Elftes Capitel
Voland von der Hahnenfeder

[2964] Drängt der Gegenstand, meine Herren, der Sie zu mir führt und mir das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gewährt? begann Otto von Dystra mit wohlwollendster Bonhommie und mit einem Blicke andeutend, daß die Zahl der Tassen vermehrt würde.

Er nöthigte die Gesellschaft in sein Wohnzimmer zurück, als Dankmar mit raschem Blick sich orientirend Louis Armand zugeblinkt und gesagt hatte, es dränge nicht und auch ein ander Mal fände sich Gelegenheit zu ihrer Erörterung. Die in Livreen gesteckte Bedienung des Hotels leuchtete zum Nebenzimmer voran. Man nahm Platz, Dystra theilte Cigarren aus ... Hier wurde ein Nachmittag unter andern Verhältnissen gefeiert, als in der Neustraße, drei Treppen hoch, bei Eulalia Schievelbein.

General Voland hat erklärt, daß Sie Beide, meine Herren, berühmt und interessant sind, sagte Dystra. Ich kann das Letztere erst als Physiognomiker unterscheiden. Warum Sie berühmt sind, gesteh' ich armer hier in Europa über Nacht aufgeschossener Pilz nicht zu wissen – aber[2964] General Voland hat Ihre Visitenkarten eskamotirt und von gewöhnlichen Menschen thut man Das nicht.

Es klang wie eine dämonische Satyre, als der General erklärte:

Herr Dankmar Wildungen ist auf dem Wege, der hiesigen Stadtkommune ein bis zwei Millionen durch einen höchst romantischen Prozeß abzugewinnen und Herr Louis Armand ist jener junge Franzose, der mit unserm jetzigen Chefminister, dem Fürsten Egon, durch die engsten Bande der Freundschaft verbunden ist.

Ritter Rochus hätte sich die Lippen abbeißen mögen, wenn er seine meist falschen Zähne nicht zu scheuen gehabt hätte und behutsam in ihnen stocherte ...

Rudhard, der die Verhältnisse kannte, mußte über die Erklärung des Generals lächeln, die Louis in Verlegenheit setzte zur großen Befriedigung des Ritters, der schon die Feder spitzte, um seinem Hofe diese merkwürdige Begegnung in seinem gewählten, nur etwas schwülstigen Style zu schreiben.

Dankmar erzählte zum lebendigsten Antheil Rudhard's auf dessen Nachfragen in aller Kürze den Verlust seiner Mutter, sein Erstaunen über Siegbert's langes Schweigen, die Ergebnisse seines Aufenthalts in Schönau und Randhartingen, so weit sie ihm bekannt waren und Dystra dachte: Siegbert! Das ist dein Nebenbuhler! Und diese Angelegenheit führt die jungen Männer zu mir!

Inzwischen wurde Louis schon vom General Voland und dem Ritter Rochus in ein Gespräch verwickelt, bei[2965] dem es ohne Ironie über den verlegenen, bescheidenen Arbeiter nicht ablief. Dystra, laut vor sich hinbrummend: Romantisch? Romantisch? Prozesse sind nie romantisch! sorgte für die Bedienung. Dankmar fand Gelegenheit, den besternten Herrn und den General, zwei Lichter der Welt, zu mustern.

Ritter Rochus vom Westen war in jungen Jahren ein Gelehrter gewesen, dann in die diplomatische Laufbahn gekommen, jedoch immer nur als Attaché benutzt worden. Er schrieb Berichte sowol für die Zeitungen, die seine Regierung subventionirte, wie für den Premierminister selbst, besonders aber die Gemahlin desselben, deren Neigung zu scharfen Persönlichkeiten und zur Médisance er kannte. Er überwachte seine Chefs in Paris, in London, in Konstantinopel und Athen. Bei diesen verschiedenen Stellungen hatte er Otto von Dystra kennen gelernt, der vor seiner Bildung, seinen antiquarischen und philosophischen Studien die größte Hochachtung empfand. Damals war es leicht, sich einen Anstrich von Frei-muth zu geben. Der Chevalier vom Westen galt für geistreich, fein und witzig. Er imponirte selbst in Florenz den Alterthumsforschern, in Stambul den reisenden Orientalisten, in Paris trieb er Sanskrit und ließ griechische Handschriften wieder neu aufkratzen, trotz Letronne und Villoison. Schrieb er ein politisches Memoire, so wurde es in allen Salons seiner Hauptstadt bewundert und von dem Gemahl der geistreichen Frau, die ihn protegirte, an alle Legationen gleichfalls zur Bewunderung übersandt. Das[2966] währte bis zur Revolution. Die alten adligen Repräsentanten in der Diplomatie wurden damals gestürzt. Ritter Rochus vom Westen wurde erst in's Ministerium berufen, dann, als er den verschiedenen Phasen der Revolution bald zum Opfer fiel, zu einer großen Legation beordert. Hier machte er sich mit Meisterschaft geltend. Er haßte den Staat, zu dem er als Wächter gestellt wurde, ohne grade den Staat, den er selbst vertrat, besonders zu lieben. Er hätte Philosoph genug sein müssen, die Erbärmlichkeit der Zumuthungen, die ihm der Gang der Ereignisse stellte, zu verachten, allein es flossen ihm außerordentliche Summen zu, die ihm eine glänzende Stellung gaben und sein natürlicher Hang zur Intrigue fand eine Nahrung, die ihn immer in Athem erhielt. Seine Studien waren zum größten Theil abspringend und oberflächlich gewesen. Zu ihnen zurückzukehren war ihm um so weniger Bedürfniß, als ein angeborner, gutgeschulter Geist ihn auch der Nothwendigkeit zu überheben schien, nur todte Materialien zu sammeln. Dieser scharfe Kopf übersah die Zeit vollkommen. Er war vollkommen überzeugt, daß die Welt ein großes Chaos erwarte und daß der ganze Wirrwarr des Tages eigentlich leer und erbärmlich zu nennen sei. Après nous le déluge! war seine stehende Redensart. Er erklärte hundert Mal des Tages, daß ihn ein Grauen überfiele, wenn er dächte, daß die Schläuche des Äolus sich einst entladen und über die Welt hin die Stürme der demokratischen Bewegung blasen würden, und so weit ging er schon vor Dystra, ja vor[2967] Voland sogar, daß er die Berechtigung dieser Bewegung anerkannte und welthistorisch auf demselben Standpunkte sich befand, den er in Folge seiner Stellung bekämpfte. Diese Intelligenz schrieb dennoch Depeschen und Cirkularnoten in dem Style, wie ihn Metternich und Gentz eingeführt hatten. Sie nannte die Revolution eine Hydra, die Revolutionäre die Sendboten der Hölle und im Stillen konnte es dem Ritter dennoch kommen, als wenn Niemand bemitleidenswerther wäre als grade die Fürsten, die angestammte Liebe und Treue verlangten, naiv durch die Städte reisten, vom guten Geist der Unterthanen redeten, Verweise ertheilten, Beamte, Magistrate brüskirten und nach seiner innersten Idee doch in einem wahrhaft babylonischen Irrthume und blinden Wahne lebten. Völlig abweichend von General Voland war er Neolog, las lieber Volney und Payne, als Burke und Haller, und hatte dabei in seinem ganzen Wesen das Kleinliche, Verzärtelte, Pedantische, Leichtverletzbare der alten Garçons in völligem Gegensatze zu dem Garçon Otto von Dystra, den die Natur verwahrlost hatte, der seiner selbst spottete und die Bequemlichkeit nur liebte, um sich für Entbehrungen schadlos zu halten, die er eben so gut auch ertragen konnte.

