Sechstes Capitel
Die Brüder

[818] Am Abend vor diesem Auftritte war die Freude groß gewesen, als Dankmar mit dem Einspänner und dem vergnügt bellenden, hin- und herwackelnden, fast tanzenden Bello sich im Pelikan wieder einfand.

Der dicke Wirth – er hieß Hitzreuter – und Katharine Peters, geborene Bollweiler, waren noch auf.

Peters, der gerade nicht daheim war, hatte einige Tage gelegen, war aber bereits von jener Gefahr für sein Bein befreit und hatte nur noch gelitten unter der Ungeduld, was sich aus Dankmar's Reise ergeben würde ... Das längere Ausbleiben Dankmar's störte die guten Leute nicht. Sie hielten es eher für ein gutes Zeichen. In dieser Ansicht hatte sie auch Siegbert bestärkt, der jeden Tag wol zweimal kam, um etwas Beruhigendes zu vernehmen, vielleicht auch nur eine Botschaft von fremden Fuhrleuten. Von einem Briefe, den er aus Plessen vom Bruder erhalten haben sollte, wußte man im Pelikan noch nichts. Dankmar konnte sich leicht denken, daß das hier so sein würde wie es in solchen Fällen immer zu geschehen pflegt.. Er selbst kam vielleicht früher an als sein Brief.[818]

Das Beste, was Dankmar mitbringen konnte, war die Versicherung, daß Peters außer Sorge sein dürfte, da er es über den Schrein leidlich selber wäre. Das verlorne Gut hätte einen Herrn gefunden, bei dem er nach Allem, was sich für Dankmar jetzt an Melanie anknüpfte, in der Hauptsache geborgen war, mochte seine Verwandlung aus einem Prinzen in einen gewöhnlichen Sterblichen nun auch gern gesehen werden oder nicht, mochte Schlurck auch noch so von dem Funde selbst interessirt sein; Dankmar traute sich die Kraft zu, Melanie's Unwillen in seinem ersten Ausbruche zu ertragen, ja hoffte, nach dem Grade seiner eignen Liebe, auch sie selbst zu überwinden und vielleicht dauernd das Interesse zu behaupten, das er doch wol auch durch seine Persönlichkeit ihr mußte eingeflößt haben. Denn wie bescheiden auch ein Mann denken mag, den Werth, den er im Auge einer Frau haben kann, schätzt er bald ab. Einige wenige Proben ihres Verhaltens gegen ihn genügen, ihn aufzuklären. Und die Proben, die ihm Melanie gewährt hatte, waren so außerordentlich gewesen, daß hier nur Liebe, oder wie er sich mit Schrecken als Menschenkenner gestehen mußte, Haß übrig bleiben konnte.

Den ehrlichen Peters hätte Dankmar gern gesprochen, wär's auch nur gewesen, um ihm zu sagen, daß seine Verehrung vor den beiden Zecks auf geringere Erfahrung im Umgang mit Menschen deutete, als er ihm zugetraut hätte ...

Auch die Umstände, die Peters über den Moment des[819] Verschwindens seines Frachtgutes angeführt hatte, waren nach seiner nunmehrigen Übersicht dieses Vorfalles, so räthselhaft er ihm auch noch immer erscheinen mußte, doch höchst ungenau und fast flunkerhaft. Die Scherze, die er sich deshalb noch mit dem guten Peters erlauben wollte, versparte er auf ein andermal, streichelte das Pferd, dem die Fahrt unter seiner sorgsamen Hand durchaus nicht übel bekommen war, vereinigte sich mit dem Pelikanwirthe über eine Summe, die er ihn bat, bis auf Morgen schuldig bleiben zu dürfen – denn schon im Heidekrug hatte er den letzten Thaler gewechselt – und ging dann, der etwas verlegenen Kathrine und dem heute schweigsameren Wirth die Hand schüttelnd, Bello noch einmal am Ohr zupfend, sein Bild in ein Tuch gewickelt, zu Fuß in die Stadt.

Es war schon spät. Es zog ihn zu dem geliebten Bruder ... Und doch hätte er noch gern in Lasally's Stalle nachgefragt, wie es mit dem Pferde aussah, das er einem so gefährlichen Menschen, wie Hackert, übergeben zu haben schwer bereute. Jetzt begriff er, wie Hackert, der ihm keineswegs unvermögend schien, sich aus Rachsucht an sie hatte andrängen und sogar eine Geldsumme wagen können, um nur Gelegenheit zu haben, seinem Feinde zu schaden ... Indessen dachte er, ist hier etwas Widerwärtiges vorgefallen, so erfährst du es zeitig genug und schon im Begriff nach der Ottokarstraße, in ein neues entlegenes Viertel, wo sich jener Stall befand, einzulenken, schlug er wieder den graden Weg zu[820] seiner Wohnung ein, die in der sogenannten Neustraße lag.

Auf dieser Richtung lagen zwei Häuser, die für ihn jetzt eine große Bedeutung gewonnen hatten.

