3.

[55] Piter Kattendyk hatte sich vor vier Monaten auf seiner Reise nach Witoborn – keinesweges mercantilische Lorbern erobert.

Zwar war er in lebendigster Erregung, wenn auch etwas durchfröstelt und an der Abfassung von Reise- oder Heidebildern durch einen Schlaf verhindert, der »die seiner Constitution nothwendigen zehn Stunden« fast auf die ganze Dauer der Schnellpostfahrt ausdehnte, in Witoborn angekommen und »bei Tangermanns« im besten Gasthof der Stadt abgestiegen; aber der gegenseitige große Eifer hatte sich durchkreuzt. Rittmeister von Enckefuß hatte voll Ungeduld die Reise zu seinem Sohne gemacht und Nück, der helfen zu wollen versprochen, setzte bei seinem Schwager eine so präcise Erfüllung seiner Aufträge, soviel Reiselust und Gefallen an einer raschen Benutzung einer neu angeschafften Reisetoilette nicht voraus. Nun waren wol die Besuche, die Piter am Sonnabend bei einigen Advocaten machte, möglich zur Beweisführung für seinen Geist und seine sociale Stellung, aber eine geschäftliche Verständigung und die Uebernahme der Forderungen[56] sämmtlicher Enckefuß'scher Creditoren konnte erst stattfinden nach der Zurückkunft des Hauptbetheiligten selbst.

Wir werden die heilige Stadt Witoborn, deren Thürme wir in frühern Schilderungen nur fernhin aufragen sahen, genauer kennen lernen. So viel dürfen wir schon jetzt berichten, daß Piter hier die vollkommenste Gelegenheit gehabt hätte, durch Devotion seiner Mutter Ehre zu machen. Hier lagen so viel Heilige in ganzer Gestalt oder in Partikeln begraben, hier läuteten so viel Glocken zu jeder Stunde des Tages und der Nacht, hier brannten an allen Ecken und Durchgängen der kleinen unansehnlichen Straßen so viel Lichtchen und standen an und in den Häusern, Kirchen, Klöstern so viel schöngeputzte Muttergottesbilder, daß er wol seiner Sünden hätte eingedenk werden und geloben können, sich die maßloseste Selbstliebe und besonders seine sträfliche Neigung für fünfzigprocentigen Arakpunsch abzugewöhnen.

Indessen beleidigten sein Schönheitsgefühl die Kühe und Schafe, die jeden Morgen vom Hirten durch die witoborner Straßen geführt wurden und die Mängel der Straßenreinigung und Beleuchtung. Gleich in der ersten Nacht war er auf topographische Studien ausgegangen und dabei fast in einen offenen, völlig gitterlosen Strom gefallen, der zwar nur höchst schmal, aber mit reißender Schnelligkeit durch die unerleuchteten Straßen schoß. Was half es ihm, daß es später beim Wirth seines Hotels »bei Tangermanns«, wo er der einzige Fremde war, herauskam, daß dies die berühmte Witobach gewesen war, deren Quellen schon Karl der Große mit einem Münster überbaute? Was half es ihm, daß[57] alle die kleinen Bäche, in die er, sich von dem großen retirirend, bis zum Knie gerieth, als Nebenarme der Witobach bezeichnet wurden? Er erzählte, daß ihm an einem großen Thurme, um den eine Anzahl ungeheurer Wasserräder auf die berühmten witoborner Mühlenwerke schließen ließen, nicht nur Hören, sondern auch das Sehen vergangen wäre. Alles das schmeichelte wol dem Lokalpatriotismus, trocknete aber seine Stiefel und Beinkleider nicht. Im Unmuth über die hier in Aussicht gestellte geringe Bereicherung seiner Welt- und Menschenkenntniß beschloß er, so lange die Umgegend zu recognosciren, bis der Rittmeister zurückgekommen sein würde. Selbst das einzige Weinhaus, das er am folgenden Morgen am Sonntag zum zweiten Frühstück seines Besuchs für würdig erklären konnte, mußte ihn, wie er versicherte, »melancholisch machen«. Allerdings lag es dicht an den alten Münsterthürmen Karl's des Großen und in ihren durchbrochenen byzantinischen kleinen Fenstern beherbergten sie ein wahres Gewimmel von Raben und Dohlen, die in Schwärmen aus- und einzogen und oft wie von Reisen herkamen, jedenfalls von den Bergen hernieder, wo ihn besonders ein fernhin leuchtender Punkt anzog, das den Wittekind's gehörende Schloß Neuhof …

Piter beschloß nun, sich genauer die Gegenden anzusehen, wo Hermann den Varus schlug und auch einige der vielen daselbst zerstreuten Mineralbäder noch einen letzten Rest von »Saison« hatten. Einige dieser Heilquellen kündigten sich ihm, als er in der That mit Extrapost abreiste, bereits durch Leichenwägen an; sie waren berühmt gegen die Schwindsucht. Andere hatten eine harmlosere[58] Bestimmung, aber die einzigen noch anwesenden Patienten schienen nur noch die Brunnenärzte zu sein, die an jedem Morgen an den Quellen erschienen, um sich zu erkundigen, wer etwa die Nacht angekommen war. Piter, geschmeichelt, daß man ihn für keinen Leber- oder Nierenkranken halten konnte, zugleich besorgt, darum noch für keinen Musterreiter zu gelten, bestellte in einem dieser Curhäuser Champagner und bewunderte, von selbst voraussetzend, daß es keinen echten gab, die treuherzige Etikette: »Product vaterländischer Betriebsamkeit.« Weiterreisend bekam er die Stimmung und Muße, sich so mit sich selbst zu beschäftigen, daß er sich die Abschiedsscene von Treudchen, dem neuen Mädchen seiner Schwester Hendrika, in allen möglichen Variationen ausmalte; denn daß diese allerdings nur in dämmernden Umrissen vor ihm stand, war bei dem umflorten Zustande, in dem er sich nach seinem Souper befunden, nicht anders möglich. Gerade aber diese Nebelhaftigkeit des empfangenen Eindrucks gestattete ihm die schönste Ausschmückung und wie er das freiherrlich Wittekind'sche Vorwerk Eggena, das Städtchen Lüdicke und andere hervorragende Punkte hinter sich hatte und in den Schluchten des Teutoburger Waldes sich ganz nach Belieben, bald an diesem Buchengrunde, bald an jener Tannenhöhe, die Niederlage der Römer ausmalen konnte und ihm das Krächzen der Raben, die ihm aus den Münsterthürmen gefolgt zu sein schienen, immerfort das aus der Schule in der That noch erinnerlich gebliebene: »Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder!« zu sprechen schien (dem darob sehr verwunderten Postillon hatte er beim Bergan[59] diese Erzählung als Probe seiner mittheilsamen Gelehrsamkeit nicht vorenthalten mögen), da trat ihm der Gedanke: Wenn du jetzt diese allerliebste Blondine hier neben dir hättest auf dieser geschäftlichen Irrfahrt! mit mächtiger Gewalt entgegen. In der alten Postkalesche, einer ausrangirten Beichaise, maß er sogar den Sitz, den Treudchen neben ihm einnehmen konnte. Er deckte auf das weich einladende Leder der Polsterung seinen Plaid und baute der kleinen Göttin im Geiste einen Thron und Altar. Selbst die zierlichen Füßchen, deren weiße Strümpfe er im Geiste als selbstgestrickte bewunderte, legte er eigenhändig auf einen Nachtsack, den auch seine Schwester Johanna behauptete selbst gestickt zu haben. Und weilte dann auch sein reizbarer Sinn, den die »etwas ängstliche« grüne, classische Waldeinsamkeit ringsum nur noch erhöhte, bei dem außerordentlichen Professor, Dr. Guido Goldfinger, an dem ihm nichts außerordentlich erschien, als die Selbstverständlichkeit, wie er, der Sohn des Medicinalraths Goldfinger, so ohne weiteres (weil die drei Hausfreunde eben im Hause alles regierten) sein Schwager wurde, und schossen dann auch seine Gedanken über drei Schwäger zu gleicher Zeit, wie der »Silberbogner Apollo«, »fernhintreffende« Pfeile, so kehrte sein an sich liebebedürftiges Gemüth doch immer wieder auf die Vorstellung zurück: Wenn sich die Romantik dieser hier eben genossenen geschichtlichen Eindrücke, mit denen du deine Freunde in begeisterter Mittheilung überraschen willst, doch auch durch die Füllung dieses bequemen Eckplatzes mit dem reizenden, anspruchslosen und so »gehorsamen Kinde« vervollständigen[60] möchte! Die leisen Umrisse, die er von dem neulich Vorgefallenen behalten, zeichnete er kräftiger und kräftiger aus, drappirte das Bild neben sich mit Vielem, »worauf es ihm gar nicht ankommen sollte«, mit einem wunderschönen Hut und lyoner Bandbesatz, einem Shawl von damals modischem Krepp de Chine und mit den elegantesten Handschuhen, die Gertrud Ley besonders auch deshalb tragen sollte, um durch das Schonen ihrer vom Arbeiten etwas mitgenommenen Finger sich zu der Dame auszubilden, die man nach seiner Theorie der Geringschätzung des weiblichen Geschlechts »aus jeder Katze« machen könnte. Piter sah in einem »anständigen Frauenzimmer« nichts als die Wiederholung seiner »ihm hinlänglich bekannten« Schwestern.