Die tiefe Lüge in diesem Chevalier Rochus vom Westen wich von der Lüge in dem General Voland außerordentlich ab. General Voland von der Hahnenfeder glaubte an positive Möglichkeiten. Seine Phantasie war so schöpferisch, daß er sogar die Wiederbelebung des Todten für möglich[2968] hielt. Er lebte in einem ewigen Flammenschein und hatte immer Dunkel um sich, wie ein nächtlicher Adept, der über den Stein der Weisen brütet. Er suchte eine Tinktur des Lebens auf für die Geschichte, für die Menschheit selbst. Er glaubte an Formeln, die wie ein Ecce homo, ein Bild des Gekreuzigten, auf Verdammte wirkten. Er war ein romantischer Spätling der Wöllner'schen Periode und würde Geister citirt haben wie Bischofswerder, wenn nicht der Fluch der Lächerlichkeit auf einer solchen Nachahmung gelegen hätte, die er origineller gestaltet hätte; denn er hätte sicher gesagt, wir wissen, daß Das Lüge ist, was wir sehen, aber unser Schauer, unsre Erwartung, unser Zittern über das Mögliche ist keine Lüge und die Dämmerung ist die eigentliche Poesie des Geistes. Auch ihm ging die Zeit in ganz andrem Lichte auf, als man auf der Rednerbühne und Ministerbank der Kammern sagen durfte. Auch ihm war der Glaube der absoluten Monarchie an ihre Unfehlbarkeit eben so rococo, wie das konstitutionelle Wesen der Neuzeit platt und unromantisch; er wühlte in den Offenbarungen seines Jahrhunderts und lag immer mit dem Ohre auf der Erde, um den Maulwurf des Weltgeistes zu hören, immer auszuspüren, wo er die Wünschelruthe des Schatzgräbers hinlegen sollte. Eine kurze Zeit hatte man ihn einmal in die Lage gebracht, handeln zu sollen, Entschlüsse für den nächsten schwierigen Augenblick zu fassen. Da war erst eine entsetzliche Angst, ein Zittern und Zagen über ihn gekommen. Das Regieren in alter Form, bureaukratisch, war ihm sonst[2969] eine Geschmacklosigkeit gewesen. Aber was sollte er an die Stelle setzen? Es ergriff ihn, da er nicht Rath wußte und sich tief des alten Materials der Regierungskunst schämte, plötzlich die Idee von einem allgemeinen Weltbrand. Tod, Vernichtung, Völkerkampf und aus ihm erst ein Neues, wie ein Dämon, der sich aus dem Brande erhebt, jenem Typhon gleich in Calderon's wunderthätigem Magus. Großartigkeit der verworrenen Anschauungen ließ sich dem General nicht absprechen. Auch bezweifelte man eine gewisse Güte des Herzens nicht und fand das Teuflische, das ihm Viele imputirten, nur in seinem Namen, d.h. – seinem Rufe. Er wirkte auf die Vögel der Unbedeutendheit wie der Blick der Schlange. Sie zitterten vor ihm und stürzten todt auf seine ausgestreckte Zunge.

Merkwürdig, wie solche so Ungeheures in sich schließende Naturen so ruhig dasitzen, so plaudern, so erst Austern essen, dann Kaffee trinken können! Dankmar betrachtete darauf den General und den Ritter scharf genug. Der Erste war über funfzig Jahre alt und eher von hoher als mittler Statur, ohne jedoch durch seine Größe aufzufallen. Sein Wuchs war breitschulterig, der Kopf von bedeutendem Umfang. Ein struppiges, fast negerartiges Haar bedeckte seinen Schädel, der sich durch eine sehr breite, Verstand und Combination verrathende Stirn auszeichnete. Die Nase, die Backenknochen kräftig. Über der Oberlippe stand ein kleiner Bart, der mit dem hie und da etwas grauen Haupthaare durch seine penetrante[2970] Schwärze im Widerspruche stand und ohne Zweifel mit dem besten militärischen Hülfsmittel gefärbt war. Die Hautfarbe des Gesichts war eher grau als weiß. Ein gelblicher Schimmer fuhr über die fast erstarrten und todten Züge, die sich immer gleich blieben, immer eine scheinbare innere Regungslosigkeit bezeichneten, in Wahrheit aber nur von der großartigsten Selbstbeherrschung und einer wühlenden, lauernden Beobachtung herrührten. Die Augen, die aus kleinen Höhlen funkelnde Blitze schossen, widersprachen der kirchhofähnlichen Ruhe dieses Antlitzes. Der Mund bewegte sich, wenn der General sprach, nur mäßig. Es schien ihm unbequem, daß die Lippen die Reserve dieser Gesichtszüge stören sollten. Selbst wenn der General etwas Heitres äußerte, bewegten sich die Flächen um die Mundwinkel nicht im Mindesten in jene mephistophelischen Falten hinüber, die oft die gutmüthigsten Menschen satyrischer erscheinen lassen, als ihr Herz denkt. Man kann nicht sagen, daß der General nur etwas Unheimliches hatte. Im Gegentheil flößte sein beobachtendes Wesen Vertrauen ein, er war zuvorkommend, ohne zudringlich zu erscheinen; er wollte gewinnen und gewann oft. Nur in den Augen lag eine unheimliche Glut und das hochaufgebäumte wirre Haar gab ihm etwas Ängstliches. Er bewegte sich in der Uniform, die neu und sehr geschmackvoll war, mit etwas beklommener Haltung. Man sah ihm an, daß er nur durch Zufall, nicht aus besondrer Leidenschaft Militär war und daß er sich im Frack, den er auf seinen vielen offnen und geheimen Missionen trug,[2971] freier bewegte. In bürgerlicher Kleidung mußte General Voland noch einen bedeutenderen Eindruck machen.

Dankmar, Louis und Rudhard wußten, daß der General, der zufälligerweise Katholik war, in dem Rufe stand, der Hierarchie Vorschub zu leisten und eine große Vorliebe für das Mittelalter zu hegen. Er war der Erzieher des jungen Königs gewesen und hatte wohl verstanden, ihm jene träumerische Richtung und jene Neigung zu aparten Liebhabereien einzuflößen, durch welche man Zeitlebens einen einmal auf so hohe Herrschaften errungenen Einfluß auch dauernd behaupten kann. Der König sammelte schon als Kind Käfer und Schmetterlinge, als Jüngling Siegel und Wappen, als Fürst Münzen, Waffen, Urkunden, Manuscripte, Glasmalereien. Gab es keine politischen Meinungen auszutauschen, so tauschte man alte Siegel und Gemälde aus. Jedes Ministerium, das mit Verzweiflung seine Maßnahmen von dem Spiritus familiaris der »kleinen Cirkel« durchkreuzt sah, war in seinen Vorwürfen und Anklagen dadurch widerlegt, daß der General Voland mit dem Könige ja nur über wissenschaftliche und künstlerische Zwecke korrespondire. Schon oft war es geschehen, daß eine Berechnung des Generals nicht zutraf, seine politischen Rathschläge Mistrauen erregten; eine streng lutherische Partei, die immer daran Anstoß nahm, daß man einen Katholiken so nahe an die Person des Monarchen herantreten ließ, unterließ niemals, jede Blöße, die sich der allweise und allberechnende Rathgeber doch oft genug gab, schonungslos aufzudecken (und in[2972] früheren Jahren that dies Niemand rücksichtsloser als Propst Gelbsattel), allein der General war nicht zu entfernen; denn wer durfte dem Fürsten zumuthen, seine kleinen Neigungen und harmlosen Studien aufzugeben? Voland reiste auch wohl, wenn ihm irgend eine Berechnung misglückt war, auf irgend einen außerordentlichen Botschafterposten oder mit einem militärischen Auftrag, den man ihm nach Außen hin gab, allein wer konnte hindern, daß er ein altes Breviarium fand mit schönen Miniaturen, das er der Königin schickte oder an den König selbst ein paar alterthümliche eiserne Sporen, deren der König nicht genug sammeln konnte? So erhielt sich immer der vertraulichste Verkehr. General Voland war niemals abgenutzt und bei allen seinen gescheiterten Plänen und Rathschlägen immer neu, immer interessant, immer dem Hofe nach tiefster Neigung willkommen.