Mitten in der Stadt, wo sich das Menschengewühl, trotzdem daß die Wächter schon die Stunden riefen, nicht ganz verloren hatte, (die Theater waren eben beendet) stand er an einem Hause still, das er längst als die Wohnung des Justizraths Schlurck kannte. Schlurck galt unter den jungen Juristen als ein Beispiel, das man oft anführte, um zu beweisen, wie gut sich ein Advocat stehen könne, der das allgemeine Vertrauen genösse. Er wußte dabei kaum mehr von ihm, als daß er in diesem alten Hause wohnte, mitten in der Stadt, dicht an dem ehrwürdigen Rathhause, umgeben von ganz in der Nähe befindlichen alterthümlichen Kirchen. Nie hatt' er auf dieser belebten Passage sonst stillgestanden. Heute mußte er es. Heute erst entdeckte er, daß dies graue Haus in schöner, alterthümlicher Form gebaut war und mindestens zweihundert Jahre alt sein mußte. Die untern Fenster waren mit eisernen Gittern geschützt. Die obern waren hoch und mit Stukkaturen geziert.. An dem Thorweg hing eine große blankgeputzte messingne Klingel und auf dem daneben befindlichen Messingschilde las er ganz einfach die kräftig eingravirten Züge des unmelodischen häßlichen Namens:

»Schlurck«. Ihm klang dieser Name wie Musik und wie der Name Melanie selbst, der ganz das Selige und Wonnige seiner Stimmung ausdrückte ... An den Fenstern des[821] zweiten Stocks entdeckte er Licht. Vor wenigen Stunden erst konnte die Reisegesellschaft, die er nicht mehr hatte einholen können und auch nicht mögen, angekommen sein.. Daß ihm Melanie nicht zürnte, über nichts zürnen konnte, bewies sein erobertes Bild. Die Art freilich, wie sie es ihm gegeben hatte oder hatte geben lassen oder wie sie es ihn hatte finden lassen, war und blieb räthselhaft genug.. Er grübelte aber nicht darüber nach. Morgen, dachte er, klärt sich das Alles auf. Ich werde sie sehen und wenn sie zürnt, bedeck' ich ihre schönen Hände mit meinen Küssen und flehe um ihre Vergebung ... Von Empfindungen so süßer Art war er durchschauert, als er mitten auf der Straße stand und zu den Fenstern hinaufsah. Er mußte den prächtigen Kutschen ausweichen, die an ihm vorüberrollten, und doch hätte er gern gelauscht, ob die Schatten, die ihm an den Vorhängen vorüberzuhuschen schienen, wol von Melanie kämen? Sie verschwanden zu rasch!.. Vielleicht löscht sie das Licht aus, dachte er, um sich auf's Lager zu werfen – und an mich zu denken? setzte er wonnetrunken hinzu.

Wie er noch so stand, bald hier einem Wagen, dort einem Fußgänger auswich, entdeckte er über der Hausthür einen aus Sandstein gehauenen Schild mit einem Wappen, das ihn wahrhaft überraschen mußte. Er traute seinen Augen nicht, als er dasselbe Kreuz, das auf dem Schrein aus Angerode stand, auch auf diesem Schilde wiederfand, mit denselben vier Rundungen an den Enden, wie auf jenem Deckel ...[822]

Wie, dachte er, ist das vielleicht eins jener alten Häuser, die entweder selbst noch aus jenen Zeiten herstammen, oder auf dem Grund und Boden gebaut wurden, der dem protestantisch gewordenen geistlichen Ritterorden gehörte, und ist es wol gar eins von denen, auf die ich nun selbst glaube Ansprüche machen zu können?

Fast ein leiser Schreck, ein dunkel ahnender leiser Schauer überlief ihn, wenn er dachte, daß Schlurck vielleicht dochwol zu dem Schrein, den er verloren, in einem andern Verhältnisse stehen konnte, als dem eines.. »ehrlichen Finders«..

Doch dachte er dieser trüben Vorstellung nicht weiter nach, sondern entfernte sich von dem Hause, das ihm nun erst recht bedeutungsvoll erschien, in dem guten Glauben, am folgenden Tage aller seiner Zweifel und Sorgen los und ledig zu werden.

Seine Schritte wandten sich jetzt beschleunigter jener Gegend zu, wo die Wohnungen der Vornehmen an stolzen einsamen Plätzen lagen.

Hier war es menschenleer und still. Dann und wann eine Schildwache, die ihm der unruhigen Zeiten und noch oft sich wiederholenden Tumulte wegen ein Werda? zurief ...

Die Laternen warfen ihre Lichter über kleine mit Rasen besetzte Beete. Springbrunnen plätscherten da und dort und bewässerten das Gras, das sonst in diesen freien Räumen, immer schattenlos der Sonne ausgesetzt, bald würde verdorrt gewesen sein.[823]

Hier lag auch das Palais des Fürsten von Hohenberg, einsam, still, dunkel, wie in Trauer gehüllt.

Hier hätte er nun anhalten, klingeln, die Stille aufwecken, fragen mögen.. aber kein Licht im ganzen Gebäude.. Alles wie ausgestorben.. Wie er sein in ein Tuch gehülltes Bild an sich drückte und die Geschichte desselben mit dem großen, stolzen, stummen Palaste da vor sich verglich, kam er sich erst fast überfeierlich, dann aber doch plötzlich wie ein Thor, ja kindisch vor, schlug sich an die Stirn und rief:

Bist du wahnsinnig? Was ist mit dir? War das Alles in Hohenberg nicht ein Traum, in dem dich tolle Geister geneckt haben?