Mit solchen theils gemischten, theils sich widersprechenden Empfindungen hatte Piter die Walstätten der alten Römerschlachten, auch die berühmten Externsteine hinter sich, die ihm die schauerliche Idee von Menschenopfern weckten – der anliegende See als Abzugskanal des rinnenden Blutes – und ihm in den Basreliefs der spätern christlichen Entsühnung dieser riesigen Metzgeraltäre auch nur eine sehr geringe Vorstellung von der Plastik des Mittelalters gaben – einer der Felsen hat ein altes Basrelief –, lauter Thatsachen, bei welchen er die Genugthuung schon vorweggenoß, wenn er davon zu Joseph Moppes sprechen würde, der nur die Musik leben ließ, oder zu Aloys Effingh, der allerdings Sinn für die zeichnenden Künste, wenn auch zunächst nur für heimliche Caricaturen hatte, oder zu Weigenand Maus, der kriegslustig und zur Carnevalszeit roß- und marschalluniformsfreudig,[61] für solche Hünenthaten interessirt sein mußte. Thiebold de Jonge, der das Conversations-Lexicon nie mehr citirte, als wenn Benno nicht zugegen war, Der vorzugsweise sollte an ihn glauben müssen, wenn er versicherte, daß man über »solche Gegenstände« (er meinte ungefähr die Ergänzung der fehlenden Bücher des Tacitus) gar nicht mitsprechen könnte, falls man sie nicht »gründlich studirt hätte« – er meinte die Dauer eines Schnapses, den er dem Postillon in dem Wirthshause an den Externsteinen geben ließ und sein eigenes, mehrfach wiederholtes: »Ungeheuer merkwürdig!« beim Besichtigen der Riesensteine und der Blutlache und der alten Basrelieffiguren ohne Nasen – ein Mangel übrigens, der für diese gut war, da sie auf diese Art die rein menschliche moderne Bestimmung einer hinter ihnen liegenden kleinen alten Krypte nicht am Geruche merkten. Wie gesagt, nur der Postillon frühstückte hier, aber Piter in Detmold. Dort, wo einst Jérôme von Wittekind im Certiren stets der erste gewesen war und nicht blos beim Fragen nach, Calefaciebas, erwärmte, ja erhitzte sich auch Piter in einer Weise, die es erklärlich erscheinen ließ, daß er, kaum angekommen in Pyrmont, wohin er wollte, gleich spornstreichs an den Grünen Tisch rannte und sich noch an demselben Abend, im wildesten Sturm und vom »schnödesten Pech« heimgesucht, seine ganze Reisekasse sprengen ließ.

Wie Piter dann am folgenden Morgen in den Brunnenanlagen den letzten Rest seiner Baarschaft und der Curgäste musterte, auch etwas tiefsinnig über die Wirkung der hiesigen Gewässer gegen chronische Anfälle[62] von Hypochondrie nachgedacht und dabei einen etwas confiscirten Eindruck gemacht haben mochte, jedenfalls mit einer bei der schon kühlen Morgenluft stark gerötheten Nase, somit, beide Hände hinten in die Rocktasche steckend, einem Abenteurer und Marodeur der Badesaison nicht unähnlich, machte er die Bekanntschaft eines Barons von Binnenthal, der erst vor wenig Stunden angekommen war vom Westen her, wo ihn ein glücklicher Instinct beseelte, statt nach Belgien zu gehen, ostwärts zu »machen« – denn Grützmacher hatte nur vorgestern, Sonntag Abend, zu viel mit dem Staate, dann mit dem Assessor von Enckefuß in Betreff des in den Sieben Bergen seine geliebte Mutter besuchenden Hammaker zu thun gehabt, sonst würde er dem ihm sofort aus dem Fuld'schen Balcon aufgefallenen Herrn die Fährte nach Westen von einigen schnell avertirten guten Freunden in grüner Uniform haben abschneiden lassen – ebenso wie er Herrn und Frau von Guthmann beim Besteigen des Dampfboots vorgestern Abend scharf fixirt und ihnen halblaut »glückliche Reise« nach Pyrmont gewünscht hatte, wohin auch sie in der That gingen, um unter den letzten Stoppeln der Saison noch einige Körnchen für ihr demnach den Sicherheitsbehörden schon bekanntes Metier aufzusuchen. Unterwegs machte das Ehepaar, nach dem Erstaunen über das erneute Zusammentreffen mit Herrn von Binnenthal sich mit ihm Geständnisse und alle drei vergaben sich das, was die Vergangenheit betraf, in Hoffnung auf eine schönere gemeinschaftliche Zukunft. Sie blieben zusammen und Binnenthal's erste Recherche auf der Morgenpromenade brachte ihn mit Pitern zusammen, diesen[63] dann zu der charmanten Frau von Guthmann, die ihn so fesselte, so für den Verlust am Grünen Tisch tröstete, daß er ein einfaches »Einundzwanzig«, en quatre einging, gewann, wieder an den Grünen Tisch hüpfte und mit schon leichterm Herzen das Gewonnene nicht nur verlor, sondern auch durch eine Anleihe bei Herrn von Guthmann, der in der Nähe stand, das Verhältniß desto fester knüpfte. Pyrmont endete für Pitern nach drei Tagen, alles in allem, mit einer Spielschuld von 5000 Thalern, die er in einem sich immer vergrößernden Kreise von Freunden der Frau von Guthmann und der Göttin Fortuna zurücklassen mußte. Herr von Binnenthal war bei diesem schnell geknüpften Bande der Freundschaft der sogenannte »Schlepper« gewesen. Seine stereotypen Redensarten und die Devise: »Bange machen gilt nicht!« halfen ihm weiter, als andern Menschen ihr Originalwitz. Piter reiste ab von Pyrmont mit den »famosesten Erfolgen bei einer Baronin« – »Stoff doch immer« für die kleinen Soupers – und Hinterlassung einer zwei Monate de dato fälligen Anweisung auf sein Haus und wandte sich wieder auf Witoborn zu, wo der Rittmeister, in mancher Hinsicht sein Geistesverwandter, ihn schon sehnsüchtigst erwartete.