Ritter Rochus vom Westen, eine glatte Salonfigur, mit reizbar beweglichen Mienen, stechenden Augen verschwand neben dem General, der seit einiger Zeit über den allgemeinen Weltbrand grübelte. Man konnte beide berühmte Männer so unterscheiden: Jeder glaubte an den Untergang aller Dinge; aber Voland durch Feuer und Ritter Rochus durch Wasser. Der mystische Krieger war in dieser Art Vulkanist, der skeptische Diplomat Neptunist. Après moi l'enfer! sagte der Eine. Après moi le déluge! der Andre.

Die genauere Angabe, in wiefern Dankmar hoffen könne, von der Stadt eine so gewaltige Summe, wie Voland[2973] eben gesagt, zu gewinnen, führte den General gleich mitten auf ein Terrain, wo er heimisch war und wo ihm Niemand gleichkommen konnte. Er hatte die genaueste Kenntniß über den Dystra so überraschenden Wildungen'schen Prozeß und schien sogar die Akten zu kennen, ohne dies jedoch einzugestehen. Er besaß die Gabe einer fließenden Darstellung und war mit einem milden wohltönenden Organe ausgestattet. Man hörte ihn gern reden. Er sprach ohne Leidenschaft, immer anregend und aus der Fülle der Thatsachen heraus, die ihm wie Keinem zu Gebote standen. Er sprach sogleich über die Templerei und die Johanniter wie ein Eingeweihter und veranlaßte seinen Jugendfreund Otto von Dystra, mit dem er zusammen in der Schweiz (nicht bei den Jesuiten, sondern in Hofwyl bei Fellenberg) erzogen war, zu der Frage:

So wäre wol auch bei dem königlichen Schlosse Buchau im Westen die alte Ruine, der Tempelstein genannt, im Zusammenhang mit ...

Der Tempelstein ist eine alte Kommende des im Jahre 1310 in Deutschland de jure, aber nicht de facto aufgehobenen Tempelherrenordens, begann der General sogleich im sichersten Vollgefühl der Thatsachen. Jener Tempelstein diente mehr der ritterlichen Bestimmung des Ordens, während die an seinem Rücken gelegenen Trümmer einer Abtei angehörten, an die sich die kirchliche Bestimmung desselben schloß. Der Tempelstein lieferte die zahlreichsten Contingente nach dem gelobten Lande und entsprach in dem im Ganzen schon damals geistig trägen[2974] westlichen Theile Deutschlands noch am Meisten der Bestimmung der Tempelhöfe, nämlich nur Werbeplätze zu sein für die Kreuzzüge. Da sollte die Trommel mit der Predigt, das Exercitium auf dem Waffenplatz mit der Messe abwechseln ...

Der Ritter Rochus lachte über die beginnende Salbung des Vortrags und die Fährte der Ideen, in die hier der General gerieth ...

Ganz so wie manche fromme Generäle es jetzt bei Euch hier halten wollen, bemerkte Otto von Dystra zu nicht geringem Erstaunen des fein lächelnden Dankmar, der entweder bei ihrem sonst so freundlichen Wirthe eine offenbare satyrische Absicht auf den General voraussetzte oder annehmen mußte, daß Otto von Dystra die gegenwärtige ideelle Stellung seines Jugendfreundes nicht kannte ...

Vom Beten, bemerkte Rudhard, mag damals doch wol nicht viel geworden sein, soviel Breviere die Ritter auch in ihrem Sattelzeuge versteckt haben mochten. Die Templer sind als übermüthige Kumpane im ganzen Mittelalter verschrieen gewesen und das Sprichwort ging überall: Er trinkt, wie ein Templer!

Diese rationell-kritische Bemerkung streifte natürlich den Duft sehr von den Erinnerungen ab, auf die General Voland mit besondrer Vorliebe einging.

Ausnahmen! sagte er, den dunkelschwarzen Kaffee schlürfend. Späterer Verfall! Unter den Johannitern schlummerte leider der große welthistorische Zweck dieses[2975] Ordens immer mehr ein und zur Zeit der Reformation waren seine Besitzungen nur eine Beute der Habgier und Gewissenlosigkeit von Seiten der untreuen Ritter selbst. Ihr Ahn, Hugo von Wildungen nur, blieb mannhaft und stät ...

Wir sind hier in der Stadt Rom, bemerkte Dystra, der die Genealogie der Wildungen'schen Ansprüche nun kannte. Stocken Sie nicht, Voland! Man darf hier Das scheinen, was man ist.

Die Weine des Hotels schienen auf ein gewisses Negligé der Verhältnisse und Äußerungen gewirkt zu haben.

Doch nicht Jesuit? sagte Rudhard gereizt. Ich gönne unsern Freunden Dankmar und Siegbert alle Schätze dieser alten Verlassenschaft aus dumpfen und geistesunfreien Zeiten, aber im Grunde stammen Ihre Ansprüche von der jesuitischen Pfiffigkeit her, daß Rom sagte: Hugo von Wildungen hat mannhaft und stät gehandelt, wie der Herr General sagen, allein die Klugheit gebeut, in partibus infidelium, unter den Ketzern, festen Fuß zu behalten. Wir dispensiren ihn von dem Ordensgelübde persönlichen Nichtsbesitzes und gestatten ihm, sein Theil zu nehmen, wie die andern Räuber auch.

Ritter Rochus, der im Cigarrendampf sich etwas unbehaglich fühlte, horchte auf. Dieser Erguß sprach seine Ansicht aus, er kam ihm nur etwas zu scharf stylisirt vor. Er war solcher Derbheiten im Urtheilen entwöhnt und hatte sie früher nur als Gelehrter oder in Korrespondenzen an Zeitschriften gekannt.[2976]

Ich bezweifle, sagte General Voland mit der ihm eignen Ruhe, daß diese Licenz des päpstlichen Stuhles eine jesuitische Einflüsterung war.

Ich bezweifle es nicht, sagte Rudhard mit Nachdruck;

aber der General erwiderte:

Mein Grund ist der, daß jene Licenz des Komthurs Hugo von Wildungen aus dem Jahre 1539 stammt, die Bulle aber, die den Orden der Jesuiten bestätigte, vom Jahre 1540 herrührt, dem 27. September 1540.

Dankmar staunte theils über die Bekanntschaft mit seinen Angelegenheiten, theils über des Generals vielseitigste Kenntnisse, und Dystra mußte über diese treffende Widerlegung lachen. Er bat den Pfarrer, sich mit dem General, der sehr wenig gegessen hatte, an dem Brete mit Dessertweinen zu versöhnen, das eben Spartakus voll kleiner geschliffener Gläser servirte und damit den ganzen Beifall des Ritters Rochus fand, der über Weine und Süßigkeiten so scharfsinnig sprechen konnte wie ein Philolog über verschiedene Lesarten.

Rudhard war aber in seinem Fahrwasser. In solchen Ideengängen gab er sich nicht zufrieden und stieß mit Niemand gleich versöhnt an. Er behauptete, es hätte Jesuiten gegeben, lange vor der förmlichen Anerkennung des Ordens. Der Jesuitengeist, sagte er sogar mit Paradoxie, ist älter als Loyola. Hildebrand und Innocenz waren schon Jesuiten ...

Wenn Sie es so meinen, Herr Pfarrer, bemerkte der Chevalier vom Westen, so haben Sie Recht. Geben Sie[2977] nach, Herr General! Bei einem Glase so vortrefflichen Curaçao kann man die Jesuiten nur deshalb leben lassen, weil sie sich um die Bodenkultur Amerikas verdient machten.

