proceß, wie die Aufregung über die bevorstehende Reise nach dem von ihr so lange ersehnten England, wo sie acht Wochen bleiben wollte, erhöhten die Kundgebungen ihrer Stimmung und weckten eine alte Lebendigkeit ihres Wesens, die sie durch ihre trübe Religionsauffassung schon seit so langen Jahren zu dämpfen verstanden hatte.

Vor den Dienern schwieg sie. Porzia aber, die[41] ohnehin der Sprache nicht ganz folgen konnte, hinderte sie nicht, an Monika, die sich zuletzt ruhig vor der siedenden Theemaschine niedergelassen hatte und bald auf die Gräfin, bald auf die sinnend sich zu schaffen machende Italienerin sah, von den Eindrücken, die sie im Lesen empfing, einzelnes bruchstückweise mitzutheilen …

Ja, dieser gute Terschka! sagte sie in abgebrochenen Sätzen … Wenn einer geschickt war, diese Aenderung mit den Verhältnissen in Westerhof in Güte auszugleichen, so war er es! … Eine Parcellirung … im größten Maßstabe … wie vorsichtig, sich an einen einfachen, uneigennützigen Mann zu wenden … einen Juden, Namens Löb Seligmann … »Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon!« … Aber die Offerten der Fuld's lehnt er ab … das ist schön! … Diese Helfer in der Noth haben wir in Wien genugsam kennen gelernt! … Die Lotterie ist nicht erlaubt, wie bei uns … Also Verkauf! … so gern – ja so gern ich gewünscht hätte, wir hätten die Burg Gottes aufgerichtet im Lande der Edomiter und das Evangelium gepredigt denen, die noch unter dem Gesetze leben – Terschka grüßt Sie, Baronin! unterbrach sie sich selbst …

Monika dankte leise nickend …

Die Gräfin hatte unter der Brille ein wenig aufgeblickt, um zu beobachten, wie dieser Gruß auf die junge Frau wirken würde … Ihre Stimme, die schon an sich wohllautend war, nahm einen besondern Ausdruck von Innigkeit an, als sie das Wort sprach: »Terschka grüßt Sie, Baronin!«

Ein Purpurroth war auf Monika's Wangen getreten …[42] Das sah die Gräfin wol und seufzte … Monika gedachte, ob Terschka nichts von Armgart schriebe, wie er schon oft gethan … doch auch das Seufzen der Gräfin, das völlig anderes im Sinne hatte, verstand sie … sie wich Fragen und Erörterungen aus und hielt fast den Athem an, jetzt aus andern Gründen noch, als deshalb, die Gräfin nicht in ihrer Spannung zu stören …

Diese erzählte zwischendurch vom Doctor Abadonna …

Er wand sich doch wie der Fürst der Finsterniß … sagte sie. Kriechend höflich war er … wie einst die Verdammten vor dem ew'gen Richter stehen müssen … Der liebenswürdige junge Herr von Asselyn geht morgen nach Westerhof, um die letzte Abwickelung zu erleichtern … O mein Sohn! … Wie gespannt er schreibt! … Nur so kurz! … So kurz! … Was? Angiolina ist krank? Das entschuldigt ihn!

Monika behielt Zeit, die Gedanken zu sammeln, die ihr doch die Brust in fast hörbaren Schlägen heben und wieder sich senken ließen … Geht Benno jetzt nach Westerhof? … Dem fühlte sie wie mit Wonne und doch mit Schmerz nach. Fast Eifersucht war es, das sie erfüllte, und wieder gedachte sie: Was wird der Blonde, der andere, Thiebold de Jonge sagen, der täglich kommt und heute noch nicht da war? … Und dabei glitt ihr Blick – wieder auf die Rechnung des Hotels, die so lang, so lang schien … Eine eigene Ideenassociation: Thiebold's Reichthum, ihr kleiner Creditbrief bei dem Hause Piter Kattendyk, die ganz biblische Sorglosigkeit der Gräfin in Geldsachen und Thiebold ein Bewerber um Armgart – dann aber auch – Angiolina, die sie nur einigemal[43] aus der Ferne gesehen … das schöne, allbewunderte Mädchen, das mit dem Grafen Hugo nur zu verbunden lebte, kam ihr, als krank gedacht, seltsamerweise wie Benno von Asselyn vor, blassen Teints und wie den fernsten Zonen angehörend …