Mancherlei Arten gibt es, ein Unglück, das man sich selbst zugezogen hat, zu ertragen. Manche Menschen werden von der empfindlichsten Reue befallen und einige unter ihnen, nicht viele, nehmen sich vor, künftig sich zu bessern. Andere sind zwar gleichfalls, besonders wenn die einsame Natur ringsumher so feierlich stimmt, fest entschlossen, nun und nimmermehr wieder z.B. bei solchen »Baroninnen« »an den Leim« zu gehen und zu spielen[64] und 5000 Thaler Badesaisonschulden auf ein Haus abzugeben, dessen Solidität sie selbst repräsentiren; aber die Reue verwandelt sich ihnen in Trotz, Trotz nicht etwa gegen sich selbst, sondern auffallenderweise gegen ganz unschuldige andere. Es ist allerdings kein behagliches Gefühl, ein großer Reformator sein zu wollen und als der Reformation höchst bedürftig sich selbst darzustellen. So ein Wechsel auf die Ordre eines notorischen Spielers, acceptirt von einem handelsberühmten Namen wie Piter Kattendyk, geht durch ein Dutzend Hände und kommt zuletzt im Comptoir seines Hauses wie eine Wundermär an, die alle alten Buchhalter betrachten mit Hälsen so lang, so lang – »wie die Gänse oder Kameele!« Alle Federn halten inne, alle Prisen stocken, alle Drehsessel knacken und die Miene, die vollends der Procuraführer Ernst Delring machen wird, die ist gar nicht die seiner gewöhnlichen Reserve, sondern einer still lächelnden Genugthuung, die sogleich zwei Treppen höher hinaufschleicht und für die liebende Gattin, vor der es etwa nicht, wie überhaupt vor keiner Gattin, Geheimnisse gibt, sondern im Gegentheil zur amusantesten Unterhaltung wird. Piter, ernüchtert von der Baronin (bei den spätern »kleinen Soupers« blieb sie natürlich diesseits der Dreißiger) phantasieumgaukelt von Treudchen's Unschuld, die im Geiste, von seinem Plaid bedeckt, wieder in seiner Beichaise neben ihm saß, sah alle diese Wirkungen der drei Tage in Pyrmont »als Nachcur« voraus, entsetzte sich, wie tief beschämt er in sein niedliches Comptoircabinetchen, wo er wie ein dirigirender Minister thronte, zurückschleichen mußte, und sagte sich: Naturen, wie die[65] meinige, können alles, nur keine Demüthigung ertragen! Auf demselben, inzwischen durch Regengüsse etwas veränderten Wege kam er zwar wieder auf Anklänge an die Legionen des Varus, indem auch er mit dem Kopfe gegen die Lederwand der Beichaise stoßen und die denkwürdigen Klagen des Cäsar Augustus wiederholen mochte, aber der freie Geist der Forschung, der ihn auf der Herfahrt beseelt hatte, verließ ihn und nach langem grimmigen Grübeln und Sinnen, als er schon dicht bei Witoborn war, wo die Jesuiten oft genug früher den Satz: Si fecisti nega! in ihren Moralvorlesungen erörtert haben mochten, kam ihm ein ähnliches System als bestes Mittel zur Aushülfe: Hast du irgendetwas auf dem Kerbholz, dann sei gerade erst recht impertinent! Diese Theorie gab ihm Muth. Sie gab ihm diesen um so mehr, als gestern Abend noch bei einem kleinen von Frau von Guthmann arrangirt gewesenen Abschiedssouper ein alter dänischer Offizier en retraite gesagt hatte: »Respect kriegt der Mensch immer nur erst dann, wenn er auf alles, was er behaupten hört, Au contraire! sagt.«

Piter suchte schon lange eine Formel, die, wie die Philosophie einen Satz, z.B.: »Ich gleich Ich!« allen ihren Beweisen vorausschickt, so auch ihm das Räthsel des Daseins und besonders kurzweg die Methode erschloß, wie es z.B. Kaufleute hat geben können, die so außerordentlich bedeutend wurden, daß ihnen nicht viel an einem großen Namen, sogar an einem Ministerportefeuille fehlte. An seinem Schwager Delring hatte er eine solche vornehme Natur in der Nähe, die mit ihrer weißen Halsbinde zu jeder Stunde einem Regierungspräsidenten[66] aufwarten und mit ihm über die Wünsche und Bedürfnisse des Lederhandels, über Binnenzölle und Wasserstraßen beneidenswerth unterrichtet sprechen konnte. Dies Air, das auch einigen andern Chefs großer Häuser, selbst dem alten Herrn de Jonge, der ein großer Arbeiter in den Sectionen der Provinziallandtage war, nicht im mindesten fehlte, vermißte Piter allerdings äußerlich an sich keineswegs. Dies englische, respectable und staatsmännische Benehmen, z.B. in den Zähnen zu stochern und die Finger in den Ausschnitt seiner Weste zu stecken oder als Parlamentsmitglied mit dem Hut auf dem Kopf und die Beine lang ausgestreckt einen Minister wie ein Heupferd behandeln, das hätte er an sich schon weggehabt. Nur fehlten die thatsächlichen Unterlagen. Ueber eine gewisse lächelnde Niaiserie, die die Engländer Snobbismus genannt haben, kam er bei Fragen über das statistische Gebiet nicht hinaus. Immer fühlte man, daß er über solche Gegenstände, wenn sie besprochen wurden, mehr eine lebhafte Wißbegierde als eine große Vertrautheit zur Schau trug, ausgenommen bei Debatten über Kunst, Stadttheater, Glanzwichse und einige Feinheiten im Liniiren der Comptoirbücher, die er einem alten, verstorbenen Buchhalter verdankte. Da elektrisirte ihn denn jenes pyrmonter Wort! Er fand es »merkwürdig« gleich auf der Stelle. Von den Höhen des im Regen gebadeten Teutoburger Waldes in die witoborner Ebene niederfahrend, beschloß er, zur Probe einmal das System des Au contraire zu versuchen. Ein nicht undiabolisches Lächeln begleitete die Vorstellung: Du kommst nach Hause zurück, bekennst nicht nur nicht deine Unbesonnenheit, sondern bist au contraire noch maliciöser denn je! Du erklärst[67] Nück die gänzliche Verfehltheit seiner Speculation mit dieser Uebernahme der Enckefuß'schen Schuldenmasse und unterbrichst jedes Staunen, das man etwa über den pyrmonter Wechsel von 5000 Thalern zu erkennen geben sollte, mit einem viel, viel größern Erstaunen über die unvernünftigen Handlungen anderer Menschen!

In diesem System, das ihm von etwas Bosheit und viel Desperation eingegeben wurde, verfuhr er sogleich, um nur mit Lärm zurückkommen zu können, mit dem Rittmeister von Enckefuß, den er jetzt antraf. Dieser Unglückliche hatte einen jungen Mann voll »Großartigkeit« erwartet und fand einen abscheulichen Krakehler, der die Lorgnette einkniff und ihn fast beleidigte. Enckefuß war ihm in seiner gewohnten rosenrothen Laune entgegengehüpft, elastisch, frisch geschminkt wie ein Jüngling, und nun fand er einen verdrießlichen Taxator, der auf jede Versicherung das Gegentheil anzugeben wußte und den armen Mann binnen einer Stunde um allen Humor brachte. Piter zuckte nur ewig die Achseln und studirte nur im stillen sich seine hübsche Portion Donnerwetters ein, die er auf seine Angehörigen schleudern wollte, eine gehörige Anzahl von Ausrufungen über verlorene Zeit und Mühe, und es »sollte ihm mal einer wiederkommen und ihn in solche Bockshörner jagen« – und da war denn zur Rettung des Rittmeisters keine Verständigung möglich. Piter schnurrte auf jede Proposition auf wie ein Stacheligel und reiste ab. Der Rittmeister begleitete ihn sehr artig an den Postwagen, blieb aber mit einer traurigen Miene zurück. Er sah dem Scheidenden, dem Retter in der Noth, lange, lange nach und begab sich besinnungslos[68] in seine Wohnung. Wir wollen gleich hinzufügen, daß er sich nicht todt schoß, sondern einen Brief an seinen Sohn schrieb, zwar mit soldatischem Lakonismus blos seine Flüche aufs Papier werfend, aber doch so voll Verdruß (und besonders über die Nothwendigkeit, nun doch an den Präsidenten von Wittekind-Neuhof gehen zu müssen – der Kronsyndikus stand unter Curatel –), daß der arme, schon lange vereinsamte, einst so stolze Mann seine schwarze Tusche, seine Pinsel, seine rothen Schminknäpfchen ganz vergaß und – nur das Klagen und Kratzen seines alten treuen Pudels hörte und leise zu ihm sprach: Beißen sie dich auch so, Caro? und dann die Thüren zuschloß und halb die Fensterladen zuzog und ein altes Kamisol anzog und die Brille auf die Nase, sich selbst auf die Erde setzte und eine Schere nahm und ganz ein Greis geworden seinem allein noch treuen Thiere vor dem Hereinbrechen des Winters in wehmüthiger Betrachtung über Flöhe die Haare schor. So fand man ihn wenigstens da, als er zum ersten male anfing, allerlei wunderliche Reden durcheinander zu sprechen …