Der General war aber in seinem Vortheil. Siegreich wie ein Wörterbuch, majestätisch wie ein Conversations-Lexikon, äußerte er Folgendes:

Loyola nahm die Idee der geistlichen Ritterorden wieder auf, aber in andrer Gestalt. Er wollte mit den Waffen des Geistes kämpfen. Der Geist jener Zeiten war der Glaube. Loyola, selbst Soldat, von unbestrittner Tapferkeit, ist – ich theile seinen Fanatismus sonst nicht, ob ich gleich Katholik bin – Loyola ist deshalb ein so merkwürdiger Mensch, weil er im Stande war, als Krieger die Macht der geistigen Waffen anzuerkennen. Es verräth viel Einsicht, daß er fühlte, wie sehr das Ritterthum der Waffen im Abnehmen war. Er ahnte schon das Schicksal des Don Quixote, den Cervantes zum letzten Ritter des Mittelalters machte, und zog für sich ganz allein nach dem gelobten Lande, um die Türken nicht mit dem Schwerte, sondern durch den Glauben zu bekehren. Er war ein Kreuzfahrer auf eigne Hand. Als er sich natürlich überzeugt hatte, daß es ihm unmöglich war, einen Türken zu bekehren (aus Rücksicht auf unsre Bedienung, sagen Sie wol nicht: Einen Mohren weiß zu waschen? schaltete der Chevalier unruhig ein und setzte seinen Curaçao auf den Tisch zurück), kehrte Ignaz nach Europa zurück und beschloß, das Kreuz unter den Christen selbst zu predigen.[2978]

Die inzwischen eingetretene Reformation bot ihm für diese eigenthümliche Auffassung der Kreuzzüge – später haben die Freimaurer sehr geistlos dieses nach innen gewandte Tempelbauen und Tempelpflegen nachgeäfft – bot ihm, sag'ich ...

Rudhard biß sich auf die Lippen und räusperte sich.

Ich sage, fuhr der General fort, später bot ihm die Reformation ein günstiges Schlachtfeld und wiederum ehrte es den Krieger, daß er geistige Waffen vorzog –

Gift und Dolch! schaltete Rudhard heftig ein.

Voland ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen.

Nennen Sie Das Gift und Dolch, sagte er, daß Ignaz, ein drei und dreißig Jahre alter Soldat, in Barcelona sich in eine kleine Knabenschule setzte, unter Kindern ein Fibelschütz wurde und lateinisch lernen wollte? Ignaz zog nach Alcala und Salamanca als alter bemooster Bursch, in der einen Hand den heiligen Augustinus, in der andern seinen alten Hieber, der ihm noch manche schlimme Händel zuzog und manchen Rückfall in die alte Landsknechtssitte zu verantworten gab. Überall zog der alte lateinische Knabe ein consilium abeundi und wanderte mit ein paar Commilitonen nach Paris, wo er endlich mit den Wissenschaften Ernst machen mußte und in seinen harten, des Denkens ungewohnten Kopf wenigstens so viel Logik und Scholastik hineinbrachte, daß man ihm bei den Jakobinern die Magisterwürde ertheilte.

Bei den Jakobinern? bemerkte der Ritter Rochus künstlich erschreckend. Er war aus seinen Depeschen[2979] und Zeitungsnachrichten her gewohnt, mit diesem Namen jede Debatte abzuschließen. Bei den Jakobinern, General? Schlimme Vorbedeutung!

Ignaz, fuhr aber Voland unbekümmert fort, Ignaz behielt seinen Zweck, einen neuen geistlichen Ritterorden, einen Orden des damaligen Geistes, zu stiften, im Auge, fand jedoch üble Aufnahme bei den bequemen Professoren der Sorbonne, die lieber in Ruhe ihre Pfründen verzehrten und die Ketzer mit Traktaten widerlegen wollten. Man drohte ihm oft mit Ruthenstreichen. Dennoch fand er Anhänger. Nicht viel. Ihrer fünf bis sechs ...

Fünf bis sechs? fuhr fast unwillkürlich Dankmar auf, der gespannt zuhörte und den bekannten Thatsachen, die er von dieser Seite aus sonst nie beurtheilt hatte, ein neues Licht abgewann.

Nicht mehr, HerrWildungen! erzählte der General. Mit diesen wenigen Männern verabredete sich der alte lateinische Haudegen zu einem Bunde, der später so allmächtig wuchs. Sie gingen aus Paris in ein entlegenes Kloster, stiegen dort in unterirdische Kapellen, nahmen das Abendmahl und schwuren, entweder nach Jerusalem zu wallfahrten oder nach Rom, um sich dem heiligen Vater zu Füßen zu werfen und ihre Dienste ihm anzubieten.

Sie zogen die kürzere Reise nach Rom vor, bemerkte Rudhard nicht ohne Bitterkeit.

Nicht ohne anderswo erst jene Anerkennung zu verdienen, sagte Voland, die sie später in Rom allerdings fanden. Sie gingen nach Venedig und andern Städten[2980] Oberitaliens, wo sie predigten, eine Art innerer Mission trieben und von Visionen sprachen, die ihnen geworden wären. Man hat diese Visionen für Lügen erklärt. Ich glaube wohl, daß sich die jungen spanischen und französischen Schwärmer selbst belogen. Aber ich weiß nicht, ob es nicht aufrichtiger, jedenfalls poetischer ist zu sagen:

Ich sah die Mutter Gottes und hörte ihre Worte, die mir Ermunterung zusprachen, mich im Dulden stärkten, mich mit der künftigen Märtyrerkrone trösteten, oder, wie dies bei den Freimaurern der Fall ist, mit geheimnißvollem Grauen und eleusinischen Enthüllungen zu locken und das Nichtssagende, oft Triviale in ein Gewand allegorischer Bedeutsamkeit zu hüllen. Das Auge sieht den Himmel offen! So spricht der Mensch vermöge seiner höhern Inspiration und seiner Ahnung eines großen Jenseits. Aber das Auge sieht einen Vorhang offen, eine Gardine, einen Lappen offen – welche Thorheit!

Diese Äußerung verrieth eine innere glühende Schwärmerei, die sich hinter Kälte und weltmännischer Glätte verbarg.

Wie kommen Sie zu dieser Polemik gegen die Freimaurer? fragte der Ritter Rochus. Die Freimaurer haben sich in jüngster wilder Zeit außerordentlich bewährt!

Und ich fürchte fast, sagte der Wirth, der seine kurzen Beine übereinanderschlug und in einer Sophaecke fast verschwand, Rudhard ist selbst ein Freimaurer ...

Ich muß in diesem Falle um Entschuldigung bitten, bemerkte angeregt der General. Ich bewege mich auf diesem[2981] ganzen Gebiete religiöser Wirren und Streitfragen nur als Dilettant und Geschichtsfreund. Allein das Kapitel von den geheimen Gesellschaften führt unwillkürlich auf Vergleiche und ich weiß den Orden der Jesuiten mit keiner andern historischen Erscheinung in Analogie zu bringen, als daß ich ihn an die alten geistlichen Ritterorden anknüpfte und endlich andeutete, wie der letzte Versuch, die Templerei wieder in Schwung zu bringen, eben die Freimaurerei ist. Lassen Sie uns alle Ausartungen des Jesuitenordens bei Seite stellen, vergleichen Sie, was dieser Orden, der, als ihn der Papst bestätigte, zehn, sage zehn Mitglieder zählte und was die Freimaurerei bewirkte?