Diese Abendstille, – dieser ruhig blinkende Sternenhorizont – fern die rollenden Wagen – die plätschernden kleinen Quellen – es war ihm, als sollt' er das Bild nehmen und es wie einen zwecklosen Ballast in den Kanal werfen, der einige Schritte weiter sich durch dieses einsame Viertel zog.

Dann weckte ihn aber von dieser verzagten Stimmung ein Wagen, der langsam um die Ecke des Palais von der Gegend herbog, wo dies mit einer hohen Gartenmauer begrenzt war.. Der Wagen stand eine Weile still.. fuhr dann langsam an ihm vorüber und hielt vor den Ketten, welche das Palais von der Straße absperrten.

Sollte hier Jemand noch so spät am Abend aussteigen wollen? Sollte es Egon sein?

Dankmar trat näher.[824]

Aus dem niedrigen Wagen blickte ein weiblicher Kopf, der zu den Fenstern hinauf sah ... Vorn saß neben dem Kutscher der Bediente, der keine Miene machte herabzuspringen und den Schlag zu öffnen. Dankmar sah nur, daß die Dame einen Strohhut mit dunklem Schleier trug.

Er näherte sich. Die Dame zog sich zurück ...

Wie er auf dem Trottoir an dem Wagen vorüberging, sah er, wie sie sich in die Ecke ihres Coupé's drückte und den Schleier übergeworfen hatte.

Er ging vorüber und wandte sich doch, als der Wagen immer noch still stand.

Du störst hier ein Stelldichein? dachte er endlich und wollte nun gehen.

Die Dame aber, die sich beobachtet fühlte, gab ohne Zweifel ihren Leuten rasch ein Zeichen und im Nu flog das kleine, elegante Fuhrwerk davon.

Dankmar sah ihm lange nach. Einen Zusammenhang mit dem todtenstillen Palais und dieser nach den Fenstern hinaufforschenden eleganten verschleierten Dame konnte er sich nicht herstellen ....

Aber noch etwas Anderes schien ihm abenteuerlich.

Als er seine Schritte beschleunigend an der einsamen Gartenmauer des Palais entlang ging und bald an ihr vorüber war, um in sein Straßenviertel einzulenken, hörte er einen wunderschönen, männlichen Gesang vom Garten her.

Er blieb stehen ....

Der Sänger mußte dicht unter den Fenstern des Palais,[825] die nach hinten gingen, seinen Stand haben, so entfernt klangen die Töne und doch war es ihm, als unterschiede er deutlich, daß dies Lied nicht deutsch war. Es quoll aus tiefer Brust und hatte etwas Melancholisches und dabei wieder Scherzendes, wie alle Volkslieder, selbst die der Franzosen. Denn französisch schien ihm die Weise.

Nicht lange hatte der Gesang gedauert, als an dem wie ausgestorbenen Palais ein Lichtschimmer sichtbar wurde. Er beobachtete dies Alles durch ein Gitter, mit dem hier, wie an manchen Stellen, die Mauer unterbrochen war ...

Ein Fenster hinterwärts erhellte sich.

Die Bäume aber verhinderten ihn, zu sehen, wer es vielleicht öffnete oder an ihm erschien hinter den Vorhängen ...

Bald verstummte der Gesang und bald erlosch das Licht.

Es war wieder so still und finster wie vorher ... Zögernd machte sich Dankmar auf den Weg, nun wo möglich noch gespannter auf die Enthüllungen des folgenden Tages.

Daheim endlich mußte er stark klingeln, bis ihm geöffnet wurde. Es war ein großes, von vielen Familien bewohntes, neues Haus, wo er seit längerer Zeit schon bei armen Vermiethern wohnte, die ihre ganze Habe in die Ausstattung zweier Zimmer mit zwei »Cabineten« verwandt hatten. Nach vielem Pochen und Klingeln erschien endlich seine Wirthin und sagte schon drinnen im Thorweg:

Sie haben ja Ihren Schlüssel mit, Herr Wildungen![826]

Ich den Schlüssel? dachte Dankmar. Aha! Mein Herr Bruder wird gemeint sein. Sieh, sieh, der wäre noch nicht daheim?

So war es auch. Als die große Hausthür aufging, traute die Wirthin ihren Augen nicht, den jüngeren Bruder zu finden und nicht den Maler.

Sind Sie's denn? So spät! rief sie, indem sie die Hausthür wieder zuschloß – Kaum angekommen, wieder wie weggeblasen!

Dankmar beschränkte sich auf die einfache Thatsache: Sehen Sie, Frau Schievelbein, nun bin ich wieder da, unter Ihrem Schutz, Ihrer liebenswürdigen Obhut.

Was haben wir auf Sie gepaßt, sagte Frau Schievelbein, die eigentlich vor Dankmar immer Furcht hatte und mit Siegberten zutraulicher stand; wir glaubten Wunder, was Ihnen widerfahren ist!

Ja, ja, Frau Schievelbein, sagte Dankmar, Wunder sind mir auch widerfahren! Ist mein Bruder nicht zu Hause? So spät? Wo steckt er noch?