Etwas war die befriedigte Erregung der Gräfin durch den so kurzen Brief des Obersten, ihres Sohnes, doch gestört worden. Sie erinnerte jetzt an den Thee … Porzia wollte helfen … Monika bedeutete sie mit einem Augenwink, auf ihr Zimmer zu gehen … Gern hätte sie ihr gesagt: Singe wieder deine traurig schönen Lieder! Zaubere uns vor, was alles freudvoll und leidvoll im Menschenherzen liegen kann! … Der Gräfin würde sie schön damit angekommen sein.

Der Thee entquoll schon dampfend der Maschine, aber die Gräfin weilte noch in ihren Briefen –

Lady Elliot schreibt voll Ungeduld – sagte sie, eine Tasse ergreifend … Sie ist so gütig und gibt immer ein englisches und ein französisches und dann ein deutsches Wort, um meiner Schwäche entgegenzukommen, die ihre Sprache nicht versteht … »Alle Schrift von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit« – 30000 Bibeln in einem Jahre in Irland vertheilt! … »Könnte man Pater Matthew gewinnen?« Hm! Hm! … Darin hat sie Recht – aber – »das Thier mit sieben Köpfen schnaubt und dräuet, daß sich darob die Sterne verfinstern«, wenn es an die Bibel geht …

Monika war über alle diese Anspielungen durch tägliches Erörtern vollkommen unterrichtet …[44]

Auch ein langer Brief vom »Onkel Levinus« lag da, den die Gräfin nach einer halben Tasse Thee, die sie schlürfte, mit einer gewissen Scheu überflog und dann an Monika übergab, weil er vielleicht mehr für sie, als für die Adressatin bestimmt schien …

Sie wandte sich jetzt dem Rest ihres Thees und in Gedanken verloren einem leichten Gebäck zu …

Monika nahm den dargereichten Brief und las ihn mit einer schmerzlichen Miene für sich, während die Gräfin die letzten Briefe durchsah, solche, die ihr aus Schloß Salem und Castellungo von ihren Verwaltern gekommen waren …

»Wenn es diesen Zeilen gelingen könnte«, schrieb der Bruder des Obersten, »Ew. gräflichen Gnaden noch vor Ihrer Abreise nach England anzutreffen, ja Ew. Hochgeboren zu bewegen, die Nähe Westerhofs nicht unberücksichtigt zu lassen und uns mit einem Besuche zu beehren, so würde ich zuvörderst damit den Wunsch unserer lieben Comtesse ausgesprochen haben, dem sich der des Fräuleins Benigna und mein eigener ehrerbietigst anschließt. Die Wege bis zu uns sind bequem oder bieten bei der Milde des Winters keine großen Schwierigkeiten. Persönlich die Gesinnungen wiederholen zu können, die ich als langjähriger Freund und Verwalter des Grafen Joseph über die in Gottes Rath beschlossene Zukunft seiner Besitzthümer immer von ihm vernommen habe, würde mir zur besondern Genugthuung gereichen. Aus dem Schoose der Familie unserer Gräfin, selbst den allerdings jetzt kaum noch den Lebenden angehörenden frühern Vormund derselben, ihren Onkel, den Kronsyndikus[45] von Wittekind-Neuhof nicht ausgenommen, der, wie Ew. Gnaden wissen, immer einer anderweitigen Auskunft, einer Verbindung beider Linien den Vorzug gab, ist nichts unternommen worden, was diesen gegen die Ansprüche des Herrn Grafen Hugo geführten unseligen Proceß hätte schüren und fördern können. Uns lag nur ob, das Vorhandensein jener Urkunde, die christkatholische Religion der jüngern Linie verlangend, möglicherweise aufzufinden und auch hierin einen etwa vorhandenen Wunsch der Vorvordern zu erfüllen. Die Nachforschungen konnten eine solche nicht auffinden und so gebe denn der gute und gerechte Gott seinen Segen zu der Ausgleichung, die, dank der Einsicht des vom Herrn Grafen übersandten Vermittlers, Herrn Baron von Terschka, vorzugsweise darauf hinauszukommen scheint: Der letzten Erbin der ältern Linie verbleibt Schloß und Hof Westerhof nebst den nächsten Adjacentien auf hundert Morgen in der Runde als standesmäßige Abfindung und erbeigenthümlicher Besitz für ewige Zeiten; alles andere fällt der jüngern Linie zu, vorbehaltlich der Rückläufe, die der Comtesse für einige Grundstücke und Waldungen offen bleiben. Für die Regulirung dieser Procedur hat Herr Oberprocurator Nück uns die Ankunft des Herrn Benno von Asselyn verkündigt. Wir erfreuen uns in Herrn von Terschka eines weisen und wahrhaft discreten Vermittlers, der in allen diesen schwierigen Verhältnissen seit Monaten Großes geleistet hat. In kurzem ist er der Liebling der Gegend geworden, womit viel gesagt ist bei einem Volksstamm, der sich schwer anschließt, ohnehin, weil man der neuen Wendung der Dinge um so mistrauischer entgegensah,[46] als wir uns gerade jetzt infolge des bekannten traurigen Weltereignisses in einer confessionellen Aufregung befinden, die mehr, als ich wünschen möchte, die Gemüther erbittert und ein paritätisches Zusammenleben unmöglich macht.« …