Ich bin, nahm Rudhard jetzt das Wort, kein leidenschaftlicher Maurer. In Rußland sind alle geheimen Gesellschaften verboten und mit Recht. Die Menschheit soll in offner Form leben und ihr Licht da leuchten lassen, wo es die Finsterniß bedarf. Sie hören daraus nochmals, daß ich kein leidenschaftlicher Maurer bin. Aber Sie sind ungerecht, Herr General! Die Jesuiten hatten in ihrer Art trefflich gewirkt. Der Kreuzzug gegen die Ketzer war mit Blut, Scheiterhaufen, Folterqualen bezeichnet. Ganze Länder fielen in die Nacht des Irrthums, in die Fallstricke Roms zurück. Die Rückbekehrung hat z.B. Böhmen zu einem düstern tückischen Czechenlande gemacht, während es ein freiblickendes, edles Hussitenvolk sein konnte. Der jesuitische Geist pflanzte sich in die Kirchenverbesserung über. Pfaffenthum überall! Nirgend ein freier[2982] Lichtstrahl mehr und keine Tugend außer im christlichen Gewande der Demuth. Da trat die Freimaurerei auf. Sie kam von England, dem Lande der klaren Begriffe. Ich will nicht leugnen, daß sie eine Frucht jenes Freigeistes war, der damals von England sich auf den Kontinent verpflanzte. Man wollte die Lehren von Bolingbroke und Locke zu einer neuen Religion erheben, man fand eine Symbolik, die man von äußern Zufälligkeiten hernahm, von einer Art von Ressource oder Casino und übertrug in ein heitres geselliges Zusammenleben allegorische Wahrheiten. Wir sind in der That an Bruderliebe nicht so gesegnet in unserm Dasein, daß wir nicht eine systematische Beförderung derselben gern begrüßen sollten. Ich verwerfe jeden alten Ursprung der Maurerei. Es ist Thorheit, sie an die Tempelherren anzuknüpfen. Es ist sehr fraglich, ob die Baugilden des Mittelalters irgend etwas mit ihr gemein haben. Allein wenn sie auch nur aus dem veredelten Prinzipe der Geselligkeit entspringt und sich mit affektirtem Ernste spielende Formen gab, die sie selbst bei ihrer ersten Stiftung belächelte und die nur später wie Geheimnisse erfaßt und fortgepflanzt wurden, so hat sie Segensreiches gewirkt. Ich will von den gespendeten Wohlthaten und beförderten Humanitätszwecken nicht reden. Ich will nur darauf hindeuten, was sie in der Geschichte der Kultur und der freien Geistesentwickelung gewesen ist ....

Ja, rief Ritter Rochus vom Westen plötzlich wie elektrisirt und von Eifersucht gegen den General angeregt.[2983] Ja, ich bin sicher kein Maurer. Aber bester General, die Logik, die gesunde Vernunft hat die Maçonnerie befördert. Sie hat den Menschen als Menschen erfaßt und ihn vom Gängelbande der Konfession und der Vorurtheile der Stände befreien helfen. Sie arbeitete allerdings der französischen Revolution, aber der guten und lobenswerthen Phase ihrer Entwickelung vor. Sie hat das Gemeingefühl der Geister gestärkt, die die Aufklärung fördern wollten und ohne die Unterstützung der Logen allein gestanden hätten und bald verzweifelt wären. Die Logen waren eine Ergänzung der historischen Gesellschaft, wie sie einmal geworden ist und ohne blutigen Umsturz, den wir verabscheuen, nicht geändert werden kann. Sind die größten Geister der Literatur ohne den Zusammenhang mit den Logen zu denken? Lessing, Herder, Wieland, Goethe waren Logenbrüder. Der hohe Geist, der in ihnen wirkt, pflanzte sich durch die geheime Verbrüderung gleichgestimmter Seelen rascher fort als auf der freien Arena des Marktgewühles, wo die Kritik und der Neid der Schulen ihr Wirken begeiferte ...

Der General blickte lächelnd auf den Ritter, in dem sich der alte, vorurtheilslose Gelehrte regte. Alle staunten, Niemand mehr als Dankmar, der, ein einfacher Referendar, so in die Lage kam, einen berühmten Diplomaten einmal frisch von der Leber weg reden zu hören. Man sah die Wirkung der Tafel, der Natürlichkeit des Wirthes. Die Reserve war aufgehoben. Es regte sich in dem Gesandten »wie der Wein im Fasse, wenn die Reben blühen.«[2984]

Er vergaß, welche Thatsachen er in der Welt zu vertheidigen hatte und welche Grundsätze ihm bezahlt wurden.

Dystra hielt es seiner Wirthspflicht für angemessen, den Ernst dieser Unterhaltung, die für Louis und Dankmar grade in den Gegensätzen so spannend war, etwas zu mildern und sagte:

Ich versichre Sie, meine Herren, wenn ich den Tempelstein accaparire – ich hoffe, Freund Voland, Sie verwenden Ihren Einfluß, daß mir dies Vorhaben gelingt – so werd' ich dort weder einen Jesuitensitz noch eine Freimaurerloge etabliren, sondern auf die alten Zeiten zurückkehren und mich an das Sprichwort halten, das Rudhard vorhin erwähnte: Er trinkt wie ein Templer!

Man lächelte ...

Diese alten Templer waren viel vernünftigere Personen als Eure Loyoliten und Eure Salomonischen Meister vom Stuhle! fuhr Dystra fort. Sie liebten die Freude, den Wein, den Gesang, die Weiber! Sie bauten sich Werbeplätze für den Sarazenenkrieg, exercirten die Mannschaften und blieben zuletzt zu Hause! Sie wählten sich die besten Aussichten zu ihren Burgen und Abteien. Sie hatten Geschmack für natürliche Veduten. Die Sünden, die sie als Ritter begingen, konnten sie sich als Priester gleich selbst wieder vergeben. Ich finde, daß die Wiederherstellung dieses Ordens im uralten Sinne mir eine liebe Aufgabe auf dem Tempelstein sein könnte. Ich baue die Ruine aus, trotz Rheinstein und Stolzenfels. Die Erker, Thürmchen, gezackten Mauern behalt' ich bei. Der Burggarten[2985] mit Springbrunnen, die Altanen, Söller, das Alles waren sehr amüsante Ideen des Mittelalters. Nur in dem Burgverließe würde ich vorziehen, meinen Champagner kühl und petillant zu erhalten. Die steinernen Fußböden würd' ich mit wärmern Parquets vertauschen. Die Öfen würd' ich mir in neuester Konstruktion ausbitten und vielleicht, um mich ganz mit dem Mittelalter zu befreunden, eine Petersburger Luftheizung versuchen. Hinten auf der Abtei mach' ich eine bequeme Neusiedelei mit englischem Comfort. Eine Bibliothek soll da sein für Sie Alle! Alle Kirchenväter, alle Streitschriften der Jesuiten; aber auch alle Werke Voltaire's, Hume's, Locke's und wiederum alle Predigten Bossuet's. Ich wette, Freund Voland liest da nicht einmal die Kirchenväter! Ebensowenig, wie ich Ihnen gestehe, lieber Rochus, daß ich die Maurerreden in den deutschen Klassikern ... immer übersprungen habe.

Mit einem ganz natürlichen Instinkt, lieber Dystra, nahm der General den Gegenstand wieder auf. Sie haben wahrscheinlich immer gefühlt, daß diese Maurerreden in der That Dasjenige, was wir an Herder und Goethe bewundern, nicht ausdrücken. Wahrlich, durch diese Reden ist Das nicht hindurchgegangen, was an unsern deutschen Klassikern so groß, so befruchtend war. Ich will nicht von der romantischen Schule sprechen und den Nachdruck darauf legen, daß man sich Tieck, Schlegel, Brentano, Novalis, Schenkendorf nicht als Maurer denken kann. Aber auch Jean Paul, Herder, Goethe! Jean Paul, der[2986] Herrliche, Geistesreiche, trug in Alles seine bedeutsame, kindliche Auslegung hinein. Herder ist nur befruchtend und anregend gewesen in den Bestrebungen, die ihn uns als den Erwecker der verstummten Völkerstimmen zeigen. Goethe vollends als Maurer hat sich im Großkophtha selbst persiflirt, wie er sich im zweiten Theil des Faust als Minister persiflirte. Der große allgewaltige Olympier, den wir in ihm bewundern, hat mit der Loge nichts gemein. Man zeigte mir einmal in Weimar Goethe's Schurzfell; es hat mich nicht erbaut.

Ebensowenig, bemerkte Rudhard, wie mich der Franziskanerstrick erbauen würde, den Zacharias Werner in Wien trug.

Diese Entgegnungen waren wieder herausfordernd. Der General warf einen scharfen Blick auf den Ritter, der sich inzwischen besonnen zu haben schien und seiner öffentlichen Funktionen eingedenk wurde. Rochus von Westen, der mit Voltaire'schem Esprit Zacharias Werner'sche Zeitauffassung vertreten mußte, schwieg ...