Damit waren sie erst eine Treppe hinauf.

Seit Sie fort sind, Herr Dankmar, sagte Frau Schievelbein, sind Herr Siegbert fast jeden Abend aus –

Sollt' er sich fürchten, daß Hackert das Geld reclamirt! dachte Dankmar für sich.

Kein Geld angekommen? sagte er dann laut; kein Brief aus Angerode? Keine Besuche?

Für Sie nichts, antwortete die Wirthin, die mit einer[827] Nadel etwas den Docht ihrer Lampe heraufzog; ein Brief für Herrn Siegbert liegt oben.

Aha! Wahrscheinlich der meinige aus Plessen! dachte Dankmar.

Aber Geld wird kommen, fuhr Frau Schievelbein fort, Geld wird viel kommen; wissen Sie's denn noch nicht, das Bild ist ja verkauft!

Das Bild ist verkauft? sagte Dankmar freudig. Gott sei Dank! Wenn's nur wahr ist!

Daß Frau Schievelbein es bestätigte für ganz wahr und gewiß, konnte Dankmarn auch deswegen lieb sein, weil es ihm Muth gab, sich jetzt an die dritte Treppe zu machen; denn auch die zweite führte noch nicht zum Ziele.

Wer hat es denn gekauft, Frau Schievelbein? fragte Dankmar.

Der Verein, Herr Wildungen, ja, ja, der Herr, der so schlimm sein soll, der Herr Kunst – ich kann immer den Namen von dem Herrn nicht behalten.

Aha, Herr Kunstverein, bei dem man einen Vetter haben muß, wenn er ein armes Talent in Nahrung setzen soll!

Derselbe! Für Dreihundert Thaler hat's der Herr Bruder jetzt rundweg losgeschlagen –

Für Dreihundert Thaler! Arme Seele, die du ein Jahr über diesem Stoff geschmachtet hast, drei Vorskizzen machtest, einen Carton, doppelte Untermalung, zehn Übermalungen – gewiß, wir leben im Periklëischen Zeitalter.[828]

Dankmar mußte einen Augenblick stehen bleiben. Die geringe Summe that ihm doch weh, und – die dritte Treppe war noch nicht die letzte. Es gab noch eine vierte und diese führte nicht etwa auf den Boden, sondern wirklich erst in die bescheidene Wohnung der Brüder Wildungen. Freilich konnte Dankmar den Freunden und Bekannten, die bei ihren Besuchen über die vier Treppen fluchten und wetterten, immer sagen: Ich liebe meinen Bruder Siegbert zu sehr, als daß ich mich von ihm trennen könnte und mein Bruder ist ein Maler und Maler müssen gutes Licht haben! Aber ebenso oft fühlte er doch selbst, daß hier aus der Nothwendigkeit eine Tugend gemacht wurde und im Stillen machte er schon lange gegen Frau Schievelbein das Complot, ob nicht auch mindestens drei Stiegen hoch irgendwo ein gutes Malerlicht aufzufinden wäre. War doch jetzt der Contrast seiner ebengespielten Prinzenrolle zu dieser bescheidenen Existenz im vierten Stock auch gar zu jäh und abspringend!

Die vierte Treppe hatte das Gute, daß sie zwar sehr schmal, aber auch sehr kurz war. Dankmar betrat sein Zimmer und das seines Bruders. Siegbert war ausgeflogen und die Wirthin versicherte, er käme seit Dankmar's letzter Abwesenheit fast jede Nacht erst gegen zwölf Uhr nach Hause..

Diese Stunde wartet heute meine brüderliche Liebe nicht ab, ich gehe zu Bette! sagte er. Frau Schievelbein, einen Gruß an Siegbert, wenn Sie ihn heute noch oder morgen früher als ich sehen. Für heute gute Nacht![829]

Damit legte er schlaftrunken das Bild auf seinen Tisch, enthüllte es, betrachtete noch einmal die freundlichen, etwas vornehmen Züge der weiland jungen Fürstin Amanda, tastete an dem hintern Holze, das ihm verdächtig genug vorkam, noch etwas hin und her, ohne das Glas heftig zu drücken, sah auf dem Tische des Bruders wirklich seinen Brief aus Plessen, eben frisch angekommen, mit dem Siegel der Krone, entkleidete sich, löschte das Licht, das ihm Frau Schievelbein angezündet hatte, und warf sich auf sein Lager in einem Alkoven, der jedoch auf dem Miethzettel der Frau Schievelbein an der Hausthür als »Cabinet« paradirte. Das angenehme Gefühl, bei allem Merkwürdigen, das er erlebt hatte, nun doch wieder in seiner eigenen Behausung zu sein und auf einem Bett zu ruhen, das ihm selbst gehörte – die Mutter hatte es ihm aus Angerode geschickt – erfüllte ihn bald mit jenem traulich sichern Behagen, ohne das man sanft und stärkend nicht entschlummern kann.

Es war heller, lichter Morgen, als Dankmar erwachte und im Erwachen fast erschrak, erschrak über Siegbert, der mit seinen reinen, klaren Augen eben über ihm in die seinen blickte. Siegbert hatte sich über den Schläfer gebeugt und ihn vielleicht mit dem Athem seiner sorgsamen Liebe aufgeweckt. Seine blonden Locken ringelten sich fast auf Dankmars frische, schlaferquickte Wange herab.