Piter kam im Vaterhause an und überhäufte Nück sogleich mit dem ganzen Vorrath gründlich einstudirter Vorwürfe. Er schilderte das Geschäft, das er ihm aufgetragen, als einen neuen Beweis, daß man noch soviel Latein und Griechisch und doch nichts von praktischen Dingen verstehen könnte. Nück, sehr erschreckt durch die Gefangennehmung Hammaker's, replicirte wenig; Benno und Thiebold freilich bestürmten Pitern voll Unwillen. Ihnen antwortete er auf jedes, was sie vorbrachten, mit Au contraire. Fast kam es zum Bruch zwischen Thiebold und ihm.[69] Piter war in einem Grade unumgänglich geworden, daß er sogar sich vor sich selbst zu fürchten anfing und nur in seinem Verhältniß zu Gertrud Ley seinem Gemüthe ein letztes Asyl eröffnete. Diese Liebe steigerte sich zur Schwärmerei, besonders seitdem seine Schwester Hendrika, um Treudchen vor ihm sicher zu stellen, ein für allemal die auf seine Wendeltreppe führende Thür verschloß und sogar den Vorhang des Zimmerchens, das Treudchen bewohnte und das dem seinigen gegenüberlag, Tag und Nacht herabzulassen befahl. Wäre nicht die neue Beherrscherin des Hauses gewesen, Lucinde Schwarz (sie wurde es ganz wider Willen und einfach nur dadurch, daß jeder Bewohner desselben, Delrings ausgenommen, die »sanfte, stille, ruhige Seele« zur Vertrauten machte), Piter hätte Sitte und Anstand über den Haufen geworfen. Aber Lucinde wollte alles Ernstes, daß Piter Treudchen in optima forma heirathen sollte. Sie beförderte diese Wendung der Dinge mit einer Discretion, die deshalb nicht leicht war, weil auch Treudchen, schon um »den jungen Herrn« möglicherweise zu »bessern«, seine, wie er selbst sagte, »wahnsinnige« Liebe mit der Kraftlosigkeit eines Mädchens erwiderte, das sich die Möglichkeit solcher herzbestrickenden Vorgänge innerhalb der ihr bisher gänzlich unbekannt gewesenen und neu aufgehenden Region der Liebe nicht geträumt hatte.

Dem durch die Gefangennehmung des Kirchenfürsten geweckten Geiste entzog sich Piter keinesweges. War doch selbst Thiebold wieder nahe daran, zu Feuer und Schwert zu greifen. Auch Benno, der sogar alles so erwartet hatte und der die Kraft der Ghibellinen bewunderte und von Dante's[70] Welfenhaß sprach, stutzte … Die Gefangennehmung wurde eben von der Regierung seltsam motivirt. »Zwei revolutionäre Richtungen« sollten sich in den Handlungen des Kirchenfürsten durchkreuzt haben, die jakobinische und die jesuitische. So lautete das Manifest der Minister … Unvermittelt wogten in Benno's Brust die Gegensätze der Ideen hin und her. Nur Freiheit athmen zu wollen, nur die Herrschaft des Gedankens zu begehren, dafür sah er das Leben zu praktisch an. Aber das wirklich Praktische und thatsächlich durch die Welt, wie sie einmal ist, zu Bedingende, das hatte sich für seine wenigen zwanzig Jahre noch nicht fest stellen wollen … Und rings diese Leidenschaften! Diese Parteinahme nur zu Gunsten einer »Kirche«, die doch auch die seine war! Kam nicht selbst Bonaventura über seinen innern, leise begonnenen Zwiespalt durch diesen viel größern Bruch wieder hinweg? … Piter – der sah die Thränen seiner Mutter, hörte die Klagen seiner Schwestern; die drei Hausfreunde hatten keinen Appetit mehr; Nück vergab ihm sogar die witoborner Reise und trank mit ihm auf eine glücklichere Zukunft; sogar die zu Tod geängstigte Hendrika, die nur noch kaum zwei Monate zu dem heroischen Entschluß hin hatte, ihr Kind im Glaubensbekenntniß ihres Mannes taufen zu lassen, war am Morgen nach der Gefangennahme des Kirchenfürsten in Treudchen's Kammer gewesen und hatte, zwar nicht mit Empfindungen wie damals Windhack in der Dechanei (»Fiat lux in perpetuis!«) doch jedenfalls wie vor dem Ersticken sich Rettung suchend den Vorhang bald in die Höhe gezogen, bald wieder niedergelassen …

Eines aber war Pitern an dem Kirchenstreit und[71] an den Allocutionen und an dem Kampf der Broschüren, vorzugsweise aber an den allabendlichen Zusammenrottungen das Allerunangenehmste. Alle Familienfestlichkeiten mußten abbestellt werden. Wozu hatte er nun das älterliche Haus so umgestaltet und soviel Zerstörungen und Neubauten angerichtet, als um in der Eigenschaft des jetzt mündigen Chefs von »Kattendyk und Söhne« die Saison in einer Weise zu eröffnen, gegen die niemand, selbst nicht die Cirkel der aus Verlegenheit über den Geist der Stadt für den Winter ganz nach Paris übergesiedelten Gebrüder Fuld aufkommen konnten! … Piter fand ein freies Feld und durfte es nicht zu seinen längst vorbereiteten Zwecken benutzen.

Endlich aber schwieg jede Rücksicht. Ende Januar konnte für seine Schwester Hendrika die Stunde der Entscheidung schlagen. Eine Gesellschaft mußte jetzt oder konnte vielleicht den ganzen Winter nicht mehr gegeben werden; wer verbürgte den glücklichen Ausgang dieser Entscheidung? Hendrika fuhr in keine Messe mehr, in keine Beichte, selbst dem Strom der ganzen Stadt zu dem neuen jungen Domherrn folgte sie nicht. Es mußte ein Anfang in der Entwickelung seiner Größe, seiner gesellschaftlichen Repräsentation, seiner Laufbahn zum Mitglied irgendeines Comité oder ähnlicher Befriedigungen seines Ehrgeizes gemacht werden, und Piter benutzte die nahe bevorstehende Abreise einiger hoher Herrschaften, von denen allerdings nur Monika speciell an sein Haus empfohlen war, um mit der Art, »wie Er Gesellschaften geben würde«, trotz der allgemeinen Landestrauer hervorzutreten.

Bei einigen Besuchen, die er hier im Hotel schon[72] gemacht, war er auch der Gräfin vorgestellt worden. Von dieser hatte er ein Zeugniß bekommen, das, wenn er dasselbe gehört hätte, ihm nicht wenig geschmeichelt haben würde. Da er unausgesetzt nur das Gegentheil von dem behauptete, was die Damen sprachen, so bekam wenigstens die Gräfin von ihm den Eindruck eines geistvollen und unterrichteten jungen Mannes; denn die Frauen sind viel bescheidener, als man gewöhnlich glaubt; sie unterrichten sich gern und dünken sich in ihrem Wissen nie so fest, daß sie nicht mit der größten Aufmerksamkeit und Geneigtheit, sich zu vervollkommnen, zuhörten, wenn ihnen z.B. jemand sagt: Bitte um Entschuldigung, die Ueberfahrt über den Kanal ist im Januar viel sicherer als im December! oder: Erlauben Sie, ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, die Cultur um Witoborn ist auffallend vernachlässigt! Frauen lieben die Schmeichler in der Regel viel weniger als wir glauben und die vornehmen Frauen vollends – und gar erst, wenn mit ihnen Menschen sprechen, die sich auf Geld und Gut verstehen! Piter blieb zu seinem Glück nur zehn Minuten und hinterließ damals einen Eindruck, den die Gräfin fast einen »bedeutenden« genannt hätte.