Sehen Sie, wandte sich Dystra jetzt zu Louis Armand, Das sind die Gegensätze, die uns dies sonderbare Deutschland so verworren erscheinen lassen! Ich bin durch die halbe Welt gereist, habe die Pyramiden Ägyptens und die heißen Fontainen in Island gesehen, überall streitet man sich, aber nirgends so viel wie in Deutschland und nirgends spukt noch das tolle Ritter- und Mönchswesen wie bei uns, während unsre ganze Tournierfähigkeit jetzt kaum noch darin besteht, daß wir im Lesekasino ... wissen[2987] Sie, Rochus, worin wir uns im Kasino als die letzten Ritter erscheinen müssen?

Man horchte gespannt ...

Unser letztes Ritterthum besteht in dem Rest der Kunst des Ringelstechens, vermöge dessen wir die Journale, die wir gelesen haben, wieder an die Haken hängen, von wo wir sie herabgenommen. Meine Ahnen können nicht künstlicher in den Karroussels nach dem Ring gestochen haben, wie ich jedesmal angeln muß, um die Times wieder an ihren Riegel Nr. l zu hängen.

Während man diesem Einfall applaudirte, fragte Dystra Louis:

Sie sind aus Lyon gebürtig?

Aus Lyon, mein Herr!

Sie sprechen vortrefflich deutsch.

Es ist die Sprache meiner nächsten Verwandten.

Louis litt unter der Vorstellung, daß Otto von Dystra vielleicht nicht wußte, daß er die Ehre seiner Einladung einem in der Gesellschaft so tiefstehenden Arbeiter hatte zu Theil werden lassen. Rudhard, Dankmar, selbst Voland fürchteten dieselbe Aufklärung. Sie wußten wohl, daß Dystra keine Vorurtheile hegte, dennoch würde er seiner Gäste wegen sich vielleicht betroffen gezeigt haben. Deshalb ergriff Dankmar sogleich das Wort und lenkte das Gespräch auf Egon, den Beschützer Armand's, hinüber.

Als dieser Name ausgesprochen wurde, wandte General Voland seine durchdringenden Augen zu Dankmar und hörte mit Spannung, was über den jetzt die Geschicke des[2988] Landes lenkenden jungen Fürsten würde gesprochen werden. Rudhard ertheilte aber dem neuen Premierminister sogleich die entschiedensten Lobsprüche. Er besitze ganz jene zähe Ausdauer, sagte er, ohne welche man jetzt nicht Politik treiben könne. Er hätte der Hydra der Revolution auf den Nacken getreten, er werde es bändigen, das Ungethüm, das in seinen Verheißungen die Sprache der Engel rede, in Wahrheit aber eine blutige Wolfsnatur wäre.

O wie stimmten die beiden vornehmen Gäste bei! Wie überschüttete man Rudhard mit Dank, mit Bewunderung! Aber gerade in dem Übermaaß lag der Mangel an Aufrichtigkeit ... Man stockte sogleich. Man ließ Rudhard reden, preisen. Man schwieg, bis General Voland zu Louis sagte:

In Lyon machten Sie des Fürsten Bekanntschaft? Wie schön dies Lyon! Wie eigenthümliche historische Luft weht in jenen südlichen Abdachungen, die von da mit den großen Strömen sich zum Meere hinuntersenken! Lyon ist eine der ältesten Städte Frankreichs. Der Zusammenfluß der Saone und der Rhone bietet dem Auge ein gefälliges Schauspiel. Noch sind hier die Überbleibsel der alten römischen Niederlassungen sichtbar. Mancher römische Kaiser hat in Lyon gewohnt, manches christliche Märtyrerblut ist dort geflossen, wofür denn freilich diese Stadt die Ehre genießt, von sich rühmen zu dürfen, daß sie die erste christliche Kirche Galliens aufzuweisen hat. Ich kenne nur zwei Empfindungen, die mich bei Wanderungen[2989] und Reisen ganz erfüllen können. Die eine ist Die: historische Luft zu athmen. Wo genösse man diese Wonne in größeren Zügen als im Süden Europas? Wie ich in Lyon war, sah ich Königreiche vor mir wieder neu erstehen, die nun mit dem Schutt der Vergessenheit bedeckt sind. Ich sah das Arelatische Reich, das hier blühte, ich sah Burgund, dessen Kraft an den Morgensternen der Schweizer bei Murten zersplitterte – 1476 – Wie weht da ein Geist der Kraft, der Auferstehung, der Verjüngung! Wie sieht das Auge reisige Geschwader herniederkommen von den Bergen und Alles drängt sich dem Mittelpunkte der großen Weltbegebenheiten zu, dem Mittelländischen Meere, um das herum doch eigentlich allein nur wahre Geschichte gemacht wird! Das zweite nicht minder erhabene Gefühl hab' ich beim Anblick jener Uranfänge des Christenthums, die uns aus alten Mauern und Kapellen noch entgegentreten. Die großen Münster, die aus der Blütezeit der Kirche herrühren, machen mir lange nicht den Eindruck, als wenn ich jene kleinen, oft ganz versteckt liegenden, niedrigen Kapellen und Kirchen mit Kreuzgängen sehe, die noch fast das Ansehn alter Kastelle haben und sozusagen die cyklopische Zeit der Kirchenbaukunst bedeuten. So empfand ich in Mailand bei jener entlegenen Kirche, die einst der heilige Ambrosius vor dem Kaiser Theodosius schloß und ihm nicht gestattete, früher den heiligen Boden zu betreten, ehe er sich nicht von dem in Thessalonich vergossenen Märtyrerblute gesühnt hatte. Wie jung war damals die Christuslehre! Wie neu und[2990] frisch der Eindruck einer Begebenheit, die in die alte erstorbene Welt der Heiden wie ein junges Reis hinein sich rankte und bald lebenskräftig die ganze gebildete Welt der Erde mit grünem Laube umzog! Auch in Pavia, Genua, vor allen Städten aber in Rom folgt man mit Wonneschauern diesen allerersten Fußtapfen der Kirche und kann sich mit etwas Phantasie aus schwarzen, niedrigen, byzantinisch gerundeten Bauten die ganze Vergangenheit zusammensetzen, die wir kaum kennen würden, wenn nicht irgendwo doch ein sinniger Mönch in einem Kloster die Erzählungen durchreisender Pilger als Schreib- und Stylübung verzeichnet hätte.

Wahrlich, fiel Otto von Dystra, des Ritters ironisches Niederblicken bemerkend, lachend ein, ich muß sagen, Voland, Ihre poetische Spürkraft hat sich merkwürdig ausgebildet. Für einen Offizier ist so viel Studium heterogener Dinge aller Ehren werth! Aber es ist wahr, Sie schmachteten schon in Hofwyl unter dem Druck der rationellen Erziehung Fellenberg's und sehnten sich zu jenen jungen Fürsten und Grafen hin, die in Freiburg erzogen wurden ...

Das nicht, Dystra, sagte der General, der auch im Pädagogischen sattelfest war. Aber ich fand früh heraus, daß Fellenberg uns Alle täuschte. Fellenberg gab sich die Miene, zwischen Pestalozzi und den bestehenden Kastenansprüchen der Gesellschaft hindurchsegeln zu können und wollte gleichsam Jeden für seinen von dem Zufall ihm vorgezeichneten Stand erziehen. Ich will nicht sagen, daß[2991] ich schon damals die Einsicht besaß, diesen Widerspruch zu durchschauen, aber ich fand, daß die Jesuiten in Freiburg mit mehr Wahrheit, mit mehr Gleichheit in besserem Sinne er ziehen. Sie stellten die Stände gleich und gaben dem Fürstensohne, wie dem künftigen Priester dieselbe Erziehung ...

Das ist ja grade das Gewagte, Herr General, erlaubte sich Dankmar dem in allen Standpunkten seiner Zeitgenossen dilettirend Herumtastenden zu bemerken. Wir erhalten aus jener Gegend her Priester, die wie Fürsten regieren wollen und Fürsten, die wie Pfaffen denken ...

Sehr wahr, sehr wahr, bemerkte Dystra. Schelten Sie mir nur unsern alten Fellenberg nicht, Voland! Sie machen unsrer Schweizererziehung auch durch Ihren Appetit keine Ehre! Sie scheinen von Nichts zu leben. Sie lassen mir jede gute Schüssel, jedes Glas aus Küche und Keller der »Stadt Rom« vorübergehen. Die alten Mönche tranken Wein, wenn sie auch noch so fromm waren.