Nun da ist er ja, der Furioso der, sagte Siegbert zum Gruß, er der mir anräth, den Ariost zu lesen, um mich auf seine Abenteuer vorzubereiten! Schöne Dinge müssen[830] Das gewesen sein, daß man so alle Liebe vergessen und sich hinsetzen kann, einem armen verlassenen Bruder dermaßen bittre Dinge über die Kunst und seine besten Einbildungen zu schreiben. Wart! Jetzt sollt' ich dir das Bett über die Ohren ziehen oder hier die Kanne frischen Wassers nehmen, die schon auf dich wartet, und sie dir über den Pelz gießen!

Damit ergriff Siegbert wirklich das Wasser und jagte damit den Bruder, der sich vor einem solchen unfreiwilligen Bade schützen wollte, aus dem Bett. Dankmar besann sich jetzt erst auf die bittern Wahrheiten, die er in seiner übermüthigen Laune dem Bruder geschrieben hatte, um im Scherz ihm diejenige Überzeugung von seinen artistischen Irrwegen beizubringen, die er im Ernst hatte.

Siegbert hielt in der einen Hand den Brief, in der andern die Kanne und stand in drohender Stellung.

Dankmar mit einer geschickten Seitenwendung griff nach dem Briefe, eroberte ihn wirklich und wollte ihn zum Zeichen seiner Reue zerreißen.

Halt! rief Siegbert. Er hat mich mein ehrliches Porto gekostet. Der Beweis deiner Unbrüderlichkeit ist nun mein und ich will mich bemühen, das Wahre davon herauszufinden und danke dir für die Anwendung des corpus juris auf die Ästhetik. Abscheulicher Verräther du! Doch lassen wir jetzt unsere Fehde und nun gebeichtet, was hast du Alles erlebt? Wo geschwärmt? Was getrieben? Ich sehe dir an, daß du so voller Schnurren, Brummkäfer[831] und Schmetterlinge steckst, wie Faust's alter Mantel, als ihn Mephistopheles im zweiten Theil ausschüttelt. Jetzt schüttle dich von selbst, wenn ich dich denn doch nicht schütteln soll!

Lieber Junge, sagte Dankmar, indem er rasch die nöthigsten Kleider anzog, das Fenster seines Zimmers aufriß, frische Luft schöpfte und sich wusch, lieber Junge, fürs Erste gleich' ich Faustens altem Mantel darin, daß mein Magen so schlaff ist, wie ungekrämptes Tuch. Was hast du zu frühstücken? Mit gewöhnlichen Schievelbein'-schen Portionen bin ich heut' nicht zu befriedigen.

Das dacht' ich schon, sagte Siegbert, du sollst deine Ankunft nach Gebühr gefeiert sehen. Ich hoffe, daß du mir die Ehre anthust, heute einmal in der Akademie und nicht in der Aula zu frühstücken.

Wenn deine Farben nicht zu sehr nach Öl duften, lieber Bruder, sagte Dankmar, du kennst meine Antipathie gegen Eure Mischungen und wenn ich bei Raphael frühstücken sollte ... ich ... ich dächte, wir blieben doch lieber in der Aula.

Nein, nein, sagte Siegbert, in der Akademie! Verdirb mir meine Freude nicht! Die Farben sind eingetrocknet. Seit drei Tagen hab' ich zu Hause keinen Pinsel berührt ....

Damit zog Siegbert seinen Bruder durch dessen Zimmer in das seinige. Sie nannten das Zimmer Dankmar's die Aula und das von Siegbert bewohnte die Akademie. Die Akademie hatte gleichfalls ein »Cabinet.«[832]

In der Akademie fand Dankmar in der That eine sehr festliche Zurüstung. Der runde Tisch, der vor einem mit Haartuch überzogenen, mit gelben Knöpfen beschlagenen Sopha stand, war zur Hälfte mit einer weißen Serviette bedeckt. In der Mitte stand ein Glas mit den frischesten, heute schon vom Früh-Markte gekommenen Blumen. Daneben der Kaffee und die Milch in einer Maschine, in der sich die Brüder ihre Morgenstärkung selber brauten. Ein weit größeres Quantum von frischem Weißbrot, als gewöhnlich, lag aufgehäuft in einem Korbe, von dem zwar hier und da der Lack schon abgesprungen war, welcher Mangel aber durch große Reinlichkeit ersetzt wurde. Besonders wohlgefällig waren außer den beiden Tellern und den blauweißen Tassen heute drei Extraschüsseln mit den dazugehörenden Messern, Gabeln und kleinen Theelöffeln. Es war dies erstens ein frisches Stück ungesalzner Butter, das zierlich auf drei großen Weinblättern ruhte und durch eine Form mit Sternen und kleinen Sonnen ausgeprägt war. Zweitens ein Teller mit einer Serviette, in deren geheimnißvollem Innern wie in einem Neste eine halbe Mandel gekochter Eier sich traulich versteckte und endlich drittens ein Teller voll malerisch geordneter roher Schinkenschnitte, die weiß und roth in angenehmster Abwechslung zwischen Fleisch und Speck den Gaumen unwiderstehlich reizten. Auch hier war zur Verzierung eine Menge von verstreuter Petersilie angebracht.