Auch heute genoß Piter drei große Vortheile für höhere Würdigung. Einmal war er nur fünf Minuten mit den Damen allein; es erfolgte eine fernere Meldung. Sodann war Monika in eine tiefe Abwesenheit ihres Ohrs und Herzens und Urtheils versunken. Endlich drittens erhob sie sich sogar und entfernte sich ganz, wie sie sagte, auf einen Augenblick;[73] das war, als Benno von Asselyn und Thiebold de Jonge gemeldet wurden, die in der Voraussetzung, sie reiste ab, sich ihr und der Gräfin zu empfehlen kamen. Und als dann die beiden jungen Männer eintraten, blieb die Gräfin mindestens zehn Minuten über alle drei Anwesenden die alleinige Richterin, bis Monika, nach einem Kampf zur Beruhigung ihres aufgeregten Herzens zurückkehrte.

Piter war vollkommen so eingerichtet, daß er mit Anstand die Tasse Thee, die ihn die Gräfin mitzutrinken aufforderte, hätte annehmen können. Seine strohgelb gantirte Hand brauchte sich nur auszustrecken, um im Zulangen ihm ganz schön zu stehen. Eine weiße Weste, inwendig mit einem dunkelrothen Phantasiefutter, dunkelbrauner Frack mit Metallknöpfen, schwarze Beinkleider, eine Halsbinde, weiß mit allerlei braunen Sprenkelchen – später flüsterte ihm Thiebold zu: »Sonderbare kleine Maikäfer das, Kattendyk, ich meine in Ihrer Cravatte!« Sein kleiner Kopf war wohlfrisirt und das blonde Bärtchen leise gefärbt und das stumpfe Näschen nicht erfroren, … er war in Equipage gekommen … Aber sein System des Au contraire bestimmte ihn sofort die Tasse abzulehnen und etwas näselnd zu sagen:

Bitte recht sehr, gnädigste Frau Gräfin! Ich trinke keinen Thee –

Es war dies, Kamillenthee ausgenommen, eine Wahrheit.

Die Gräfin fand den jungen Kaufherrn wieder von imponirender Eigenheit. Wer sich einbildet, die Großen verletze dergleichen Selbständigkeit, irrt sich. Nur die »kleinen Großen«, die Empor- und Herunterkömmlinge[74] sind anspruchsvoll; die wahren Großen sind sogar leicht eingeschüchtert und gerathen viel öfter in Verlegenheit, als wir glauben.

Piter rückte mit seinem Anliegen hervor. Im Wagen hatte er sich eine Rede stilistisch und rhetorisch zurecht gelegt. In gewandtem, der Vornehmheit wegen immer näselnden Vortrage bat er, daß seinem Hause die Ehre gegönnt werden möchte, bei seiner am nächsten Freitag stattfindenden ersten Soirée auch die gnädigste Frau Gräfin und die Frau Baronin von Hülleshoven erwarten zu dürfen …

Da die Gräfin von ihrer auf morgen angesetzten Abreise sprechen durfte, kam sie rasch über das ihr jetzt denn doch aufwallende Gefühl hinweg, ob eine solche gesellschaftliche Mischung, wie in einem wenn auch großen Kaufmannshause vorauszusetzen war, ihrem Stande angemessen erscheinen durfte. Seit lange hatte Monika die Gräfin nicht lächeln sehen. In diesem Augenblick that sie es ganz graziös. Monika sagte sich: Die seltsame Frau! Wie wohlwollend und fein steht ihr dies Lächeln! Warum verscheucht sie es nur durch ihre stete Furcht vor der Weltlichkeit, der sie mehr angehört, als sie weiß!

Monika selbst, die sich mit der jetzt erst in Staunen ausbrechenden, aber doch allmählich beipflichtenden Gräfin über ihren Entschluß, doch lieber zu bleiben, verständigte, nahm die Einladung an. Gegenbesuche von und bei der Mutter Piter's hatten bereits stattgefunden.

Die Verständigung über das Zurückbleiben Monika's gab Pitern Gelegenheit, sich in die Erfolge zu versetzen,[75] die am nächsten Freitag seine Arrangements krönen würden …

Auch über Porzia's Onkel erfuhr die Gräfin, jetzt orientirter, wiederholt alles das, was ihr zur Beruhigung dienen konnte, nicht zu einsam zu reisen …

Piter sprach sein Bedauern aus, die Gräfin entbehren zu müssen, ermangelte jedoch nicht, sie bei einer somit einmal beschlossenen Trennung durch seine praktischen Winke über die Comforts von London wieder wahrhaft zu bezaubern. Es fehlte nichts, daß er ihr nicht auch die Adressen aufgezeichnet hätte, wo sie am besten Cravatten und Zahnbürsten und Rasirmesser kaufen konnte. Sein Portefeuille hatte er gezogen, ein Blatt darin ausgerissen und eine Menge Namen aufgeschrieben, die der Gräfin bei der Ankunft von Wichtigkeit sein mußten, sogar diejenigen Beamten auf dem Zollhause, die sich am leichtesten bestechen ließen, trotzdem auf Bestechung bekanntlich die Deportation steht. In solchen Dingen konnte Piter höchst charmant und bis zur Herzlichkeit naiv sein. Da schöpfte er aus der Fülle seiner Erfahrungen. Die Gräfin, die zwar bei Lady Elliot sowol auf dem Lande wie in der Stadt wohnen sollte, hörte beglückt zu, wie das Hotel beschaffen war und wo es lag, in dem sie wohnen könnte, wenn sie wollte oder wenn sie müßte – Piter's Au contraire war auf einige Zeit höchst instructiv.

Benno und Thiebold kamen etwas feierlich. Denn wenn sie den Abschied jetzt auch nur von der Gräfin zu nehmen brauchten, so blieben sie doch selbst nicht mehr zu lange in der Stadt, sondern reisten auf Witoborn[76] zu, Benno in Nück's Aufträgen, Thiebold, um die Wälder anzukaufen, die Terschka frischweg sämmtlich wollte abschlagen lassen, um zu respectablen Summen Geldes zu kommen.

Piter behielt merkwürdigerweise noch die Oberhand … Die Gräfin zeichnete den ihr Nützlichsten aus. Sie ließ sich das weiße Blättchen voll Namen und Adressen schreiben und nebenbei warf Piter auch Erläuterungen für die beiden Freunde dazwischen, denen zufolge sie noch am Freitag, wenn sie bleiben würde, der Baronin sich in seinen Salons empfehlen könnten … Man war überrascht und alles das gab ihm Suprematie.

Der Bediente servirte den neuen Ankömmlingen gleichfalls den Thee. Diese nahmen und Piter, der sonst unter seinen Freunden unter der Herrschaft des ansteckenden Beispiels stand, bekämpfte sich dauernd, es heute durchaus nicht zuzulassen. Während jene tranken, konnte Piter sprechen. Jene waren gedrückt, bewegt, sie waren der Mutter eines Wesens nahe, das ihnen so theuer war und ihren Herzen einen so edeln Wettstreit kostete. Die Schwärmerei, die sich in Thiebold's zuweilen leuchtend von der Theetasse zur Nebenthür aufblickenden Augen äußerte, hinderte ihn zwar nicht, Pitern in seiner selbstgefälligen londoner Topographie zuweilen zu unterbrechen und sich z.B. in Betreff guter Handschuhe auch seinerseits auf den Standpunkt des Au contraire zu stellen, aber Benno sah dem darüber sich entspinnenden Wortgefecht mit Schweigen und wie ein Neuling zu. Erst da, als sich jene im Zank etwas mäßigen mußten und sich in eine halblaute Conversation verbissen, ging er, als der Festere und Höhergebildete,[77] auf ein Alleingespräch mit der Gräfin über, die von Nück, Terschka und ihrem Sohne begann …

Benno's Aeußeres hatte sich seit einiger Zeit verändert. Die Dressur zum Waffendienste hatte ihn früher seiner eigenen Art zu sehr beraubt. Auch auf seiner Wange stand jetzt ein schwarzgekräuselter Bart, der die Männlichkeit seines Wesens hob und ihm einen ganz besondern Ernst gab …

Seit meiner Studentenzeit war ich nicht in meiner zweiten Heimat! sagte er. Wenn es in der That zum Abschluß über die Dorste'schen Wälder durch meinen Freund de Jonge kommen sollte, würden wir noch den Wildstand zu vermindern haben. Herr von Terschka ladet uns wenigstens zu einer Jagd ein, die als ein halber Vertilgungskrieg allerdings ihresgleichen suchen würde.