Otto von Dystra war völlig unbekannt damit, daß der General der Mann der Fabel hieß. Er verstand des Ritters halb verlegenes, halb schadenfrohes Lächeln nicht, verstand nichts von der eigenthümlichen Ruhe, mit der Dankmar seine Cigarre rauchte und gewissermaßen Louis Armand ermunterte, nur auszuharren und sich nicht einschüchtern zu lassen. Er ahnte nicht, daß Ritter Rochus vom Westen, médisant, anekdotenhaschend, negativ wie er war, sich auf die Lippen biß, um die Bemerkung zu unterdrücken: Wissen Sie denn nicht, daß General Voland[2992] in dem Rufe steht, wie der Graf St.-Germain durchaus nichts zu genießen und nur von einem himmlischen Manna zu leben, das er zuweilen aus einer in seiner Uniform verborgenen Dose nimmt?

Der Ritter trennte sich gewaltsam von dem Gelüst, diesen Gedanken auszusprechen und fragte den Baron, wie lange er in Europa bleiben würde und ob er nicht Kalifornien gesehen hätte? Kalifornien war dem General so gleichgültig, wie z.B. Rudharden die Kirche San Ambrogio in Mailand. Aber dem Ritter Rochus war Kalifornien die eigentliche wahre Errungenschaft des Zeitgeistes.

Otto von Dystra sprach von dem Versuche, in Deutschland zu leben, wenn er hoffen dürfte, sein Vermögen aus Rußland herauszuziehen und gewisse Familienfragen auf deutschem Boden zu lösen.

Dankmar wollte etwas von den Schwierigkeiten solcher russischen Prozeduren bemerken und fand bei den hochgestellten Herren, die sich zum Gehen rüsteten, eine Beistimmung, die ihn überraschte. Rudhard aber nahm Veranlassung, wiederum die strenge, gegliederte Ordnung des russischen Militairstaates und den unromantischen, aber beglückenden Absolutismus zu preisen. Die Diplomaten nickten, suchten nun aber doch davonzukommen. Eben im Begriff, die Hüte zu ergreifen und sich zu empfehlen, hörte man draußen auf der Straße plötzlichen Lärm. Man stutzte. Die Bedienten hatten schon lange nach den Fenstern gesehen und durch ihre Bewegungen[2993] die Aufmerksamkeit der Herrschaften auf die Vorgänge lenken wollen, die sie in den Straßen beobachteten. Erst ein Murmeln, dann ein Sausen, immer hörbarer anwachsend und an den Häusern des Platzes, an welchem die Stadt Rom gelegen war, widerhallend. Ein Rauschen und Brausen. Das Getümmel wuchs. Man hörte rufen, man hörte schreien, die Gesellschaft, statt sich aufzulösen, eilte an die Fenster. Der Platz wimmelte von Menschen ...

Was ist Das?

Man drängt sich an jenes Haus –

Ein Auflauf –

Wer wohnt dort?

Bediente aus dem Hotel waren von den Vorgängen unterrichtet. Sie sagten, dort an dem umstandenen Hause pflegten Maschinenarbeiter ihre Versammlungen zu halten. Ihr Verein wäre heute aufgehoben, weil man wieder drohende Reden gehalten. Die Polizei überwache die Sitzungen und schlösse sie jedesmal, wenn etwas Anstößiges gesprochen würde. Heute hätte man nicht auseinandergehen wollen ...

Indem kam schon eine Kolonne Militair und trieb erst die neugierigen Massen auseinander, dann rückte sie auf das Haus selbst zu. Die Agenten der Polizei waren in voller Thätigkeit und soweit die nur matte Erleuchtung des Platzes die Übersicht gestattete, sah man, daß unter Geschrei, Pfeifen, Lärmen, zahlreiche Verhaftungen vorgenommen wurden ...[2994]

Das ist so schon das dritte Mal! berichtete der Bediente und Voland sagte mit einem eignen sardonischen Lächeln:

Man gewöhnt sich an dies Chaos. Es stört Niemanden mehr in seiner Abendruhe.

Der Ritter Rochus vom Westen aber zitterte. Er hatte in einem solchen Sturm vor wenigen Monaten sein Portefeuille verloren. Er wußte an Beispielen, daß man dabei auch sein Leben verlieren konnte, trotz der Privatverehrung von Voltaire und Bolingbroke.

Abscheulich, sagte Dystra, einen Staat in solchem ewigen Kriege gegen sich selber zu wissen! Hören Sie nur das Pfeifen, dies Höhnen, das Zertrümmern der Fensterscheiben! Die Trommel wirbelt. Es kann nicht lange währen, so hört man eine Salve und wir sehen Todte und Verwundete ...

Ritter Rochus gerieth außer sich. Meinen Sie? rief er und trippelte hin und her ...

Das ist modernes Staatsleben! sagte Voland fast triumphirend.

Im Mittelalter war es nicht besser! rief Rochus ärgerlich –

Ehe man Macchiavelli kannte! warf Rudhard da zwischen.

Allerdings, sagte Voland, den Militairmantel überwerfend, allerdings in kleinen Staaten. Man hat gezählt, daß in Pisa allein vom Jahre 1320 bis 1520 über dreihundert Aufstände vorgekommen sind ...

Ha! schrie Ritter Rochus. Es trommelt![2995]

Eine Salve krachte. Verzweiflungsruf, eine allgemeine rasende Flucht. Der Platz leer. Ein paar Verwundete, ein Todter, den man der Polizei übergab. Die Ruhe schien auf dem Platze hergestellt. Exaltirte Köpfe rannten durch die Straßen und riefen: Waffen!

Die Thoren! sagte Dankmar. Waffen! Sie wissen nicht, was Das für ein Anachronismus ist! Die Zeit der panischen Begeisterung und die der panischen Furcht ist auf lange vorüber. Die Regierungen gewinnen da nur an Kraft, wo sich die Demokratie einbildet, mit dem alten Apparate, Waffen und Barrikaden, noch kämpfen zu können ...

Und ist es nicht ein Glück, daß sie an Kraft gewinnen? sagte Rudhard streng.

Mein Bester! Die Ruhe der Welt dankt Ihnen für Ihren Zögling! rief der Ritter Rochus und schüttelte Rudhard's Hand. Das Ministerium Hohenberg bezeichnet eine Epoche der Geschichte. Nur Ruhe!

Wie würden Sie diese Verwirrung lösen, General? sagte Dystra, indem er einen schwachen Versuch machte, seine Gäste wieder zum Sitzen zu bringen – Sie stehen über dem Momente, Sie haben die Jahrhunderte vor Augen, was erwarten Sie von dieser Zeit?

Eine Droschke! rief der Ritter, wenn mein Wagen nicht da ist!

Die Bedienten sagten, er wäre in's Thor des Hotels gefahren, weil man draußen Barrikaden fürchtete ... Jetzt wäre alle Gefahr vorüber.[2996]

O sehr gut! Sehr gut! Guten Abend, Baron!

Dankmar und Louis, obgleich im höchsten Grade aufgeregt von dem Vorfall vor dem Wirthshause, wo sich der Maschinenarbeiterverein versammelte, ängstlich ohnedies um die Verwundeten und den Todten, horchten gespannt, was der General antworten würde, allein dieser lehnte freundlichst ein längeres Bleiben ab. Er berief sich auf seine gemessene Zeit, seine Berufspflichten, seine besetzten Abende. Sein Abschied, sein Dank für die Bewirthung war einfach und wohlwollend. Er sagte Dankmarn und Louis gleich Verbindliches, bewahrte aber bei aller Freundlichkeit einen so eigenthümlichen Ernst, daß man unwillkürlich staunend hinter ihm hersagen mußte: Er sagt fast Alles, was er weiß und von Dem, was er nicht weiß, muß man doch noch glauben, daß er es nur verschweige! Der General schloß sich dem Ritter an.