Monika las zwar für sich; aber die Gräfin, die jetzt aufstand und sich einiges an ihrer Haustoilette zu schaffen machte, beobachtete sie und sagte:

Sind Sie an der Stelle, wo der wunderliche Herr mir die Unmöglichkeit des Zusammenlebens mit Ketzern schildert, nachdem er mich doch zuvor eingeladen hat, Westerhof zu besuchen?

Monika mußte lächeln, so schmerzlich erregt sie war … Sie blickte auf das Ende des Briefes, um nach Armgar'ts Erwähnung zu suchen …

Der Brief lautete im Zusammenhange:

»Comtesse Paula ist glücklich, daß sie Westerhof behält. Sie drückt Ihnen, gnädigste Frau Gräfin, ihre ganze Verehrung aus. Es würde Sie gewiß erfreuen, eine Verwandte kennen zu lernen, die mit einem selten gebildeten Geiste eine Einfachheit und Güte des Herzens besitzt, die durch keine Verkürzung und Schmälerung ihrer Glücksgüter getrübt werden kann, höchstens, daß ihr die Mittel zum Wohlthun verringert sind …«

Wieder unterbrach die Gräfin die im Zimmer herrschende Stille. Sie folgte der Lectüre Monika's im Geiste Zeile für Zeile, so fest hatte sich ihr sofort trotz kurzen Durchfliegens der Inhalt des Briefes eingeprägt.

Um Comtesse Paula, sagte sie, gesteh' ich es zu bedauern, daß ich der Aufforderung nicht folgen kann …[47]

Monika verstand vollkommen, was in diesen Worten liegen sollte. Es war die mütterliche Sorge für die immer doch noch nicht ganz gewisse Zukunft. Fand sich noch irgendein Hinderniß für die Ausgleichung des Familienstreits und entging den Salems-Camphausen eine seit fünfzig Jahren ihnen immer dringlicher und dringlicher gewordene Hoffnung, von der ihre Ehre und der Bestand ihres Namens auf Generationen abhängig war, so konnte und mußte der Fall eintreten, daß Graf Hugo um Paula warb … Deshalb lag in den folgenden Worten, die die Gräfin unter andern Umständen mit viel größerer Strenge würde gesprochen haben, eine bei ihr seltene Milde:

Das arme Kind soll nach allem, was ich höre, immer wieder in ihre Visionen zurückfallen! Sie ertheilt im magnetischen Schlafe Rathschläge an Kranke! Schloß Westerhof, sagte Nück, soll von Morgens bis Abends belagert sein von Hülfsbedürftigen, die oft aus weiter Ferne kommen, um sich von ihren Leiden heilen zu lassen! Aus dem wahren Geiste Gottes ist das nicht … Die Apostel hatten diese Gabe auch, aber um ihres Glaubens willen und bedurften dazu nichts, als nur des Gebets. Sie, Baronin, weiß ich, sagen freilich rundweg, das alles wäre Wahn oder die Macht des Willens, der da sagt: Sei geheilt! und der Kranke ist – zuweilen geheilt. Der Wille scheint Ihnen allmächtig! Wenn man an sich selber nur glaubt! O, Sie wissen, meine Gute, wie wenig ich von allem halte, was ohne die Gnade Gottes ist! Doch bin ich weit entfernt, den Katholiken die Gnade Gottes abzustreiten, wenn sie sich ihr in[48] inbrünstigem Gebete nahen! Mischen sie aber Thorheiten ein, wie die fürsprechenden Engel und Heiligen, nun, so mag der Herr auch das kindliche Lallen der Seele in ihrer unverständigen Verblendung wol mit väterlicher Geduld vernehmen, ist nur der Grund da des Vertrauens zu ihm. Sie erinnern sich, daß Ihre Freundin bei den Hospitaliterinnen die heilige Hildegard nannte, mit der ihr Comtesse Paula Aehnlichkeit zu haben schien. Das sagt' ich Ihnen ja noch gar nicht, wie ich bei Bingen das Grabmal dieser sogenannten Heiligen gesehen habe! Ich beschloß, mich etwas genauer über sie zu unterrichten. Da erfuhr ich denn, daß die ernsthaftesten Männer mit dieser Aebtissin, die so viel Wunder verrichtete, in Verbindung standen, ja ein Bernhard von Clairvaux und sogar der damalige Papst –

Sie wünschte ihm Glück zur Ausrottung der Waldenser! warf Monika ein …

Wie? rief die Gräfin …

Mit diesen wenigen Worten änderte sich plötzlich der ganze Gedankengang der Gräfin …

That sie das? fuhr sie bestürzt fort und hielt im Wandeln durch das Zimmer inne. Sie verließ sich auf die Kenntnisse Monika's, die ihr bei solchen entschiedenen Behauptungen verbürgt waren …

Sie that es in einer Sprache, fuhr diese fort, die sie nur in ihren Visionen kannte, der lateinischen. Ihr Beichtvater schrieb diese Visionen nach und veröffentlichte sie später; es war ein Pater Gottfried … Ich habe mich in Mußestunden viel mit dem Leben der heiligen Hildegard beschäftigt …[49]

Dann war sie eine Betrügerin! wallte die Gräfin auf und endete ihre Rede mit dem völligen Gegentheil dessen, womit sie begonnen hatte. Sie hatte darauf hinaus wollen, daß ihr allerdings an der heiligen Hildegard interessant gewesen wäre, sich nach ihrem Beispiel die ekstatischen Zustände Paula's zu denken. Nun aber sagte sie: Auch in Westerhof werden es die Pfaffen sein, die die Krankheit des armen Mädchens benutzen und sie zur Närrin machen! Ich dorthin reisen! In der dumpfen Luft würde ich den Athem verlieren! »Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der Zauberei trieb und gab vor, er wäre etwas Großes, und sie sahen auf ihn und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist! Da sie aber Philippi Predigten hörten von dem Reich Gottes und den Namen Jesu Christi, ließen sich taufen, beides Männer und Weiber.«

Monika las weiter:

»Herr von Terschka unterbricht mich und verbindet seine Bitte mit der unserigen, Ew. gräflichen Gnaden möchten in der That den Umweg nicht scheuen. Begleitete Sie nicht vielleicht Herr Benno von Asselyn, so würde Ihnen vielleicht der Domherr von Asselyn, sein Vetter, eine interessante Reisegesellschaft sein. Wir erwarten ihn jeden Tag zu einer kirchlichen Inspection. Auch einigen Worten des Herrn von Terschka, Armgart von Hülleshoven, meine Nichte, betreffend (jetzt zitterte der Brief in den Händen der von ihrem Kinde geflohenen Mutter) geb' ich gerne Ausdruck und bitte Sie, Ihre Begleiterin, Frau von Hülleshoven, meine Schwägerin, zu versichern, daß sowol in meiner langjährigen Freundin,[50] Fräulein Benigna, ihrer Schwester, wie in mir die Reihe der Jahre den alten Groll gelöscht hat. Was Sie auch, gnädige Gräfin, über unser Zerwürfniß erfuhren, beurtheilen Sie es nach dem Temperament von Menschen, die wie unser ganzer Volksstamm ein starkes und unbeugsames Rechtsgefühl haben. Nur auf der ›rothen Erde‹ konnten die Vehmgerichte entstehen, jene Selbsthülfe des Volks in einer rechtlosen Zeit … (Die Buchstaben verwischten sich der Lesenden vor Erregung …) Es ist wahr, die Ehe zwischen meinem Bruder und Monika schloß sich ohne Ueberlegung. Der Kronsyndikus von Wittekind, Testamentsvollstrecker ihrer Aeltern, wollte Monika zwingen, seinen Sohn Jérôme zu heirathen. Sie kannte seine Gewaltthätigkeit und nahm meinen Bruder wie im blinden Ungefähr. Nach einer vierjährigen Ehe war die Erklärung, sie folge dem Manne nicht in seine neue Garnison, sie besäße keine Liebe für ihn, ein reiner Trotz der Verkehrtheit. Sie wollte anfangen nach Grundsätzen zu leben. Sie wollte ›wahr‹ sein gegen sich und andere! Es war der Anfang eines völligen Verwirrens ihres Denkens und Fühlens, das wir nicht dulden durften. Ihren thörichten Sinn wollten wir durch die Vorenthaltung ihres Kindes, der damals dreijährigen Armgart, mit Gewalt brechen. Da wir ebenso gegen den Bruder verfuhren, der Armgart für sich in Anspruch nahm, hatten wir die Ausdauer, einen Kampf mit dem Mutter- und Vaterherzen zu wagen. Und dennoch würden wir nachgegeben haben damals, als Monika erkrankte, wenn sie nicht, kaum zur Hälfte genesen, wie noch im Fieberwahn damals Schloß Westerhof verlassen und in[51] die Welt hinausgerast wäre wie eine Irrsinnige! Daß diese That, die nun freiwillig ihr Kind aufgab, ein Anfall der maßlosesten Eitelkeit war, die Verzweiflung eines Blickes in den Spiegel und auf ihr ergrautes Haar, wird sie nicht leugnen können. Diese wilde Unregelmäßigkeit ihres Wesens ist leider auf Armgart übergegangen. Die Mutter kann versichert sein, daß von unserer Seite nicht das Mindeste geschehen ist, Armgart aus dem Pensionat der Insel Lindenwerth abzurufen. Das thörichte Mädchen will sich nur beiden Aeltern zugleich aufgespart haben und führt diesen Gedanken auch jetzt im Stift Heiligenkreuz, wo sie eine Stelle bekommen hat, mit einer Wachsamkeit durch, die jeden Augenblick die Flucht von Lindenwerth wiederholen würde. Die Aussicht, daß mein Bruder Ulrich sich in Witoborn niederläßt, rückt immer näher. Ein meiner Schwägerin wohlbekannter Name, Remigius Hedemann, hat, seitdem die Abwickelung der Verhältnisse unseres beim jetzt so tief gekränkten Geist der Provinz immer unmöglicher gewordenen Landraths ins Stocken gerathen, die Mühlenwerke bei Witoborn erstanden und beide gedenken ein für den Geist unserer Gegend ganz tolles, ja förmlich herausforderndes Unternehmen – eine Papierfabrik zu begründen! Stehen wir ohnehin in unsern Verhältnissen selbst nicht fest, so wird uns am wenigsten beikommen, in so sich verwickelnde andere einzugreifen. Bruder oder Schwester, beide würden uns zur Verständigung gleich willkommen sein! Die Zeit heilt Wunden und mildert Leidenschaften und wir müssen selbst wünschen, daß in diese harten Herzen Besinnung kommt! Von meiner Schwägerin hör' ich durch[52] Herrn von Terschka jetzt so außerordentlich viel Rühmenswerthes, daß Benigna sowol, meine langjährige Freundin, die dem Alter der Versöhnlichkeit mit dem, was die Erde bietet, schon so nahe gekommen ist, wie ich selbst, nichts lieber wünschen, als die endliche Beilegung dieses Zwistes, den ja unsere heilige Kirche nicht gestattet so zu lösen, wie es die Leidenschaften dieser wilden Menschen wünschen mögen durch Scheidung – –«