Diese Strafe für seinen wilden übermüthigen Brief war[833] für Dankmar doch zu großmüthig. Er umarmte fast den Bruder und sagte:

Siegbert, wie kann ich dein edles Herz jetzt herzlicher anerkennen, als durch meinen Magen'. Mein Appetit sei der Dolmetscher meiner Gefühle!

Die Brüder setzten sich und begannen mitzutheilen und zu erzählen.

Wie hab' ich dich erwartet, sagte Siegbert, wie sah' ich dir an jenem Abende, wo du wie im Traume von meiner Seite verschwandest, verzweifelnd nach! Wie hat sich denn Hackert bewährt? Bist du mit ihm wieder zurückgekommen?

So war er also nicht da? fragte Dankmar. Hat sich noch nicht sein Geld geholt?

Zu unserer Ehre noch nicht, sagte Siegbert, ich hätte ihm aufrichtig gestehen müssen, daß wir es angegriffen haben. Doch die Schievelbein erzählte mir schon, daß sie dir den Verkauf meines Bildes mitgetheilt hat. Ja es ist verkauft, Dankmar, und damit ein Stein vom Herzen!

Dreihundert Thaler, sagte Dankmar, ich hörte es mit Ingrimm gegen diese Kunstvereinsknauserei! Die Beleuchtung ist allein soviel werth. Bildchen von zwanzig Thalern wollen sie kaufen, damit in ihrer Lotterie viel Gewinne fallen.

Und ist es nicht traurig, sagte Siegbert, daß ich kaum durch mich selbst und meine Arbeit zu diesem Resultate würde gekommen sein, wenn ich nicht für das Gethsemane der Frau von Trompetta ein Blatt malte? Und[834] noch schrecklicher! Diese Frau machte von meinem Bilde nicht etwa darum ein so großes Aufsehen, daß man es seines Werthes wegen ankaufen müsse, sondern weil ein Albumsblatt von mir ihr dann erst wichtig werden konnte, wenn ich eine öffentliche Anerkennung erhielt und unter die gesuchten Maler versetzt wurde!

Das muß ich sagen, fiel Dankmar ein und zerklopfte ein Ei, das nenn' ich das Gelbe von der Sache! O, o! Welche Lügen! Welche Schändlichkeiten! Frau von Trompetta heißt die Posaune deines Ruhms? Was machst du ihr denn in ihr Gethsemane? Hoffentlich etwas vom Schweiße des Heilands, der sich auf dem Tuche der heiligen Veronika abdruckt! Darunter würd' ich schreiben: Aus der ewigen Leidensgeschichte des Genius!

Genug! sagte Siegbert. Das Bild ist nun fort und die dreihundert Thaler werden uns Muth geben, so lange zu warten, bis du deine Million gewinnst. Ich hoffe, diese Million wird uns doch recht bald ausgezahlt werden..

Spottest du? sagte Dankmar und schnitt an dem Schinken, der trotz allen guten Willens, trotz symmetrischer Anordnung, trotz der grünen Petersilie etwas zäh war. Spottest du und machst Witze, so ledern wie dein Schinken? Mache dich würdig, meine Abenteuer zu vernehmen, sonst hüll' ich mich in ein undurchdringliches Dunkel.

Siegbert suchte aus dem Schinkenteller für den Bruder weichere Stücke und gerieth durch die Sorge für Dankmar's leibliches Wohl ganz von Dem ab, was doch seine[835] Neugier reizte. Er rieth ihm ein schärferes Messer zu nehmen, die Stücke kleiner zu schneiden; er hätte doch der Schievelbein gesagt, sie solle ...

Beruhige dich! Beruhige dich! rief Dankmar. Meine Zähne thun das Übrige und die Eier sind vortrefflich, wenn auch ein Bischen klein. Ich hoffe sie kommen nicht aus der Schievelbein'schen Kanarienhecke. Iß Bruder! Jetzt seh' ich erst, daß du etwas schmal ausschaust! Wie blaß! Wie schmachtend! Was ist denn auch Das, bis zwölf Uhr Nachts zu schwärmen? Hat's dir der Mond angethan? Verliebte Kater und verliebte Maler, die an den Häusern hinstreichen! Lernst Mandoline spielen?

Siegbert nahm diesen Scherz nicht auf, sondern blickte ernst.

Viel wichtiger, sagte er darauf mit unbefangener Miene, viel wichtiger als deine Kritik über meine blassen Wangen ist die Mittheilung, was denn nun aus deinem Wunderschranke geworden und wer der glückliche Finder ist? Erzähle!

Dankmar hatte noch nicht Lust, sich in diese wichtigen Thatsachen und ihre weitläufige Mittheilung einzulassen. Er sagte:

Lieber Bruder, das sind so umständliche Dinge, daß ich sie nicht beim Frühstück abmachen kann! Was ich dir von meinen seltsamen Begebenheiten schrieb, ist wahr; aber sie sind verworren, so unglaublich, daß ich wirklich von vorn anfangen und ganz methodisch erzählen muß. Sage mir vorläufig zur Beruhigung, was hast du von dem Pferde[836] gehört, das uns jener Strauchdieb in die Lasally'sche Reitbahn zurückführen sollte?