Rudhard, der das Anliegen Louis' und Dankmar's bei Dystra nicht stören wollte, ging mit den Worten:

Baron, Sie sind ein Neuling in Europa! Sie werden Ihre Jugendfreunde kaum wieder erkannt haben.

Dystra lachte und sagte:

Der General hätte Priester werden sollen. Ich sagte es ihm schon bei Fellenberg.

Wer weiß, ob er es nicht ist! meinte Rudhard. Rußland hat ganz Recht, daß es die Freimaurer und die Jesuiten verbannt. Ich möchte dem General Voland nicht das Schicksal dieses Staates anvertraut wissen und finde es ganz in der Ordnung, daß Egon vor einem Manne,[2997] der sich des Wirrwarrs zu freuen scheint, auf der Hut ist.

Es ist kein Jesuit, eher ist es Ritter Rochus, der die Jesuiten bestreitet, sagte Dystra. Glauben Sie mir! Ich fange an, Europa zu begreifen! Mein alter Kamerad von Hofwyl lebt nur zum Schein vom Geiste; er ißt nicht, er trinkt nicht. Dieser Mann scheint eine Abstraction geworden zu sein. Aber ich wette, daß er eben einige Beafsteaks gegessen hatte, ehe er zu mir kam. Jetzt geht er schlafen und um zehn Uhr ist er bei Hofe, um bis ein Uhr nach Mitternacht mit dem Könige Gold zu kochen. Mein alter Freund aus Athen und Stambul, der Ritter Rochus, fährt jetzt nach Hause und chiffrirt unsre ganze Unterhaltung nach seiner Hauptstadt, wo sie nicht die Minister, wohl aber deren Frauen allenfalls interessiren könnte.

Rudhard ging mit einigen Fragen nach Siegbert kopfschüttelnd. Dystra, aufhorchend wegen Olga's, doch sich zurückhaltend, begleitete ihn ...

Als der Baron zurückkehrte, zog er Louis und Dankmar zu sich auf das Sopha nieder und hörte nun von ihnen mit Erstaunen, daß jener Murray, von dem ihm schon Mangold so Sonderbares erzählt hatte, der ihm wohlbekannte Morton aus New-York war. Er hielt Morton für verschollen, für todt. Er erklärte sich mit Freuden bereit, seine Bemühungen mit denen der Freunde zu verbinden, um Murray, dessen deutscher Ursprung ihm kein Geheimniß war, aus einer so gefährlichen Lage und jedenfalls einem, wie es ihm vorkam, vorgefaßten Misverständnisse[2998] über seine Person zu erlösen. Er erklärte sich bereit, jede nur irgend verlangte Caution zu hinterlegen, damit Murray auf freien Fuß gestellt würde. Die Verabredung, morgen in der Frühe gemeinschaftlich auf das Profoßamt zu gehen und sich für den Gefangenen zu verbürgen, war ihm ganz genehm. Er trennte sich von seinen neuen Bekannten mit der Bitte, ihm ferner ihr Vertrauen zu schenken und ihm zu gestatten, ihre Zeit zuweilen in Anspruch zu nehmen.

Dankmar fand an dem offnen, gentlemännlichen Benehmen des von der Natur vernachlässigten und doch durchaus nicht ungefälligen Barons große Freude und schlug in die dargebotene Rechte herzlich ein. Louis aber zog seine Hand zurück und sagte, um endlich ein ihn peinigendes Gefühl los zu werden, in französischer Sprache, sicher und fest:

Herr Baron, wir sind Ihrer Einladung gefolgt, sind geblieben, wir wußten nicht wie. Ich für mein Theil mit großem Widerstreben. Verzeihen Sie mir meine Dreistigkeit! Sie hat mich während des ganzen Abends genug gefoltert. Ihre Güte haben Sie einem Manne gewidmet, der darauf nach den Regeln der Gesellschaft keine Ansprüche hat. Sie haben diesen beiden großen Staatsmännern durch meine Schuld eine Unannehmlichkeit zugefügt. Ich bin ein einfacher Handwerker.

Ein Handwerker?

Dystra blickte wirklich erschrocken auf.

Glauben Sie Das nicht, fiel Dankmar ein, mein Freund[2999] Louis Armand ist ein Philosoph, ein Dichter. Aus Laune der Natur und des Zufalls lernte er das Handwerk eines Tischlers, das er indessen zu einer Kunst erhoben hat und alle Welt weiß, daß ihn Bande der innigsten Freundschaft an Fürst Egon festhalten ...

Mein Herr, antwortete Dystra, der sich rasch gesammelt hatte, wenn Sie nur der Freund des Herrn Wildungen sind, so brauchten Sie nicht einmal eine Merkwürdigkeit zu sein, die den General Voland interessirte, ich würde Sie schon mit offnen Armen aufgenommen haben. Der Ritter Rochus, seien Sie versichert, schreibt in diesem Augenblicke an die Für stin ...: »Das neue Ministerium läßt zwar auf der Straße die Emeute bekämpfen, aber in den Salons ist die Emeute siegreich. Ich habe bei einem Diner Veranlassung gehabt, zum Nachtisch mit einem Handwerker Kaffee zu trinken. Es ist dies der bekannte »Ouvrier«, der in keinem modernen Ministerium fehlen darf und dem auch hier das Portefeuille der öffentlichen Bauten oder der Gewerbe würde übertragen werden, wenn er nicht zufällig ein Ausländer wäre.« Bei Alledem morgen auf Wiedersehen!

Auf Wiedersehen! widerholte Dankmar lachend.

Die Freunde schieden.

Dystra aber, innerlichst bewegt, aufgeregt sogar durch diesen Abend, »revoltirt« durch das Gespräch, durch die Scene auf dem Platze, durch den Gedanken an die Familie Wäsämskoi und den ihm durch den Bruder nun schon so naherückenden Nebenbuhler Siegbert Wildungen, an das[3000] Schicksal Murray's, sprach, den Arm aufstützend, vor sich hin:

Du bist doch ein Neuling in dieser modernen Welt, Dystra! Du hast viel versäumt, viel nachzuholen oder viel zu vermeiden! Bau' dir den Tempelstein aus und vergrabe dich dort als Einsiedler! Kosmopoliten sucht jetzt Niemand. Mit dieser Welt werden bald Baschkiren und Mongolen reden müssen! Noch trinkt Asien Opium oder Stutenmilch; aber bald werden wir das furchtbare Pferdegetrappel von den Steppen des Ostens hören. Bis nach Chalons kommen sie wieder, diese Hunnenzüge, bis nach Chalons, wo der Champagner wächst! Da muß es sich entscheiden, ob das neue Weltalter von der Natur, der ewig wiederkehrenden, oder dem Geiste, dem endlich durchgerungenen, siegend wird bestimmt werden!

Die beiden Schwarzen wünschten ein Urtheil über das Diner zu hören und eine Ansicht über die Scene auf dem Markte. Dystra merkte Das an den Fragezeichen, die auf ihren glänzenden Gesichtsfratzen standen, als sie so leise heranschlichen ...

Alles gut gewesen, bis auf den Todten draußen! Laßt anspannen! Hut und Stock! Ich will noch für einige Akte in die große Oper fahren. Begleitet mich!

Spartakus und Cicero eilten, die Befehle ihres Herrn zu vollziehen. Er hatte ja dem Intendanten versprochen, sich von ihm sagen zu lassen, wie seine ihn umgebende artistische Verschwörung die Idee von der Mitwirkung lebendiger Meerkatzen im Faust und der neuen Scenirung[3001] der Zauberflöte durch eine entsprechende Menagerie aufgenommen hätte!

Dystra bedurfte heute dieser Anknüpfung an Herrn von Harder, um wieder zu seinem gewohnten Humor zurückzukommen und glücklicherweise hatte der Vorfall auf dem Platze am Hotel de Rome die Vorstellung in der großen Oper nicht gestört. Die Zeit war eisern geworden. Die Nerven gewöhnten sich schon.[3002]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 2964-3003.
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