Ich bitte Sie! schaltete Piter ein. Sehr wenig Wild dort! Die Rehböcke kann man zählen!

Schweigen Sie! flüsterte Thiebold und corrigirte auf dem Blättchen, das ihm noch die Gräfin gelassen hatte, die Orthographie einiger englischer Namen …

Glauben Sie nicht, fuhr die Gräfin zu Benno fort, daß man beim Verkauf sich der Möglichkeit begeben würde, Gelegenheiten zum Bergbau zu entdecken? Etwa Kohlengruben?

Die Gegend ist eine Hochfläche mit einem Muschelkalkrücken! sagte Benno. Torf findet sich in den Absenkungen, manche Gasquelle in den Aufdachungen Bergbau würde große Kapitalien erfordern …

Rentabilität wird bestritten! schaltete Piter ein …[78]

St! war Thiebold's scharfes Wort, das in seiner Theetasse verhallte …

Graf Joseph hat viel für die Schulen gethan, hör' ich, sagte die Gräfin. Sind die Leute wenigstens in der Landwirthschaft aufgeklärt und eignen sie sich die neuen Erfindungen an?

Sehr schwer, Frau Gräfin! erwiderte Benno. Indessen ersetzen sie durch Eifer und Gediegenheit in ihrer täglichen Arbeit, was ihnen an höherer Strebsamkeit fehlt. In der nächsten Nähe von Witoborn freilich ist man durch die Unzahl von Feiertagen bequem, durch die Reste der alten Priesterherrschaft etwas matt und schlaff geworden, auch im Auffassen und Begreifen beschränkt –

Erlauben Sie, brach Piter aus, ich habe da so durchtriebene und verschmitzte Menschen gefunden, wie irgendwo!

Wenn Sie doch nur –! unterbrach Thiebold fast ganz laut und bestimmt. Auch hätte Piter beinahe alles vor der Gräfin jetzt von selbst verloren. Von diesem antihierarchischen Geständniß Benno's war sie angezogen. Gern würde sie das Gespräch fortgesetzt haben, wenn nicht aus Porzia's Zimmer Monika zurückgekehrt wäre … Monika hatte Porzia im Packen unterstützt, sich dabei gesammelt und gestärkt.

Wenn nun auch die jungen Männer die Bestätigung erhielten, daß Armgart's Mutter noch zurückblieb, so mußten sie selber doch schon in den allernächsten Tagen reisen und drückten darüber in herzlichen und von einem gewissen geheimnißvollen Tone begleiteten Worten ihr Bedauern aus …[79]

Piter machte eine pfiffige Miene. Durch Lucinden war er, wie er es nannte, über »das Pech« unterrichtet, das Thiebold hatte, einem Mädchen zu huldigen, das auch Benno liebte. Aber sich zu empfehlen, bezeigte er keine Lust. Er flüsterte sogar Thiebold ohne alle Rancune zu, daß sie sich seines Wagens bedienen könnten und es schön wäre, wenn sie den Abend noch in irgendeinem Lokal, z.B. auf dem Hahnenkamp frisch angekommene Austern versuchten …

Thiebold hörte nichts … Er war ohne Besinnung. Um Monika einen Stuhl zu holen für den, den er selbst eingenommen hatte, weil er ihn am Tische leer gefunden, flog er nur so …

Grüßen Sie Armgart! sprach Monika mit Festigkeit und schnitt damit alles ab, was etwa durch Reden oder ausdrucksvolles Schweigen über ihre Beziehungen zu dem Ziel der Reise der jungen Männer angedeutet werden konnte; sie ging sogleich auf die für eine solche Reise ungünstige Jahreszeit über …

So werden Sie vielleicht Ihren Herrn Vetter, den Domherrn begleiten? fragte die Gräfin, die gern auf die Verwahrlosung des Volks und Erdbodens durch geistliche Herrschaft zurückgekommen wäre …

Ich glaube nicht, sagte Benno. Die Amtspflichten, die dem armen Neuling aufgebürdet werden, sind so schwer, daß er vor Ende der Woche nicht frei wird. Und ich höre auch, es ist besser, er kommt so spät wie möglich. Das ganze Stift Heiligenkreuz, alle Damen der Umgegend, Comtesse Paula an der Spitze, sticken einen in 24 Theile getheilten Riesenteppich, der an dem[80] Tage, wo Bonaventura zum ersten male in St.-Libori1 die Messe liest, am Hochaltar ausgebreitet liegen soll. Seit dem Tage schon, wo seine Ernennung auch zum dortigen Archipresbyter bestimmt war, arbeiten sie daran. Inzwischen ist der Kirchenstreit dazwischengekommen und nun mußte alles thätig sein, um für den gefangenen Kirchenfürsten Weihnachtsgeschenke zu fertigen. In der Festung, wo er verweilt, soll die Post zu Weihnachten ein ganzes Zimmer voll Packete gehabt haben, die allein nur an ihn adressirt waren. Seitdem sind die 24 Damen zu dem Teppich zurückgekehrt und arbeiten nun Tag und Nacht daran, daß sie von der Ankunft meines Vetters nicht überrascht werden.

Piter hatte glücklicherweise soviel Geistesgegenwart, sich zu besinnen, daß die Gräfin an dieser Schilderung einigen Anstoß nehmen mußte und beendete nicht ganz ein fast heftiges: Erlauben Sie, das ist eine Verwechselung! In unserer Stadt allein war auf der Post ein ganzes Zimmer voll2 – als ihn ein niederschmetternder Blick Thiebold's bedeutete, die Gräfin reden zu lassen, die Pitern erst schweigend ansah und dann mit einer ernsten Miene sprach:

Mögen die Damen nur den klugen Jungfrauen gleichen, die ihre Lampen in gutem Zustand hielten, als – der Bräutigam kam!

Benno fühlte, daß es Zeit sein konnte, auf diese feierliche Aeußerung aufzubrechen und Thiebold wünschte[81] dies um so mehr, als Piter die »horrible Dreistigkeit« oder Bêtise besaß, unbekümmert um ein biblisches Citat die etwas schlecht brennende Lampe auf dem Tische zu fixiren …

Armgart's Mutter hielt sie noch fest oder setzte doch das Gespräch unwillkürlich fort, indem sie den Amtseifer des jungen Domherrn rühmte und diesen in Vergleichung brachte mit dem bequemern System des Dechanten, nach dessen Befinden sie sich erkundigte …

Benno schilderte die mannichfache Aufregung, die es seither für die Dechanei gegeben hatte. Zwar waren bei Beda Hunnius sämmtliche Papiere mit Beschlag belegt und von der Regierung theilweise der Oeffentlichkeit übergeben worden, doch zwang der Gegendruck der Volksaufregung auch den Dechanten, diesmal seiner Lässigkeit zu entsagen. Die Majorin Schulzendorf kam nicht mehr in die Dechanei. Alles stand auf dem Kriegsfuße. Die dem Mörder der Schwester der Frau von Gülpen abgenommenen Werthpapiere hatten ein ansehnliches Vermögen ergeben, das dem Laienbruder Hubertus im Kloster Himmelpfort bestimmt war. Dieser, ohne alle Verwandtschaft, hatte das Geld seinem Kloster zu überlassen … Auch darüber gab es vielerlei Aufregungen für den Frieden des Dechanten, den also nicht mehr allein der nächtliche Ruhestörer Lolo um seine behaglichen Träume brachte …

Nun, unterbrach Monika die lebhafte Mittheilung, die Piter aus den Abendcirkelgesprächen seiner Mutter ergänzen und zu Thiebold's erneutem Verdruß berichtigen wollte; nun, so wird es die höchste Zeit sein, daß der alte liebe Herr sich in Wien bei seinen Freunden[82] und Freundinnen erholt! Wer ihn dort beobachtete, mußte immer beklagen, daß die Zeit der Abbés vorüber ist …

Da die Gräfin diese Erörterungen zu ignoriren schien und sogar, der peinlichen Erwähnung des Mordes und der neulichen Hinrichtung ausweichend, wieder die Rechnung des Wirthes zu betrachten angefangen hatte, war es in der Ordnung, daß sich alles erhob und Abschied nahm.