Er hat es abgeliefert, sagte Siegbert. Ich war selbst dort noch am selben Abend und habe seitdem nur die Sorge gehabt, jene hundert Thaler wieder zu vervollständigen – Du nennst den Fremden einen Strauchdieb. Hast du Beweise, daß er diesen Namen verdient?

Ich denke wol, entgegnete Dankmar, und sehr triftige. Indessen bin ich froh, daß sich das Pferd sicher in Lasally's Händen befindet. Ich wünschte, wir hätten ihm das Pfand zurückgegeben und kämen mit ihm in keine weitere Berührung. Leider fürcht' ich aber, daß ich gerichtlicher Zeuge gegen ihn werden muß. Gerade Lasally ist es, der diesen Hackert verklagen will und sich dabei auf mich zu berufen gedenkt ...

Siegbert war über diese Nachricht sehr erstaunt. Er hatte von Hackert ein gutes Vorurtheil gefaßt und bedauerte, daß er es nun aufgeben sollte. Um indessen dafür auch gerechte Veranlassung zu haben, fragte er Dankmar nach den Gründen, die Lasally zu einem solchen Verfahren bestimmen konnten.

Dankmar meinte, daß auch diese Gründe in die lange und prächtige Erzählung gehörten, die er ihm noch heute auftischen würde.

Am liebsten, sagte er, heut' Abend, wenn ich noch weitere Ergebnisse gewonnen habe! Denn aufrichtig gestanden, ich schäme mich fast, vor einer genauen authentischen Bestätigung aller meiner Entdeckungen so sicher[837] und bestimmt von ihnen zu reden. Wie ich gestern Abend hier durch die stillen Straßen schlenderte, kam mir Alles wieder wie ein Traum vor, als hätte mich irgend eine Fee nur necken wollen und mich verzaubert. Aber, Himmel ...

In dem Augenblick sprang er auf. Das Bild fiel ihm ein. Er hatte es gestern in der Übermüdung aller seiner Sinne so gedankenlos auf seinem Tische liegen lassen, dies wunderbar gerettete Bindeglied zwischen ihm und so vielen Menschen, die er noch heute sich eilen wollte, als wirkliche Menschen und keine wesenlosen Schatten zu erkennen ...

Wie er mit dem Portrait, das er noch an der alten Stelle fand, drinnen rumorte, um es wegzulegen, rief Siegbert zu ihm hinein:

Welch' alten Zopf hast du denn da auf einem Trödel erstanden? Oder ist das vielleicht eine Schwiegermutter, die du irgendwo auf der Reise erabenteuert hast? Hübsch muß in diesem Falle die Tochter sein, aber ich wünschte, daß sie einen bessern Maler fände als einst die Mama.

Mein lieber Bruder, sagte Dankmar und legte drinnen das Bild in eine wacklige nicht verschließbare Kommode; an diesem Zopfe hängt das Schicksal eines Fürstenthums. Auch Das ist eine Neuigkeit, die, jetzt schon aufgeklärt, lange nicht so überraschend ist als im Zusammenhange meiner ganzen Geschichte. Sage mir ferner lieber, wie es dir inzwischen ergangen und welche bösen Geister dich verführt haben, Nachts um zwölf Uhr nach Hause[838] zu kommen. Hat dich Leidenfrost wirklich zum Mitglied seines Clubs gemacht, hältst du Reden oder hörst du welche?

Manches der Art! antwortete Siegbert, der sich bescheiden mußte, seine Neugier über des Bruders Abenteuer, besonders über eine etwaige Bekanntschaft mit Melanie Schlurck gezügelt zu sehen. Ja, Freund, ich bin auf dem besten Wege, in Untersuchung gezogen zu werden.

Dankmar erschrak.

Wie? fragte er. Mein besonnener Siegbert macht Thorheiten? Du weißt, ich bin dafür, daß man links, aber nicht linkisch ist! Unser gewöhnliches Clubwesen ist das Grab der Freiheit, nicht ihre Wiege.

Befürchte nichts, Dankmar, sagte der Bruder lächelnd, meine Unternehmungen auf diesem Gebiete sind sehr friedlicher Natur! Auch ist Das, was aus meinem nächtlichen Ausbleiben sich noch allenfalls entwickeln könnte, erst im Entstehen begriffen und kann mit deinem Urtheile stehen oder fallen. Vorläufig sag' ich dir nur, daß ich in diesen Tagen deiner Abwesenheit zwei Menschen gefunden habe, die sich inniger als jemals Andre an mich angeschlossen haben und von denen es mich glücklich machen würde, wenn sie auch dir gefielen.

Um des vierblättrigen Kleeblatts willen, sei's! sagte Dankmar. Aber auf einem und demselben Stengel müssen wir sitzen, sonst werd' ich auf deine neuen Freunde eifersüchtig. Wer sind sie denn?[839]

Dankmar wurde hier von Frau Schievelbein unterbrochen, die den Augenblick, wo die Brüder mit dem Frühstück fertig waren, belauscht zu haben schien. Sie kam, theils ein Urtheil über ihre Anschaffungen zu vernehmen, theils die Kleider hinzubreiten, die sie geputzt hatte. Auch die Stiefeln gehörten, da sie es so dringend wünschte, ihrem Wirkungskreise an. Sie ließ sich diesen Verdienst an ihren beiden Miethsherren nicht nehmen und war in der That sorgsamer, als in diesem delikaten Punkte Frauenhände zu sein pflegen.