Weiter konnte Monika nicht kommen …

Die Schlußversicherungen der Ergebenheit überschlug sie in der Erregung durch diese offene und für den Charakter ihrer alten Gegner, ihres Schwagers, ihrer so strengen, viel ältern und ihr gewissermaßen als Erzieherin gegenüberstehenden Schwester, sogar gemüthvolle Sprache …

Sie stand auf, ließ den Brief auf den Tisch gleiten, griff an ihr Herz und trat an das Fenster, um die Stirn an den feuchten Scheiben zu kühlen …

Die Gräfin unterbrach nicht diesen Seelenkampf …

Eine lange Pause trat ein, die Monika endlich mit den leisen Worten beendete:

Aus alledem sehe ich, theure Gräfin, daß ich besser thun werde – noch in dieser Stadt zu bleiben und Sie – allein reisen zu lassen! … Vielleicht erfreut es Sie – noch einen Gefährten zu gewinnen, der bei Porzia sitzen könnte, den Onkel derselben, der genöthigt ist, rasch nach England zurückzureisen! Ich begrüße Sie dann – bei Ihrer Rückkehr hier oder, erlöst von allen diesen Kämpfen, in Ihrem schönen, sonnigen, glücklichen Castellungo![53]

Die Gräfin sagte zwar: Ja, ja! hörte aber plötzlich nur halb … Sie hatte die Rechnung des Hotels entdeckt und suchte wieder die Brille, um eine nicht unwichtige Frage genauer zu prüfen …

Monika sah, daß die Höhe der Summe, die es hier noch zu zahlen gab, die Gräfin erschreckte. Sie hatten an sich einfach gelebt, aber eine Menge anderweitiger Ausgaben hatte die Gräfin von dem gefälligen Wirthe auslegen lassen. Vollkommen war ihr die Eigenschaft ihrer Gönnerin geläufig, den »Nerv der Dinge« und den »ungerechten Mammon« für etwas zu nehmen, was sich nach Gottes ewigem Rathschlusse allen denen, die ihn lieben, früher oder später doch zum besten wenden müsse …

So vertieft war die Gräfin in eine unter dem Eindruck des gewonnenen Processes von ihr hervorgerufene ansehnliche Reihe von Zahlen, daß sie nicht mehr viel von Monika's Worten gehört hatte.

Bei alledem wußte sie aber doch, daß in dem Briefe das Wort »Scheidung« stand. Darauf hin sagte sie beim prüfenden Oeffnen ihrer Reisekassette:

Paulus spricht: »Der Herr ist der Geist, und wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit!«

Sie wollte sagen, wenn bei Monika eine Confessionsänderung stattfände, wäre die Scheidung da … Monika wußte das und stand träumend am Fenster …

Darüber kam eine Meldung.

Herr Kattendyk! hieß es …

Ei, Herr Kattendyk? rief die Gräfin hocherfreut …

Die Gräfin war so in Vergleichung ihrer Reisemittel[54] mit der Rechnung vertieft, daß ihr selbst die Meldung des Doctors Abadonna eine Besinnung auf den Namen gekostet hätte, aber die Nennung des Chefs der Firma: »Kattendyk und Söhne«, an die Monika empfohlen war, vergegenwärtigte ihr augenblicklich die gemeinte Persönlichkeit … Sie selbst war an die Gebrüder Fuld empfohlen …

Sehr angenehm! Sehr angenehm! rief sie …

Die Meldung eines dem »ungerechten Mammon« und den »Schätzen, die Motten und Rost zerfressen« angehörenden Namens wurde sofort angenommen, ja das Eintreten desselben mit einer gewissen Feierlichkeit vorbereitet.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 4, Leipzig 1859, S. 26-55.
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