Monika reichte Benno und Thiebold die Hand … Ein magisches Band ist es, das eine Mutter mit dem Manne verbindet, der sein Herz ihrem Kinde weiht! Selbst wird sie darüber noch einmal wieder jung, fühlt ihr Herz mächtiger schlagen und theilt fast alle Empfindungen ihres Kindes. Oft sogar kann eine Mutter darunter leiden, wenn ihr Kind dem Ideal von Gegenliebe nicht entspricht, das ihr selbst davon noch im Herzen lebt. Sie weiß, was Liebe ist, was Liebe sein muß, sein kann und ihr Kind läßt den Mann, der sie liebt, oft launisch, oft nur kalt erwidernd, am Frauenherzen verzweifeln …

Beiden Bewerbern gab Monika ihre Hand und wünschte ihnen schmerzlich lächelnd eine glückliche Reise! …

Blicken wir nur einen Moment noch den sich Empfehlenden nach, so sehen wir, daß, unten angekommen, Thiebold Bennon schon deshalb in Piter's leidenschaftlich offerirten Wagen zog, um ihn zum Zeugen zu machen des Ausbruchs seiner verhaltenen Empfindungen über Piter's Benehmen. »Kattendyk! Wie Sie sich wieder benommen haben!« Dies Thema wurde variirt in allen Tonarten und sogar ohne Widerspruch; denn Piter rechnete auf vollkommenste Aussöhnung[83] und Uebereinstimmung vor dem Austernbret, auf das er seine Gefährten eingeladen und dessen Annahme nur insofern noch eine Modification erlitt, als Thiebold seine Entzückungen über die Nachsicht Monika's und der Gräfin, zu denen er vom »Rüffeln« übergegangen war, zuletzt selbst unterbrach und die Austern auf der Apostelstraße für besser erklärte als die auf dem Hahnenkamp. In solchen Dingen gab Piter seinen Freunden nach. So flogen nun alle drei auf die Apostelstraße, wo, von gleichem Instincte beseelt, auch bereits Joseph Moppes, Clemens Timpe, Gebhard Schmitz, Weigenand Maus und Alois Effingh am runden Tische saßen und, die Eintretenden erblickend, sie mit einem in der That von Herzen kommenden, stürmischen: Hurrah! empfingen.

Vortreffliche junge Männer das! sagte inzwischen wiederholt die Gräfin, verlor sich jedoch immermehr in eine jetzt ungestörte Revision ihrer Reisekasse und sprach ihr Bedauern über den Entschluß der Baronin, sie nicht einmal bis zum Meeresufer zu begleiten, schon nur noch mechanisch aus …

Ist es nicht auch besser, liebe Gräfin, sagte Monika, daß ich die Wohnung so lange behalte, bis ich an Terschka geschrieben habe, Ihre Rechnung durch das Haus Fuld berichtigen zu lassen? Sie werden diese hohe Summe nicht erwartet haben und sie nicht gut entbehren können. Reisen wir beide, so müßte sie bezahlt werden; bleib' ich zurück, so hat es Zeit damit …

Diese Auskunft gefiel der Gräfin. Seit vielen Jahren war sie gewohnt, mit dem »ungerechten Mammon« auf eine Weise »Freundschaft« zu schließen, die durch[84] ihre Bibelauslegung erlaubt und durch ihre Lebenslage bedingt war … Ihr seht zu stolzen Palästen auf! Ihr beneidet das Loos der Glücklichen, die sie bewohnen!

Die Gräfin wollte zeitig zur Ruhe gehen …

Sie hatte noch etwas auf dem Herzen …

Anknüpfend an den Brief des »Onkel Levinus« begann sie, als gegen neun Uhr die wie zur Schlacht lärmende Runde von zwanzig Trommlern in den Straßen vorüber war:

Sie wollen Terschka schreiben?

Ja! erwiderte Monika unbefangen …

Nach einer kleinen Pause fuhr die Gräfin fort:

Wie beklag' ich Sie, daß Sie nun wieder so allein stehen wollen – in dem feindseligen Streite der Leidenschaften! Glauben Sie an eine Aussöhnung mit dem Obersten?

Es gibt Dinge, die kein Gatte vergibt! erwiderte Monika mit halblauter Stimme und fast ahnend, worauf die Gräfin zielte …

Traurig aber, sagte diese, ewig noch einen Theil der Kette zu tragen, von der man sich losriß! Gewiß denke ich mit dem Apostel: »Bist du an ein Weib gebunden, so suche nicht los zu werden. Bist du aber los vom Weibe, so suche kein Weib!« Ich deute das auch auf uns Frauen. Aber in dem Worte Gottes ist das Eine unerläßliche Vorschrift und das Andere weiser Rath. Fast alles, was uns die Apostel, ohnehin Sendboten des Herrn ohne Herd, ohne Familie, über die Ehe rathen, gehört den weisen Rathschlägen an. Auch standen damals die Frauen nicht auf der Höhe, auf welche[85] sie eben erst später der Sieg des Evangeliums stellte. Sie waren den Sklavinnen näher, als der gleichberechtigten Bildung und Liebe. Da sie nicht wider den Geist Gottes, sondern nur gegen die apostolische Weisheit geht, ist die Ehescheidung auch keine Sünde. Der Apostel sagt es ja selbst: »Solches sage ich euch aus Vergunst, nicht aus Gebot.« Es sind Vorschläge à discrétion. Auch spricht Paulus über die Frauen leider wie aus eigener bitterer Erfahrung und wie aus einem ganz weltlichen Geiste. Fest aber steht des Allmächtigen Wort: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.« Die Ehe ist eine Heilsanstalt – Ihre Kirche, die sie zum Sakrament machte, übertrieb das nur. Wie wenig Neigung Sie für die Irrthümer Ihres Glaubens haben, weiß ich ja! Sie sollten sich Freiheit gewinnen und den Schwankungen eines so haltlosen Lebens entfliehen – vielleicht – durch eine neue Wahl –

Monika saß auf dem Sessel neben der Gräfin, die noch auf dem Sopha geblieben war. Sie blickte nicht auf … Vor dem Allerheiligsten erbebt die Seele und verstummt der Mund …

Die Gräfin rückte Monika näher und ergriff die kalt gewordene Hand der vielgeprüften Frau …

Ihr Kind hat gegen Sie Partei ergriffen! sprach sie mit weicherer Stimme, als man sonst an ihr gewohnt war. Die Verwandte betheuern zwar freundliche Gesinnungen, aber das sind leere Worte. Das Gesetz spricht Ihre Tochter dem Vater zu. Sie haben Herrn von Hülleshoven, wie Sie immer sagten, blindlings genommen, nur um einer andern Verbindung zu entgehen, und Sie konnten[86] sich nicht an ihn gewöhnen. Ihr Herz trug ein Ideal, dem er nicht entsprach. So hätten Sie ja im Grunde nie geliebt. Jetzt, gestehen Sie, Monika – Terschka ist Ihnen nicht gleichgültig?