Dankmar überließ Siegberten das Lob ihrer Bemühungen für diese Empfangsfeier. Er selbst hielt sich mehr an die bürstende Bestimmung seiner Wirthin, schloß mit raschem Besinnen seinen Kleiderschrank, langte die beste Garderobe hervor und übergab sie Frau Schievelbein zu behutsamster Reinigung. Ihre Klage, daß der Staub aus den Reisekleidern kaum auszutreiben gewesen wäre, ließ er gelten. Auch auf die gewöhnlichen Stiefeln verzichtete er. Er stellte sehr glänzend gefirnißte in die Aula, Alles zur Vorbereitung für eine gewählte Toilette.

Du ziehst dich ja an, sagte Siegbert, als Frau Schievelbein mit den Kleidern sich entfernt hatte, als wenn du heute zu einem Fürsten gingest?

Das geschieht auch! sagte Dankmar. Verzeihe mir meine Zerstreuung, Bruder! Ich schlage dir vor, heut' unser Mittagessen –

Im Pelikan, fiel Siegbert rasch ein, an der Kegelbahn, neben den Johannisbeerhecken![840]

Nein, nein, erwiderte Dankmar und legte ein Hemde, weiße Wäsche und mit Bedacht eine der Saison entsprechende Weste zurecht. Das ist zu entlegen und ich gestehe dir, deine Verehrung vor dem Proletariat und wahrscheinlich auch wieder vor Eierkuchen mit Schnittlauch theil' ich heut' nicht. Wenn ich zwei wichtige Besuche, die ich machen muß, hinter mir haben werde, sehn' ich mich nach einer Flasche Cantenac oder Leoville und will mit dir im Rathskeller, bei Lippi oder lieber bei Grüns speisen im kleinen Cabinet, wo wir abgeschlossen sind, von keinem Hundegebell gestört werden und ich dir mit Ausführlichkeit zwischen Schüssel und Schüssel erzählen kann, was ich erlebt habe!

So sicher steuerst du wahrhaftig auf die Million zu? Rathskeller? Lippi? Grün? sagte Siegbert, dem indessen der Vorschlag doch außerordentlich gefiel. Er war gern bei einem gewählten, gemüthlich vorbereiteten Genusse und empfand schon die Behaglichkeit, so allein mit dem Bruder eine Mahlzeit zu verzehren, die sie nur bei außerordentlichen Veranlassungen sich gestatten konnten.

Bist du's zufrieden? fragte Dankmar, immer in seinem Zimmer räumend und für seine Toilette Dies und Jenes zurechtlegend.

Siegbert, der sich nun gleichfalls anzuziehen begann, antwortete aus seinem Zimmer:

Nichts soll mir lieber sein! Ich gehe jetzt in's Atelier, arbeite fleißig an meinem Albumblatte für die Trompetta, die damit drängt und jede Stunde gelaufen kommt, meinen[841] Eifer zu controliren. Dann hab' ich ein neues Portrait zu malen. Bis zwei Uhr bin ich so weit, um mit mir hoffentlich zufrieden sein zu können. Dann noch ein Besuch bei dem einen meiner Freunde und um drei speisen wir. Bei Grüns wird es dann stiller. Aber das Cabinet müssen wir belegen und nur gleich sagen, daß wir für das Couvert einen Thaler zahlen, sonst nehmen es Reubündler, Offiziere oder andre Privilegirte in Beschlag.

Willst du das besorgen? fragte Dankmar. Deine Kasse reicht doch?

Sie reicht! erwiderte Siegbert. Die Dreihundert sind schon eingerückt. Ich verschwieg es der Schievelbein, um erst zu hören, wieviel du davon nöthig hast. Wenn du recht mittheilsam bist, nicht flunkerst und mir Gelegenheit zu malerischen Situationen gibst, so kann auf den Leoville auch wol noch ...

Champagner! rief Dankmar von drinnen scherzhaft drohend und von der Güte seines Bruders gerührt. Welche Excesse! Mensch!

Pst! Ich spreche ja nur von Schaum, weil ich den Barbier höre! sagte Siegbert lachend. Guten Morgen Herr Zipfel. Die Thür ging auf ...

Es war in der That der Barbier, Herr Zipfel, der mit Frau Schievelbein, die die Kleider zurückbrachte, zugleich eintrat.

Andre Leute bekommen jeden Morgen zum Frühstück naß und frisch die neueste Zeitung. Die Brüder hatten[842] aber diese Ausgabe nicht nöthig. Die guten Zeitungen lasen sie Nachmittags im Kaffeehause, und für die laufende Chronik, für Das, was sie das politische Wetter nannten, genügte jeden Morgen der Besuch des Herrn Zipfel.[843]

Quelle:
Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. [Band 1–3], Frankfurt a.M. 1998, S. 818-844.
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