Monika erhob sich. Es lag keine Bestätigung dieser Vermuthung in ihrer Bewegung. Sie mußte sich nur erheben, um gleichsam die schwere Last abzuwälzen, die sich mit diesen Worten auf ihre Brust warf …

Sie wissen, auch Terschka, fuhr die Gräfin fort, auch Terschka würde keinen Anstand nehmen, Ihrem Beispiel zu folgen. Einer alten Familie der Hussiten gehört er ohnehin an. Haben auch viele anfangs geglaubt, er würde meinen Sohn im Glauben seiner Väter wankend machen und hörte ich Warnungen über Warnungen über diesen so engen Umgang, so hat sich doch keine der Befürchtungen bestätigt. Terschka unterhält die loseste Verbindung mit seiner Kirche. Bliebe er der Verwalter unserer neuen Besitzthümer, wer sollte ihn hindern, seiner Liebe ein Opfer zu bringen? Denn daß Sie, Monika, sein ganzes Leben erfüllen und von ihm – ich brauche das sündhafte Wort – angebetet werden, wissen Sie!

Nein, nein! erwiderte Monika mit erstickter Stimme, ging auf und nieder und hielt sich, da sie nicht weiter konnte, am Fenster, wo sie in die Nacht starrte …

Unerschrocken aber fuhr die Gräfin fort:

Leugnen Sie nicht, meine junge Freundin, daß es Sie mit mächtigem Reiz erfüllt, zu sehen, wie ein noch junger, geistvoller, liebenswürdiger Mann Ihnen huldigt und nur für Sie zu leben scheint! Anfangs glaubt' ich, als Sie in unsere Kreise traten und so schnell uns alle[87] gewannen, daß auch mein Sohn vor Bewunderung vor Ihnen – o! diese unselige Leidenschaft, die ihn fesselt! – –

Mit einem Schmerzensausdruck, den Monika für diese Gedankenreihe an der Gräfin noch nie vernommen hatte, unterbrach sie sich selbst, hielt inne und stand jetzt selber auf, weil auch in ihren Adern das Blut mächtiger zu kreisen begann …

Monika, selbst des Beistandes bedürftig, wandte sich vom Fenster ab und trat der hohen Gestalt entgegen, deren Hände in der ihrigen zitterten …

Dann aber fuhr die Gräfin gesammelter fort:

Es ist gut, mein Kind! Ich habe mich an diese Schickung Gottes gewöhnt! Angiolina bewahrte meinen Sohn vielleicht vor Schlimmerem; denn wie Terschka und er begannen – das sind Erinnerungen! Aber ein milderer Geist kam über beide, und das hab' ich immer für unsern Beruf gehalten, den zu fördern und zu mehren, selbst mit eigener Aufopferung! Ich weiß nicht, ob Salomo mit dem Worte: »Ein holdseliges Weib erhält die Ehre«, auch die Ehre des Mannes meinte; aber meine Erfahrung – und sie ist alt – lehrte mich, daß ein Weib das ganze irdische und ewige Glück eines Mannes in Händen haben kann. Seit Hugo und Terschka Sie kennen, Monika, hat selbst mein Wort einen ganz andern Klang für sie gewonnen! Noch kürzlich schrieb mir Hugo: Mutter, wenn ich doch auch Terschka ganz, ganz glücklich haben könnte! … Ich weiß es, daß es für ihn kein anderes Glück auf Erden geben könnte, als Sie sein zu nennen, Monika![88]

Die gefolterte junge Frau warf sich, heftig den Kopf schüttelnd, mit weinenden Augen an die Brust der heute so milden Greisin …

Wir nehmen Abschied, schloß die Gräfin; bleiben Sie in dieser Stadt, bis ich zurückkehre! Wählen Sie eine kleinere Wohnung! Terschka wird oft herüberkommen müssen! Geben Sie dem Schmerz des vielgeprüften Mannes Gehör! Wie hat auch ihn das Leben hin- und hergeworfen, bis er bei einem Wesen angekommen ist, das ihm mit Recht ein köstlicher Schatz erscheint. Sie wissen, wie ich Sie liebe! Ja, Monika, entziehen Sie sich dem Gefühl nicht, das Sie haben dürfen, in manchen Dingen mit sich zufrieden zu sein. Noch fehlt die letzte Hand, die an Ihre Seele gelegt werden muß, die Hand eines Gärtners und Winzers in Ihrem Innern, der Ihnen spricht: Der Herr ist der Weinstock, wir sind die Reben! Das wird kommen. Genießen Sie das Glück, so von Menschen geliebt zu werden! Ach, es geht uns einst ein Tag auf, Liebe, wo man jede Freude beweint, die man sich entgehen ließ, wo man jedes Herz zurückhaben möchte, das man von sich stieß … glauben Sie mir, Monika, auch an mir ziehen oft noch Schatten vorüber, die mich weinend ansehen und sagen: Wir hätten uns doch auch finden können, warum suchten wir uns denn nicht!

Monika umschlang stürmisch, wie ein junges Mädchen, die Greisin, in deren Augen sie zum ersten male seit dem Jahre, daß sie sie kannte, eine Thräne glänzen sah. Sie bedeckte die magere Wange, die dürre Hand der Greisin mit Küssen. Sie schluchzte selbst, als müßte sie[89] all die Thränen mitweinen, deren vollen Strom sich die Matrone, trotz ihrer Erregung, versagte.

Sanft entwand sich die Gräfin den Umarmungen Monika's, küßte die Stirn der jungen Frau, strich leise die grauen Locken aus dem jugendlich schönen, durch die höchste Anspannung und Erregung wie mädchenhaft strahlenden Antlitz und ging zur Ruhe.

Auf ihr Klingeln kam Porzia, die noch lange bei ihr blieb und sich mit ihr über den Oheim verständigte.

Monika schlief in einem andern Cabinet …

Wie aufgeregt sie durch diese Scene war, bewies sie am folgenden Morgen. Die Gräfin kam auf das Besprochene nicht wieder zurück; sie reiste gegen elf Uhr ab … Im Wagen fand sie Blumensträuße von kostbaren Treibhauspflanzen, die ihr Benno und Thiebold hatten hineinlegen lassen.

Monika, nun allein in der großen Wohnung, die sie nur so lange behielt, bis von Terschka Geldanweisungen gekommen waren, irrte – wie am einsamen, ihr so unheimlichen Meere …

Sie wollte an Terschka schreiben … Sie konnte es nicht so harmlos, als sie wollte … Eine Aenderung der Confession … Scheidung … Eine neue Heirath … mit Terschka?! Das waren Gedankenreihen, die wie eine wilde Musik auf sie einstürmten im nächtlichen Fackelschein, wie ein Chor im Zuge der Korybanten, wie ein Fest unter dem Schwingen des Thyrsusstabes …

In dieser Angst des Herzens trat ihr durch die Blumensträuße der jungen Bewerber um Armgart die Erinnerung an Bonaventura entgegen … Sie wußte[90] selbst nicht, was sie zog, den Pelz überzuwerfen, sich zu verhüllen gegen die schärfer gewordene Winterluft, die am Morgen sich durch Reif angekündigt hatte, der an allen Häusern, Brücken und Bäumen sichtbare Zeichen zurückgelassen, geradezu in die Kathedrale zu gehen dem tiefdunkeln Winkel zu, wo seit vier Monden die Menschen geschart saßen, um zu einem alten Beichtstuhl zu gelangen, in dem im weißen Kleide, das Beichttuch über sein bleiches Antlitz gezogen, Bonaventura von Asselyn die Beichte hörte …

Seit einem Jahre hatte Monika nicht gebeichtet und noch wußte sie kaum, was sie dem Ohr des Priesters vertrauen sollte …

Ostermorgenglocken waren es nicht, nicht der heilige, von den Rundbögen einer unsichtbaren Kirche widerhallende Gesang: Christ' ist erstanden! der wie im »Faust« die Seele des Zweiflers, so auch sie zum Glauben der holden Kinderjahre zurückzog … Nicht in Wehmuth und Zerknirschung, nicht in Auflösung ihres Willens, nicht in wiedererwachter Liebe und Hingebung für das Bekenntniß ihrer Jugend betrat sie die Kathedrale … Es lebte schon lange eine feste, ernste Stimmung in ihrem Herzen. Sie ging wie zu einer letzten Prüfung.

1

Im dritten Buche wurde durch ein Versehen »Ludgeri« gedruckt.

2

Factischer wäre allerdings seine Bemerkung gewesen.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 4, Leipzig 1859, S. 55-91.
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